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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 24.10.2003
Aktenzeichen: 13 B 1762/03
Rechtsgebiete: PostG 1997/2002, VwGO


Vorschriften:

PostG 1997/2002 § 51 Abs. 1 Satz 1
VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 123
1) Zum vorläufigen Rechtsschutz gegen einen feststellenden Verwaltungsakt.

2) Zur Auslegung des Merkmals des "Dreifachen des Preises für entsprechende Postsendungen der untersten Gewichtsklasse" in § 51 Abs. 1 Satz 1 PostG.


Tatbestand:

Die Antragstellerin begehrte vorläufigen Rechtsschutz gegen eine der Beigeladenen erteilte postrechtliche Lizenz bzw. gegen einen feststellenden Verwaltungsakt der Antragsgegnerin, durch den auf Antrag der Beigeladenen die Reichweite der Lizenz klargestellt wurde. Das VG deutete den nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellten Antrag in einen solchen nach § 123 VwGO um und lehnte die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ab. Auf die Beschwerde der Antragstellerin änderte das OVG die Entscheidung des VG und gab dem Antrag der Antragstellerin im Wesentlichen statt.

Gründe:

Der Senat sieht als "richtiges" Rechtsmittelbegehren zur Erlangung vorläufigen Rechtsschutzes durch die Antragstellerin den von ihr ursprünglich und auch im Beschwerdeverfahren gestellten Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO an.

Bei dem fraglichen Bescheid der Antragsgegnerin handelt es sich um einen feststellenden Verwaltungsakt, durch den vor dem Hintergrund der insoweit zwischen den Beteiligten streitigen Frage eine Klarstellung des Umfangs und der Reichweite der Lizenz für die Beigeladene dahingehend erfolgt ist, dass die Beigeladene nach der Lizenz (auch) zur Beförderung von "Briefsendungen, deren Einzelgewicht bis 100 Gramm beträgt, zu einem Einzelpreis von mindestens € 1,35 (brutto)" berechtigt ist. Auch wenn mit diesem feststellenden Verwaltungsakt die Lizenz für die Beigeladene nicht ergänzt oder erweitert worden ist, hat der Bescheid mit dieser Klarstellung zugleich regelnde und belastende Wirkung für die Antragstellerin. Für ihr Begehren, die Beförderung eines Briefes mit einem Gewicht bis zu 100 Gramm zu einem Preis von 1,35 € durch die Beigeladene vorläufig zu unterbinden, steht der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zur Verfügung. Mit diesem Antrag kann die Antragstellerin erreichen, dass die in dem Bescheid zugunsten der Beigeladenen ausgesprochene Klarstellung vorläufig nicht zum Tragen kommt und die von der Klarstellung erfassten Briefsendungen vorläufig von der Beigeladenen nicht befördert werden dürfen. Einer Umdeutung des gestellten Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO in einen solchen nach § 123 VwGO bedarf es deshalb nach Ansicht des Senats nicht, zumal die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach §§ 80, 80a VwGO generell Vorrang hat gegenüber § 123 VwGO und die Antragstellerin ihrerseits kein Feststellungsbegehren an die Antragsgegnerin gerichtet hat.

Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO gebotene Interessenabwägung, bei der u.a. auch die bereits überschaubaren Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsmittels von Bedeutung sind, fällt zugunsten der Antragstellerin aus, weil bei der diesem Verfahren eigenen summarischen Prüfung Zweifel an der Rechtmäßigkeit des die Reichweite der Lizenz klarstellenden Bescheides der Antragsgegnerin bestehen.

Zwar ergeben sich derartige Zweifel nicht daraus, dass auch feststellende Verwaltungsakte einer gesetzlichen Grundlage bedürfen, wenn ihr Inhalt etwas als Rechtens feststellt, was der Betroffene erklärtermaßen für nicht Rechtens hält.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 29.11.1985 - 8 C 105.83 -, BVerwGE 72, 265.

Einer zum Erlass feststellender Verwaltungsakte ausdrücklich berechtigenden Ermächtigungsgrundlage bedarf es insoweit nicht. Aus der Aufgabe der Regulierungsbehörde, postrechtliche Lizenzen zu erteilen (§ 6 Abs. 1 Satz 1 PostG) und die Beförderung von Briefsendungen ohne Erlaubnis zu überwachen und zu sanktionieren (§§ 49 Abs. 1 Nr. 1, 50 PostG) folgt auch die Berechtigung zum Erlass feststellender und der Klarstellung dienender Verwaltungsakte, wenn - wie hier - Streit über Umfang und Reichweite der Lizenz besteht.

Vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 24.8.2000 - 13 B 112/00 -, zur ähnlichen Problematik im Telekommunikationsrecht. Gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 PostG in der seit Januar 2003 geltenden Fassung des 3. Postgesetz-ÄnderungsG vom 16.8.2002 (BGBl. I. S. 3218) steht der Deutschen Post AG bis zum 31.12.2005 das ausschließliche Recht zu, u. a. Briefsendungen, deren Einzelgewicht bis 100 Gramm und deren Einzelpreis weniger als das Dreifache des Preises für entsprechende Postsendungen der untersten Gewichtsklasse beträgt, gewerbsmäßig zu befördern. Eine Konkretisierung des Begriffs "Postsendungen der untersten Gewichtsklasse" enthält die Bestimmung selbst nicht.

Bei summarischer Prüfung hält der Senat die Sichtweise der Antragsgegnerin und der Beigeladenen, die "unterste Gewichtsklasse" sei in Orientierung an einer Postkarte zu bestimmen, nicht für zutreffend, sondern die Auslegung der Antragstellerin, bei der untersten Gewichtsklasse sei anzuknüpfen an die Gewichtsklasseneinteilung bei Briefen, für richtig.

§ 51 Abs. 1 Satz 1 PostG knüpft zwar mit dem Begriff "Postsendungen" an die diesbezügliche Begriffsbestimmung in § 4 Nr. 5 PostG an, wonach Postsendungen Gegenstände i.S.d. § 4 Nr. 1 PostG sind. Unter Berücksichtigung der in § 4 Nr. 1 PostG genannten Postdienstleistungen bzw. Beförderungsgegenstände gehört auch eine Postkarte zu den "Briefsendungen", die als adressierte schriftliche Mitteilungen definiert sind (§ 4 Nr. 2 Satz 1 PostG). Der Begriff der "Postsendungen" in § 51 Abs. 1 Satz 1 PostG erfährt aber eine Einschränkung und wird insoweit relativiert durch seine Verbindung mit den Worten "der untersten Gewichtsklasse". Die Orientierung an einer "Gewichtsklasse" als preisrelevantes Abgrenzungskriterium zwischen der Exklusivlizenz für die Antragstellerin und dem liberalisierten Bereich macht aber nur Sinn bei Bezug dieses Begriffs zu einem Objekt, bei dem eine entsprechende Gewichtskategorisierung bzw. -klassifizierung gegeben ist. Von einer Gewichtsklasse i.S.d. § 51 Abs. 1 Satz 1 PostG kann nur die Rede sein in Zusammenhang mit einer tatsächlich bestehenden Klassifizierung nach preisbezogenen Gewichten, denn bei einem preislichen Abgrenzungskriterium kann insoweit nur eine "preis"relevante Klassifizierung maßgebend sein. Eine Klassifizierung nach Gewichtsklassen besteht hingegegen nur bei Briefen, die im Bereich der Deutschen Post AG nach Mindest-/Höchstmaßen und Gewichtsgrenzen eingeteilt werden in Standardbrief, Kompaktbrief, Großbrief und Maxibrief, während für die Postkarte eine Gewichtsklasseneinteilung in diesem Sinne nicht besteht. Ein "Flächengewicht" (zwischen 150 g und 500 g/qm), das u. a. nach den Service-Informationen der Antragstellerin für eine Postkarte vorgesehen ist und das erkennbar beförderungs-/sortierungstechnische Relevanz hat, ist begrifflich etwas anderes als eine "Gewichtsklasse" und erst recht als eine "preisrelevante" Gewichtsklasse. Auch ist die Postkarte etwas anderes als ein Brief, d. h. nicht etwa ein "Minibrief", wenn auch Postkarte und Brief verschiedene Arten der Gattung Briefsendung sind.

Die Sichtweise, auf den Brief als "Postsendung der untersten Gewichtsklasse" i.S.d. § 51 Abs. 1 Satz 1 PostG abzustellen, rechtfertigt sich auch bei Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien zum jetzt geltenden Postgesetz und des Verständnisses der mit der Durchführung des früheren und jetzigen Postgesetzes befassten Stellen. § 2 Abs. 4 PostG 1989 (BGBl. I S. 1450) sah u. a. Befreiungen vom zugunsten der Deutschen Bundespost POSTDIENST bestehenden Beförderungsvorbehalt vor. Die darauf basierenden Allgemeingenehmigungen des damaligen Bundesministers für Post und Telekommunikation, beispielsweise für Kuriersendungen oder für das Errichten und Betreiben von Einrichtungen zur entgeltlichen Beförderung von schriftlichen Mitteilungen von Person zu Person von 1994 (Verfügungen 5/1994 bzw. 6/1994, Amtsblatt BMPT 1994, 56) knüpften an eine Mindestpreisgrenze an, die "beim Zehnfachen der Gebühr für einen gewöhnlichen Brief, d. h. z. Zt. bei einem Betrag von 10 DM liegt". Die Vfg. 6/1994 formuliert darüber hinaus den Betrag von DM 10 "einschließlich Mehrwertsteuer".

Im Gesetzesentwurf zum jetzt geltenden Postgesetz war in § 50, der dem Gesetz gewordenen § 51 PostG entsprach, für die Reichweite der gesetzlichen Exklusivlizenz eine Anknüpfung an das Fünffache des am 31.12.1997 geltenden Preises für "Normalbriefe" der untersten Gewichtsklasse vorgesehen. Dass es sich dabei um eine Ungenauigkeit in der begrifflichen Formulierung handelte und mit "Normalbrief" auch die Postkarte gemeint sein sollte, ist angesichts der bis dahin ausschließlich praktizierten Sichtweise, bei preisrelevanten Merkmalen an den Brief anzuknüpfen, nicht erkennbar. Die jetzige Formulierung des § 51 Abs. 1 Satz 1 PostG mit "entsprechende Postsendungen der untersten Gewichtsklasse" geht auf eine Empfehlung des Vermittlungsausschusses vom 10.12.1997 (BT-Drucks. 13/9420, S. 15, 33) zurück, die wiederum die Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf des Postgesetzes bzw. zu § 50 des Entwurfs (BT-Drucks. 13/7774, S. 35) berücksichtigte. Der Bundesrat hielt es für erforderlich, zur Sicherstellung der Finanzierung eines qualitativ hochwertigen Universaldienstes durch die Deutsche Post AG auch adressierte Massensendungen (Infopost) in die Exklusivlizenz für die Antragstellerin einzubeziehen und die Exklusivlizenz auch auf adressierte Kataloge zu erstrecken. Mit der Formulierung "entsprechende Postsendungen" in § 51 Abs. 1 Satz 1 PostG wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass adressierte Kataloge, die bis zu einer bestimmten Gewichts- und Preisgrenze von der Exklusivlizenz für die Antragstellerin erfasst sein sollten, nach der Legaldefinition des § 4 Nr. 2 PostG nicht zu "Briefsendungen" gehörten und für sie auch nicht der bis dahin verwendete Begriff der "Normalbriefe" passte. Dass mit dem Wechsel der Begriffe von "Normalbriefe der untersten Gewichtsklasse" im Entwurf des Gesetzes zum PostG zu "entsprechende Postsendungen der untersten Gewichtsklasse" in der Gesetzesfassung auch ein Wechsel in der Preis-Bezugsgröße von Brief auf Postkarte gewollt war, ist hingegen nicht erkennbar. Entsprechende Anhaltspunkte oder Andeutungen sind den Gesetzesmaterialien an keiner Stelle zu entnehmen. Auch die nach dem Inkrafttreten des PostG 1997 zunächst von allen an der Durchführung des Gesetzes beteiligten Stellen praktizierte Handhabung, den relevanten Preis im Rahmen des § 51 Abs. 1 Satz 1 PostG ("Fünffache des am 31.12.1997 geltenden Preises ...") mit 5,50 DM anzunehmen, spricht für den Brief als Bezugsgröße. Dieser Preis bedeutet eine Orientierung am Preis eines Briefes der untersten Gewichtsklasse, der seinerzeit 1,10 DM betrug, während sich der Preis für eine Postkarte auf 1,00 DM belief. Anhaltspunkte dafür, dass mit der durch das Dritte Gesetz zur Änderung des PostG vom 16.8.2002 (BGBl. I S. 3218) erfolgten Änderung des PostG zum 1.1.2003 eine von der bisherigen Wertung eines Briefes als preisrelevante Bezugsgröße abweichende Sichtweise erfolgten sollte, sind den entsprechenden Gesetzesmaterialien nicht zu entnehmen. Mit der Gesetzesänderung sind die maßgebenden Gewichts- bzw. Preisgrenzen neu bestimmt worden; eine Änderung des Bezugsobjekts ist hingegen nicht erfolgt.

Die Auslegung, bei den "Postsendungen der untersten Gewichtsklasse" an den Brief anzuknüpfen, steht auch in Einklang mit europarechtlichen Erwägungen. Nach Art. 7 der Richtlinie 97/67/EG - Postdienste-RL - können u.a. Sendungen "zu einem Preis unter dem Fünffachen des öffentlichen Tarifs für eine Briefsendung der ersten Gewichtsklasse der, soweit vorhanden, schnellsten Kategorie der Standardsendungen" für die Anbieter von Universaldienstleistungen reserviert werden. Vor dem Hintergrund, dass in einigen EG-Ländern die Postkarte ohnehin keine Rolle gespielt hat, kann mit dem Begriff "Standardsendungen" nur die Sendungsart Brief gemeint sein, weil nur diese eine Standardkategorie kennt und bei der Postkarte zwischen einer Standard- und Sonderkategorie nicht unterschieden wird. Es ist nicht erkennbar, dass diese Wertung durch die Richtlinie 2002/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10.6.2002 zur Änderung der Richtlinie 97/67/EG (Abl. EG L 176/21), deren Umsetzung das Dritte Gesetz zur Änderung des PostG dient, verändert worden ist, auch wenn der Art. 7 der Richtlinie dadurch eine andere Fassung erhalten hat. Art. 7 der Richtlinie in der jetzigen Fassung knüpft ebenfalls an eine "Briefsendung der ersten Gewichtsklasse der schnellsten Kategorie" an und entspricht mit dieser Anknüpfung an eine Gewichtsklasse weiterhin dem Bezugsobjekt "Brief".

Der von der Antragsgegnerin gesehene Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht besteht nicht. Die Postkarte gehört nach wie vor zum Exklusivbereich der Antragstellerin; dem steht eine Orientierung der Preisgrenze bei § 51 Abs. 1 Satz 1 PostG an der Sendungsart Brief nicht entgegen.

Da sich das Beförderungsentgelt für einen Brief der untersten Gewichtsklasse seit dem 1.1.2003 auf 0,55 € beläuft, beträgt das nach § 51 Abs. 1 Satz 1 PostG maßgebende Dreifache dieses Preises 1,65 €. Dabei handelt es sich um einen Bruttopreis, den der Kunde für die Inanspruchnahme der Postdienstleistung bezahlen muss, und zwar unabhängig davon, ob er vorsteuerabzugsberechtigt ist oder nicht. Der Begriff des "Dreifachen des Preises" ist einer weiteren Differenzierung nicht zugänglich. Weder das PostG allgemein noch § 51 Abs. 1 Satz 1 PostG im Speziellen geben einen Anhaltspunkt dafür, dass mit "Preisen" i.S.d. Postgesetzes andere Preisangaben als die einschließlich der Umsatzsteuer gemeint sind. Steuerrechtliche Besonderheiten wie etwa die derzeitige Umsatzsteuerbefreiung der Antragstellerin oder eine etwaige Vorsteuerabzugsberechtigung von Postdienstleistungen in Anspruch nehmenden Personen können bei der Auslegung postrechtlicher Vorschriften und bei der Bestimmung des Preises für Postdienstleistungen keine Berücksichtigung finden.

Für Briefsendungen ergibt sich demnach ab dem 1.1.2003 eine Monopol-Preisgrenze (Mindestpreisgrenze) nach § 51 Abs. 1 Satz 1 PostG in Höhe von (3 x 0,55 € =) 1,65 €. Daraus folgt, dass der feststellende Bescheid der Antragsgegnerin von einer unzutreffenden Mindestpreisgrenze ausgeht.

Ende der Entscheidung

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