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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 25.08.2009
Aktenzeichen: 15 A 1372/09
Rechtsgebiete: GG, MRRG, MG NRW, KWahlG


Vorschriften:

GG Art. 2
GG Art. 3
GG Art. 6
GG Art. 11
GG Art. 20
GG Art. 28
MRRG § 12
MG NRW § 16
KWahlG § 44
Ist ein Vertreter schon im Zeitpunkt der Wahl nicht wählbar gewesen, ohne dass diese Wahl im Wahlprüfungsverfahren für ungültig erklärt wurde, ist der Sitzverlust im Mandatsprüfungsverfahren entsprechend § 44 Abs. 1 KWahlG festzustellen.

Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, dass das Kommunalwahlrecht für die Frage, an welchem Ort jemand wählbar ist, nur bei einem verheirateten Familienangehörigen auf die von der Familie vorwiegend benutzte Wohnung im Sinne des Melderechts abstellt.

Der Rechtsstreit um die Feststellung des Sitzverlustes im Mandatsprüfungsverfahren ist kein Kommunalverfassungsstreit, so dass ein kommunalverfassungsrechtlicher Kostenerstattungsanspruch nicht bestehen kann.


Tatbestand:

Der Kläger war Ratsmitglied der Stadt A. und in A., seinem beruflichen Tätigkeitsort, gemeldet. Sodann wurde bekannt, dass seine Ehefrau und das gemeinsame Kind in der Stadt B. gemeldet waren und dort überwiegend wohnten, und zwar schon vor Beginn der laufenden Wahlperiode. Der Rat beschloss, dass der Kläger mangels Wählbarkeit seinen Sitz verloren habe, und schloss ihn von der Arbeit der Vertretung aus.

Gegen den Ausschluss von der Arbeit der Vertretung hatte der Kläger erfolglos um verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz vor dem VG und dem OVG (Beschluss vom 10.12.2008 - 15 B 1702/08 -, NVwZ-RR 2009, 496) nachgesucht sowie Verfassungsbeschwerde beim BVerfG erhoben (3. Kammer des Zweiten Senats, Beschluss vom 9.3.2009 - 2 BvR 120/09). Gegen den Sitzverlustbeschluss erhob er erfolglos Klage vor dem VG. Ebenso wurde sein hilfsweise erhobener Anspruch auf Erstattung der Kosten der Rechtsverfolgung abgewiesen. Den Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte das OVG ab.

Gründe:

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen nicht hinsichtlich der Auffassung des VG, dass das Mandatsprüfungsverfahren nach § 44 des Kommunalwahlgesetzes (KWahlG), der dem Wortlaut nach nur anwendbar ist, wenn bei einem Vertreter die Voraussetzungen seiner Wählbarkeit nach der Wahl weggefallen sind, analog anwendbar ist auf den Fall, dass dieser Mangel der Wählbarkeit schon im Zeitpunkt der Wahl bestand, aber kein entsprechendes Wahlprüfungsverfahren nach § 40 Abs. 1 Buchst. a KWahlG durchgeführt wurde. Der Kläger hat insoweit keinen tragenden Rechtssatz und keine erhebliche Tatsachenfeststellung des VG mit schlüssigen Gegenargumente in Frage gestellt.

Die genannte Rechtsfrage hat der Senat ausführlich in seinem Beschluss, der im der vorliegenden Klage vorausgegangenen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ergangen ist, geprüft und im Sinne der hier angegriffenen Auffassung des VG entschieden.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10.12.2008 - 15 B 1702/08 -, NVwZ-RR 2009, 495 (496).

Es gibt keinen Grund, von dieser Rechtsauffassung abzuweichen. Entgegen der Auffassung des Klägers liegt eine die analoge Anwendung der Vorschrift rechtfertigende planwidrige Regelungslücke vor. Der Fall von Anfang an nicht gegebener Wählbarkeit, der aber erst nach Ablauf der Frist für das Wahlprüfungsverfahren bekannt wird, bedarf wie der ausdrücklich geregelte Fall des Wegfalls der Wählbarkeit nach der Wahl (§ 44 Abs. 1 KWahlG) und der anfänglich fehlenden Wählbarkeit, auf die im Wahlprüfungsverfahren reagiert wird (§ 40 Abs. 1 Buchst. a KWahlG), der Regelung.

Der Kläger meint zu Unrecht, das Kommunalwahlgesetz habe diesen Fall bewusst nur dem allgemeinen fristgebundenen Wahlprüfungsverfahren unterstellt, um dessen Frist durch ein nach Fristablauf durchgeführtes Mandatsprüfungsverfahren nicht obsolet werden zu lassen. Der Grundsatz der Stabilität der Wahl schlägt sich zwar darin nieder, dass Wahlfehler, insbesondere wahlrechtliche Unregelmäßigkeiten (§ 40 Abs. 1 Buchst. b KWahlG), nur zeitlich beschränkt die Gültigkeit der Wahl in Frage stellen können (vgl. die Einspruchs- und Klagefrist nach §§ 39 Abs. 1, 41 Abs. 1 KWahlG). Der Wahlanfechtungsgrund fehlender Wählbarkeit (§ 40 Abs. 1 Buchst. a KWahlG) unterscheidet sich aber von den sonstigen Wahlfehlern dadurch, dass es sich um einen Dauermangel handelt, der sich - solange der Zustand fehlender Wählbarkeit andauert - ständig aktualisiert, also auch die weiter fehlende Wählbarkeit einer Reaktion bedarf. Deshalb besteht für diesen Mangel gerade das Mandatsprüfungsverfahren, das von seiner wörtlichen Ausgestaltung her die fehlenden Wählbarkeit in einem Zeitraum erfasst, der nicht vom Wahlprüfungsverfahren erfasst wird. Die Stabilität der Wahl ist also für die fehlende Wählbarkeit eines Vertreters grundsätzlich eingeschränkt. Deshalb wird auch in der Literatur seit langem die analoge Anwendung des Mandatsprüfungsverfahrens auf den Fall der im Wahlprüfungsverfahren unbeanstandet gebliebenen fehlenden Wählbarkeit im Zeitpunkt der Wahl gefordert.

So Rietdorf, Gesetz über die Kommunalwahlen im Lande Nordrhein-Westfalen, 1956, § 41 Anmerkung 2a.

Einer analogen Anwendung des Mandatsprüfungsverfahrens kann auch nicht, wie der Kläger meint, deshalb entgegen getreten werden, weil der Gesetzgeber trotz Kenntnis von der Lücke das Kommunalwahlgesetz mehrfach geändert, aber diese Lücke nicht im Sinne einer Anwendbarkeit des Mandatsprüfungsverfahrens geschlossen hat. Das wäre nur anzunehmen, wenn das Schweigen des Gesetzgebers eine beredtes Schweigen wäre in dem Sinne, dass die Fallkonstellation wahlrechtlich ohne Reaktion verbleiben solle.

Vgl. dazu, dass beredtes Schweigen die Annahme einer Reglungslücke ausschließt, Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Auflage, S. 355.

Davon kann hier selbst im Rahmen des Wahlrechtsänderungsgesetzes vom 8.6.1993 (GV. NRW. S. 300) nicht die Rede sein. Im Rahmen dieser Reform wurde durch Artikel II des Gesetzes im Gesetz über die Prüfung der Wahlen zum Landtag vom 20.11.1951 (GS. NRW. S. 58) der heutige § 2 Abs. 1 Satz 2 des Wahlprüfungsgesetzes NRW eingefügt, wonach dann, wenn dem Präsidenten des Landtags nach Ablauf der Wahleinspruchsfrist in amtlicher Eigenschaft Umstände bekannt werden, die einen Wahlmangel begründen könnten, er innerhalb eines Monats nach Bekanntwerden dieser Umstände Einspruch einlegen kann. Damit wird unter anderem die vorliegende Fallkonstellation im Wahlprüfungsverfahren unbeanstandeter anfänglich fehlender Wählbarkeit erfasst. Dennoch hat der Gesetzgeber damals davon abgesehen, eine entsprechende Änderung des Kommunalwahlgesetzes in Artikel III des Wahlrechtsänderungsgesetzes zu beschließen.

Diesem Vorgang kann nicht entnommen werden, das Kommunalwahlgesetz belasse es dabei, dass die genannte Fallkonstellation ohne wahlrechtliche Konsequenz bleibt. Das ergibt sich aus Folgendem: Das Wahlrechtsänderungsgesetz verfolgte bei der genannten Änderung des nordrhein-westfälischen Wahlprüfungsgesetzes die Absicht, die entsprechende Bundesregelung in § 2 Abs. 4 Satz 2 des Wahlprüfungsgesetzes des Bundes zu übernehmen.

Vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung, LT-Drs. 11/5113, S. 47; die Bundesregelung wurde durch Gesetz zur Änderung des Wahlprüfungsgesetzes vom 24.8.1965 (BGBl. I S. 977) geschaffen.

Dabei ging es nicht, jedenfalls nicht in erster Linie, darum, die im normalen Wahlprüfungsverfahren nicht erkannte fehlende Wählbarkeit auch später noch sanktionieren zu können. Das Bundesrecht sah hier schon in § 14 des Wahlprüfungsgesetzes ein fristungebundenes Wahlprüfungsverfahren auf Einspruch des Präsidenten des Bundestages vor. Vielmehr stellt § 2 Abs. 4 Satz 2 des Wahlprüfungsgesetzes des Bundes und § 2 Abs. 1 Satz 2 des Wahlprüfungsgesetzes NRW eine prinzipielle Abschwächung des Grundsatzes der Stabilität der Wahl für Wahlfehler aller Art dar.

Vgl. die Ausführungen des Abgeordneten Schaufuß von der die Regierung tragenden Fraktion der SPD in der ersten Lesung am 12.3.1993, der den Vorrang der Ermittlung des Wählerwillens vor dem Interesse der Rechtssicherheit am Bestand der Wahl betonte, PlPr. 11/92, S. 11608D f.

Eine derartig weitgehende Lockerung des Grundsatzes der Stabilität der Wahl wollte der Gesetzgeber für Kommunalwahlen offensichtlich nicht und hat daher auf eine dem § 2 Abs. 1 Satz 2 des Wahlprüfungsgesetzes NRW entsprechende Regelung im Kommunalwahlgesetz verzichtet. Daher können für den speziellen Fall anfänglicher fehlender Wählbarkeit Schlussfolgerungen aus dem Vorgang nicht gezogen werden.

Zweifel an der Rechtsauffassung des VG könnten in tatsächlicher Hinsicht nur geweckt werden, wenn der Kläger behauptet hätte, dass Frau und Kind vorwiegend die Wohnung in A. benutzten. Das ist aber nicht der Fall. § 16 Abs. 2 Satz 5 MG NRW, wonach in Zweifelsfällen die vorwiegend benutzte Wohnung dort ist, wo der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen des Einwohners liegt, ist mangels entsprechender Zweifel nicht anwendbar. Der Kläger hat keine Tatsachen behauptet, die Zweifel an der Tatsache wecken könnten, dass die vorwiegend benutzte Wohnung von Frau und Kind die Wohnung in B. war.

Vgl. zum Stufenverhältnis der Regelungen, Medert/Süßmuth, Melderecht des Bundes und der Länder, Loseblattsammlung (Stand: November 2008), § 12 MRRG Rn. 19.

Erst Recht nicht anwendbar ist § 16 Abs. 2 Satz 6 MG NRW, der dann, wenn der Wohnungsstatus eines verheirateten Einwohners nach den Sätzen 2 und 5 nicht zweifelsfrei bestimmt werden kann, auf die vorwiegend benutzte Wohnung des Einwohners abstellt. Der Wohnungsstatus des Klägers kann nach § 16 Abs. 2 Satz 2 MG NRW zweifelsfrei bestimmt werden. Unabhängig davon spielt, wie das VG zutreffend ausgeführt hat, § 16 Abs. 2 Satz 6 MG NRW hier ohnehin keine Rolle, da die Vorschrift erst mit dem am 23.4.2003 in Kraft getretenen Gesetz zur Änderung des Meldegesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen vom 5.4.2005 (GV. NRW. S. 263) geschaffen wurde und mithin in einem Zeitpunkt in Kraft trat, als der Kläger bereits seine Hauptwohnung in B. hatte und demnach in A. nicht wählbar war.

Gegen diese melderechtliche Lage und ihre Maßgeblichkeit für das Kommunalwahlrecht kann nicht eingewandt werden, dass damit der Kläger seit seiner Abmeldung in B. auch mit der Nebenwohnung überhaupt kein Kommunalwahlrecht mehr innehätte. Seine Abmeldung aus B. war nämlich unrichtig. Er war aus der Familienwohnung in B. nicht ausgezogen und hatte daher dort sein Kommunalwahlrecht. Das Melderegister war insofern durch die Abmeldung in B. nur falsch geworden.

Die Maßgeblichkeit des Familienwohnsitzes führt nicht zu einem Verstoß gegen den im Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) wurzelnden Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl. Dieser für das Kommunalwahlrecht nach Artikel 28 Abs. 1 Satz 2 GG verbindliche Grundsatz untersagt den unberechtigten Ausschluss von Bürgern von der Teilnahme an der Wahl. Er verbietet dem Gesetzgeber bestimmte Bevölkerungsgruppen aus politischen, wirtschaftlichen und sozialen Gründen von der Ausübung des Wahlrechts auszuschließen und fordert, dass grundsätzlich jeder sein Wahlrecht in möglichst gleicher Weise soll ausüben können. Zu den traditionellen Begrenzungen der Allgemeinheit der Wahl, die der Verfassungsgeber vorgefunden hat, gehört das Erfordernis der Sesshaftigkeit im Wahlgebiet.

Vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 7.10.1981 - 2 BvC 2/81 -, BVerfGE 58, 202 (205).

Die Begrenzung der Allgemeinheit der Wahl dadurch, dass ein Kommunalwahlrecht grundsätzlich nur dort besteht, wo der Wähler seine melderechtliche Hauptwohnung hat, ist unbedenklich. Der ebenfalls zu beachtende Grundsatz der Gleichheit der Wahl verlangt, dass die Stimme eines jeden Wahlberechtigten grundsätzlich den gleichen Zählwert und die gleiche rechtliche Erfolgschance haben muss. Alle Wähler sollen mit der Stimme, die sie abgeben, den gleichen Einfluss auf das Wahlergebnis haben.

Vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 3.7.2008 - 2 BvC 1,7/07 -, BVerfGE 121, 266 (295).

Zwar wäre der Grundsatz in dieser Ausprägung nicht verletzt, wenn Personen, die in mehreren Gemeinden Wohnungen innehaben, in jeder Gemeinde das Kommunalwahlrecht zugestanden würde. Denn bezogen auf die in jedem einzelnen Wahlgebiet abgegebene Stimme hat diese den gleichen Zählwert wie jede andere Stimme im Wahlgebiet. Jedoch steht hinter dem genannten Grundsatz auch der Gedanke, dass der wahlrechtliche Einfluss jedes Wahlberechtigten insgesamt möglichst gleich sein soll. Dem würde es widersprechen, wenn Personen, die - sei es auch beruflichen Gründen, sei es in Verwendung privaten Einkommens - über Wohnungen in mehreren Gemeinden verfügen, in jeder Gemeinde das Wahlrecht zuerkannt würde. Denn der kommunalwahlrechtliche Einfluss insgesamt würde sich dadurch multiplizieren. Eine solche Mehrfachwahlberechtigung wäre eine mit der Funktion der Kommunalwahl kaum verträgliche und unter dem Gesichtspunkt der Wahlgleichheit verfassungsrechtlich bedenkliche Privilegierung der Inhaber mehrerer Wohnungen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25.9.1984 - 15 B 1998/84 -, NJW 1985, 1237 (1238).

Es ist daher zulässig, nur ein einziges Kommunalwahlrecht bei mehreren Wohnungen zu begründen. Dann ist es auch weiter zulässig, dafür auf die melderechtliche Hauptwohnung abzustellen.

Vgl. BVerfG (2. Kammer des Zweiten Senats), Beschluss vom 30.3.1992 - 2 BvR 1269/91 -, VwZ 1993, 55 (56).

Verfassungsrechtlich unbedenklich ist, dass die Eigenschaft einer Hauptwohnung nicht vom Bestimmungsrecht des Einwohners, hier des Klägers, abhängt, sondern von objektiven Umständen, hier der Tatsache, dass die vorwiegend benutzte Wohnung der Familie die in B. war. Das Melderecht legt gestuft unter Anknüpfung an typisierende Merkmale (vorwiegende Benutzung durch den Einwohner in § 16 Abs. 2 Satz 1 und 6 MG NRW; vorwiegende Benutzung durch die Familie in Satz 2, Schwerpunkt der Lebensbeziehungen des Einwohners in Satz 5) diejenige unter mehreren Wohnungen als Hauptwohnung fest, in der mutmaßlich der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen liegt. Das Melderecht der Länder vor Inkrafttreten des Melderechtsrahmengesetzes im Jahre 1980 war im Gegensatz dazu dadurch geprägt, dass dem Einwohner letztlich bei der Bestimmung der Hauptwohnung die freie Wahl blieb. Dies wurde - auch wegen der Folgewirkungen in Bereiche des Wahlrechts - als unzuträglich angesehen, so dass mit dem Melderechtsrahmengesetz der Begriff der Hauptwohnung wie beschrieben objektiviert wurde und der Einwohner nunmehr keine freie Wahlmöglichkeit bei der Bestimmung der Hauptwohnung hat.

Vgl. Medert/Süßmuth, Melderecht des Bundes und der Länder, Loseblattsammlung (Stand: November 2008) § 12 MRRG Rn. 1, 2, 5, 16.

Das Kommunalwahlrecht in Nordrhein-Westfalen hat die melderechtliche Objektivierung der Hauptwohnung durch Verweisung auf das Melderecht nachvollzogen: Ursprünglich bestand bei mehreren Wohnsitzen zwar das Wahlrecht nur für die Gemeinde des melderechtlichen Hauptwohnsitzes, der aber - wie ausgeführt - auch melderechtlich vom Einwohner bestimmt werden konnte. Der Wahlberechtigte konnte darüber hinaus sein Wahlrecht in einer anderen Wohngemeinde durch Erklärung gegenüber der Meldebehörde des Hauptwohnsitzes begründen (§ 7 Abs. 1 Satz 3 des Kommunalwahlgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 12.6.1954 - GV. NRW. S. 226 -). Dieses Bestimmungsrecht nach dem Kommunalwahlgesetz wurde durch das Gesetz zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes und der Amtsordnung vom 25.2.1964 (GV. NRW. S. 43) zugunsten einer bloßen Verweisung auf die melderechtliche Hauptwohnung aufgegeben. Damit war nicht etwa bezweckt, dass Bestimmungsrecht hinsichtlich des Ortes des Kommunalwahlrechts zu beseitigen. Vielmehr sollte lediglich dieses Bestimmungsrecht zusammenfallen mit der damals noch geltenden melderechtlichen Freiheit, die Hauptwohnung zu bestimmen.

Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes und der Amtsordnung, LT-Drs. Nr. 235 der Fünften Wahlperiode, S. 9 f.

Die nachfolgende Objektivierung des Hauptwohnungsbegriffes durch das Melderechtsrahmengesetz wurde im nordrhein-westfälischen Melderecht nachvollzogen, und zwar auch ausdrücklich mit Blick auf das Wahlrecht.

Vgl. Meldegesetz für das Land Nordrhein-Westfalen vom 13.7.1982 - GV. NRW. S. 474; Gesetzentwurf der Landesregierung, LT-Drs. 9/1220, S. 43.

Die Objektivierung des Hauptwohnungsbegriffes wurde in das Kommunalwahlrecht übernommen, ohne dass sich der Gesetzgeber deshalb veranlasst gesehen hätte, wieder wie in der Zeit vor 1964 ein spezifisch wahlrechtliches Bestimmungsrecht des Wahlortes einzuführen.

Vgl. Gesetz zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes vom 17.5.1983, GV. NRW S. 163, und Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kommunalpolitik, LT-Drs. 9/2521, S. 15, zu § 7 Kommunalwahlgesetz; Gesetz zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes vom 27.3.1984, GV. NRW. S. 210, und Gesetzentwurf der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU, LT-Drs. 9/3261.

Die so festzustellende Objektivierung des Hauptwohnungsbegriffes auch für das Kommunalwahlrecht ist verfassungsrechtlich zulässig. Die wahlrechtliche Anknüpfung an die melderechtliche Hauptwohnung verstößt entgegen der Auffassung des Klägers nicht gegen den Schutz der Familie in Art. 6 Abs. 1 GG. Die Vorschrift, die Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stellt, enthält einen besonderen Gleichheitssatz. Er verbietet Ehe und Familie gegenüber anderen Lebens- und Erziehungsgemeinschaften schlechter zu stellen. Insbesondere untersagt Art. 6 Abs. 1 GG eine Benachteiligung von Ehegatten gegenüber Ledigen. Die eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft kann zwar zum Anknüpfungspunkt von Rechtsfolgen genommen werden. Jedoch müssen sich für eine Differenzierung zu Lasten Verheirateter aus der Natur des geregelten Lebensverhältnisses einleuchtende Sachgründe ergeben.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.10.2005 - 1 BvR 1232/00, 2627/03 -, BVerfGE 114, 316 (333).

Der Staat darf keine Bestimmungen treffen, die die Familie schädigen, stören oder sonst beeinträchtigen könnte.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 3.10.1989 - 1 BvL 78, 79/86 -, BVerfGE 81, 1 (6).

In der wahlrechtlichen Bestimmung, die einem Verheirateten das Kommunalwahlrecht in der Gemeinde zuweist, in der die Familie die Wohnung vorwiegend benutzt, liegt kein Eingriff in das Familiengrundrecht.

A. A. ThürVerfGH, Urteil vom 12.6.1997 - VerfGH 13/95 -, NJW 1998, 525 (527 f.).

Die Vorschrift dient vielmehr gerade dem Interesse der Familie. Sie stellt sicher, dass ein Verheirateter, auch wenn der Schwerpunkt seiner Lebensbeziehung woanders liegen sollte, seinen kommunalwahlrechtlichen Einfluss dennoch in der Gemeinde ausüben darf, in der die Familienwohnung liegt. Wenn der Kläger kein Interesse an der politischen Mitgestaltung der Verhältnisse in der Gemeinde der Familienwohnung hat, sondern lieber am Ort seiner beruflichen Tätigkeit das Kommunalwahlrecht ausüben möchte, wird damit nicht die Familie beeinträchtigt, sondern allein sein Interesse daran, woanders das Kommunalwahlrecht ausüben zu können. Dieses Interesse wird nicht grundrechtlich-abwehrrechtlich geschützt, sondern ist lediglich von der Ausgestaltung des demokratischen Rechts auf Teilhabe an der staatlichen Willensbildung (status activus) erfasst (Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 2, 78 Abs. 1 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen).

Zum status activus vgl. Schmitt Glaeser, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III, 3. Aufl., § 38 Rn. 3; Starck, in: von Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Bd. 1, 4. Aufl., Art. 1 Rn. 151.

Die Ausgestaltung des Kommunalwahlrechts in der hier vorliegenden Form der örtlichen Anknüpfung an den Ort der melderechtlichen Hauptwohnung ist aber - wie ausgeführt - nach Maßgabe des Demokratiegebots und speziell des Grundsatzes der Allgemeinheit der Wahl unbedenklich.

So zutreffend die Richter Becker und Morneweg in ihrer abweichenden Meinung zum Urteil des ThürVerfGH vom 12.6.1997 - VerfGH 13/95 -, NJW 1998, 525 (529 ff.).

Soweit der Kläger meinen sollte, ein Eingriff in das Familiengrundrecht liege deshalb vor, weil durch die melderechtliche Ausgestaltung des Kommunalwahlrechts ein Zwang dahingehend ausgeübt werde, die vorwiegend benutzte Wohnung der Familie nach A. zu verlegen, um dort das Kommunalwahlrecht ausüben zu können, kann auch dies keinen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG begründen. Eine solche Beeinträchtigung der familiären Beziehungen des Klägers wäre eine unbeabsichtigte Nebenfolge der allgemeinen Regelung der Anknüpfung des Kommunalwahlrechts an das Melderecht.

Vgl. BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), Beschluss vom 3.12.1991 - 1 BvR 1477/90 -, NJW 1992, 1093.

Auch das Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht deshalb verletzt, weil bei einem unverheirateten Elternteil im Gegensatz zu einem verheirateten Elternteil sich die Hauptwohnung und damit das Kommunalwahlrecht nach der vorwiegend benutzten Wohnung (§ 16 Abs. 2 Satz 1 MG NRW) des Elternteils und nicht danach richtet, welche Wohnung der andere unverheiratete Elternteil mit dem gemeinsamen Kind vorwiegend benutzt (§ 16 Abs. 2 Satz 2 MG NRW).

Bei einer Ungleichbehandlung von unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG stehenden Familien, zu denen auch nicht verheiratete Eltern mit ihren Kindern gehören, ist zu prüfen, ob für die Differenzierung Gründe von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen können.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.10.2002 - 1 BvL 16/95 u. a. -, BVerfGE 106, 166 (176); vgl. allgemein zu den Maßstäben bei der Ungleichbehandlung von Personengruppen Beschluss vom 13.3.2007 - 1 BvF 1/05 -, BVerfGE 118, 79 (100).

Hier bestehen solche rechtfertigende melderechtliche Gesichtspunkte, bei der Festlegung der Hauptwohnung zwischen Verheirateten und Unverheirateten unterschiedliche Regelungen zu treffen. Bei Verheirateten kann es wegen des Grundsatzes der Monogamie (§ 1306 des Bürgerlichen Gesetzbuches) nur eine Familienwohnung geben, während bei Unverheirateten mehrere Familienwohnungen möglich sind. Dieser Ordnungsgesichtspunkt der aus Rechtsgründen zwingenden Beschränkung auf nur eine in Betracht kommende Familienwohnung rechtfertigt es, für die Bestimmung der Hauptwohnung bei einem Verheirateten an die Familienwohnung und bei einem Unverheirateten an die von diesem vorwiegend benutzte Wohnung anzuknüpfen.

Die Regelung ist auch mit Art. 11 Abs. 1 GG vereinbar. Danach genießen alle Deutschen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet. Dies umfasst das Recht, an jedem Ort innerhalb des Bundesgebietes Aufenthalt und Wohnung zu nehmen.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 17.3.2004 - 1 BvR 1266/00 -, BVerfGE 110, 177 (190 f.).

Dem Kläger wird nicht verwehrt, seine Wohnung in A. zu nehmen. Auch wird der Familie des Klägers nicht verwehrt, ihre Wohnung in B. zu nehmen. Damit liegt ein unmittelbarer Eingriff durch die wahlrechtliche Vorschrift in das Freizügigkeitsrecht nicht vor. In ihr kann schließlich auch kein mittelbarer Eingriff in die Freizügigkeit der Familie des Klägers deswegen gesehen werden, weil sie wegen des Interesses des Klägers, sein Kommunalwahlrecht in A. ausüben zu können, gedrängt sein könnte, die Familienwohnung unter Aufgabe der Wohnung in B. in A. zu nehmen. Allerdings kann ein Grundrecht auch durch mittelbare Maßnahmen beeinträchtigt sein. Staatliche Maßnahmen, die eine mittelbare oder faktische Wirkung entfalten, können Grundrechte beeinträchtigen und müssen daher von Verfassungs wegen hinreichend gerechtfertigt sein. Solche Maßnahmen können in ihrer Zielsetzung einem normativen und direkten Eingriff gleichkommen und müssen dann wie dieser behandelt werden.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 17.3.2004 - 1 BvR 1266/00 -, BVerfGE 110, 177 (191).

Ein solcher mittelbarer Eingriff liegt hier nicht vor. Ähnlich wie beim fehlenden Eingriff in das Grundrecht auf den Schutz der Familie handelt es sich um eine unbeabsichtigte Nebenfolge für das Freizügigkeitsrecht, wenn wegen des ausnahmsweisen besonderen Interesses eines "auswärtigen" verheirateten Elternteils am Kommunalwahlrecht in der "auswärtigen" Gemeinde ein Anreiz gesetzt sein sollte, die Familienwohnung in diese "auswärtige" Gemeinde zu verlagern. Es handelt sich um eine von vielen staatlich veranlassten Gesichtspunkten für die Wohnungswahl, der mangels Zielgerichtetheit und vergleichbarer Wirkung mit einem unmittelbaren Eingriff in das Freizügigkeitsrecht nicht gleichgestellt werden kann.

Schließlich berührt die wahlrechtliche Vorschrift auch nicht die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit, die jedes menschliche Verhalten umfasst.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.4.2005 - 2 BvR 1027/02 -, BVerfG 113, 29 (45).

Die Vorschrift gebietet und verbietet nichts. Daher greift sie nicht unmittelbar in das Grundrecht ein. Soweit der Kläger mittelbare Auswirkungen auf die Wohnungsnahme für die Familie befürchtet, bemessen sich diese Auswirkungen nach den bereits behandelten Grundrechten aus Art. 6 und 11 GG. Die Zulässigkeit der wahlrechtlichen Regelung unter dem Gesichtspunkt des Demokratieprinzips, speziell des Grundsatzes der Allgemeinheit der Wahl, bemisst sich nach Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG. Unter all diesen verfassungsrechtlichen Normen ist die Vorschrift - wie oben dargelegt - unbedenklich.

Bezüglich des Hilfsantrags zum Kostenerstattungsanspruch liegt der geltend gemachte Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nicht vor. Dass die Entscheidung im Ergebnis richtig ist, ergibt sich schon daraus, dass der beklagte Rat bezüglich des Kostenerstattungsanspruchs nicht passiv legitimiert ist. Das ist vielmehr die Gemeinde als Rechtsträgerin. Entgegen der Auffassung des Klägers kann über die fehlende Passivlegitimation nicht aus prozessökonomischen Gründen hinweggesehen werden, da das Gericht niemanden verurteilen darf, der nach materiellem Recht nichts schuldet. Solche prozessökonomischen Gründe gibt es im Übrigen auch nicht, da durch eine entsprechende Klageerweiterung der Anspruch gegen die Gemeinde im selben Klageverfahren hätte geltend gemacht werden können.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24.4.2009 - 15 A 981/06 -, NRWE Rn. 29 ff.

Unabhängig davon hat das VG den Hilfsantrag auch deshalb zu Recht abgewiesen, weil ein kommunalverfassungsrechtlicher Kostenerstattungsanspruch von vorneherein ausscheidet. Der Rechtsstreit im Mandatsprüfungsverfahren ist nämlich kein Kommunalverfassungsstreit, für den allein der Senat ein Kostenerstattungsanspruch der genannten Art grundsätzlich anerkennt. Der Kläger ist nicht als Organ oder Organteil der Gemeinde Beteiligter des Rechtsstreits, sondern als Privatperson, die geltend macht, Mitglied des Rates zu sein. Es handelt sich also wie beim gewöhnlichen Wahlprüfungsrechtsstreit nach § 41 KWahlG um einen Rechtsstreit zwischen einer Privatperson und einer Wahlbehörde.

Das zeigt auch die systematische Stellung des Mandatsprüfungsverfahrens nach § 44 KWahlG im Unterabschnitt VI.2. "Wahlprüfung". Das ergibt sich darüber hinaus auch aus der rechtlichen Ausgestaltung des Mandatsprüfungsverfahrens. Dieses ist nicht nur von Amts wegen durchzuführen - wie hier auf Anregung der T-Fraktion im Beklagten -, sondern auch gemäß §§ 44 Abs. 1, 39 Abs. 1 KWahlG auf Einspruch eines Wahlberechtigten, einer für das Wahlgebiet zuständigen Leitung solcher Parteien und Wählergruppen, die an der Wahl teilgenommen haben, sowie der Aufsichtsbehörde. Weist der Rat den Einspruch zurück, kann der Einspruchsführer Verpflichtungsklage auf eine positive Mandatsprüfungsentscheidung nach §§ 44 Abs. 1, 41 Abs. 1 Satz 1 KWahlG erheben, zu der das vom Mandatsprüfungsverfahren getroffene Ratsmitglied notwendig beizuladen ist.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 22.2.1991 - 15 A 1518/90 - zur wahlprüfungsrechtlichen Lage; zur prozessualen Einordnung dieser Klage vgl. Schneider, in: Kallerhoff u. a., Handbuch zum Kommunalwahlrecht NRW, S. 326 ff.

Bei dieser Klage handelt es sich zweifelsfrei nicht um einen Kommunalverfassungsstreit, da der klagende Einspruchsführer kein Organ oder Organteil der Gemeinde ist. Ein solcher Streit um einen einen Einspruch zurückweisenden Mandatsprüfungsbeschluss des Rates wird aber nicht zum Kommunalverfassungsstreit, wenn der Mandatsprüfungsbeschluss des Rates dem Einspruch stattgibt und nunmehr der Vertreter den Beschluss bekämpft.

Ende der Entscheidung

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