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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 23.06.2008
Aktenzeichen: 15 A 2963/07
Rechtsgebiete: GO NRW


Vorschriften:

GO NRW § 26
GO NRW § 114a
Sieht der Kostendeckungsvorschlag für ein Bürgerbegehren dessen Finanzierung in der Form vor, dass auf Vermögen einer gemeindlichen Anstalt öffentlichen Rechts zurückgegriffen werden soll, muss der Vorschlag darlegen, wie dieses gemeindefremde Vermögen in Anspruch genommen werden kann.
Tatbestand:

Ein Bürgerbegehren wandte sich gegen die beabsichtigte Errichtung eines neuen sogenannten Kombibades mit einem alternativen Bäderkonzept, das die Sanierung und Modernisierung eines bestehenden Bades vorsah. Das neue Schwimmbad wollte eine kommunale Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) nach § 114a GO NRW errichten und finanzieren. Die Stadt beschloss, der AöR einen jährlichen Zuschuss von 500.000,-- Euro zu gewähren. Der Kostendeckungsvorschlag des Bürgerbegehrens lautete: "Für die Umsetzung des Bäderkonzeptes hinsichtlich des Baus eines Kombibades im Gewerbegebiet werden zukünftig rund 4 Mio. € bereitgestellt. Bei der Umsetzung eines alternativen Bäderkonzeptes - mit der Modernisierung des Freibades und dem Bau einer o.g. Schwimmhalle - kann diese Summe entsprechend verwendet werden." Die Klage auf Verpflichtung des Rates der Stadt, das Bürgerbegehren für zulässig zu erklären, blieb in beide Instanzen erfolglos.

Gründe:

Das Bürgerbehren ist unzulässig, weil es entgegen § 26 Abs. 2 Satz 1 GO NRW keinen nach den gesetzlichen Bestimmungen durchführbaren Vorschlag für die Deckung der Kosten der verlangten Maßnahme enthält. Die Kosten der verlangten Maßnahme bestehen hier in den Aufwendungen, die erforderlich sind, um das Freibad der Stadt zu modernisieren und eine Schwimmhalle zu bauen. Das Bürgerbegehren geht selbst von Kosten in Höhe von 3,9 Millionen Euro aus. Dieser Betrag soll dadurch aufgebracht werden, dass die für das Kombibad bereit gestellten vier Millionen Euro "entsprechend verwendet werden", wie es im Kostendeckungsvorschlag heißt.

Zu Unrecht meinen die Kläger, mit dem Beschluss über einen Zuschuss von 500.000,-- Euro jährlich für das Kombibad seien diese Kosten abgedeckt. Dieser Zuschuss stellt keine "bereit gestellten 4 Millionen Euro" dar. Wenn dieser Zuschuss zur Finanzierung der verlangten Maßnahme hätte verwendet werden sollen, hätte er im Kostendeckungsvorschlag genannt werden müssen. Darüber hinaus hätte, wenn mit den 500.000,-- Euro jährlich die aufzuwendenden Kreditkosten abgedeckt werden sollten, im Kostendeckungsvorschlag zum Ausdruck gebracht werden müssen, dass, von wem und in welcher Höhe ein Kredit aufzunehmen sein soll. Der Kostendeckungsvorschlag verhält sich jedoch überhaupt nicht zu einer Kreditaufnahme.

Der Kostendeckungsvorschlag, so wie er formuliert ist, wäre ein nach den gesetzlichen Bestimmungen durchführbarer Vorschlag, wenn die Stadt bestimmen könnte, dass die angeblich bereit gestellten vier Millionen Euro zu dem Zweck des Bürgerbegehrens verwendet werden sollen. Es waren jedoch weder vier Millionen Euro liquide Mittel im Haushalt der Stadt für das Kombibad bereit gestellt, noch hatte die Stadt einen Kreditvertrag über vier Millionen Euro zur Finanzierung des Kombibades geschlossen. Alleine die Anstalt öffentlichen Rechts "Stadtbetrieb" wollte über einen von ihr abzuschließenden Kreditvertrag diese Summe aufbringen. Somit ist der Kostendeckungsvorschlag nur durchführbar, wenn die Stadt über diese "bereit gestellten" vier Millionen Euro, also über den im Vermögen des Stadtbetriebs stehenden Kreditanspruch oder - im Falle erfolgter Auszahlung - über den daraufhin ausgezahlten Geldbetrag, verfügen könnte. Dafür ist eine Rechtsgrundlage nicht erkennbar. Über die Verwendung dieses Betrages steht dieser Anstalt, nicht aber der Stadt die Entscheidungsbefugnis zu.

Gemäß § 114a Abs. 6 Satz 1 GO NRW wird die Anstalt von einem Vorstand in eigener Verantwortung geleitet, soweit nicht gesetzlich oder durch die Satzung der Gemeinde etwas anderes bestimmt ist. Bestimmte Entscheidungen sind nach § 114a Abs. 7 GO NRW einem Verwaltungsrat zugewiesen. Nach § 114a Abs. 7 Satz 4 GO NRW unterliegt dieser im Falle des Satzungserlasses der Weisung des Rates. Die Beteiligung oder Erhöhung einer Beteiligung der Anstalt an anderen Unternehmungen oder Einrichtungen sowie deren Gründung und Rechtsgeschäfte zur Veräußerung von Unternehmen, Einrichtungen und Beteiligungen bedürfen gemäß §114a Abs. 7 Satz 5 GO NRW der vorherigen Entscheidung des Rates. Keiner der vorgenannten Mitwirkungsrechte des Rates wird bei einer Kreditaufnahme durch die AöR und der Verwendung dieses Kredites durch die Anstalt ausgelöst. Die Satzung der Stadt über die Anstalt des öffentlichen Rechts "Stadtbetrieb" vom 10. Februar 2004 sieht keine weitergehenden Mitwirkungsrechte vor. Somit ist der Kostendeckungsvorschlag nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht durchführbar.

Dieses Erfordernis kann auch nicht mit Rücksicht darauf als erfüllt angesehen werden, dass die Stadt Träger der Anstalt öffentlichen Rechts ist und diese gemeindliche Aufgaben wahrnimmt. Der Senat hat es allerdings für das Erfordernis des § 26 Abs. 1 Satz 1 GO NRW, dass ein Bürgerbegehren "an Stelle des Rates... entscheiden" muss, mit Rücksicht auf die Funktion des Bürgerbegehrens einerseits und das Verhältnis von Rat und Ausschüssen andererseits für ausreichend angesehen, wenn eine einem Ausschuss durch Satzung zur Entscheidung zugewiesene Aufgabe Gegenstand des Bürgerbegehrens ist.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 19.2.2008 - 15 A 2961/07 -, S. 17 f. des amtlichen Umdrucks, allerdings dort schon zweifelnd für Entscheidungen, die in den Aufgabenbereich einer Anstalt öffentlichen Rechts nach § 114a GO NRW fallen.

Hier geht es jedoch nicht um die Frage, ob ein Bürgerbegehren eine Frage an Stelle des Rates entscheiden soll. Nach Meinung beider Beteiligter kann der Rat über die Modernisierung des Freibades und den Bau einer Schwimmhalle entscheiden, wenngleich diese Auffassung mit Rücksicht auf die dem Stadtbetrieb satzungsrechtlich übertragene Aufgabe "Bäderbetrieb" zweifelhaft ist. Hier steht in Rede, ob der Kostendeckungsvorschlag nach den gesetzlichen Bestimmungen durchführbar ist.

Die Durchführbarkeit des Kostendeckungsvorschlags kann auch nicht vor dem Hintergrund bejaht werden, dass es die Stadt in der Hand hat, letztlich durch Auflösung der Anstalt auf ihr Vermögen zuzugreifen (vgl. § 28 der Kommunalunternehmensverordnung), durch Satzungsänderung Weisungsrechte zu begründen (§ 114a Abs. 6 Satz 1, Abs. 7 Satz 6 und 7 GO NRW) oder, sollte dies zulässig sein, vgl. dazu im verneinenden Sinne Lübbecke, Das Kommunalunternehmen, S. 120 ff., allgemein zu den Kontroll- und Weisungsrechten S. 217 ff., Weisungen nach § 113 Abs. 1 Satz 2 GO NRW an die in den Verwaltungsrat entsandten Vertreter der Gemeinde zu erteilen. Mit dem Kostendeckungsvorschlag soll sicher gestellt werden, dass die Bürger über Tragweite und Konsequenzen der vorgeschlagenen Entscheidung in finanzieller Hinsicht unterrichtet werden.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28.1.2003 - 15 A 203/02 -, NWVBl. 2003, 312 (315).

Soll, wie hier, auf gemeindefremdes Vermögen zur Deckung der Kosten der verlangten Maßnahme zugegriffen werden, liegt ein nach den gesetzlichen Bestimmungen durchführbarer Vorschlag nur dann vor, wenn er den Weg aufweist, wie dieses gemeindefremde Vermögen in Anspruch genommen werden kann. Nur so lässt sich überhaupt beurteilen, ob die vorgeschlagene Maßnahme finanzierbar ist. Darüber hinaus müssen den Bürgern außergewöhnliche Konsequenzen des Kostendeckungsvorschlags, wie sie etwa die Auflösung der Anstalt als Mittel zur Erlangung der Verfügungsgewalt über deren Vermögen darstellt, vor Augen geführt werden.

Der Bürgerentscheid kann auch nicht selbst, wie die Kläger meinen, als satzungsrechtliche Bestimmung angesehen werden, die die Organe der Anstalt öffentlichen Rechts nach § 114a Abs. 6 Satz 1, Abs. 7 Sätze 4 bis 7 GO NRW bindet. Dem steht schon entgegen, dass der Kostendeckungsvorschlag keine Bindungswirkung entfaltet, sondern lediglich aufzeigen soll, wie die verlangte Maßnahme gesetzeskonform finanziert werden kann.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28.1.2003 - 15 A 203/02 -, a.a.O.

Eine Satzungsbestimmung muss aber bindend in Kraft treten.

Auch die allgemeine Überlegung der Kläger, dass sich die Stadt vor Bürgerbegehren nicht in die Anstalt öffentlichen Rechts flüchten dürfe, vermag die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens nicht zu begründen. Es mag sein, dass durch Aufgaben- und Vermögensverlagerung von der Gemeinde auf eine Anstalt öffentlichen Rechts Entscheidungsmöglichkeiten der Stadt und damit auch eines Bürgerbegehrens qualitativ und quantitativ verringert werden. Für eine solche "Auslagerung" gemeindlicher Kompetenzen auf Dritte gibt es sicherlich nach dem Demokratieprinzip des Art. 28 Abs. 1 GG, Art. 2 LV NRW Grenzen. Eine - unterstellt - unzulässige Auslagerung solcher gemeindlicher Kompetenzen würde aber das einfachrechtlich gewährte und verfassungsrechtlich nicht gebotene Bürgerbegehren nicht zulässig machen.

Schließlich spielt es auch keine Rolle, ob die Kläger davon wussten, dass das Kombibad nicht mit aus im städtischen Haushalt bereit gestellten vier Millionen Euro, sondern mittels Kreditaufnahme durch die Anstalt öffentlichen Rechts finanziert werden sollte. Selbst die Verursachung eines solchen Irrtums durch - in der Tat nicht sorgfältig zwischen gemeindlichen und anstaltlichen Kompetenzen differenzierende - Ratsbeschlüsse wäre unerheblich. Der Kostendeckungsvorschlag muss objektiv durchführbar sein. Ein Bürgerbegehren mit einem zwar unverschuldet irrtümlich, aber objektiv nicht durchführbaren Kostendeckungsvorschlag erfüllt seine nach demokratischen Grundsätzen erforderliche Funktion, die Bürger über Tragweite und Konsequenzen der vorgeschlagenen Entscheidung in finanzieller Hinsicht zu unterrichten, nicht.

Ende der Entscheidung

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