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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 09.10.2008
Aktenzeichen: 14 A 3388/07
Rechtsgebiete: JAG


Vorschriften:

JAG § 13 Abs. 4 Satz 3
Ein Prüfling muss gemäß § 13 Abs. 4 Satz 3 JAG binnen eines Monats schriftlich gegenüber dem Justizprüfungsamt geltend machen, ob er aus einer Störung bei der Anfertigung einer Aufsichtsarbeit Rechtsfolgen herleiten will. Das gilt sowohl für eine Störung, die von Amts wegen zu berücksichtigen war, als auch für eine Störung, die erst durch die Rüge des Prüflings während der Aufsichtsarbeit ihre Relevanz bekommen hat, und unabhängig davon, ob und welche Maßnahmen zur Abhilfe oder Ausgleichung getroffen worden sind.
Tatbestand:

Die Klägerin wandte sich u. a. gegen die Bewertung ihrer im Rahmen der zweiten juristischen Staatsprüfung geschriebenen Aufsichtsarbeit V 1. Bei dieser fehlte zunächst an allen Schreiborten im Aufgabentext eine Seite. Zwischen 9.05 Uhr und 9.10 Uhr informierte das beklagte Amt die Aufsicht an allen Schreiborten, dass sich auf der fehlenden Seite der Klageabweisungsantrag befinde. Diese Information wurde an die Prüflinge weiter gegeben. Zwischen 9.27 Uhr und 9.36 Uhr faxte das beklagte Amt die fehlende Seite an alle Schreiborte. Dort wurde sie den Prüflingen ausgehändigt und eine Schreibzeitverlängerung von 15 Minuten gewährt. Das beklagte Amt erklärte etwa drei Monate später nach Korrektur aller Aufsichtsarbeiten die Prüfung der Klägerin für nicht bestanden, weil sie im Gesamtdurchschnitt nicht mindestens 3,5 Punkte erreicht habe. Mit ihrem dagegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, die Bewertung der V 1-Aufsichtsarbeit sei fehlerhaft. Ihr sei zum Ausgleich der aufgetretenen Störung nur eine Schreibzeitverlängerung von 15 Minuten gewährt worden. Diese habe jedoch mindestens 30 Minuten gedauert, bis sie durch Nachlieferung der fehlenden Textseite behoben worden sei. Widerspruch und Klage mit dem Ziel der Wiederholung der V 1-Aufsichtsarbeit hatten keinen Erfolg. Den Antrag auf Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des VG und wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache hat das OVG abgelehnt.

Gründe:

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, liegen vor, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.6.2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, 1163 = DVBl. 2000, 1458.

Das Vorbringen der Klägerin begründet solche Zweifel nicht.

a. Hinsichtlich der Klausur V 1 hat das VG offen gelassen, ob der aufgetretene Verfahrensmangel - das Fehlen einer Seite des Klausurtextes und deren "Nachlieferung" nach ca. 35 Minuten - durch die Verlängerung der Schreibzeit um 15 Minuten ausgeglichen worden ist. Die sich darauf beziehenden Ausführungen der Klägerin zur Begründung ihres Zulassungsantrags können deshalb keine Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils begründen.

Im übrigen ist das VG im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin die Störung nicht rechtzeitig geltend gemacht hat. Das entspricht der Rechtslage. Gemäß § 13 Abs. 4 Satz 3 des Gesetzes über die juristischen Prüfungen und den juristischen Vorbereitungsdienst (Juristenausbildungsgesetz - JAG) vom 11.3.2003, GV. NRW. S. 135, ist eine Berufung auf eine bei der Anfertigung von Aufsichtsarbeiten aufgetretene Störung ausgeschlossen, wenn der Prüfling sie nicht binnen eines Monats seit ihrem Eintritt schriftlich beim Justizprüfungsamt geltend gemacht hat. Das VG hat festgestellt, dass sich die Klägerin erstmals in ihrem anwaltlichen Widerspruchsschreiben vom 21.3.2001 etwa 5 Monate nach dem Klausurtermin schriftlich an das beklagte Amt gewandt hat. Das ist von der Klägerin nicht mit Berufungszulassungsgründen angegriffen worden.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Rüge der Störung während der Klausur kein Geltendmachen im Sinne des § 13 Abs. 4 Satz 3 JAG. Es fehlt regelmäßig, so auch hier, die Schriftform. Im übrigen hat die Geltendmachung einer Störung im Prüfungsverlauf Bedeutung dafür, ob dieser Störung überhaupt rechtliche Relevanz zukommt. Es ist nämlich zwischen zwei Fällen von Störungen des Prüfungsablaufes zu unterscheiden: In Fällen, in denen die Störung nach Art und Ausmaß "ohne jeden Zweifel" die Chancengleichheit der Prüflinge verletzt, muss das Prüfungsamt von Amts wegen die erforderlichen Maßnahmen der Abhilfe oder des Ausgleichs der Störung treffen, so dass es keiner Rüge des einzelnen Prüflings bedarf. Davon abzugrenzen sind die Fälle, in denen es zweifelhaft ist, ob die fragliche Störung vom Durchschnittsprüfling als derart erheblich empfunden werden kann, dass er deshalb in seiner Chancengleichheit verletzt ist. In diesen Fällen ist die Prüfungsbehörde zur Behebung dieser Zweifel auf die Mitwirkung der Prüflinge in der Form von förmlichen Rügen angewiesen.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.8.1994 - 6 B 60.93 -, DVBl. 1994, 1364 = Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 336; Urteil vom 11.8.1993 - 6 C 2.93 -, NJW 1994, 2633 = DVBl. 1994, 158 = BVerwGE 94, 64 = Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 317; OVG NRW, Beschluss vom 14.7.1999 - 22 B 1068/99 -, n. v.

Die Rüge im Verlauf der Prüfung dient dazu, die Handlungspflicht auf die Prüfungsbehörde zu verlagern und damit einer Störung ihre rechtliche Relevanz als Verfahrensfehler zu bewahren, wenn und soweit sie nicht bereits ohnehin von Amts wegen zu berücksichtigen war.

Von dieser auf der Mitwirkungspflicht des Prüflings beruhenden Rügepflicht, die die Frage betrifft, ob überhaupt ein relevanter Mangel des Prüfungsverfahrens vorliegt, ist die "Berufung" auf die Störung gemäß § 13 Abs. 4 Satz 3 JAG zu unterscheiden. Das hat der Senat bereits für die bis zum Inkrafttreten dieser Regelung geltende Vorschrift des § 8 Abs. 5 Satz 2 JAO entschieden, die noch keine Schriftlichkeit vorsah.

OVG NRW, Beschluss vom 24.3.2005 - 14 A 1273/04 -, juris und NRWE, unter Inbezugnahme der Gründe des vorhergehenden Urteils des VG Köln vom 24.11.2003 - 6 K 1115/98 -, NWVBl. 2005, 441.

Er hat dabei die Rechtsprechung des in früherer Zeit für dieses Rechtsgebiet zuständig gewesenen 15. Senats,

OVG NRW, Urteil vom 30.11.1984 - 15 A 2123/83 -, juris, auf die sich die Klägerin noch beruft, ausdrücklich aufgegeben. Es besteht kein Anlass, zu der alten Auffassung zurückzukehren. Vielmehr ist mit der Einführung der Schriftform für die Geltendmachung einer Störung durch § 13 Abs. 4 Satz 3 JAG die Differenzierung des Gesetzgebers zwischen der Rüge einer Störung während der Klausur einerseits und ihrer Geltendmachung andererseits noch deutlicher geworden. Der Prüfling muss danach nicht nur innerhalb einer Ausschlussfrist, sondern auch in schriftlicher Form gegenüber dem beklagten Amt erklären, ob er rechtliche Konsequenzen aus einer (relevanten und - nach seiner Auffassung - nicht ausgeglichenen) Störung ziehen will, bis zu der er also erklärt haben muss, ob er die gestörte Prüfung gelten lassen will oder nicht. Eine solche Erklärung ist in einem während der Prüfung erfolgten Hinweis auf die Störung nicht enthalten. Es kommt deshalb auch nicht darauf an, ob der Prüfling wegen der Offensichtlichkeit einer Störung davon absehen durfte, während der Klausur auf die Störung hinzuweisen, oder ob er noch während der Klausur darauf hinweisen musste, dass er einen angeordneten Störungsausgleich für unzureichend hielt. Denn die Rügen während einer Aufsichtsarbeit sind auf die Beseitigung einer Verfahrensrechte verletzenden Störung oder eine angemessene Ausgleichung gerichtet. § 13 Abs. 4 Satz 3 JAG dagegen betrifft die Geltendmachung der Rechtsfolgen einer relevanten Störung, gegebenenfalls unter Berufung darauf, dass angeordnete Ausgleichsmaßnahmen nicht ausreichend waren. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist nicht zwischen der ursprünglichen Störung einerseits und ihrer mangelhaften Kompensation als eigenständigem Verfahrensfehler außerhalb des Regelungsgefüges des § 13 Abs. 4 Sätze 2 und 3 JAG andererseits zu unterscheiden. Wenn das Prüfungsamt auf eine Prüflingsrüge hin oder nach eigener Feststellung einer Störung durch eine der in § 13 Abs. 4 Satz 2 JAG vorgesehenen Maßnahmen reagiert hat, entfällt dadurch die Störung nicht gewissermaßen rückwirkend. Sie bleibt Substrat dessen, worauf sich ein Prüfling gegebenenfalls berufen kann, wenn er die Prüfungsleistung trotz einer etwaigen Ausgleichsmaßnahme nicht gelten lassen will.

Vgl. Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, Band 2, 4. Aufl., Rdnr. 479.

Mit anderen Worten: Es ist die Störung, die der Prüfling geltend macht, wenn er seine Prüfungsleistung trotz einer Ausgleichsmaßnahme nicht gelten lassen will. Nur auf deren Geltendmachen beziehen sich die von der Klägerin in Anspruch genommenen Ausführungen bei Niehues, a. a. O., Rdnr. 480. Das Geltendmachen bleibt allerdings dann rechtsfolgenlos, wenn eine Störung angemessen ausgeglichen worden war.

b) ...

2. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen nach den Rügepflichten eines Prüflings und nach Art und Umfang von Ausgleichsmaßnahmen, wenn in einer Prüfung zunächst eine unvollständige Klausuraufgabe ausgehändigt wird, würden sich in einem Berufungsverfahren nicht stellen. Das Verwaltungsgericht ist - wie dargelegt - zutreffend und im Einklang mit dem Gesetz und der Rechtsprechung des Senats davon ausgegangen, dass die Klägerin nicht rechtzeitig geltend gemacht hat, dass sie aus der Störung bei der Aufgabenstellung der Klausur V 1 Rechtsfolgen herleiten will.

Ende der Entscheidung

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