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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 21.07.2005
Aktenzeichen: 13 B 498/05
Rechtsgebiete: VwGO, RiFlEtikettG, LMBG


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 5
RiFlEtikettG § 4a Abs. 1 Satz 2
RiFlEtikettG § 4a Abs. 1 Satz 2
LMBG § 17
Zur Genehmigungspflicht von Informationsbroschüren nach dem Rindfleischetikettierungsgesetz.
Tatbestand:

Die Antragstellerin, die Verbrauchermärkte betreibt, beteiligte sich an einem Qualitätssicherungssystem für Fleischerzeugnisse. An den Fleischtheken in ihren Märkten wies sie mit Informationsbroschüren auf dieses System hin. Die Antragsgegnerin hielt einige Angaben in den Broschüren für unzulässig und untersagte der Antragstellerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Verwendung dieser Broschüren im Zusammenhang mit Rindfleischerzeugnissen. Dagegen legte die Antragstellerin Widerspruch ein und beantragte zugleich bei dem VG vorläufigen Rechtsschutz. Das VG gab dem Antrag statt. Die Beschwerde der Antragsgegnerin hatte keinen Erfolg.

Gründe:

Bei der in Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung geht der Senat davon aus, dass sich die angefochtene Untersagungsverfügung voraussichtlich als rechtswidrig erweisen wird und dementsprechend ein sofortiger Vollzug nicht im öffentlichen Interesse liegt.

Die Verfügung ist noch hinreichend bestimmt. ... (wird ausgeführt)

Mit diesem die Auslegung von Broschüren untersagenden Inhalt wird sich die Verfügung aller Voraussicht nach als rechtswidrig erweisen, weil die Voraussetzungen der allein in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlage des § 4a Abs. 1 Satz 2 des Rindfleischetikettierungsgesetzes (RiFlEtikettG) nicht vorliegen. Die Vorschrift beinhaltet die Umsetzung von Art. 9 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) 1825/2000, der - soweit hier von Interesse - regelt, dass die Mitgliedstaaten bestimmen, dass Rindfleisch bei freiwilliger Etikettierung vom Markt zu nehmen ist, wenn die Etikettierung den Vorgaben der Spezifikation nicht entspricht bzw. eine Spezifikation nicht genehmigt wurde. Die Genehmigungsanforderungen für Spezifikationen (Etiketten) in einem freiwilligen Etikettierungssystem sind im Wesentlichen in Art. 16 VO (EG) 1760/2000 festgelegt. Nach den Art. 11 Satz 1, 2. Spiegelstrich, 16 Abs. 1 Satz 1 VO (EG) 1760/2000 handelt es sich um ein genehmigungspflichtiges freiwilliges Etikettierungssystem, wenn bei einer Etikettierung im Sinne von Art. 12, 2. Spiegelstrich VO (EG) 1760/2000 andere als die in Art. 13 VO (EG) 1760/2000, insbesondere in dessen Abs. 2 festgelegten Angaben gemacht werden.

Zwar liegen die Voraussetzungen für eine Untersagung gemäß § 4a Abs. 1 Satz 2 RiFlEtikettG in Verbindung mit Art. 9 Abs. 2 Satz 1, 2. Spiegelstrich VO (EG) 1825/2000 insoweit vor, als eine Genehmigung der Broschüren nach Art. 16 Abs. 1 VO (EG) 1760/2000 bisher nicht erfolgt ist. Die Verfügung wird sich jedoch als rechtswidrig erweisen, weil die Broschüren nicht genehmigungspflichtig sind, weil sie keine Etikettierung im Sinne von Art. 12, 2. Spiegelstrich VO (EG) 1760/2000 darstellen. Auf die deutlich weitergehende Definition von Etikettierung in Art. 1 Abs. 3 lit. a) RL 2000/13/EG kann nicht abgestellt werden, weil das Rindfleischetikettierungsgesetz nach seinem § 1 Abs. 1 speziell der Durchführung der Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft über die Etikettierung von Rindfleisch und Rindfleischerzeugnissen dient, zu denen die Lebensmittel allgemein betreffende Richtlinie 2000/13/EG nicht gehört.

Als Etikettierung definiert Art. 12, 2. Spiegelstrich VO (EG) 1760/2000 sowohl die Anbringung eines Etiketts an ein einzelnes Stück oder mehrere Stücke Fleisch oder ihre Verpackung als auch schriftliche und deutlich sichtbare geeignete Angaben für den Verbraucher zu nicht vorverpackten Erzeugnissen am Ort des Verkaufs. Ausgehend hiervon scheitert die Qualifizierung der Broschüren als Etikettierung jedenfalls daran, dass es an deutlich sichtbaren geeigneten Angaben für den Verbraucher fehlt.

Welche Angaben für den Verbraucher "geeignet" im Sinne einer Etikettierung nach Art. 12, 2. Spiegelstrich VO (EG) 1760/200 sind, hängt wesentlich von Sinn und Zweck dieser Verordnung ab. Deren Hauptanliegen besteht nach den vorangestellten Begründungserwägungen (4), (5) und (7) zusammengefasst darin, vor dem Hintergrund der BSE-Krise das Vertrauen der Verbraucher in die Qualität von Rindfleisch zu erhalten und zu stärken und damit die Stabilität des Rindfleischmarktes dauerhaft zu verbessern. ... (wird ausgeführt; vgl. insoweit Beschluss vom 20.7.2005 - 13 B 2305/04 -)

Ausgehend hiervon ist der Senat ebenso wie das VG der Auffassung, dass in den von der Antragstellerin verwendeten Broschüren keine geeigneten Angaben im Sinne einer Etikettierung enthalten sind, weil die Broschüren im wesentlichen aus (Werbe-) Aussagen über und im Zusammenhang mit dem Qualitätssicherungssystem bestehen und konkrete Produktinformationen, die sich einem bestimmten Rindfleischerzeugnis zuordnen ließen, fehlen. Selbst wenn man einige der Aussagen (beispielsweise zu Futtermitteln und zur Hygiene) im weiteren Sinne noch als produktbezogen einstufte, fehlte es an der von der Vorschrift ferner geforderten deutlichen Sichtbarkeit, weil sich diese Angaben nicht auf der Vorderseite bzw. dem Deckblatt der zusammengefalteten Broschüre befinden und dementsprechend erst dann von dem Verbraucher zur Kenntnis genommen werden können, wenn er die Broschüre in die Hand nimmt und auseinander faltet. Aber auch in diesem Fall ist eine deutliche Sichtbarkeit zu verneinen, weil die relevanten Informationen durch mehrere ins Auge springende Fotos und Grafiken in den Hintergrund gedrängt werden.

Soweit die Antragsgegnerin ein Leerlaufen der freiwilligen Etikettierungssysteme und eine Beeinträchtigung von durch die Verordnung (EG) 1760/2000 geschützten Verbraucherinteressen befürchtet, wenn Broschüren nicht als Etikettierung angesehen werden, rechtfertigt dies im Rahmen dieses Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes kein anderes Ergebnis. Zunächst ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen, dass Broschüren etc. nicht generell keine Etikettierung im Sinne von Art. 12, 2. Spiegelstrich VO (EG) 1760/2000 darstellen. Vielmehr können sie vom zweiten Teil der Vorschrift erfasst werden, wenn sie konkrete und deutlich sichtbare Informationen enthalten, die sich einem bestimmten Rindfleischprodukt zuordnen lassen. Was den Schutzzweck der Verordnung, insbesondere die Verbraucherinteressen anbelangt, ergibt sich ebenfalls aus den vorstehenden Erwägungen, dass diese nicht beeinträchtigt werden. Denn wenn Broschüren etc. keine deutlich sichtbaren und produktbezogenen Angaben zu Rindfleischerzeugnissen enthalten, erscheint es fernliegend, dadurch das Vertrauen der Verbraucher in die Qualität von Rindfleisch als gefährdet anzusehen. Was schließlich die Notwendigkeit der freiwilligen Etikettierungssysteme anbelangt, hat der Senat angesichts des nicht nur in diesem Verfahren zu Tage getretenen Umfangs und der Tiefe der präventiven Kontrollen der Antragsgegnerin im Rahmen von Genehmigungsverfahren nach Art. 16 Abs. 1 VO (EG) 1760/2000 und angesichts des damit verbundenen Aufwands für die Antragsgegnerin einerseits und die Betreiber der Etikettierungssysteme andererseits erhebliche Zweifel, ob noch ein angemessenes Verhältnis im Hinblick auf den Schutzzweck der Verordnung besteht. Die von der Antragsgegnerin auf der Grundlage von Art. 16 Abs. 1 VO (EG) 1760/2000 insbesondere mit Blick auf dessen Abs. 2 Unterabsatz 1 praktizierte, sämtliche mögliche Irreführungen und Unklarheiten im Zusammenhang mit Rindfleisch erfassende präventive Kontrolle übersieht, dass der Schutz der Verbraucher vor irreführenden Darstellungen, Kennzeichnungen, Etikettierungen, Werbeaussagen etc. im Lebensmittelbereich umfassend bereits über Art. 2 RL 2000/13/EG bzw. § 17 LMBG gewährleistet ist. Würden sämtliche über Art. 13 Abs. 2 VO (EG) 1760/2000 hinausgehende Angaben und sämtliche Broschüren, Etiketten, Aufdrucke etc. bei Rindfleischprodukten die Annahme eines freiwilligen Etikettierungssystems begründen, führte dies dazu, dass den allgemeinen lebensmittelrechtlichen Kontroll- und Überwachungsvorschriften, für deren Umsetzung die jeweiligen Landesbehörden zuständig sind, im Rindfleischbereich weitgehend der Anwendungsbereich entzogen wäre, weil sämtliche Fragen bereits vorab im Genehmigungsverfahren nach Art. 16 VO (EG) 1760/2000 von der insoweit zuständigen Antragsgegnerin zu entscheiden wären. Dass der Verordnungsgeber mit den Bestimmungen zur obligatorischen und freiwilligen Etikettierung von Rindfleischerzeugnissen einen so weit gehenden Regelungsbereich der Verordnung bezweckt hat, erscheint insbesondere mit Blick auf die deutlich engere Definition von Etikettierung in Art. 12, 2. Spiegelstrich VO (EG) 1760/2000 im Verhältnis zu Art. 1 Abs. 3 lit. a) RL 2000/13/EG eher fernliegend.

Ende der Entscheidung

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