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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 26.07.2006
Aktenzeichen: 15 A 3600/05
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 60
1. Die Unterzeichnung eines Empfangsbekenntnisses (Zustellung nach § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 174 Abs. 4 ZPO) unterliegt nicht dem Vertretungszwang (§ 67 Abs. 1 VwGO).

2. Zur Vermeidung von i.S.v. § 60 VwGO verschuldeten Fristversäumnissen haben Behörden einen Fristenkalender zu führen.

3. Die Fristnotierung hat grundsätzlich bereits vor Unterzeichnung und Rücksendung des Empfangsbekenntnisses zu erfolgen. Eine spätere Fristeintragung dürfte nur dann ausreichen, wenn sie sich an die Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses unmittelbar anschließt und durch dieselbe Person erfolgt.


Tatbestand:

Mit Beschluss vom 28.3.2006 ließ der Senat die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des VG zu. Der Beschluss wurde der Beklagten gegen Empfangsbekenntnis zugestellt. Auf dem von ROI S. unterschriebenen Empfangsbekenntnis wurde als Zustellungsdatum der 30.3.2006 vermerkt. Nach Hinweis des Senats auf die versäumte Berufungsbegründungsfrist ging die Berufungsbegründung am 4.5.2006 beim OVG ein. Zur Begründung ihres gleichzeitig gestellten Wiedereinsetzungsantrags trug die Beklagte im Wesentlichen vor: Der für das Rechtsgebiet zuständige Sachbearbeiter ROI S., der mit der Prozessführung vor den Verwaltungsgerichten nicht befasst sei, habe den Zulassungsbeschluss im Rahmen der allgemeinen Postverteilung am 30. 3. 2006 in Empfang genommen, das Empfangsbekenntnis unterschrieben und an das OVG zurückgesandt. Sodann habe er den Beschluss mit dem Arbeitsvermerk "Herrn H. z.K." versehen, ihn in eine der im internen Geschäftsbetrieb der Bezirksregierung noch üblichen Laufmappen gelegt und dem Botendienst übergeben. RD H. habe sich in der Zeit vom 27. bis 31.3.2006 auf einer Dienstreise befunden. Der Botendienst habe den Beschluss sodann ordnungsgemäß an den für Posteingänge des RD H. vorgesehenen Platz in dessen Büro gelegt. Unmittelbar auf der Mappe mit dem Zulassungsbeschluss habe eine Mappe mit einer Fachzeitschrift gelegen, die Zeitschrift sei mit einer kräftigen Büroklammer an der Unterseite der Laufmappe befestigt gewesen. Als RD H. nach Rückkehr von der Dienstreise die Mappe mit der Zeitschrift vom Stapel genommen und sie wegen der Vielzahl der zu bewältigenden Vorgänge in das für Unterlagen zur gelegentlichen Lektüre bestimmte Fach gelegt habe, müsse sich die Büroklammer mit der darunter liegenden Mappe (mit dem Zulassungsbeschluss) verhakt haben. Durch diesen Umstand sei der Zulassungsbeschluss erst nach dem Hinweis des Senats auf die versäumte Berufungsbegründungsfrist wieder aufgefunden worden.

Der Wiedereinsetzungsantrag blieb ohne Erfolg.

Gründe:

Die Berufung kann gemäß § 125 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Satz 2 VwGO durch Beschluss verworfen werden, denn sie ist unzulässig. Hierzu sind die Beteiligten vorab gehört worden. Die Beklagte hat die Frist zur Begründung der Berufung versäumt, und ihr Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bleibt erfolglos.

Hat - wie hier - das OVG die Berufung zugelassen, so ist die Berufung gemäß § 124 Abs. 6 Satz 1 VwGO innerhalb eines Monats nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses zu begründen. Der Beschluss des Senates vom 28.3.2006 über die Zulassung der Berufung ist der Beklagten gegen Empfangsbekenntnis am 30.3.2006 zugestellt worden. Die Frist zur Begründung der Berufung, über die die Beklagte durch die dem Zulassungsbeschluss beigefügte Rechtsmittelbelehrung ordnungsgemäß belehrt worden ist, endete gemäß § 57 Abs. 2 VwGO, 222 Abs. 1 und 2 ZPO, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB am Dienstag, dem 2.5.2006. Die Berufungsbegründung ist aber erst am 4.5.2006, also verspätet per Telefax beim Oberverwaltungsgericht eingegangen.

Dass der Fristenlauf mit dem auf dem Empfangsbekenntnis vermerkten Zustellungsdatum 30.3.2006 begonnen hat, wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass das Empfangsbekenntnis durch ROI S. unterschrieben worden ist. Bei der Zustellung an juristische Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden gemäß § 174 Abs. 4 ZPO ist das Schriftstück an dem Tage zugestellt, an welchem der hierfür nach der behördeninternen Aufgabenverteilung zuständige Bedienstete den Empfang mit Datum und seiner Unterschrift bestätigt.

BAG, Urteil vom 2. 12. 1994 - 4 AZB 17/94 -, NJW 1995, 1916 m.w.N.

Dass ROI S. behördenintern für die Abzeichnung des Empfangsbekenntnisses nicht zuständig gewesen wäre, wird vom Beklagten weder vorgetragen, noch ist dies sonst ersichtlich. Vielmehr hat der Beklagte ausdrücklich erklärt, ROI S. sei der für das Rechtsgebiet zuständige Sachbearbeiter. Der Wirksamkeit der Zustellung steht auch nicht entgegen, dass ROI S. nicht gemäß § 67 Abs. 1 VwGO postulationsfähig war. Denn die Mitwirkung des zuständigen Behördenbediensteten bei einer Zustellung gemäß § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. 174 Abs. 4 ZPO unterliegt trotz der damit verbundenen Erklärung, dass das Schriftstück als zugestellt angesehen wird, vgl. Stöber, in: Zöller, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 174 Rn. 6, jedenfalls nicht dem Vertretungszwang nach § 67 Abs. 1 VwGO, wobei offen bleiben kann, ob § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 174 Abs. 4 ZPO als speziellere Regelungen die Anwendung der allgemeinen Vorschrift des § 67 Abs. 1 VwGO ausschließen oder ob es an einer Prozesshandlung i.S.v. § 67 Abs. 1 VwGO fehlt.

Vgl. Bay.VGH, Beschluss vom 2. 12. 1999 - 12 B 98.964 -.

Das gefundene Auslegungsergebnis wird durch folgende Überlegungen bestätigt: Gemäß § 67 Abs. 3 Satz 3 VwGO sind Zustellungen oder Mitteilungen des Gerichts an den Bevollmächtigten zu richten, wenn ein solcher bestellt ist. Daraus folgt, dass Zustellungen - auch in dem Vertretungszwang unterliegenden Verfahren - unmittelbar an die Beteiligten zu richten sind, wenn ein Bevollmächtigter nicht bestellt ist. Mit diesem Befund wäre es unvereinbar, wenn die Wirksamkeit dieser Zustellungen - im Falle des § 174 Abs. 4 ZPO bei einer Behörde, bei der kein nach § 67 Abs. 1 VwGO Postulationsfähiger beschäftigt wäre - an der fehlenden Bestellung eines Bevollmächtigten scheitern müsste.

Die Darlegungen der Beklagten im Verfahren auf Zulassung der Berufung führen nicht zur Entbehrlichkeit der Berufungsbegründung. Denn die in § 124 Abs. 6 Satz 1 VwGO niedergelegte Pflicht zur Begründung der Berufung wird nur durch die - rechtzeitige - Einreichung eines gesonderten Schriftsatzes nach Zulassung der Berufung erfüllt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 8. 3. 2004 - 4 C 6.03 -, NVwZ-RR 2004, 541, m.w.N.

Der von der Beklagten gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat keinen Erfolg, denn die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 VwGO sind nicht erfüllt. Aus der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags ergibt sich nicht, dass die Beklagte ohne Verschulden verhindert war, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Die Beklagte hat keine Tatsachen vorgetragen, die die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unverschuldet erscheinen lassen. Verschulden i.S.v. § 60 Abs. 1 VwGO ist anzunehmen, wenn der Betroffene diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten ist. Dabei sind an eine Behörde zwar keine strengeren, aber auch keine geringeren Anforderungen zu stellen als an einen Rechtsanwalt. Dies gilt insbesondere auch für das Auftreten in der Berufungsinstanz, für die prinzipiell Vertretungszwang besteht.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 29.11.2004 - 5 B 105/04 -, NJW 2005, 1001, m.w.N.

Hiervon ausgehend ist nicht dargetan, dass die Beklagte die ihr obliegenden Sorgfaltspflichten bei der Überwachung der Berufungsbegründungsfrist eingehalten hat. Zur Fristenkontrolle ist insbesondere die Führung eines Fristenkalenders erforderlich, in den die Fristeintragungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu erfolgen haben. Insoweit ist in der Rechtsprechung des BVerwG in der Vergangenheit eine Fristnotierung bereits vor Unterzeichnung und Rücksendung des Empfangsbekenntnisses grundsätzlich für erforderlich gehalten worden.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 3.12.2002 - 1 B 429/02 - , NVwZ 2003, 868, m.w.N. insbesondere aus der Rechtsprechung des BGH.

Bescheinigt eine Behörde den Rechtsmittelfristen auslösenden Zugang einer gerichtlichen Entscheidung ohne vorherige Notierung der Frist im Fristenkalender, so erhöht sich das Risiko, dass die Fristeintragung unterbleibt und die Frist versäumt wird.

Vgl. BGH, Beschluss vom 30.11.1994 - VII ZB 197/94 - .

Nach der neueren Rechtsprechung des BVerwG, Beschlüsse vom 19. 4. 2006 - 10 B 83/05 -, vom 26.11.2004 - 5 B 33/04 - und vom 29.11.2004, a.a.O.; vgl. auch BGH, Beschluss vom 13.2.2003 - V ZR 422/02 - , NJW 2003, 1528, ist jedoch zweifelhaft, ob die denkbaren Möglichkeiten der Büroorganisation derart eng einzuschränken sind. Vielmehr dürfte eine Fristnotierung unmittelbar nach Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses ausreichend sein. Es spricht allerdings Vieles dafür, dass die Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses und eine sich unmittelbar daran anschließende Fristeintragung im Allgemeinen durch dieselbe Person zu erfolgen haben. Ein Bearbeiterwechsel zwischen Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses und Fristeintragung erhöht nämlich in aller Regel das durch die Fristenkontrolle gerade zu minimierende Risiko, dass die Fristeintragung unterbleibt.

Vgl. die Sachverhalte, die den Beschlüssen des BVerwG vom 26.11.2004, a.a.O., und vom 29.11.2004, a.a.O., zu Grunde liegen und auf die sich das BVerwG im Beschluss vom 19.4.2006, a.a.O., bezieht.

Eine hinreichende Fristenkontrolle bei der Beklagten ist im vorliegenden nicht ersichtlich, zumal hierzu - trotz ausdrücklichen Hinweises der Klägerin auf die Notwendigkeit einer Fristenkontrolle - von der Beklagten gar nichts vorgetragen ist. Lediglich ergänzend weist der Senat deshalb auf Folgendes hin: Offenbar war eine Eintragung des Ablaufs von Berufungsbegründungsfristen durch ROI S. nicht vorgesehen und ist diese auch nicht erfolgt. Andernfalls wäre nämlich nicht verständlich, wie es zu dem Fristversäumnis hätte kommen können. Nach Lage der Dinge spricht vieles dafür, dass die Fristenkontrolle durch RD H. erfolgen oder jedenfalls von ihm veranlasst werden sollte. Dass zur Gewährleistung einer Fristenüberwachung durch RD H. gewählte Verfahren genügte jedoch - auch unabhängig von dem Bearbeiterwechsel - nicht den Anforderungen an die insoweit zu erfüllenden Sorgfaltspflichten. Soll eine fristauslösende Entscheidung durch den hausinternen Botendienst gemeinsam mit anderen - nicht mit vergleichbaren Fristen verbundenen und deshalb weniger bedeutsamen - Zuträgen an einen einheitlichen für Posteingänge vorgesehenen Platz im Büro des für die Fristenkontrolle zuständigen Mitarbeiters gelegt werden, so trägt die Behörde das Risiko dafür, dass der Vorgang, aus welchen Gründen auch immer, außer Kontrolle gerät, bevor die Frist notiert ist. Dies gilt umso mehr dann, wenn im Falle der Dienstabwesenheit des für die Fristenkontrolle zuständigen Mitarbeiters eine umgehende Festhaltung der Frist durch einen Vertreter nicht sichergestellt ist.

Ende der Entscheidung

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