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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 01.09.2009
Aktenzeichen: 15 A 1104/09
Rechtsgebiete: KAG NRW


Vorschriften:

KAG NRW § 8
Die ein Grundstück erschließende nächst erreichbare selbständige Straße kann im landesrechtlichen Straßenbaubeitragsrecht auch - wie im Erschließungsbeitragsrecht - eine Privatstraße sein.

Die Frage, ob eine Privatstraße eine selbständige Straße oder eine bloße Zufahrt zu einem Grundstück ist, bemisst sich - wie bei abzweigenden öffentlichen Stichstraßen - nach dem Gesamteindruck, der sich nach den tatsächlichen Verhältnissen einem unbefangenen Beobachter darbietet, vor allem unter Berücksichtigung von Länge und Breite des Abzweigs, der Beschaffenheit seines Ausbaus, der Zahl der durch ihn erschlossenen Grundstücke sowie des damit verbundenen Maßes der Abhängigkeit vom Hauptzug.

Die im Erschließungsbeitragsrecht entwickelte Regel, dass eine über 100 m lange Straße regelmäßig selbständig ist, stellt auch im landesrechtlichen Straßenbaubeitragsrecht keine starre Grenze dar, sondern eine Regel, die unter Würdigung des Einzelfalles wegen anderer Umstände überwunden werden kann.

Bei einem bebauten, nicht anderweitig erschlossenen Grundstück reicht die tatsächlich hergestellte Zufahrt aus, um die Beitragspflicht auszulösen. Um das Entstehen der Beitragspflicht trotzdem zu hindern, müssen besondere Umstände vorliegen, die es als ernstlich möglich erscheinen lassen, dass das Grundstück wegen eines vom Eigentümer des Zufahrtgrundstücks erhobenen Unterlassungsverlangens die Verbindung zu der ausgebauten Straße verlieren und sein Eigentümer diese nicht mehr in Anspruch nehmen könnte.


Tatbestand:

Die Klägerin ist Eigentümerin eines mit einem Wohnhaus bebauten, hier zu einem Straßenbaubeitrag veranlagten Grundstücks, das nicht an eine Straße grenzt und zu dem eine in fremdem Eigentum stehende Zufahrt von der ausgebauten U.-Straße im Westen führt. Außerdem gehört ihr ein weiteres Grundstück, das nördlich an das hier in Rede stehende angrenzt und unmittelbar an der M.-Straße liegt. Die Klägerin machte geltend, das veranlagte Grundstück sei nicht von der ausgebauten Straße erschlossen. Das VG hat die Klage abgewiesen. Den Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte das OVG ab.

Gründe:

Der Antrag hat keinen Erfolg, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht vorliegt. Die Klägerin hat keinen tragenden Rechtssatz und keine erhebliche Tatsachenfeststellung des angegriffenen Urteils mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt.

Dies gilt zum einen für die Frage, ob der von der U.-Straße über verschiedene andere Grundstücke führende befahrbare Privatweg zum klägerischen Grundstück eine selbständige Anlage ist. Richtig ist, dass ein Grundstück grundsätzlich nur durch die nächst erreichbare selbständige Straße erschlossen wird. Das kann auch - wie im Erschließungsbeitragsrecht - eine Privatstraße sein. Die Frage, ob der Straßenzug eine selbständige Straße oder eine bloße Zufahrt zu dem Grundstück ist, bemisst sich - wie bei abzweigenden öffentlichen Stichstraßen - nach dem Gesamteindruck, der sich nach den tatsächlichen Verhältnissen einem unbefangenen Beobachter darbietet, vor allem unter Berücksichtigung von Länge und Breite des Abzweigs, der Beschaffenheit seines Ausbaus, der Zahl der durch ihn erschlossenen Grundstücke sowie des damit verbundenen Maßes der Abhängigkeit vom Hauptzug.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25.7.2006 - 15 A 2316/04 -, NWVBl. 2007, 150 f.

Unter Anlegung dieser Maßstäbe hat das VG den Privatweg als bloße Zufahrt und nicht als selbständigen Privatweg eingeordnet. Die Klägerin trägt keine Umstände vor, die Zweifel an der Richtigkeit der Würdigung des VG wecken. Insbesondere kommt es nicht darauf an, dass der Weg 120 Meter lang ist. Zwar hat das BVerwG für das Erschließungsbeitragsrecht eine Grenze von 100 Metern als Anhaltspunkt für die Selbständigkeit einer Anlage angenommen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 23.6.1995 - 8 C 30.93 -, DVBl. 1995, 1137.

Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine starre Grenze, sondern um eine Regel, die unter Würdigung des Einzelfalles wegen anderer Umstände überwunden werden kann.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.9.2001 - 11 C 16.00 -, DVBl. 2002, 486, zur Selbständigkeit einer kürzeren Straße.

Maßgeblich ist letztlich für die Einordnung eines Privatweges als unselbständige Zufahrt oder Weg mit selbständigem Erschließungscharakter der Gesamteindruck, den die jeweiligen tatsächlichen Verhältnisse einem unbefangenen Beobachter von der zu beurteilenden Anlage vermitteln.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 29.8.2000 - 11 B 48.00 -, NVwZ-RR 2001, 180 (181).

Diese Grundsätze gelten auch für das landesrechtliche Straßenbaubeitragsrecht.

Auch kann die Beteiligung der Klägerin an der Unterhaltung des Weges die Unselbständigkeit des Weges nicht in Frage stellen: Es liegt in der Situation des Hinterliegergrundstücks begründet, dass wegen seiner ungünstigen Erschließungssituation der Eigentümer nicht nur an den Kosten der das Grundstück erschließenden öffentlichen Straße beteiligt wird, sondern auch die Unterhaltungskosten einer Zufahrt trägt.

Ernstliche Zweifel werden auch nicht insoweit geweckt, als die Klägerin die hinreichende Sicherung der Möglichkeit der Benutzung des Privatweges in Frage stellt. Der Senat hat in Abhängigkeit von verwirklichter Bebauung und tatsächlicher angelegter Zufahrt nähere Kriterien entwickelt, wann eine gesicherte Möglichkeit der Inanspruchnahme der ausgebauten Straße mittels einer Zufahrt über fremde Grundstücke anzunehmen ist. Danach kommt eine Beitragspflicht unter bestimmten Voraussetzungen auch bei einer bloß tatsächlich angelegten Zufahrt in Betracht.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20.7.2007 - 15 A 785/05 -, NVwZ-RR 2007, 808 (809).

So reicht bei einem bebauten, nicht anderweitig erschlossenen Grundstück die tatsächlich hergestellte Zufahrt aus, um die Beitragspflicht auszulösen. Um das Entstehen der Beitragspflicht trotzdem zu hindern, müssen besondere Umstände vorliegen, die es als ernstlich möglich erscheinen lassen, dass das Grundstück wegen eines vom Eigentümer des Zufahrtgrundstücks erhobenen Unterlassungsverlangens die Verbindung zu der ausgebauten Straße verlieren und sein Eigentümer diese nicht mehr in Anspruch nehmen könnte.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17.5.2004 - 15 B 747/04 -, NVwZ-RR 2004, 784 (785).

Hier ist das Grundstück allein über den Privatweg voll erschlossen, nicht etwa über das zur M.-Straße vorgelagerte, ebenfalls der Klägerin gehörende Grundstück. Die Klägerin behauptet nämlich nicht, dass auch dort eine Zufahrt zum veranlagten Grundstück angelegt worden sei. Abgesehen von Ausnahmen (etwa Wohnwegen) wird ein Grundstück aber erst erschlossen, wenn bis zu seiner Grenze herangefahren werden kann und es von dort aus ohne Weiteres betreten werden kann.

St. Rspr. zu unmittelbar an der ausgebauten Straße liegenden Grundstücken, vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20.7.2007 - 15 A 785/05 -, NVwZ-RR 2007, 808.

Die Klägerin trägt nichts Relevantes dafür vor, dass der Verlust der Verbindung zur ausgebauten Straße über den Privatweg ernstlich möglich erscheint. Die angesichts der jahrzehntelangen unbeanstandeten Nutzung bloß theoretische Möglichkeit, dass die Eigentümer des Privatweges - trotz der Beteiligung der Klägerin an den Unterhaltungskosten des Weges - die weitere Benutzung untersagen könnten und die Klägerin auf die Herstellung einer Zufahrt über das ihr gehörende Grundstück an der M.-Straße verweisen könnten, reicht dafür nicht aus, ohne dass es der Klärung bedarf, ob dies die Eigentümer des Privatwegs unter notwegerechtlichen Gesichtspunkten überhaupt tun können.

Ende der Entscheidung

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