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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 18.07.2006
Aktenzeichen: 13 E 705/06
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 162 Abs. 2 Satz 2
Zulässigkeit einer Beschwerde gegen die Ablehnung eines Antrags, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären (§ 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO), auch nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen in der Hauptsache.

Die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren ist anzuerkennen bei der Bevollmächtigung eines Anwalts durch Zahnärzte, die sich gegen das Heranziehungssystem für den zahnärztlichen Notfalldienst wenden.


Tatbestand:

Die Kläger wandten sich gegen die Heranziehung zum zahnärztlichen Notfalldienst für 2004 durch einen gemeinsamen Bescheid der Kassenzahnärztlichen Vereinigung und der Beklagten, einer Zahnärztekammer, und begehrten eine Änderung der Heranziehungssystematik. Im Verwaltungsverfahren bevollmächtigten sie einen Rechtsanwalt zur Wahrnehmung ihrer Interessen. Das gerichtliche Verfahren wurde durch übereinstimmende Erledigungserklärungen der Beteiligten beendet. Den Antrag der Kläger, die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären, lehnte das VG ab. Auf die Beschwerde der Kläger änderte das OVG diese Entscheidung.

Gründe:

Der Senat entscheidet über die Beschwerde in der Besetzung mit drei Richtern, weil wegen der anstehenden Sachentscheidung in einem Rechtsmittelverfahren ein Fall der alleinigen Zuständigkeit des Berichterstatters etwa nach § 87a Abs. 1 Nr. 5, Abs. 3 VwGO, der auch im Beschwerdeverfahren gilt, nicht gegeben ist.

Vgl. ähnlich Sächs. OVG, Beschluss vom 20.6.2006 - 5 E 49/06 -, juris.

Die Beschwerde, die der Senat als im Namen der Kläger erhoben wertet, ist zulässig. Ihr steht im Hinblick darauf, dass das Klageverfahren nicht durch eine gerichtliche Sachentscheidung beendet, sondern nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten eingestellt wurde, § 158 VwGO nicht entgegen. Die in Frage stehende Entscheidung nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO zur Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren ist kein Teil der nach § 161 VwGO zu treffenden Kostengrundentscheidung, sondern sie betrifft den Umfang der Erstattungspflicht und unterfällt damit nicht dem Rechtsmittelausschluss des § 158 (Abs. 2) VwGO, auch nicht in dessen analoger Anwendung.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 28.4.1967 - VII C 128.66 -, BVerwGE 27, 39; OVG Berlin-Bbg, Beschluss vom 6.2.2006 - 9 L 37.05 -, juris; OVG M.-V., Beschluss vom 30.4.2002 - 2 O 42/00 -, NVwZ 2002, 1129; OVG NRW, Beschluss vom 9.3.1999 - 20 E 22/99 -, juris; Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 158 Rdnr. 6.

Die Beschwerde ist auch im Hinblick auf den - bei § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO ebenfalls anwendbaren - vgl. Sodan/Ziekow, VwGO, a. a. O., § 162 Rdnr. 119; Redeker/von Oertzen, VwGO, 14. Aufl., § 162 Rdnr. 13c; offen gelassen von OVG M.-V., Beschluss vom 30.4.2002 - 2 O 42/00 -, a. a. O., § 146 Abs. 3 VwGO zulässig, weil die dort genannte Wertgrenze bei Annahme des vom VG festgesetzten Streitwerts und einer Mittelgebühr für das anwaltliche Tätigwerden im Vorverfahren überschritten wird.

Die Beschwerde ist begründet.

Die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren ist anzuerkennen, wenn sie vom Standpunkt einer verständigen, nicht rechtskundigen Partei im Zeitpunkt der Bestellung für erforderlich gehalten werden durfte und es dem Beteiligten nach seiner Vorbildung und Erfahrung nicht zumutbar war, das Vorverfahren selbst zu führen. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Schwierigkeit der Sache und der Sachkunde und der persönlichen Verhältnisse des Widerspruchsführers. Die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten ist dabei nicht nur in schwierigen Verfahren zu bejahen, sondern entspricht der Regel, da der Bürger nur in Ausnahmefällen in der Lage ist, selbst seine Rechte gegenüber der Verwaltung ausreichend zu wahren.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 14.1.1999 - 6 B 118.98 -, NVwZ-RR 1999, 61; Urteil vom 15.2.1991 - 8 C 83.88 -, NVwZ 1992, 669; OVG M.-V., Beschluss vom 30.4.2002 - 2 O 42.00 -, a. a. O.; Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., § 162 Rdnr. 18; Sodan/Ziekow, a. a. O., § 162 Rdnrn. 101 ff.

Für die gerichtliche Entscheidung nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO ist es zudem nicht von Bedeutung, in welchem Umfang der hinzugezogene Bevollmächtigte tatsächlich tätig geworden ist; es kommt vielmehr nur darauf an, dass er von einem Beteiligten durch förmliche Bevollmächtigung für das Vorverfahren zugezogen wurde. Vor dem Hintergrund, dass § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO eine Konkretisierung des Kosten- und Aufwendungsbegriffs des § 162 Abs. 1 VwGO beinhaltet und es im Rahmen dieser Bestimmung ohne Belang ist, ob sich die Notwendigkeit einer Aufwendung nachträglich als unnötig herausstellt,

BVerwG, Beschluss vom 3.7.2000 - 11 KSt 2.99 -, NJW 2000, 2832; Urteil vom 26.1.1996 - 8 C 15.95 -, Buchholz 316. § 80 VwVfG, Nr. 36; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 18.4.1996 - 2 S 928/96 -, VBlBW 1996, 340; Sodan/Ziekow, a. a. O., § 162 Rdnr. 112, hängt deshalb auch im Rahmen des § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO die Erstattungsfähigkeit der Kosten für die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren nicht von dessen Effektivität im Vorverfahren und von der weiteren Entwicklung des Vorverfahrens nach der Zuziehung eines Bevollmächtigten ab.

Nach diesen Kriterien ist die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren durch die Kläger für notwendig zu erklären. Die Bevollmächtigung mit entsprechender Vollmachtserteilung erfolgte, nachdem den Klägern der Bescheid für die Heranziehung zum zahnärztlichen Notfalldienst für 2004 zugestellt worden war und jedenfalls der Kläger zu 1. "Einspruch gegen den Notdienstplan 2004" erhoben hatte. Schon Form und Aufmachung sowie die inhaltlichen Regelungen des Bescheids gaben Veranlassung für die Einschaltung eines Anwalts. Der Bescheid stellt sich als gemeinsamer Bescheid der Kassenärztlichen Vereinigung - KZV - und der Zahnärztekammer - ZÄK - dar und war auch so gewollt. Im weiteren Verlauf wurde der Widerspruch der Kläger und die gesamte Angelegenheit bis etwa April 2004 ausschließlich durch die KZV bearbeitet, während sich die Beklagte offenbar erst zu diesem Zeitpunkt zu einer eigenständigen Bearbeitung des Widerspruchs entschlossen hat. Der Heranziehungsbescheid legt unterschiedliche Rechtsgrundlagen für den zahnärztlichen Notfalldienst dar und enthält unterschiedliche Rechtsbehelfsbelehrungen, die ebenso wie die angegebenen Rechtsgrundlagen je nach der Zugehörigkeit der Betroffenen zu einer der beiden Institutionen einschlägig sein sollten. Zwar kann davon ausgegangen werden, dass den Klägern als zum zahnärztlichen Notfalldienst herangezogenen Zahnärzten das Zusammenwirken der beiden Körperschaften bei der Gestaltung des zahnärztlichen Notfalldienstes bekannt war, jedoch schließt dies die Zuziehung eines Rechtsanwalts nicht aus. Bedeutung kommt insoweit der Bemerkung im "Einspruchs"-Schreiben zu, dass sich der Einspruch gegen den Bescheid insgesamt richte, "insbesondere gegen die seit ca. 2 Jahren angewandte Methode zur Heranziehung zum zahnärztlichen Notdienst und der damit verbundenen Benachteiligung für einige Zahnärzte". Dies lässt erkennen, dass es im Rahmen des propagierten "kollegialen Zusammenwirkens innerhalb der Zahnärzteschaft" offenbar in den beiden Jahren vor dem Notfalldienstplan für 2004 nicht gelungen war, bei der Heranziehung zum Notfalldienst eine für die Kläger befriedigende Lösung zu finden, und dass die Kläger deshalb aus ihrer Sicht keine Möglichkeit sahen, ohne anwaltliche Hilfe für 2004 eine zufrieden stellende, ihre Interessen hinreichend berücksichtigende Regelung des Notfalldienstes zu erreichen. Die Schwierigkeit für eine solche Lösung und ein Rückschluss auf entsprechende Probleme in der Vergangenheit werden indiziell auch deutlich durch den aus den Verwaltungsvorgängen erkennbaren weiteren Verlauf der Angelegenheit nach dem Widerspruch der Kläger, in dem sich der Notfalldienstbeauftragte der KZV zunächst weiterhin geweigert hat, die Notfalldienst-Einteilung zu ändern und den Änderungswünschen der Kläger Rechnung zu tragen. Zudem enthält der Heranziehungsbescheid auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Bescheides, die aus der Sicht der Kläger wegen der rechtlichen Wirkung und der damit verbundenen tatsächlichen Auswirkung auf die Verpflichtung zum Notdienst ebenfalls einer Bewertung durch einen Anwalt zu unterziehen war und die deshalb gleichfalls die Bevollmächtigung rechtfertigte.

Ende der Entscheidung

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