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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 22.01.2009
Aktenzeichen: 14 A 2340/08
Rechtsgebiete: GG, JAG, HG


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 2 Satz 2
GG Art. 3 Abs. 3 Satz 1
GG Art 6 Abs. 4
JAG § 25 Abs. 1
JAG § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
JAG § 25 Abs. 3 Satz 1
HG § 48 Abs. 5
Bei einem Normalverlauf von Schwangerschaft, Geburt und nachfolgender Zeit und ohne besondere Umstände sind bei der Berechnung der Fachsemester für die Meldung zu einem Freiversuch der staatlichen Pflichtfachprüfung nur die Mutterschutzfristen nach der in § 25 Abs. 3 Satz 1 JAG geregelten Maßgabe zu berücksichtigen.
Tatbestand:

Die Klägerin ist seit dem Wintersemester 2002/03 ununterbrochen als Studentin der Rechtswissenschaften an einer deutschen Hochschule immatrikuliert. Im Wintersemester 2004/05 kehrte sie aus ihrem Studienort in ihren Heimatort zurück und wohnte bei ihren Eltern. Im Februar 2005 entband sie von einem Sohn. Auf ihren Antrag teilte ihr das beklagte Justizprüfungsamt mit, dass das Wintersemester 2004/05 bei der Berechnung der Fachsemesterzahl für einen Freiversuch unberücksichtigt bleibe, weil mehr als vier Wochen der Mutterschutzfrist in die Vorlesungszeit gefallen seien. Für das Sommersemester 2005 ließ sich die Klägerin beurlauben und beantragte danach bei dem beklagten Amt, auch dieses Semester bei der Berechnung der Fachsemesterzahl für einen Freiversuch nicht zu berücksichtigen. Sie sei alleinerziehend gewesen, habe ihren Sohn gestillt und nicht am Studienort gewohnt. An ihrem Studienort habe es keine Kindertagesstätte des Studentenwerks gegeben, die Säuglinge im Alter ihres Sohnes aufgenommen hätte. Deshalb sei sie am Studium gehindert gewesen. Das beklagte Amt lehnte den Antrag ab und wies den Widerspruch der Klägerin zurück. Ihre Verpflichtungsklage und die vom VG zugelassene Berufung blieben ohne Erfolg.

Gründe:

Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass das Sommersemester 2005 bei der Berechnung der Fachsemesterzahl für die Entscheidung unberücksichtigt bleibt, ob eine staatliche Pflichtfachprüfung als Freiversuch gilt.

Rechtsgrundlage für die beanspruchte Entscheidung ist § 25 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 2. Alt., Abs. 3 Satz 1 JAG vom 11.3.2003, GV. NRW. S. 135, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 17.10.2006, GV. NRW. S. 461. Diese Vorschrift setzt die Regelung in § 5d Abs. 5 Sätze 2 und 3 DRiG in der Fassung der Bekanntmachung vom 6.2.1995, BGBl. I S. 165, in der seit dem 1.7.2003 geltenden Fassung der Änderung durch Art. 1 des Gesetzes vom 11.7.2002, BGBl. I S. 2592, um. Danach gilt eine staatliche Pflichtfachprüfung als nicht unternommen (Freiversuch), wenn sich der Prüfling zu ihrer Ablegung spätestens bis zum Abschluss des achten Fachsemesters eines ununterbrochenen Studiums gemeldet hat. Bei der Berechnung der Semesterzahl bleiben u. a. unberücksichtigt und gelten nicht als Unterbrechung solche Fachsemester, in denen der Prüfling aus einem anderen zwingenden Grund als längerer schwerer Krankheit am Studium gehindert war. Ein solcher Hinderungsgrund ist insbesondere anzunehmen, wenn mindestens vier Wochen der Mutterschutzfrist in die Vorlesungszeit fallen.

Der Senat teilt die Auffassung des VG, dass die maßgebliche Rechtsgrundlage nach Regelungssystematik, Wortlaut, Sinn und Zweck, Entstehungsgeschichte und aufgrund rechtssystematischen Vergleichs mit den hochschulrechtlichen Regelungen für die Beurlaubung und mit den studiengebührenrechtlichen Regelungen über sogenannte Bonusguthaben auf dem Studienkonto bei Pflege und Erziehung von minderjährigen Kindern eng auszulegen ist und deshalb bei einem Normalverlauf von Schwangerschaft, Geburt und nachfolgender Zeit nur die Mutterschutzfristen nach der in § 25 Abs. 3 Satz 1 JAG geregelten Maßgabe zu berücksichtigen sind, dass die von der Klägerin als atypisch genannten drei Momente, nämlich alleinerziehend zu sein, zu stillen und nicht am Studienort zu wohnen, keine zwingenden Gründe im Sinne des Gesetzes sind, wenn nicht besondere Umstände vorliegen, und dass weder Art. 6 Abs. 4 GG noch Art. 3 Abs. 2 Satz 2 oder Abs. 3 Satz 1 GG eine andere Auslegung gebieten. Auf die Gründe des angefochtenen Urteils wird deshalb gemäß § 130b Satz 2 VwGO Bezug genommen. Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin:

Die Freiversuchsregelung dient dem Zweck, die gemessen an den Herausforderungen des europäischen Binnenmarktes und den Wettbewerbschancen der Berufsanfänger als zu lang empfundene deutsche Juristenausbildung entscheidend zu verkürzen. Sie soll als Anreiz zu einer frühzeitigen Meldung zum Examen dienen, vgl. die Entwurfsbegründung zur entsprechenden Änderung des JAG 1985 in LT-Drs. 11/3875 S. 9. Die Schaffung von Privilegierungstatbeständen läuft diesem Gesetzeszweck naturgemäß zuwider. Ausweislich der Begründung des Entwurfs des JAG 2003 zu § 25 Abs. 2, der in unveränderter Form Gesetz geworden ist, sollten deshalb die Ausnahmefälle strikt begrenzt bleiben, LT-Drs. 13/3197 S. 90. Der mit dem Anreiz verfolgte Zweck wird verfehlt, wenn durch individuelle Lebensplanung und -gestaltung die Studiendauer über die für einen Freiversuch vorgesehene Höchstzahl der Fachsemester hinausgeht. Schwangerschaft und Elternschaft sind, wenn nicht besondere Umstände vorliegen, Ausdruck einer solchen individuellen Lebensgestaltung. Sie sind deshalb einer "längeren schweren Krankheit, (durch die der Prüfling) am Studium gehindert war," nicht gleichzustellen.

Besondere Umstände, die Grundlage für eine andere Beurteilung sein könnten, hat die Klägerin nicht vorgetragen. Bei der Beurteilung der individuellen Möglichkeiten einer Betreuung und Versorgung Neugeborener ist entgegen ihrem Vortrag der Blick nicht allein auf staatliche, kommunale oder universitäre Betreuungsangebote zu richten. Dazu besteht zumal dann kein Anlass, wenn der Prüfling wie hier aus ersichtlich sozial gefestigten und ökonomisch gesicherten Familienverhältnissen stammt, in diese aufgrund eigener Entscheidung aus Anlass der Schwangerschaft zurückgekehrt und dort während der nachfolgenden Zeit der Mutterschaft während des Sommersemesters 2005 geblieben ist. Wie es für Mütter in einem Arbeitsverhältnis nach den Regelungen des Mutterschutzgesetzes vorausgesetzt wird, ist es Studierenden grundsätzlich, zumal in einer solchen Situation, möglich und zumutbar, den Betreuungs- und Stillbedürfnissen eines Neugeborenen durch geeignete organisatorische Maßnahmen zu genügen. Davon abzusehen und sich stattdessen hochschulrechtlich beurlauben zu lassen, ist eine individuelle Entscheidung, die weder der Gesetzgeber noch der Senat bewerten muss.

Der Umstand, dass im Falle der Beurlaubung weder Leistungsnachweise erworben noch Prüfungen abgelegt werden konnten, vgl. § 65 Abs. 5 Satz 3 HG a. F., und nach geltendem Recht keine Studien- und Prüfungsleistungen erbracht, Teilnahmevoraussetzungen oder Leistungspunkte erworben oder Prüfungen abgelegt werden können, vgl. § 48 Abs. 5 Satz 3 HG, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Das rechtswissenschaftliche Studium kann in einer der staatlichen Pflichtfachprüfung förderlichen Weise ohne derartige "zählbaren" Ergebnisse durch die Teilnahme an Lehrveranstaltungen und durch Eigenstudium - etwa im Rahmen von Repetitorien - nennenswert gefördert werden. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass das auch geschieht. Derjenige Prüfling, der dafür Beurlaubungssemester nutzen kann, weil er nicht durch einen zwingenden Grund am Studium gehindert ist, erlangt einen gleichheitswidrigen Chancenvorteil.

Ende der Entscheidung

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