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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 22.07.2009
Aktenzeichen: 15 A 2324/07
Rechtsgebiete: GG, GewStG, GrStG, GO NRW


Vorschriften:

GG Art. 72
GG Art. 105
GG Art. 106
GewStG § 16
GrStG § 25
GO NRW § 75
GO NRW § 122
Die Kommunalaufsicht ist durch Bundesrecht nicht gehindert, den Beschluss eines Gemeinderates aufzuheben, mit dem die Realsteuerhebesätze haushaltsrechtswidrig gesenkt werden.
Tatbestand:

Die klagende Gemeinde befindet sich seit Jahren im Nothaushaltsrecht. Im Jahre 2005 beschloss der Rat eine Senkung der Hebesätze für die Grundsteuer B und die Gewerbesteuer. Die beklagte Aufsichtsbehörde hob diesen Beschluss als haushaltsrechtswidrig auf. Der gegen die Aufhebungsverfügung erhobenen Klage gab das VG statt, da die bundesrechtliche Zuweisung des Hebesatzrechts für Realsteuern an die Gemeinden landesrechtliche Vorschriften über die Höhe der Hebesätze ausschließe. Auf die Berufung des Beklagten wies das OVG NRW die Klage ab und ließ die Revision an das BVerwG zu.

Gründe:

Das VG hat der Klage zu Unrecht stattgegeben, da sie zwar zulässig, aber unbegründet ist. Der angefochtene Verwaltungsakt ist nämlich rechtmäßig (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Er rechtfertigt sich aus § 122 Abs. 1 Satz 2 GO NRW. Nach der genannten Vorschrift kann die Aufsichtsbehörde Beschlüsse des Rates, die das geltende Recht verletzen, nach vorheriger Beanstandung durch den Bürgermeister und nochmaliger Beratung im Rat aufheben. Diese Voraussetzungen liegen für den aufgehobenen Ratsbeschluss vor.

Gemäß § 75 Abs. 3 GO NRW a. F., nämlich in der bis zum 31.12.2004 gültigen und hier wegen Art. 1 § 9 NKFG NRW noch anwendbaren Fassung, muss der Haushalt in jedem Jahr ausgeglichen sein. Gegen diese Vorschrift verstößt die Klägerin seit Jahren. Nach § 75 Abs. 4 Satz 2 GO NRW a. F. ist dann, wenn der Haushaltsausgleich nicht erreicht werden kann, dieser zum nächstmöglichen Zeitpunkt wiederherzustellen. Daraus ergibt sich die haushaltsrechtliche Pflicht für die Gemeinde, alles zu unternehmen, um durch Zurückführung der Ausgaben und Erhöhung der Einnahmen dieses Ziel so schnell wie möglich zu erreichen. Insbesondere aber ergibt sich daraus die Pflicht, von einnahmemindernden Maßnahmen - wie hier der Senkung der Realsteuerhebesätze - grundsätzlich abzusehen.

Allerdings besteht die Pflicht nicht einschränkungslos, sondern ist auf das Zumutbare begrenzt. Diese Beschränkung der Handlungs- und Unterlassungspflicht ergibt sich aus dem Merkmal des § 75 Abs. 4 Satz 2 GO NRW a. F., wonach die Pflicht zur Wiederherstellung des Haushaltsausgleichs sich nur auf den "nächstmöglichen" Zeitpunkt bezieht. Mit diesem Zeitpunkt ist nicht der rein technische Zeitpunkt gemeint, der unter Ausnutzung aller denkbaren Einsparungen und Einnahmeerhöhungen erreichbar wäre, sondern der Zeitpunkt, der unter Berücksichtigung der vielfältigen und auch häufig gegenläufigen Pflichten einer Gemeinde erreichbar ist, mithin der zumutbarerweise nächstmögliche Zeitpunkt. Die Zumutbarkeit des haushaltsrechtlich gebotenen Verhaltens bestimmt sich einerseits nach den jeweiligen rechtlichen Vorgaben für das in Rede stehenden Tun oder Unterlassen sowie danach, ob das Verhalten auch unter Berücksichtigung des im Rahmen des Grundsatzes sparsamer und wirtschaftlicher Haushaltsführung (§ 75 Abs. 2 GO NRW a. F.) eröffneten Handlungsspielraums der Gemeinde geboten ist. Dabei ist der Spielraum um so enger, je größer oder andauernder das Haushaltsdefizit und je unabsehbarer sein Ende ist.

Vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 24.5.2007 - 15 B 778/07 -, NWVBl. 2007, 347, zur Verpflichtung von Kommunen in defizitärer Haushaltslage, die Einnahmequellen auszuschöpfen.

Hier hat die Klägerin bei chronisch defizitärer Haushaltslage, ohne dass ein Ende absehbar wäre, die Realsteuerhebesätze von 391 v. H. des Steuermessbetrages der Grundsteuer B und 413 v. H. des Steuermessbetrages der Gewerbesteuer auf 350 v. H. der Grundsteuer B und 400 v. H. der Gewerbesteuer gesenkt. Die alten Hebesätze lagen 2005 unter dem Landesdurchschnitt (432 Grundsteuer B, 434 Gewerbesteuer) und dem Regierungsbezirksdurchschnitt (441 Grundsteuer B, 439 Gewerbesteuer). Der Kreisdurchschnitt lag bei der Grundsteuer etwas niedriger (386 Grundsteuer B), bei der Gewerbesteuer lag er in gleicher Höhe bei 413. Demgegenüber will der aufgehobene Ratsbeschluss die Grundsteuer B mit 350 v. H. auf ein Niveau senken, das im Landesdurchschnitt zuletzt 1994 erreicht wurde (354), und die Gewerbesteuer mit 400 auf ein Niveau, das im Landesdurchschnitt zuletzt 1992 erreicht wurde (400). Der von der Klägerin beschlossene Hebesatz für die Grundsteuer B wäre 2005 im Kreis der niedrigste gewesen (nachfolgend niedrigster Satz mit 380 in A. und B.), der Hebesatz für die Gewerbesteuer wäre zusammen mit dem in A. im Kreis der niedrigste gewesen. Angesichts dieser Verhältnisse widersprach die beschlossene Senkung der Realsteuerhebesätze dem Gebot, den Haushausausgleich zum nächstmöglichen Zeitpunkt wiederherzustellen.

Es war auch für die Klägerin zumutbar, auf die beschlossene Absenkung zu verzichten. Die von ihr genannten Gesichtspunkte führen nicht dazu, den Verzicht auf die beschlossene Steuersenkung als unzumutbar im oben beschriebenen Sinne erscheinen zu lassen: Die Annahme, die beschlossene Senkung der Realsteuerhebesätze werde wegen der damit bewirkten Steigerung der Attraktivität der Klägerin zu höheren Einnahmen führen, ist allenfalls eine Hoffnung, deren tatsächliche Grundlage dünn ist angesichts des Umstandes, dass die Höhe der Realsteuerhebesätze regelmäßig nicht der zentrale Grund für die Entscheidung ist, in welcher Gemeinde sich ein Unternehmen ansiedelt bzw. Personen Wohnung nehmen. Bei der prekären Haushaltslage in der Gemeinde war für solche kostspieligen Wagnisse für die Zukunft kein Raum.

Der aufgehobene Ratsbeschluss kann auch nicht aus § 10 GO NRW gerechtfertigt werden. Danach haben die Gemeinden ihr Vermögen und ihre Einkünfte so zu verwalten, dass die Gemeindefinanzen gesund bleiben. Auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Abgabepflichtigen ist Rücksicht zu nehmen. Diese Vorschrift ermächtigt nicht dazu, eine defizitäre Haushaltswirtschaft zu betreiben. Sie geht auf § 7 der Deutschen Gemeindeordnung vom 30.1.1935 (RGBl. I S. 49) zurück, der schon eine Verwaltung des Vermögens und der Einkünfte der Gemeinde mit dem Ziel der Gesunderhaltung der Gemeindefinanzen unter Rücksichtnahme auf die wirtschaftlichen Kräfte der Abgabepflichtigen vorschrieb. Diese Vorschrift wiederum hatte ihren Vorläufer in § 13 des preußischen Gemeindefinanzgesetzes vom 15.12.1933 (PrGS S. 442). Diese Vorschrift besagte, dass oberster Grundsatz für die Gestaltung des Haushaltsplanes sparsamste und wirtschaftliche Finanzgebarung sei. Die Steuerkraft der Einwohner und der Wirtschaft sei pfleglich zu behandeln. Es sei deshalb Pflicht des Leiters der Gemeinde, in den Haushaltsplan außer den Ausgaben, die zur Bestreitung der rechtlichen Verpflichtungen der Gemeinde notwendig seien, nach gewissenhafter Prüfung nur solche aufzunehmen, die für die Aufrechterhaltung der Verwaltung und die Erfüllung der Aufgaben der Gemeinde erforderlich seien. Bei der Gestaltung des Haushaltsplans sei darauf zu achten, dass die Haushaltswirtschaft der Zukunft nicht ungebührlich zu Gunsten der Gegenwart belastet werde und dass durch vorsorgliche Haushaltswirtschaft Sicherungen gegen Schwankungen der allgemeinen Wirtschaft und zu ihrer Milderung geschaffen würden.

Aus dem Zusammenhang der Regelung in § 10 Satz 2 GO NRW über die Rücksichtnahme auf die Leistungsfähigkeit der Abgabepflichtigen mit Satz 1 der Vorschrift über das Ziel, die Gemeindefinanzen bei der Verwaltung von Einkünften und Vermögen gesund zu halten, sowie aus der genannten Gesetzgebungsgeschichte ergibt sich, dass die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Leistungsfähigkeit der Abgabepflichtigen in erster Linie eine rechtliche Begrenzung des Ausgabeverhaltens der Gemeinden bezweckt, also das gemeindliche Verhalten bei der Verwaltung ihres Vermögens und ihrer Einkünfte steuern will: Die Gemeindefinanzen sind nämlich auch bei einem ausgeglichenen Haushalt nicht gesund im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 GO NRW, wenn der Haushaltsausgleich nur durch rücksichtslose Inanspruchnahme der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Abgabepflichtigen erzielt wird. Demgegenüber handelt es sich im Kern nicht um eine Abgabevorschrift, die Maßstäbe für die Abgabeerhebung setzen will. Ob die Vorschrift auch eine Begrenzung der Steuererhebung losgelöst von der Ausgabeseite setzt, kann hier offen bleiben. Jedenfalls ist das Verbot rücksichtsloser Inanspruchnahme der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Abgabepflichtigen nicht dadurch verletzt, dass auf die beschlossene Hebesatzsenkung verzichtet wird. Wie oben dargelegt, sollte durch den aufgehobenen Ratsbeschluss die Realsteuerbelastung auf ein fast beispiellos niedriges Niveau abgesenkt werden, obwohl sich die Belastung bislang im durchschnittlichen oder gar unterdurchschnittlichen Bereich bewegte.

Die Absenkung der Realsteuerhebesätze kann auch nicht mit Hinweis auf die sonstige Abgabenbelastung im Bereich der Klägerin, namentlich bei den Entwässerungsgebühren, begründet werden. Die Höhe der sonstigen Abgaben ist grundsätzlich nach den für diese geltenden Abgabebestimmungen zu beurteilen. Eine über dem Durchschnitt anderer Kommunen liegende Gesamtbelastung der Abgabepflichtigen ist nicht rücksichtslos, wenn die Haushaltslage so prekär wie bei der Klägerin ist, und rechtfertigt keine haushaltsrechtlich unvertretbare Absenkung der Realsteuerhebesätze auf ein fast beispiellos niedriges Niveau.

Auch Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG, wonach den Gemeinden das Recht einzuräumen ist, die Hebesätze der Grundsteuer und Gewerbesteuer im Rahmen der Gesetze festzusetzen, sowie § 25 Abs. 1 GrStG und § 16 Abs. 1 GewStG, die in Umsetzung der genannten verfassungsrechtlichen Bestimmung das Hebesatzfestsetzungsrecht den Gemeinden zuweisen, stehen der angefochtenen Verfügung nicht entgegen. Richtig ist, dass die genannten Vorschriften landessteuerrechtliche Vorschriften verbieten, die das Recht zur Bestimmung des Hebesatzes ganz oder teilweise von den Gemeinden auf das Land verschieben. Das tut § 122 Abs. 1 Satz 2 GO NRW auch nicht, der lediglich zur Aufhebung rechtswidriger Ratsbeschlüsse ermächtigt.

Auch der die Rechtswidrigkeit des aufgehobenen Ratsbeschlusses begründende § 75 Abs. 3 GO NRW a. F. mit der Anordnung der Wiederherstellung des Haushaltsausgleichs zum nächstmöglichen Zeitpunkt tut dies nicht. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Vorschrift bei der hier gefundenen Auslegung eine realsteuerliche Vorschrift wäre, die Regelungen über die Bestimmung der Hebesätze enthielte. Insoweit besteht nämlich keine Landesgesetzgebungskompetenz, da der Bund durch die Realsteuergesetze von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nach Art. 105 Abs. 2 GG Gebrauch gemacht hat und damit die Landesgesetzgebungskompetenz entfällt (Art. 72 Abs. 1 GG). § 75 Abs. 3 GO NRW a. F. beruht aber nicht auf der Gesetzgebungskompetenz für das Realsteuerrecht, sondern auf der Gesetzgebungskompetenz für das Kommunalrecht, insbesondere Kommunalhaushaltsrecht, die den Ländern zusteht (Art. 70 Abs. 1 GG). Die kompetenzielle Zuordnung eines Gesetzes bemisst sich danach, ob der Gegenstand eines Gesetzes seinem Hauptzweck nach, seinem Kern nach unter einen bestimmten Kompetenztitel fällt.

Vgl. Jarras/Pieroth, GG, 10. Aufl., Art. 70, Rn. 7 f.; v. Mangoldt/Klein/Pestalozza, GG, Bd. 8, 3. Aufl., Art. 70, Rn. 70; Stettner, in: Dreier, GG, Bd. 2, 2. Aufl., Supplementum 2007, Art. 70, Rn. 35.

Hauptzweck und Kern des § 75 Abs. 3 GO NRW a. F. sind kommunalhaushaltsrechtlicher Natur. Die Vorschrift weist zwar auch Bezüge zum Realsteuerrecht insofern auf, als er - wie hier - unter bestimmten Voraussetzungen ein Verbot der Senkung der Realsteuerhebesätze enthält. Im Kern bleibt er aber haushaltsrechtlicher Natur, da er die Senkung der Hebesätze nur bei einer schweren Haushaltsnotlage verbietet. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch bundesrechtlich die Festsetzung von Realsteuerhebesätzen kein Selbstzweck ist, sondern eingebunden ist in die Funktion jedweder Steuer, zuvörderst der Mittelbeschaffung für den Haushalt zu dienen. Ob Mittel beschafft werden müssen, ist keine steuerliche, sondern eine haushaltsrechtliche Frage, die sich aus dem Erfordernis des Haushaltsausgleichs ergibt und insbesondere auch vom Ausgabeverhalten der Gemeinde abhängt. Das Wie der Mittelbeschaffung kann eine Materie des Abgabenrechts sein: So liegt etwa der Vorrangstufung zwischen verschiedenen Abgabearten, wie sie in § 77 Abs. 2 GO NRW vorgenommen wird, eine Bewertung einzelner Abgabentypen in ihren Verhältnis zueinander zugrunde und kann daher im Hauptzweck als eine abgaberechtliche und speziell steuerliche Norm angesehen werden.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 11.6.1993 - 8 C 32.90 -, NVwZ 1994, 176.

Hier geht es jedoch alleine darum, ob haushaltsrechtlich die Notwendigkeit besteht, auf eine Senkung der Realsteuerhebesätze zu verzichten, um das Haushaltsdefizit nicht noch größer werden und den notwendigen Haushaltsausgleich nicht in noch weitere Ferne rücken zu lassen. Es geht nicht darum, zwischen verschiedenen Abgabearten auszuwählen, welche gesenkt werden soll; es geht auch nicht darum, den Ermessensspielraum bei der Festsetzung der Realsteuerhebesätze auszufüllen. All dies wären steuerrechtliche Gesichtspunkte. Hier geht es alleine darum, ob angesichts der schweren Haushaltsnotlage der Klägerin ein Einnahmeverzicht - welche Art auch immer - in der beschlossenen Höhe mit dem Gemeindehaushaltsrecht zu vereinbaren ist.

Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass damit das schmale landesgesetzgeberische Kompetenzfeld, das die bundessteuerlichen Realsteuergesetze übrig ließen, konterkariert werde. Die Landesrechtsvorbehalte in den Realsteuergesetzen (etwa die Möglichkeit nach § 16 Abs. 5 GewStG und § 26 GrStG, das Hebesatzverhältnis für Grund- und Gewerbesteuer bei Betrieben der Land- und Forstwirtschaft festzulegen oder Hebesatzhöchstsätze vorzugeben) betreffen landesrechtliche Regelungen, die auf der Kompetenzgrundlage für das Realsteuerrecht ergehen. Ohne diese Öffnung kraft Bundesrechts hätten die Länder keine Kompetenz zu der Regelung. Im vorliegenden Rechtsstreit geht es aber um die kompetenzielle Zuordnung des § 75 Abs. 3 GO NRW a. F. in der hier gefundenen Auslegung, die sich nicht als realsteuerrechtliche, sondern kommunalhaushaltsrechtliche Vorschrift erweist.

Sie greift nicht unzulässig in das Recht der kommunalen Selbstverwaltung ein (Art. 28 Abs. 2 GG). Zu diesem Recht gehört die Finanzhoheit der Gemeinden, die eine eigenverantwortliche Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft gewährleistet.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 15.10.1985 - 2 BvR 1808/82 u. a. -, BVerfGE 71, 25 (36); BVerwG, Urteil vom 15.11.2006 - 8 C 18.05 -, BVerwGE 127, 155, Rn. 21; Beschlüsse vom 30.1.1997 - 8 NB 2.96 -, BVerwGE 104, 60 (65 f.), und vom 26.9.1997 - 1 B 139.97 -, NVwZ 1998, 184 (185); OVG NRW, Urteile vom 12.10.2004 - 15 A 4597/02 -, NVwZ-RR 2005, 563 f., und vom 18.6.2002 - 15 A 1958/01 -, NWVBl. 2002, 384 (385 f.).

Möglicherweise existiert mit Rücksicht auf Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG, der zu den vom Selbstverwaltungsrecht gewährleisteten Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung auch eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle zählt, neben der Finanzhoheit eine eigenständige Hebesatzhoheit.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.1.2005 - 2 BvR 2185/04 -, BVerfGE 112, 216 (222); zur Frage, inwieweit durch realsteuerrechtliche Vorschriften das Hebesatzrecht beschränkt werden darf, vgl. Selmer/Hummel, Verfassungsgerechte Pflicht der Gemeinden zur Erhebung von Gewerbesteuer?, NVwZ 2006, 14 (18 ff.).

Das kommunale Selbstverwaltungsrecht ist aber nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG nur "im Rahmen der Gesetze" gewährleistet.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.1.2004 - 8 B 139.03 -, Buchholz 415.1 Allg. KommR, Nr. 150 S. 8.

Diese Gesetze finden ihrerseits eine verfassungsrechtliche Schranke im Kernbereich des Selbstverwaltungsrechts, vgl. BVerfG, Beschluss vom 7.5.2001 - 2 BvK 1/00 -, BVerfGE 103, 332 (365 f.); BVerwG. Urteil vom 5.12.2000 - 11 C 6.00 -, BVerwGE 112, 253 (255, 258), sowie im Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, vgl. BVerfG, Beschluss vom 7.5.2001 - 2 BvK 1/00 -, BVerfGE 103, 332 (366 f.).

Unter Anlegung dieser Maßstäbe verletzt es weder den Kernbereich der Finanzhoheit noch stellt es einen unverhältnismäßigen Eingriff in sie dar, wenn das Kommunalhaushaltsrecht die Gemeinden auf das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts zum nächstmöglichen Zeitpunkt festlegt und eine mit diesem Ziel unvereinbare Senkung der Hebesätze verbietet. Die Finanzhoheit besteht auch darin, dass die Gemeinde sich in eigenverantwortlicher Regelung ihrer Finanzen auf die ihr obliegenden Verpflichtungen einstellt. Sie muss vor allem die Hebesätze nach realistischen Gesichtspunkten festsetzen. Die Gemeinden sind bei der Festsetzung der Hebesätze nicht völlig frei; es ist ihnen nicht gewährleistet, dass sie ihre Entscheidungen nur nach ihren Interessen und ohne Rücksicht auf ihre Verpflichtungen treffen können. Das Wesen der gemeindlichen Finanzhoheit besteht nicht darin, dass die Gemeinde frei schalten kann, sondern darin, dass sie verantwortlich disponiert und bei ihren Maßnahmen auch ihre Stellung innerhalb der Selbstverwaltung des modernen Verwaltungsstaates in Betracht zieht.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.5.1968 - 2 BvL 2/61 -, BVerfGE 23, 353 (369, 371).

Ermessensfehler sind weder geltend gemacht noch ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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