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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 06.05.2002
Aktenzeichen: 14 B 622/02
Rechtsgebiete: ZAppO


Vorschriften:

ZAppO § 29 Abs. 3
ZAppO § 22 Abs. 3 Satz 4
ZAppO § 16 Abs. 1
ZAppO § 60 Abs. 1
1. Der Vorsitzende des Ausschusses für die zahnärztliche Vorprüfung und die zahnärztliche Prüfung und nicht die nach § 60 Abs. 1 ZAppO zur Entscheidung über die Verlängerung der Prüfungsfrist nach § 22 Abs. 3 Satz 4 ZAppO berufene Behörde des Landes ist für die Entscheidung zuständig, ob die von einem Prüfling geltend gemachte Prüfungsunfähigkeit eine "genügende Entschuldigung" im Sinne des § 16 Abs. 1 ZAppO ist.

2. Eine gemäß § 16 Abs. 1 ZAppO als entschuldigt anerkannte Säumnis ist eine "Behinderung aus anderen zwingenden Gründen" im Sinne des § 22 Abs. 3 Satz 4 ZAppO, wenn ein neuer Prüfungstermin nicht mehr innerhalb der Prüfungsfrist angesetzt werden kann.

3. Die Verlängerung der Prüfungsfrist kann von der Behörde des Landes gemäß § 60 Abs. 1 ZAppO bei einer "Behinderung aus anderen zwingenden Gründen" nicht mit der Begründung abgelehnt werden, die vorhergehende Verlängerung sei mit dem Hinweis versehen worden, dass sie "letztmalig ausnahmsweise" erfolge. Ob die Behörde bei der Entscheidung nach § 22 Abs. 3 Satz 4 ZAppO einen Ermessensspielraum hat, bleibt offen.


Tatbestand:

Der Antragsteller befindet sich in der Wiederholung der zahnärztlichen Vorprüfung. Zu Prüfungsterminen im Fach Anatomie trat er wiederholt unter Vorlage privatärztlicher Atteste nicht an. Die in diesen bescheinigte Prüfungsunfähigkeit wurde vom Vorsitzenden des Prüfungsausschusses jeweils anerkannt. Für die jeweils anstehenden neuen Prüfungstermine wurde die Frist nach §§ 29 Abs. 3, 22 Abs. 3 Satz 4 ZAppO von der Antragsgegnerin mehrfach verlängert, zuletzt mit dem Zusatz "letztmalig ausnahmsweise" bis zum 30.9.2001. Nachdem sich der Antragsteller für einen auf den 27.9.2001 angesetzten neuen Prüfungstermin wiederum unter Vorlage eines privatärztlichen Attestes wegen Prüfungsunfähigkeit entschuldigt hatte, entschied der Vorsitzende des Prüfungsausschusses mit noch nicht bestandskräftigem Bescheid vom 29.11.2001, dass die Prüfung gemäß "§ 29 Abs. 3 und § 30 Abs. 2 in Verbindung mit § 22 Abs. 3" nicht bestanden sei, ohne dass die Antragsgegnerin zuvor über die Verlängerung der Frist entschieden hatte. Den Antrag auf Verlängerung der Prüfungsfrist lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 15.3.2002 ab, gegen den Widerspruch eingelegt ist.

Das VG lehnte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Verlängerung der Prüfungsfrist ab. Der Beschwerde des Antragstellers gab das OVG statt.

Gründe:

I. Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Ohne die begehrte einstweilige Anordnung wäre er gezwungen, seine Ausbildung für die Dauer des Hauptsacheverfahrens, eventuell noch in mehreren Instanzen und damit für mehrere Jahre zu unterbrechen. Die baldige Wiederholung der Anatomieprüfung ist deshalb zur Abwendung wesentlicher Nachteile für den Antragsteller geboten.

II. Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

Die Antragsgegnerin ist verpflichtet, die Frist nach §§ 29 Abs. 3, 22 Abs. 3 ZAppO zu verlängern. Ein Ermessensspielraum steht ihr insoweit - entgegen der Auffassung des VG - jedenfalls im vorliegenden Fall nicht zur Verfügung.

1. Nach §§ 29 Abs. 3, 22 Abs. 3 Satz 3 ZAppO gilt die zahnärztliche Vorprüfung in allen Fächern ohne Wiederholungsmöglichkeit als nicht bestanden, wenn sie nicht innerhalb von 6 Monaten nach ihrem Beginn bestanden ist. Jedoch "kann" die Frist nach § 22 Abs. 3 Satz 4 ZAppO "bei länger dauernder Krankheit oder bei Behinderung aus anderen zwingenden Gründen" verlängert werden. Zuständig für die Verlängerungsentscheidung ist gemäß § 60 Abs. 1 ZAppO "die zuständige Behörde des Landes, in dem die Prüfung abgelegt wird". Dies ist hier, wie das VG unter Bezugnahme auf den ebenfalls den Antragsteller betreffenden Beschluss des VG Düsseldorf vom 7.3.2002 - 15 L 291/02 -; OVG NRW - 14 B 546/02 - zutreffend angenommen hat, die Antragsgegnerin.

2. Die von der Antragsgegnerin unter dem 15.3.2002 getroffene negative Entscheidung über den Verlängerungsantrag ist fehlerhaft, nämlich auf sachwidrige Gründe gestützt.

a) Die Antragsgegnerin hat bereits verkannt, über welchen "zwingenden Grund" im Sinne des § 22 Abs. 3 Satz 4 ZAppO sie zu entscheiden hatte. Sie ist nämlich, wie sie am Ende ihres Bescheides vom 15.3.2002 ausgeführt hat, davon ausgegangen, dass der Vorsitzende des Prüfungsausschusses für die naturwissenschaftliche und zahnärztliche Vorprüfung sowie die zahnärztliche Prüfung (im Folgenden: Prüfungsausschuss) die vom Antragsteller beim letzten Prüfungstermin geltend gemachte Prüfungsunfähigkeit nicht anerkannt und deshalb die Prüfung für endgültig nicht bestanden erklärt habe. Genau das Gegenteil war jedoch, wie nachstehend dargelegt, der Fall. Im Übrigen wäre die von der Antragsgegnerin getroffene Entscheidung auf dem Hintergrund der Annahme, der Vorsitzende des Prüfungsausschusses habe die geltend gemachte krankheitsbedingte Prüfungsunfähigkeit nicht anerkannt und deshalb die Prüfung für nicht bestanden erklärt, völlig unverständlich. Gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 ZAppO ist nämlich bei unentschuldigter Säumnis die Prüfung in dem betroffenen Fach mit "schlecht" zu bewerten. Bei dieser Note ist gemäß § 29 Abs. 2 Satz 1 Buchst. a) ZAppO die Vorprüfung bereits im Ganzen nicht bestanden, ohne dass noch eine Wiederholungsmöglichkeit in diesem Fach besteht. Deshalb hätte bei der von der Antragsgegnerin angenommenen Entscheidung der Antragsteller bereits wegen der unentschuldigten Säumnis die Prüfung endgültig nicht bestanden. Weil dann eine Wiederholung nicht angestanden hätte, hätte sich die Frage einer Fristverlängerung nach § 22 Abs. 3 Satz 4 ZAppO überhaupt nicht gestellt. Wozu die Antragsgegnerin bei einem solchen Verständnis der Abläufe überhaupt ihre Entscheidung vom 15. März 2002 getroffen hat, bleibt unerfindlich.

Die Annahme der Antragsgegnerin über die Nichtanerkennung der Prüfungsunfähigkeit durch den Vorsitzenden des Prüfungsausschusses trifft jedoch nicht zu.

Anlass der von der Antragsgegnerin zu treffenden Verlängerungsentscheidung war der Umstand, dass der Antragsteller zu dem auf den 27.9.2001 festgesetzten Termin zur Ablegung der Wiederholungsprüfung im Fach "Anatomie", der innerhalb der zuletzt von der Antragsgegnerin bis zum 30.9.2001 verlängerten Frist nach §§ 29 Abs. 3, 22 Abs. 3 ZAppO lag, unter Vorlage eines privatärztlichen, die Prüfungsunfähigkeit unter Angabe des Krankheitsbefundes bestätigenden Attestes nicht angetreten war. Es hätte deshalb zunächst dem Vorsitzenden des Prüfungsausschusses oblegen zu entscheiden, ob für das Nichterscheinen eine "genügende Entschuldigung" im Sinne des § 16 Abs. 1 Satz 1 ZAppO gegeben war, so wie er auch bei den vorhergegangenen Entschuldigungen des Antragstellers wegen Prüfungsunfähigkeit verfahren war. Nur dann nämlich, wenn die Entschuldigung anerkannt wurde, stand noch eine Wiederholung der Prüfung und damit die Frage nach einer Verlängerung der Frist nach §§ 29 Abs. 3, 22 Abs. 3 ZAppO an. Wurde dagegen die Entschuldigung nicht anerkannt, hätte, worauf bereits oben hingewiesen wurde, die Prüfungsentscheidung gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 ZAppO "schlecht, weil nicht erschienen" lauten müssen, mit der sich aus § 29 Abs. 2 Satz 1 Buchst. a) ZAppO ergebenden Folge, dass die ganze Wiederholungsprüfung nicht bestanden gewesen wäre, ohne dass - abgesehen vom Fall einer Aufhebung dieser Prüfungsentscheidung im Rechtsmittelverfahren - die Antragsgegnerin mit der Frage der Verlängerung der Frist für die Durchführung eines weiteren Prüfungsversuches zu befassen war.

Im Gegensatz zu den vorhergehenden Fällen hat der Vorsitzende des Prüfungsausschusses nach der Entschuldigung des Antragstellers für den Prüfungstermin vom 27.9.2001 zunächst keine ausdrückliche Entscheidung über die Anerkennung der geltend gemachten Prüfungsunfähigkeit getroffen; in dem entsprechenden, von ihm benutzten Formular ist die unter 3. zu vermerkende Entscheidung, ob das Attest anerkannt wird oder nicht, offen gelassen. Eine förmliche positive Entscheidung ist jedoch in der - hinsichtlich der Frage, wie bei Säumnissen des Prüflings zu verfahren ist, weitgehend unvollständigen und durch Grundsätze des allgemeinen Prüfungsrechts zu ergänzenden - Regelung des § 16 ZAppO auch nicht verlangt. Hier ist sie inzident spätestens durch den Bescheid des Vorsitzenden des Prüfungsausschusses vom 29.11.2001 erfolgt.

Die inzidente Anerkennung der Prüfungsunfähigkeit des Antragstellers als genügende Entschuldigung folgt nicht nur aus dem Umstand, dass der Vorsitzende des Prüfungsausschusses keine auf die Säumnis gestützte negative Prüfungsentscheidung getroffen hat, sondern vor allem daraus, dass er mit seinem Bescheid vom 29. November 2001 über das endgültige Nichtbestehen der zahnärztlichen Vorprüfung eine Entscheidung getroffen hat, die sachlich voraussetzt, dass der Entschuldigungsgrund anerkannt war. Dieser Bescheid, der keinerlei Begründung enthält, verweist als Rechtsgrundlage lediglich auf "§ 29 Abs. 3 und § 30 Abs. 2 in Verbindung mit § 22 Abs. 3" ZAppO. Dies bedeutet, dass die Prüfung wegen Überschreitung der Frist des § 22 Abs. 3 ZAppO als nicht bestanden gewertet wurde. Eine solche Entscheidung machte jedoch, wie dargelegt, nur Sinn, wenn noch eine Prüfung angestanden hätte. Die Entscheidung des Vorsitzenden des Prüfungsausschusses konnte und kann deshalb nur dahin verstanden werden, dass zwar der noch innerhalb der Prüfungsfrist liegende Versuch vom 27.9.2001 als mit genügender Entschuldigung versäumt bewertet wird, die deshalb anstehende Wiederholung jedoch nicht mehr innerhalb der Frist der §§ 29 Abs. 3, 22 Abs. 3 ZAppO durchgeführt worden ist, so dass die Vorprüfung als nicht bestanden zu werten ist. An diesem zwingenden Zusammenhang ändert sich auch nicht deshalb etwas, weil alles dafür spricht, dass der Bescheid vom 29.11.2001 deshalb rechtswidrig ist, weil die Antragsgegnerin in diesem Zeitpunkt über die Frage der Verlängerung der Frist nach §§ 29 Abs. 3, 22 Abs. 3 Satz 4 ZAppO noch gar nicht entschieden hatte, deshalb für den für Fragen der Fristverlängerung unzuständigen Vorsitzenden des Prüfungsausschusses auch noch gar nicht feststand, dass die Wiederholung nicht fristgerecht werde erfolgen können. Diese Bedenken betreffen jedoch allein die - im vorliegenden Verfahren nicht erhebliche - Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 29.11.2001, nicht aber die hier maßgebliche, aus dem Sinnzusammenhang des Bescheides - mag er auch rechtswidrig sein - durch Auslegung zu klärende und zu bejahende Frage, ob mit ihm schlüssig auch die Entschuldigung für die Säumnis vom 27.9.2001 anerkannt worden ist.

Im Übrigen ist diese Auslegung auch aus rechtsstaatlichen Gründen zwingend: will der Vorsitzende die Entschuldigung wegen Prüfungsunfähigkeit nicht als "genügend" im Sinne des § 16 Abs. 1 ZAppO anerkennen, so muss er den Prüfling entsprechend bescheiden, damit für diesen Klarheit darüber besteht, ob er wegen der Nichtanerkennung des Säumnisgrundes Rechtsschutz in Anspruch nehmen will. Unterlässt der Prüfungsausschussvorsitzende eine Entscheidung nach § 16 Abs. 1 ZAppO und setzt statt dessen schlicht einen Wiederholungstermin an oder entscheidet, wie hier, zu den Rechtsfolgen des Ablaufs der Prüfungsfrist, so nähme er dem Prüfling diese Rechtsschutzmöglichkeit und handelte widersprüchlich, wenn er sich damit zugleich die Entscheidung über eine Nichtanerkennung der Entschuldigung für den versäumten Prüfungstermin noch vorbehielte. Vielmehr muss aus Gründen der Rechtsklarheit ein solches Verhalten als Genehmigung des Säumnisgrundes verstanden werden.

b) Hieraus folgt, dass sich die Notwendigkeit der Entscheidung der Antragsgegnerin über die Verlängerung der Frist nach §§ 29 Abs. 3, 22 Abs. 3 Satz 4 ZAppO deshalb stellte, weil sich der Antragsteller wegen von der zuständigen Prüfungsbehörde anerkannter Prüfungsfähigkeit einer Wiederholungsprüfung zu unterziehen hatte, die wegen des zwischenzeitlich eingetretenen Fristablaufs nur nach Fristverlängerung durchgeführt werden konnte. Die von der Antragsgegnerin zu entscheidende Frage lautete deshalb: Ist die wegen Prüfungsunfähigkeit eingetretene Unmöglichkeit, die Wiederholung der Prüfung im Fach Anatomie noch innerhalb der Frist abzulegen, eine "Behinderung aus wichtigen Gründen", derentwegen nach § 22 Abs. 3 Satz 4 ZAppO eine Fristverlängerung erfolgen kann, und ist eine solche hier geboten?

Bei der Prüfung dieser Frage war es der Antragsgegnerin verwehrt, darauf abzustellen, ob der Antragsteller tatsächlich prüfungsunfähig war oder nicht, ob er seine Prüfungsunfähigkeit ordnungsgemäß nachgewiesen hatte oder nicht oder ob es sich bei seiner Erkrankung um eine prüfungsrechtlich unbeachtliche Dauererkrankung handelte. Für die Beurteilung dieser Fragen war und ist sie unzuständig, soweit diese im Zusammenhang mit der Versäumung eines Prüfungstermines oder mit dem Rücktritt von einer Prüfung zu entscheiden sind. Dies obliegt nämlich, wie ausgeführt, dem Vorsitzenden des Prüfungsausschusses. Dessen Entscheidung über die Anerkennung der Säumnisgründe oder Rücktrittsgründe in den Fällen des § 16 ZAppO ist der Antragsgegnerin vorgegeben, hat für ihre eigene Entscheidung schlichte Tatbestandswirkung: Die Frist des §§ 29 Abs. 3, 22 Abs. 3 ZAppO konnte nicht eingehalten werden, weil der Prüfling anerkannt prüfungsunfähig war. Für eine eigene Entscheidung über den Säumnisgrund fehlt der Antragsgegnerin die Zuständigkeit.

Daraus folgt, dass Fragen nach dem wirklichen Bestehen der Krankheit oder nach ihrer rechtlichen Relevanz unter dem Gesichtspunkt der - prüfungsrechtlich irrelevanten - "Dauererkrankung" (nicht zu verwechseln mit der "länger dauernden Krankheit" im Sinne des § 22 Abs. 3 Satz 4 ZAppO), wie sie die Antragsgegnerin hier zur Grundlage ihrer Entscheidung gemacht hat, von der Antragsgegnerin im Rahmen der Entscheidung nach § 22 Abs. 3 Satz 4 ZAppO nur dann zu prüfen sind, wenn, anders als hier, über sie nicht bereits vom zuständigen Prüfungsausschuss im Kontext des § 16 ZAppO entschieden war. Hier war für die Antragsgegnerin dagegen bei ihrer Entscheidung verbindlich vorgegeben, dass die Frist zum Abschluss der Prüfung vom Antragsteller deshalb nicht eingehalten werden konnte, weil er die innerhalb der Frist angesetzte Wiederholungsprüfung wegen Prüfungsunfähigkeit entschuldigt versäumt hatte.

Konnte der Antragsteller jedoch die Wiederholung der Prüfung wegen krankheitsbedingter Prüfungsunfähigkeit beim vorgesehenen Prüfungstermin nicht fristgerecht abschließen, so war für den Verlängerungsbedarf eine "Behinderung aus anderen zwingenden Gründen" im Sinne des § 22 Abs. 3 Satz 4 ZAppO anzuerkennen. Bei diesem Tatbestandsmerkmal handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, bei dessen Anwendung der Behörde kein Beurteilungsspielraum zusteht und der voller gerichtlicher Kontrolle unterliegt. Bei seiner Anwendung besteht kein Zweifel, dass dann, wenn (prüfungsrelevante) Krankheit den Prüfling hindert, die Prüfung fristgerecht abzuschließen, zwingende Gründe im Sinne des § 22 Abs. 3 Satz 4 ZAppO vorliegen. Für die "länger andauernde Krankheit" ist dies in der Vorschrift ausdrücklich geregelt; für die zu einem Prüfungstermin akut auftretende, die eine innerhalb der Frist nicht mehr mögliche Wiederholung dieses Prüfungsteils erfordert, gilt nichts anderes.

3. Bei der Entscheidung, ob wegen der krankheitsbedingten "Behinderung aus anderen zwingenden Gründen" eine Verlängerung zu gewähren war oder nicht, stand und steht der Antragsgegnerin im vorliegenden Fall kein Ermessensspielraum zur Verfügung.

a) Der Senat neigt zu der Auffassung, dass, wie auch die Beschwerde vorträgt, der Behörde bei der Entscheidung nach § 22 Abs. 3 Satz 4 ZAppO generell kein Ermessen eingeräumt ist, dass es sich vielmehr um eine gebundene Entscheidung handelt. Da nämlich nach der Vorschrift die Verlängerung "zwingende Gründe" voraussetzt, somit eine Verlängerung ohne das Vorliegen zwingender Gründe rechtlich ausgeschlossen ist, könnte ein eingeräumtes Ermessen lediglich die Befugnis verleihen, trotz des Vorliegens zwingender, den Abschluss der Prüfung im vorgesehenen Zeitraum hindernder Gründe die Verlängerung abzulehnen. Angesichts des Gewichtes, das der für den Prüfling durch die "zwingenden Gründe" ausgelösten Notwendigkeit, für den Abschluss der Prüfung eine Fristverlängerung zu erhalten, durch Art. 12 Abs. 1 GG zukommt, dürfte der mit der Zeitregelung des § 22 Abs. 3 ZAppO verfolgten Beschleunigungsabsicht keine solche Bedeutung zuzumessen sein, dass ohne Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dem Prüfling, bei dem die Verzögerung auf anzuerkennenden zwingenden Gründen beruht, der berufliche Abschluss wegen dieser Beschleunigungsabsicht endgültig versagt werden dürfte.

b) Selbst wenn man jedoch der Behörde bei der Entscheidung nach § 22 Abs. 3 Satz 4 ZAppO - entgegen der Tendenz des Senats und entgegen den vorstehenden Erwägungen - einen Ermessensspielraum einräumen könnte, wäre das Ermessen im vorliegenden Fall auf Null geschrumpft, weil keine sachgerechten Gesichtspunkte bestehen, die trotz des Schutzes durch Art. 12 Abs. 1 GG es rechtfertigen könnten, die Verlängerung nicht auszusprechen. Die von der Antragsgegnerin in ihrer Entscheidung vom 15.3.2002 dafür angeführten Gründe sind ausnahmslos ungeeignet, die Ablehnung zu rechtfertigen.

(1) Soweit die Antragsgegnerin sich in ihrem Bescheid vom 15.3.2002 darauf berufen hat, dass sie in dem vorhergehenden, eine Verlängerung aussprechenden Bescheid die Frist "letztmalig ausnahmsweise" gewährt habe, ist dies offensichtlich verfehlt.

In dieser Formulierung des vorhergehenden Verlängerungsbescheides lag keine durch Verwaltungsakt getroffene Regelung für die Zukunft dahin, dass, ganz gleich aus welchen Gründen in der Zukunft eine weitere Verlängerung begehrt werde, diese bereits schon jetzt vorausgreifend abgelehnt werde. Abgesehen davon, dass eine derartige "Regelung" für die Zukunft schon allein deshalb offensichtlich rechtswidrig wäre, weil es für sie an einer Ermächtigungsgrundlage fehlte, war die Formel "letztmalig ausnahmsweise" auch nicht als Regelung zu verstehen. Dafür wäre nämlich, auch unter dem Gesichtspunkt der Rechtsschutzmöglichkeiten, erforderlich gewesen, dass in dem Bescheid zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht worden wäre, dass mit ihm in präkludierender Wirkung jedwede künftige Verlängerung verbindlich ausgeschlossen werden sollte. Das jedoch ist bei einem keinerlei weitere Begründung enthaltenden Verlängerungsbescheid, dessen Inhalt sich im Übrigen auf die ausgesprochene Verlängerung beschränkt, nicht der Fall. Die Formulierung "letztmalig ausnahmsweise" beinhaltete deshalb nichts als einen Hinweis auf ins Auge gefasste künftige Verhaltensweisen. Ein solcher - in Hinblick auf das Fehlen jedweder Rechtsgrundlage und in Hinblick darauf, dass er für eine künftige noch unbekannte Entscheidungslage abgegeben wurde, in jeder Hinsicht "gesetzloser" - Hinweis war nicht geeignet, der Behörde eine irgendwie geartete Grundlage für die Ablehnung eines Verlängerungsantrages zu verschaffen, bei dem sich der Prüfling zu Recht auf einen "zwingenden Grund" beruft.

(2) Soweit die Antragsgegnerin ihre Ablehnung auf die wiederholten Krankmeldungen und von ihr vermutete prüfungsrechtlich irrelevante "Dauererkrankung" gestützt hat, vermochte dies eine negative Ermessensentscheidung - immer unterstellt, nach § 22 Abs. 3 Satz 4 ZAppO besteht überhaupt ein Ermessensspielraum - nicht zu rechtfertigen. Die Frage, ob eine Erkrankung eine Behinderung aus zwingendem Grund bildet oder nicht, betrifft, auch wenn man das "kann" in § 22 Abs. 3 Satz 4 ZAppO als Ermessenseinräumung versteht, nicht das Ermessen, sondern das Tatbestandsmerkmal des "zwingenden" Grundes. Ermessensspielräume lassen sich deshalb aus diesem Fragenkomplex nicht herleiten. Da im Übrigen der zwingende Grund, der hier zu prüfen war, nicht die Krankheit, sondern, wie oben bereits dargelegt, die wegen von der zuständigen Behörde anerkannter Prüfungsunfähigkeit erforderliche Notwendigkeit einer Wiederholung der Prüfung war, liegen die entsprechenden Erwägungen des Bescheides vom 15.3.2002 auch aus diesem Grund neben der Sache.

Im Übrigen weist der Senat, ohne dass es darauf noch ankommt, auch darauf hin, dass nach seiner mit der des Bundesverwaltungsgerichts übereinstimmenden Rechtsprechung die Behörde, die eine ärztlich bescheinigte aktuelle Prüfungsunfähigkeit unter dem Gesichtspunkt der "Dauererkrankung" nicht anerkennen will, insoweit die Darlegungslast und die materielle Beweislast trägt.

Vgl. - ebenfalls die Antragsgegnerin betreffend - Beschluss des Senats vom 18.4.2002 - 14 A 308/02 -.

Für das Vorliegen einer Dauererkrankung in dem genannten Sinne enthält der Bescheid der Antragsgegnerin vom 15.3.2002 jedoch keinen Beleg, sondern nur Vermutungen.

(3) Soweit die Antragsgegnerin sich zur Ablehnung darauf berufen hat, dass mit einer weiteren Verlängerung der Frist die Chancengleichheit verletzt werde, geht dies ebenfalls fehl. Dass der Antragsteller einer weiteren Frist bedarf, liegt daran, dass er aus anerkannten "zwingenden Gründen" einen Prüfungstermin versäumt hat. Die Verlängerung der Frist unter diesem Gesichtspunkt vermag keinen Verstoß gegen die Chancengleichheit gegenüber denjenigen zu begründen, die einer solchen "Behinderung" zur Ablegung der Prüfung innerhalb der Frist nicht ausgesetzt waren. Im Gegenteil: die Einräumung einer Verlängerung ist in einem solchen Fall geboten, um Chancengleichheit herzustellen, nämlich um den zwingenden Hinderungsgrund für den betroffenen Prüfling wieder auszugleichen.

Worauf die Antragsgegnerin abstellt, ist in Wirklichkeit der Umstand, dass sie die vom Vorsitzenden des Prüfungsausschusses wiederholt gewährte Anerkennung von Entschuldigungen und Rücktritten des Antragstellers, bei denen dieser mit immer gleichlautenden Attesten derselben Ärzte Prüfungsunfähigkeit geltend gemacht hatte, für unberechtigt hielt. Dies zu beurteilen liegt jedoch, wie ausgeführt, nicht in ihrer Zuständigkeit. Die in einer fehlerhaften Anerkennung von Prüfungsrücktritten liegende Verletzung der Chancengleichheit zu vermeiden, obliegt allein dem Vorsitzenden der Prüfungsausschusses, der bei dem Verdacht von Gefälligkeitsattesten berechtigt ist, für weitere krankheitsbedingte Prüfungsrücktritte amtsärztliche Atteste zu verlangen, - vgl. OVG NRW, Beschluss vom 3.7.1998 - 22 A 2973/98 -, NWVBl. 1999, 23 - und auch in eine Prüfung der Frage einzutreten hat, ob der Rücktrittsgrund eine Dauererkrankung darstellt.

4. Der Senat hat hinsichtlich der Frist, innerhalb der die Prüfung wiederholt werden kann, vom Prüfungsausschuss telefonisch die Auskunft erhalten, dass dies jederzeit kurzfristig möglich ist. Er hat deshalb für die einstweilig zu gewährende Fristverlängerung einen Zeitraum vorgegeben, innerhalb dessen die nachzuholende Prüfung zeitnah durchgeführt werden kann, ohne dass der Antragsteller gezwungen ist, nach der durch das vorliegende Verfahren eingetretenen Unterbrechung sich ganz kurzfristig einem Prüfungstermin zu stellen.

Ende der Entscheidung

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