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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 07.10.2009
Aktenzeichen: 15 A 3141/07
Rechtsgebiete: GG, StBAG NRW, VwVfG NRW


Vorschriften:

GG Art. 20 Abs. 3
StBAG NRW § 1
StBAG NRW § 2
StBAG NRW § 7
StBAG NRW § 21
VwVfG NRW § 37
VwVfG NRW § 44
Der Verwaltungsakt einer juristische Person, die regelmäßig nur über eine einzige Behörde verfügt, ist nicht wegen fehlender Erkennbarkeit der ihn erlassenden Behörde nichtig, wenn die juristische Person und die handelnde behördeninterne Dienststelle bzw. das Organ genannt werden (hier die Fachhochschule und der Kanzler, statt richtig der Rektor).

Die Regelungen zur Erhebung von Studienbeiträgen nach dem nordrhein-westfälischen Studienbeitrags- und Hochschulabgabengesetz sind nicht nichtig wegen Verletzung eines Vertrauen darauf, ein vor Inkrafttreten des Gesetzes begonnenes Erststudium ohne Studienbeiträge zu Ende führen zu können.


Tatbestand:

Die Klägerin wandte sich gegen einen Studienbeitragsbescheid der Fachhochschule N. für das Sommersemester 2007. Klage und Berufung blieben ohne Erfolg.

Gründe:

Der Bescheid rechtfertigt sich aus §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 7 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2, 21 Abs. 1 des Studienbeitrags- und Hochschulabgabengesetzes vom 21.3.2006 (GV. NRW. S. 119 - StBAG NRW -) i. V. m. § 2 Abs. 2 der Satzung über die Erhebung von Studienbeiträgen und -gebühren an der Fachhochschule N. (Satzung). Danach wurde von an der Fachhochschule N. eingeschriebenen Studenten für das Sommersemester 2007 ein Studienbeitrag von 300,00 Euro erhoben, der mit der Rückmeldung entstand und fällig wurde.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen liegen in der Person der Klägerin unstreitig vor. Der Beklagte war auch befugt, einen Beitragsbescheid zu erlassen (Verwaltungsaktsbefugnis). Allerdings entsteht der Beitrag nach den genannten Bestimmungen kraft Gesetzes und wird auch kraft Gesetzes fällig, so dass es eines Bescheides nicht bedurfte. Dennoch war der Beklagte gemäß § 1 Abs. 2 StBAG NRW i. V. m. § 14 Abs. 1 Satz 1 GebG NRW befugt, den Beitrag durch Bescheid festzusetzen.

Der Bescheid ist nicht wegen Unzuständigkeit der erlassenden Behörde rechtswidrig. Der Bescheid enthält im Kopf die Überschrift "Fachhochschule N." und darunter den Hinweis "Der Kanzler". Der Kanzler ist allerdings nicht die zuständige Behörde. Das Wesen einer Behörde als eines speziellen Organs eines Rechtsträgers zeichnet sich dadurch aus, hoheitliche Verwaltungsmaßnahmen im Außenrechtsverhältnis vorzunehmen.

Vgl. Burgi, Verwaltungsorganisationsrecht, in: Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl., § 7 Rn. 29; Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 12. Aufl., § 59 Rn. 29; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17. Aufl., § 21 Rn. 32; zur Behördeneigenschaft des Vorstands einer Anstalt öffentlichen Rechts vgl. OVG NRW, Beschluss vom 31.10.2008 - 15 A 2450/08 -, NRWE Rn. 8 ff.

Der Kanzler war bis zum 31.12.2006 Leiter der Hochschulverwaltung und Haushaltsbeauftragter (§ 44 des Hochschulgesetzes vom 14.3.2000 i. d. F. des Gesetzes vom 30.11.2004, GV. NRW. S. 752, HG a. F.). Demgegenüber wurde die Körperschaft des öffentlichen Rechtes "Hochschule" als Rechtsträgerin vom Rektor nach außen vertreten (§ 19 Abs. 1 HG a. F.). Dieser war also Behörde. Der Kanzler vertrat lediglich den Rektor in Rechts- und Verwaltungsangelegenheiten (§ 19 Abs. 2 Satz 2 HG a. F.), war also nicht selbst Behörde, sondern zeichnete in Vertretung für die Behörde "Rektor". An dieser Rechtslage hat sich auch im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides nichts geändert (§§ 14 Abs. 2, 18 Abs. 1 Satz 1 und 3, 19 des Hochschulgesetzes vom 31.10.2006, GV. NRW. S. 474, mit den Regelungen für den Präsidenten anstelle des Rektors und den Vizepräsidenten für den Bereich der Wirtschafts- und Personalverwaltung anstelle des Kanzlers). Daraus ergibt sich, dass hier das hochschulintern zuständige Organ in Form des Kanzlers gehandelt hat, der lediglich in Verkennung seiner Behördeneigenschaft nach außen im eigenen Namen statt für den Rektor aufgetreten ist. Damit wird zwar der unzutreffende Eindruck erweckt, der Kanzler sei Behörde, ohne dass er es deshalb auch wird und ohne dass dies den Umstand aus der Welt schafft, dass das zuständige Organ entschieden hat. Der Bescheid ist daher nicht formell rechtswidrig, weil eine unzuständige Behörde gehandelt hätte.

Der Bescheid ist auch nicht deshalb nichtig, weil er entgegen § 37 Abs. 3 Satz 1 VwVfG NRW nicht die den Bescheid erlassende Behörde erkennen ließe (§ 44 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG NRW). Allerdings ist die erlassende Behörde, der Rektor, in der Tat im Bescheid nicht genannt, vielmehr wird nur das hochschulintern zuständige Organ, das nicht Behörde ist, nämlich der Kanzler, genannt. Das ist jedoch unschädlich. Mit der Pflicht, die den Bescheid erlassende Behörde erkennen zu lassen, wird dem Umstand Rechnung getragen, dass bestimmte juristische Personen, namentlich die staatlichen Gebietsköperschaften Bundesrepublik Deutschland und die Bundesländer, über eine Vielzahl von Behörden mit ausdifferenzierter Zuständigkeitsordnung verfügen und nur durch Angabe der Behörde festzustellen ist, ob bei gegebener Verbandszuständigkeit der Körperschaft die sachliche und örtlich zuständige Behörde entschieden hat. Dieses Problem stellt sich bei juristischen Personen nicht, die regelmäßig nur über eine einzige Behörde verfügen, für die lediglich unterschiedliche behördenintern gegliederte Organe oder Dienststellen auftreten (etwa bei Gemeinden der Bürgermeister als Behörde mit den verschiedenen Ämtern der Gemeindeverwaltung oder hier bei der Hochschule der Rektor als Behörde mit dem Organ Kanzler). In diesen Fällen reicht es zur zweifelsfreien Identifizierung der erlassenden Behörde aus, wenn die juristische Person als Rechtsträger, hier die Fachhochschule N., und die behördeninterne Dienststelle oder das Organ, die oder das die Entscheidung getroffen hat, hier also der Kanzler, genannt werden.

Vgl. auch OVG Bbg., Beschluss vom 7.10.2003 - 2 B 332/02 -, NVwZ-RR 2004, 315: Angabe der Körperschaft, dort: Zweckverband, reicht für Behördenangabe in der Rechtsbehelfsbelehrung; Schl.-H. OVG, Urteil vom 24.10.2001 - 2 L 29/00 -, KKZ 2008, 165: Stadtwerke X. nicht ausreichend; Stelkens, in : Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 37 Rn. 9; Henneke, in: Knack, VwVfG, 8. Aufl., § 37 Rn. 25.

Der Bescheid ist auch nicht verfrüht ergangen. Allerdings entsteht die Beitragspflicht nach den eingangs genannten Bestimmungen erst mit der Rückmeldung, der Bescheid ist jedoch vorher ergangen. Grundsätzlich darf eine Abgabe nicht im Voraus für alle Fälle zukünftiger Verwirklichung des Abgabentatbestandes festgesetzt werden. Eine Abgabenfestsetzung im Voraus ist nur für Pauschgebühren vorgesehen (§ 1 Abs. 2 StBAG NRW i. V. m. § 9 Abs. 3 GebG NRW). Die Festsetzung im Voraus darf grundsätzlich auch nicht durch Beifügung einer Bedingung geschehen. Die Festsetzung einer Abgabe unter der Bedingung, dass sie entsteht, widerspricht nämlich dem Zweck einer Festsetzung, über einen kraft Gesetzes entstandenen Abgabeanspruch zu entscheiden, so dass die Beifügung einer solchen Bedingung grundsätzlich unzulässig ist (§ 36 Abs. 3 VwVfG NRW). Nur dann, wenn der Abgabentatbestand in der Entstehung begriffen ist, widerspricht die Abgabenfestsetzung unter der Bedingung der endgültigen Verwirklichung des Abgabentatbestandes nicht dem Zweck einer Abgabenfestsetzung.

So liegt der Fall hier. Zwar wurde der Bescheid vor Erfüllung des Abgabentatbestandes, nämlich der Rückmeldung zum Sommersemester 2007, erlassen. Dies geschah allerdings im Zusammenhang mit der Eröffnung des Rückmeldeverfahrens für dieses Semester und daher im Zusammenhang mit der Verwirklichung des Abgabentatbestandes.

Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig, insbesondere ist das Studienbeitrags- und Hochschulabgabengesetz verfassungsgemäß und damit wirksam. Das hat der Senat mit Urteil vom 9.10.2007 - 15 A 1596/07 -, DVBl. 2007, 1442, bestätigt durch BVerwG, Urteil vom 29.4.2009 - 6 C 16.08 -, entschieden. Die Berufung wirft keine Gesichtspunkte auf, die zu einer veränderten Beurteilung Anlass gäben.

Das gilt auch für die Frage des in Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes verankerten Prinzips der Rechtssicherheit in der Form des Rechtsgrundsatzes des Vertrauensschutzes. Richtig ist allerdings, dass der Gesetzgeber nicht völlig frei ist, die Rechtsfolge eines Gesetzes zwar nach Verkündung der Norm eintreten zu lassen, aber tatbestandlich Sachverhalte zu erfassen, die bereits vor der Verkündung "ins Werk gesetzt" worden sind (tatbestandliche Rückanknüpfung oder unechte Rückwirkung). Verfassungsrechtlich wird in diesen Fällen dem allgemeinen Grundsatz des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit kein genereller Vorrang vor den jeweils verfolgten gesetzgeberischen Anliegen eingeräumt. Denn die Gewährung vollständigen Schutzes zugunsten des Fortbestehens der bisherigen Rechtslage würde den dem Gemeinwohl verpflichteten demokratischen Gesetzgeber in wichtigen Bereichen lähmen und den Konflikt zwischen der Verlässlichkeit der Rechtsordnung und der Notwendigkeit ihrer Änderung in nicht mehr vertretbarer Weise zu Lasten der Anpassungsfähigkeit der Rechtsordnung lösen. Es muss dem Gesetzgeber daher möglich sein, Normen, die auch in erheblichem Umfang an in der Vergangenheit liegende Tatbestände anknüpfen, zu erlassen und durch Änderung der künftigen Rechtsfolgen dieser Tatbestände auf veränderte Gegebenheiten zu reagieren. Die Grenzen gesetzgeberischer Regelungsbefugnis ergeben sich dabei aus einer Abwägung zwischen dem Gewicht der berührten Vertrauensschutzbelange und der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Gemeinwohl.

Vgl. BVerfG, Urteile vom 27.9.2005 - 2 BvR 1387/02 -, BVerfGE 114, 258 (300 f.), und vom 5.2.2004 - 2 BvR 2029/01 -, BVerfGE 109, 133 (181 f.); BVerwG, Urteil vom 25.7.2001 - 6 C 8/00 -, juris Rn. 51.

Diese Maßstäbe sind hier anzulegen, da es um die Begründung einer Abgabe für ein begonnenes, also ins Werk gesetztes, ursprünglich abgabenfreies Erststudium geht. Bei der hier vorzunehmenden Abwägung überwiegt das im Interesse der Allgemeinheit verfolgte Ziel rascher Einführung der Abgabenpflichtigkeit des Studiums. Die Abgabenpflichtigkeit des Studiums wurde aus einem Motivationsbündel heraus eingeführt. Neben dem Gesichtspunkt der Mittelbeschaffung für die Hochschulen wurde das Ziel einer veränderten Beziehung zwischen den Studenten und ihren Hochschulen angestrebt, indem die Mitfinanzierung des Studiums durch die Studenten auch deren Mitverantwortung stärken sollte. Darüber hinaus wurde es als ungerecht empfunden, dass besondere staatliche Leistungen wie die Bereithaltung eines Studienplatzes, die sich regelmäßig auch in einem zukünftigen höheren Einkommen niederschlagen, vollständig aus allgemeinen Steuermitteln finanziert wurden und damit vor allem von Personen, denen derartige Leistungen nicht zugewandt wurden oder werden.

Vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung, LT-Drs. 14/725, S.1 f.

Diesen Gesichtspunkten stünde es entgegen, wenn die Einführung von Studienbeiträgen nur auf Studenten beschränkt worden wäre, die erst nach Inkrafttreten des Studienbeitrags- und Hochschulabgabengesetzes ihr Studium aufgenommen haben. Denn dann würden die genannten Ziele, deren Verfolgung in die Hand der jeweiligen Hochschule gelegt wurde, erst wesentlich später erreicht. Demgegenüber kann das Vertrauen auf den Fortbestand der bisherigen gesetzlichen Regelung in § 10 des Hochschulgesetzes vom 14.3.2000 und § 1 Abs. 1 des Studienkonten- und -finanzierungsgesetzes, die ein gebührenfreies Studium bis zu einem ersten berufsqualifizierenden Abschluss vorsahen, nicht gravierend ins Gewicht fallen. Gleiches gilt für die Regelung des § 27 Abs. 4 des Hochschulrahmengesetzes i. d. F. des Sechsten Änderungsgesetzes vom 8.8.2002 (BGBl. I S.3138), die allerdings wegen Kompetenzwidrigkeit nichtig und daher nicht wirksam war.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 26.1.2005 - 2 BvF 1/03 -, NJW 2005, 493.

Alle diese gesetzgeberischen Entscheidungen waren Ausfluss der jeweiligen parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse und politisch hoch umstritten. Sie sind gegen die Stimmen zumindest des größten Teils der Opposition zustande gekommen.

Vgl. für § 24 Abs. 4 des Hochschulrahmengesetzes den Gesetzesbeschluss, BT-PlPr. 14/233, S. 23196, und die Zurückweisung des Einspruchs des Bundesrates durch den Bundestag, BT-PlPr. 14/248, S. 25089, sowie die Ablehnung der Festschreibung der Gebührenfreiheit des Erststudiums bei der Beratung des 6. Änderungsgesetzes zum Hochschulrahmengesetz am 25.4.2002 durch die Abgeordneten Rachel (CDU/CSU), Flach (FDP) und Friedrich (CDU/CSU), BT-PlPr. 14/233, S. 23183, 23188 und 23192 f.; für § 10 des nordrhein-westfälischen Hochschulgesetzes vgl. den Gesetzesbeschluss, LT-PlPr. 13/80, S. 8072, und die Forderung nach Einführung von Studiengebühren auch für das Erststudium bei der Beratung des Studienkonten- und -finanzierungsgesetzes am 22.1.2003 durch die Abgeordnete Düttmann-Braun (CDU), LT-PlPr. 13/80, S. 8062 ff.

Daher durften Studenten und insbesondere die seit dem Sommersemester 2006 immatrikulierte Klägerin von vorneherein nicht darauf bauen, dass auch bei Änderung der politischen Mehrheitsverhältnisse nach Wahlen es bei diesen Entscheidungen in Zukunft bleiben würde. Schließlich ist dem Interesse der Studenten an einer Verschonung von Abgaben für ein bereits aufgenommenes Erststudium auch hinreichend dadurch Rechnung getragen, dass für Altstudenten nach § 21 Abs. 1 StBAG NRW der früheste Zeitpunkt einer Beitragspflicht das Sommersemester 2007 statt des Wintersemesters 2006/2007 ist.

Ende der Entscheidung

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