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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 01.04.2003
Aktenzeichen: 15 A 2254/01
Rechtsgebiete: KAG NRW


Vorschriften:

KAG NRW § 8
1. Eine die Kanalanschlussbeitragspflicht auslösende Möglichkeit des Anschlusses an die öffentliche Entwässerungsanlage im Sinne von § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG NRW liegt vor, wenn das Grundstück unter gemeingewöhnlichen Umständen, d.h. unter zumutbarem finanziellen Aufwand, angeschlossen werden kann und wenn entwässerungsrechtlich ein Anschlussrecht besteht.

2. Fordert das gemeindliche Entwässerungsrecht für ein Anschlussrecht, dass "das Grundstück von einer Straße erschlossen wird, in der die öffentliche Abwasseranlage betriebsfertig vorhanden ist", oder dass "das Grundstück an eine kanalisierte Straße grenzt", besteht ein Anschlussrecht nur dann, wenn der öffentliche Kanal bis in Höhe des Grundstücks herangeführt ist.

3. Für den Regelfall derjenigen Grundstücke, die unmittelbar an einer durchgängig kanalisierbaren Straße liegen, ist diese Voraussetzung erst dann erfüllt, wenn der öffentliche Kanal zumindest eine gedachte Linie berührt, die ihren Ausgangspunkt an einer der Schnittstellen von Grundstücksgrenze und Straße hat und mit dem Kanal einen rechten Winkel bildet (Grenzlinie).


Tenor:

Das klägerische Grundstück liegt in der Kurve einer Straße und grenzt mit etwa 110 m an den südwestlichen und etwa 15 m an den südöstlichen Arm der Straße. Im südöstlichen Arm ist seit langer Zeit ein Mischwasserkanal verlegt, der 2,5 m vor der nordöstlichen Grundstücksgrenze, also noch im Bereich vor dem Nachbargrundstück, endet. Das Grundstück wurde 1990 mit einer aus vier Wohnblocks und einer Tiefgarage bestehenden Eigentumswohnanlage bebaut und vermittels einer gemeinsamen Anschlussleitung über eine Hebeanlage an den Mischwasserkanal angeschlossen, und zwar für das Schmutzwasser und für das Niederschlagswasser aus der Tiefgarageneinfahrt. Das Niederschlagswasser von den Dachflächen wird in einen Vorfluter eingeleitet.

1994 veranlagte der Beklagte u.a. die Klägerin als Miteigentümerin für ihre vier Miteigentumsanteile zu Kanalanschlussbeiträgen. Auf den Widerspruch hin reduzierte er die Beiträge, weil er der Auffassung war, dass das Grundstück aus fünf wirtschaftlichen Einheiten (vier Wohnblocks und eine Tiefgarage) bestehe und für die am südöstlichen Ende gelegene wirtschaftliche Einheit die Beitragspflicht bereits in festsetzungsverjährter Zeit entstanden sei. Das VG gab der Klage statt, weil für die Gesamtfläche als eine wirtschaftliche Einheit die Beitragspflicht festsetzungsverjährt sei. In der Berufungsinstanz wurde die Klage abgewiesen.

Gründe:

Die Bescheide rechtfertigen sich aus § 8 KAG NRW i.V.m. mit der Satzung der Stadt H. über die Erhebung eines Anschlussbeitrages für öffentliche Abwasseranlagen (KABS).

Die angefochtenen Bescheide sind nicht in festsetzungsverjährter Zeit erlassen worden, da die Beitragspflicht nicht vor dem tatsächlichen Anschluss im Jahre 1990 entstanden ist. Nach § 1 KABS erhebt die Stadt zum Ersatz ihres durchschnittlichen Aufwandes für die Herstellung, Anschaffung und Erweiterung der öffentlichen Abwasseranlage und als Gegenleistung für die Inanspruchnahme oder für die durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme gebotenen wirtschaftlichen Vorteile einen Anschlussbeitrag. Der Beitragspflicht unterliegen nach § 2 Abs. 1 KABS Grundstücke, die - neben weiteren Voraussetzungen - an die öffentliche Abwasseranlage angeschlossen werden können. Bei solchen Grundstücken entsteht die Beitragspflicht nach § 9 Abs. 1 KABS in Übereinstimmung mit § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG NRW, sobald das Grundstück an die öffentliche Abwasseranlage angeschlossen werden kann.

Nach diesen Vorschriften ist hier für das Flurstück weder ganz noch auf einen Teilbereich beschränkt eine Kanalanschlussbeitragspflicht entstanden, denn es konnte im Sinne der genannten Vorschriften nicht an die öffentliche Abwasseranlage angeschlossen werden.

Dieser Begriff des Anschließenkönnens wird zum einen dahin umschrieben, dass der Anschluss "unter gemeingewöhnlichen Umständen" möglich sein muss.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9.9.1996 - 15 B 902/96 -, S. 4 des amtl. Umdrucks; Urteil vom 7.9.1993 - 2 A 169/91 -, StuGR 1994, 57 (60); Urteil vom 31.5.1974 - II A 1138/72 -, KStZ 1974, 235.

Der Begriff der gemeingewöhnlichen Umstände richtet sich dabei auf die Zumutbarkeit des Anschlusses im Hinblick auf den finanziellen Aufwand für die Anschlussleitungen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27.11.1997 - 15 A 7031/95 -, S. 4 des amtlichen Umdrucks.

Das Merkmal des Anschließenkönnens hängt darüber hinaus in rechtlicher Hinsicht vom gemeindlichen Entwässerungsrecht ab, das das Recht und gegebenenfalls die Pflicht zum Anschluss an die öffentliche Abwasseranlage regelt. Erforderlich ist nämlich für dieses Merkmal, dass das Entwässerungsrecht für das Grundstück ein Recht zum Anschluss bietet. Hier schreiben die §§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 Satz 1 der Entwässerungssatzung der Stadt H. (EWS) vor, dass das grundsätzlich jedem Eigentümer eines in der Stadt H. gelegenen Grundstücks gewährte Anschlussrecht sich nur auf solche Grundstücke erstreckt, die durch eine Straße erschlossen sind, in der die öffentliche Abwasseranlage betriebsfertig vorhanden ist. Mit diesen Worten wird - ähnlich wie durch die auch häufig zu findende entwässerungsrechtliche Anschlussrechtsbegrenzung auf "Grundstücke, die an eine kanalisierte Straße grenzen" - einerseits ausgedrückt, dass ein Anschlussrecht nicht erst dann besteht, wenn ein Straßenzug vollständig mit einem Kanal versehen ist, andererseits soll ein Anschlussrecht nicht schon dann bestehen, wenn der Kanal nur in einem Teilabschnitt der Straße besteht, ohne mindestens bis in Höhe des Grundstücks herangeführt worden zu sein. Aus diesen Abgrenzungen nach oben und unten ergibt sich, dass nach solchen entwässerungsrechtlichen Regelungen ein Anschlussrecht erst dann entsteht, wenn in dem an das betreffende Grundstück angrenzenden Straßenbereich ein betriebsfertiger Kanal vorhanden ist.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 22.2.1990 - 22 A 1099/88 -, S. 7 f. des amtl. Umdrucks, wonach ein 10 m entferntes Kanalende von der seitlichen Grundstücksgrenze die Annahme hindere, das Grundstück grenze an eine kanalisierte Straße.

Dabei ist als Mindestvoraussetzung bislang gefordert worden, dass der Kanal das Grundstück an einer Grenze gewissermaßen noch berühren muss, vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22.6.1994 - 15 B 3185/93 -, S. 2 f. des amtl. Umdrucks, womit für den Regelfall derjenigen Grundstücke, die an einer durchgängig kanalisierbaren Straße liegen und nicht Sonderfälle darstellen, wie etwa Hinterliegergrundstücke oder am Ende einer Sackgasse gelegene Grundstücke, gemeint ist, dass der öffentliche Kanal zumindest eine gedachte Linie berühren muss, die ihren Ausgangspunkt an einer der Schnittstellen von Grundstücksgrenze und Straße hat und mit dem Kanal einen rechten Winkel bildet (Grenzlinie).

Das Berührenserfordernis ist hier nicht erfüllt, weil der Kanal etwa 2,5 m vor der Grenzlinie, die von der Schnittstelle der nordöstlichen Grundstücksgrenze des Flurstücks mit der Straße ausgeht, endet. Es handelt sich zwar nur um eine sehr kleine Entfernung, die von dieser Grenzlinie bis zum Kanal zu überwinden ist und die bei an Grundstücken vorbeiführenden Kanälen sogar häufig von der straßenseitigen Grundstücksgrenze in senkrechter Richtung auf den Kanal hin durch eine Grundstücksanschlussleitung überwunden werden muss. An dem Berührenserfordernis ist jedoch auch bei so geringen Entfernungen zur Grenzlinie festzuhalten. Rechtssicherheit und -klarheit erfordern es, die für das Entstehen der Kanalanschlussbeitragspflicht, aber auch für das Anschluss- und Benutzungsrecht und den Anschluss- und Benutzungszwang entscheidende entwässerungsrechtliche Frage, ob das Grundstück an einer Straße liegt, in der eine betriebsfertige Abwasseranlage vorhanden ist, nicht von unbestimmten Begriffen, sondern von klar erkennbaren Umständen abhängig zu machen.

Vgl. zur bundesrechtlich erforderlichen Eindeutigkeit einer satzungsrechtlichen Regelung der Merkmale der endgültigen Herstellung im Erschließungsbeitragsrecht BVerwG, Urteil vom 19.11.1982 - 8 C 39 - 41.81 -, NVwZ 1983, 473 (474).

Allerdings lockert die Entwässerungssatzung der Stadt H. selbst das Erfordernis des Erschlossenseins durch eine Straße, in der die öffentliche Abwasseranlage betriebsfertig vorhanden ist, dadurch auf, dass sie in § 3 Abs. 1 Satz 2 EWS ein Anschlussrecht auch dann gewährt, wenn der Anschluss in anderer Weise tatsächlich und rechtlich möglich ist. Damit ist jedoch nicht gemeint, dass auch ein öffentlicher Kanal, der noch nicht an die Grenzlinie herangeführt worden ist, ein Anschlussrecht auslösen soll. Vielmehr wird die Konstellation des Erschlossenseins durch eine Straße, in der ein Kanal betriebsfertig vorhanden ist, abschließend von Satz 1 geregelt. Es geht in Satz 2 um die Fälle, in denen der Anschluss an einen Kanal tatsächlich und rechtlich möglich ist, der überhaupt nicht in dem Straßenzug liegt, an dem das anzuschließende Grundstück liegt. Dass sind insbesondere diejenigen Grundstücke, die über ein anderes Grundstück an einen anderen Kanal angeschlossen werden können (Hinterliegerfälle). Hier aber ist in dem Straßenzug, an dem das Grundstück liegt, ein Kanal in einem Teilbereich vorhanden.

Mangels Berührens der Grenzlinie konnte somit durch die bloße Existenz des Mischwasserkanals in der Straße eine Beitragspflicht nicht entstehen. Dies konnte erst durch den tatsächlichen Anschluss nach § 2 Abs. 2 KABS geschehen, somit also nicht vor 1990. Die vierjährige Festsetzungsverjährungsfrist gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG NRW i.V.m. § 169 Abs. 1 und 2, 170 Abs. 1 AO endete damit erst Ende 1994, sodass die angegriffenen Bescheide im Jahre 1994 rechtzeitig erlassen wurden.

Der tatsächliche Anschluss hat auch zu einer Vollbeitragspflicht geführt. Dem Wortlaut der §§ 7 und 9 Abs. 2 KABS nach entsteht eine Teilbeitragspflicht nur in den Fällen, in denen entweder nur Niederschlagswasser oder nur Schmutzwasser in die öffentliche Abwasseranlage eingeleitet werden darf. Das ist hier nicht der Fall, da der Kanal in der Straße ein Mischwasserkanal ist, in den beiderlei Abwasserarten eingeleitet werden können. Es kann dahin stehen, ob in entsprechender Anwendung des § 7 KABS ein Teilbeitrag für Grundstücke, bei denen die Beitragspflicht nur durch tatsächlichen Anschluss entsteht, auch dann entsteht, wenn nur Niederschlagswasser oder nur Schmutzwasser eingeleitet wird. Denn im vorliegenden Fall wird sowohl das Schmutzwasser als auch das Niederschlagswasser aus dem Bereich der Tiefgaragenzufahrt dem Mischwasserkanal zugeleitet. Unerheblich ist, dass nicht sämtliche Niederschlagswässer dem Mischwasserkanal zugeleitet werden, insbesondere nicht das auf den Dachflächen anfallende Niederschlagswasser. Für den Begriff "tatsächlich angeschlossen" ist allein maßgeblich, ob Abwasser der genannten Art dem Kanal zugeleitet wird, nicht jedoch, in welcher Menge.

Vgl. dazu, dass der Begriff "tatsächlich angeschlossen" erfüllt ist, wenn nur vorgeklärtes Schmutzwasser in den tatsächlich hergestellten Anschluss eingeleitet wird, OVG NRW, Beschluss vom 7.3.2001 - 15 A 399/01 -, S. 3 des amtl. Umdrucks; vgl. dazu, dass der Begriff "tatsächlich angeschlossen" erfüllt ist, wenn der tatsächliche Anschluss keine hinreichende Kapazität für eine weitere Bebauung des Grundstückes bietet, OVG NRW, Beschluss vom 3.1.2002 - 15 B 1642/01 -, S. 3 des amtl. Umdrucks.

Niederschlagswasser aus dem Bereich der Tiefgaragenzufahrt ist Niederschlagswasser i.S.d. § 7 Abs. 1 EWS, der eine Teilbeitragspflicht für die Einleitung von Niederschlagswasser regelt. Der Entwässerungssatzung der Stadt H. lässt sich nicht entnehmen, dass Niederschlagswasser, das auf befestigten Flächen mit Kraftfahrzeugverkehr, wie es die hier in Rede stehende Einfahrt zur Tiefgarage ist, von der Einleitung als Niederschlagswasser ausgeschlossen wäre.

Vgl. auch die Definition des Begriffs Niederschlagswasser in § 51 Abs. 1 Satz 1 des Landeswassergesetzes: "das von Niederschlägen aus dem Bereich von bebauten oder befestigten Flächen abfließende und gesammelte Wasser".

Ende der Entscheidung

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