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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 19.03.2002
Aktenzeichen: 15 A 4043/00
Rechtsgebiete: KAG NRW, GG, AO, BGB, VwVfG


Vorschriften:

KAG NRW § 8
KAG NRW § 12
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 20 Abs. 3
AO § 227
BGB § 133
BGB § 157
VwVfG § 56
1. Zur Auslegung der vertraglichen Vereinbarung einer Gemeinde mit einem Grundstückseigentümer, dass "Erschließungsbeiträge nach dem Bundesbaugesetz nicht mehr erhoben werden."

2. Die Erhebung von Straßenbaubeiträgen kann Gegenstand vertraglicher Vereinbarungen zwischen beitragspflichtigem Grundstückseigentümer und der Gemeinde sein.

3. Landes- und Bundesrecht verbieten einen gegenleistungslosen, außerhalb eines Vergleichsvertrags vorgenommenen Abgabenverzicht ohne Vorliegen eines gesetzlichen Erlassgrundes.

4. Landes- und Bundesrecht stehen einem Verzicht auf die Straßenbaubeitragserhebung durch Beitragsbescheid nicht entgegen, wenn der gesetzlich zu fordernde Beitrag wirtschaftlich vereinnahmt wird (Beitragsanrechnung). Das setzt voraus, dass die Leistung der Gemeinde nicht unangemessen gegenüber der Gegenleistung des Beitragspflichtigen ist, dass der Verzicht auf die Straßenbaubeitragserhebung durch Beitragsbescheid in einem sachlichem Zusammenhang zur Gegenleistung des Beitragspflichtigen steht und dass im Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Höhe des Beitrags nicht völlig ungewiss ist.


Tatbestand:

Die im Laufe des gerichtlichen Verfahrens verstorbene ehemalige Klägerin (Erblasserin) war Eigentümerin von Grundstücken an der B.-Straße, in der die Stadt wegen einer neu angelegten Straße, in die die B.-Straße mündete, Abbiegespuren und einen Mittelstreifen anlegen wollte. In diesem Zusammenhang sollten auch Parkstreifen gebaut werden. Um für den Ausbau das nötige Gelände zu erwerben, traten die Erblasserin und die Stadt in Grundstückserwerbsverhandlungen ein, bei denen die Erblasserin von Herrn B., dem späteren Kläger zu 2., vertreten wurde. In einem von einer Bediensteten der Stadt verfertigten Vermerk heißt es: "Darüber hinaus möchte Herr B. geklärt wissen, inwieweit Erschließungs- und Anliegerbeiträge nach Straßenausbau auf ihn zukommen." Mit Schreiben 15.12.1986 teilte der Beklagte dem Kläger zu 2. mit, dass die Stadt den geforderten Kaufpreis zahlen werde. "Weiterhin werde ich mich vereinbarungsgemäß bemühen, die noch offen stehenden Fragen des Grunderwerbs zu klären, damit auch bald die vertragliche Abwicklung erfolgen kann." Mit Schreiben vom 18.12.1986 bestätigte der Kläger zu 2. das genannte Schreiben des Beklagten und führte aus: "Da meiner Mutter (Alleinbesitzerin) durch die Baumaßnahme drei Einstellplätze verloren gehen, bin ich, wie auch bereits mündlich besprochen, nicht bereit, für die Errichtung neuer Parkboxen Anliegergebühren zu bezahlen. Dieses soll Vertragsgegenstand werden." Mit Schreiben vom 9.6.1987 übersandte der Beklagte dem Kläger zu 2. einen Vertragsentwurf, in dem es unter § 1 Abs. 5 hieß: "Die Käuferin versichert, dass für die Erschließungsanlage B.-Straße Erschließungsbeiträge nach dem Bundesbaugesetz nicht mehr erhoben werden." Dieser Passus ist unverändert im notariellen Grundstückskaufvertrag enthalten. Nach dem Ausbau erhob die Stadt von der Klägerin Straßenbaubeiträge für die Anlegung von Parkstreifen. Die Anfechtungsklage gegen die Beitragsbescheide hatte in der Berufungsinstanz Erfolg.

Gründe:

Die angefochtenen Beitragsbescheide finden keine Rechtsgrundlage in § 8 KAG NRW. Die angefochtenen Beitragsbescheide sind schon deshalb rechtswidrig, weil sich der Beklagte vertraglich verpflichtet hat, solche Bescheide nicht zu erlassen. Dies ergibt sich aus § 1 Abs. 5 des Grundstückskaufvertrages.

Allerdings enthält dieser Vertragspassus dem Wortlaut nach lediglich eine Zusicherung, für die Erschließungsanlage B.-Straße keine Erschließungsbeiträge nach dem Bundesbaugesetz mehr zu erheben. Hier stehen jedoch Straßenbaubeitragsbescheide nach § 8 KAG NRW in Rede. Indes sind vertragliche Willenserklärung so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern (§ 157 BGB). Dabei ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften (§ 133 BGB). Diese zivilrechtlichen Auslegungsgrundsätze gelten auch dann, wenn der Vertrag ganz oder in dem hier maßgeblichen § 1 Abs. 5 als öffentlich-rechtlicher Vertrag zu qualifizieren ist.

Vgl. Bonk, in: Stelkens/Bonk/Leonhardt, Verwaltungsverfahrensgesetz, 6. Aufl., § 54 Rn. 34, § 62 Rn. 29; zur Qualifizierung gemischter Verträge § 54 Rn. 77 ff.

Das ergibt sich aus einer analogen Anwendung des § 62 Satz 2 VwVfG NRW, der hier wegen § 2 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG NRW nicht unmittelbar anwendbar ist. Bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen - wie hier - ist die Auslegung danach auszurichten, was als Wille für denjenigen erkennbar geworden ist, für den die Erklärung bestimmt war. Maßgeblich ist also als Inhalt der Erklärung, wie der Empfänger diese nach Treu und Glauben und nach der Verkehrsanschauung verstehen musste (Empfängerhorizont). Ausgangspunkt ist dabei der Wortlaut der Erklärung, jedoch können auch außerhalb des Erklärungsaktes liegende Begleitumstände in die Auslegung einbezogen werden, soweit sie für den Erklärungsempfänger einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen.

Vgl. BGH, Urteil vom 12.3.1992 - IX ZR 141/91 -, NJW 1992, 1446 f.; Heinrichs, in: Palandt, BGB, 61. Aufl., § 133 Rn. 9, 14 ff.; Brox, in: Erman, BGB, 1. Band, 8. Aufl., § 133 Rn. 19, 27 ff.

Unter Zugrundelegung dieser Auslegungsmaßstäbe hat sich der Beklagte in § 1 Abs. 5 des Vertrages verpflichtet, von der Erblasserin für den anstehenden Ausbau der B.-Straße, zu dessen Durchführung der Grundstückskaufvertrag abgeschlossen wurde, keine Beiträge zu erheben.

Der Wortlaut beschränkt sich, wie oben ausgeführt, auf die Erhebung von Erschließungsbeiträgen, erfasst also Straßenbaubeiträge nicht. Indes kommt es darauf nicht an, da die Abgrenzung dieser Beitragsarten nur Juristen mit speziellen Kenntnissen auf dem Gebiet des Beitragsrechts klar ist. Der Erblasserin und dem Kläger zu 2. als deren Vertreter bei den Kaufvertragsverhandlungen als Nichtjuristen war die gegenständliche Reichweite des Begriffs "Erschließungsbeitrag nach dem Baugesetzbuch" nicht klar. In einem solchen Fall, in dem ein Vertragspartner den Vertragstext vorformuliert, wie dies hier geschehen ist, und dabei eine Formulierung wählt, deren genaue Reichweite außerhalb spezialisierter Kreise nicht bekannt ist, kann vom Erklärungsempfänger nicht erwartet werden, dass er die Erklärung in diesem speziellen Sinne versteht.

Vielmehr konnte die Erblasserin die Erklärung als vertragliche Umsetzung ihrer vom Kläger zu 2. als ihrem Vertreter im Rahmen der Vertragsverhandlungen geäußerten Bitte verstehen, sie wolle von "Anliegergebühren" "für die Errichtung neuer Parkboxen" freigestellt werden, wobei dies Vertragsgegenstand werden solle. Damit war für den Beklagten erkennbar, dass die Erblasserin von Beiträgen für die Anlage von Parkstreifen in der B.-Straße freigestellt werden wollte. Genau so hat er die Äußerung auch verstanden, wie sich aus dem Vermerk ergibt. Es bestand auch keine Veranlassung, die Nichterhebung gerade und nur von Erschließungsbeiträgen zu regeln, da die Erhebung von Erschließungsbeiträgen von vornherein nicht in Betracht kam. Die B.-Straße ist nämlich eine schon lange endgültig hergestellte Straße, sodass überhaupt nur die Erhebung von Straßenbaubeiträgen für den beabsichtigten Ausbau in Frage kam. Dies hat der Beklagte im gerichtlichen Verfahren selbst treffend mit der Formulierung zum Ausdruck gebracht, dass im Zusammenhang mit dem Ausbau der B.-Straße jegliche Erwägungen zur Erhebung von Erschließungsbeiträgen "nicht nachvollziehbar" seien. Angesichts dessen, dass der Beklagte der Forderung der Erblasserin, von Straßenbaubeiträgen für den bevorstehenden Ausbau freigestellt zu werden, nicht entgegentrat und dass er darüber hinaus die Formulierung in § 1 Abs. 5 des Vertrages vorgeschlagen hat, ohne der Erblasserin die nur beschränkte Reichweite und damit die nur für Kenner der Materie erkennbare Unerheblichkeit der Erklärung verdeutlichte, musste die Erblasserin den § 1 Abs. 5 des Vertrages in dem oben beschriebenen Sinne verstehen.

Der Beklagte hatte das notwendige Erklärungsbewusstsein, nämlich das Bewusstsein, sich rechtlich bindend zu verpflichten, keine Erschließungsbeiträge zu erheben. Ob er sich auch inhaltlich bewusst war, eine - bei richtiger Auslegung - Verpflichtungserklärung abzugeben, keine Straßenbaubeiträge für den bevorstehenden Straßenbau zu erheben, ist unerheblich. Sollte der Beklagte tatsächlich diesem Irrtum unterlegen sein, was allerdings angesichts der Begleitumstände und der geradezu auf Irreführung der Erblasserin angelegten Wortwahl unglaubhaft wäre und wofür der Beklagte im Streitfall die Beweislast trüge, hat er ein Anfechtungsrecht wegen Inhaltsirrtums gemäß § 119 BGB, das er aber bislang nicht ausgeübt hat. Sollte hingegen, was wahrscheinlicher ist, der Beklagte sehr wohl erkannt haben, dass die Erblasserin § 1 Abs. 5 des Vertrages im Sinne der hier gefundenen Auslegung verstehen musste, jedoch gewollt haben, sich an diesen weiteren Erklärungsinhalt nicht gebunden zu fühlen, so wäre dies ein rechtlich unerheblicher geheimer Vorbehalt i.S.d. § 116 Satz 1 BGB.

Die Erklärung des Beklagten in § 1 Abs. 5 des Vertrages mit dem so gefundenen Inhalt ist wirksam. Soweit der Vertrag wegen seines grundstücksbezogenen Teils notarieller Beurkundung (§ 313 Satz 1 BGB) bzw. wegen § 1 Abs. 5 des Vertrages nach den Regeln über öffentlich-rechtliche Verträge entsprechend § 57 VwVfG NRW der Schriftform bedurfte, ist dies auch hinsichtlich der Erklärung mit dem oben genannten Inhalt eingehalten. Auch bei formbedürftigen Erklärungen können Umstände außerhalb der Urkunde bei der Auslegung mitberücksichtigt werden. Erforderlich ist nur, dass der durch Auslegung ermittelte Inhalt der Erklärung einen - wenn auch nur unvollkommenen - Ausdruck in der Urkunde gefunden hat (Andeutungstheorie).

Vgl. BGH, Urteil vom 17.2.2000 - IX ZR 32/99 -, NJW 2000, 1569 (1570); Urteil vom 8.12.1982 - IVa ZR 94/81 -, BGHZ 86, 41 (45 ff.); Heinrichs, in: Palandt, BGB, 61. Aufl., § 133 Rn. 19.

Das ist hier geschehen. Unmittelbaren Ausdruck gefunden hat die Verpflichtung des Beklagten in § 1 Abs. 5 des Vertrages, keine Erschließungsbeiträge mehr zu erheben. Lediglich der Umfang dieses Beitragserhebungsverbots hat durch die Wahl des Begriffs "Erschließungsbeiträge nach dem Baugesetzbuch" einen unvollkommenen Ausdruck gefunden.

Die Erklärung des Beklagten ist vertretungsrechtlich wirksam abgegeben worden. Zwar regelte § 56 Abs. 1 Satz 2 GO vom 13.8.1984 (GV. NRW S. 475) - GO a.F. - (heute § 64 Abs. 1 Satz 2 GO NRW), dass Erklärungen, durch welche die Gemeinde verpflichtet werden soll, vom Gemeindedirektor oder seinem Stellvertreter und einem vertretungsberechtigen Beamten oder Angestellten zu unterzeichnen sind. Bei dem Grundstückskaufvertrag war die Stadt jedoch nur durch eine Person vertreten. Indes bedurften nach § 56 Abs. 3 GO a.F. Geschäfte, die ein für einen Kreis von Geschäften mit einer Vollmacht in der Form des Absatzes 1 Bevollmächtigter abschließt, nicht dieser Form. Dies war hier der Fall. Der die Stadt im Grundstückskaufvertrag vertretende T. war durch Vollmacht des Stadtdirektors und des Stadtkämmerers bevollmächtigt, Erklärungen abzugeben, die u.a. den Erwerb von Grundstücken zum Gegenstand haben.

Auch die Schriftform nach § 56 Abs. 1 Satz 1 GO a.F. ist gewahrt, da die notarielle Beurkundung die Schriftform ersetzt (§ 126 Abs. 4 BGB).

Die Verpflichtung, keine Beiträge in dem genannten Umfange zu erheben, konnte durch Vertrag eingegangen werden. Zwar regelt die Abgabenordnung, auf die § 12 Abs. 1 KAG NRW in weiten Teilen verweist, den öffentlich-rechtlichen Vertrag nicht ausdrücklich, sondern erkennt ihn nur mittelbar in § 78 Nr. 3 AO an. Jedoch kann daraus nicht auf ein Vertragsformverbot geschlossen werden.

Vgl. für den Bereich des Steuerrechts: Tipke/Kruse, AO und FGO, Loseblattsammlung (Stand: November 2001), § 85 AO Rn. 46, 52 ff.; kritischer Brockmeyer, in: Klein, AO, 7. Aufl., § 78 Rn. 4.

Vielmehr ist im Einzelfall zu prüfen, ob eine vertragliche Vereinbarung über einen Ausbaubeitrag inhaltlich zulässig ist.

Hier ist die Abmachung inhaltlich zulässig. Nichtig wäre die vertragliche Abrede, von der Erblasserin für den beabsichtigten Straßenausbau keine Beiträge zu erheben, wenn die Vereinbarung gegen ein gesetzliches Verbot verstieße (entsprechend § 59 Abs. 1 VwVfG NRW i.V.m. § 134 BGB). Das ist nicht der Fall.

Allerdings besteht nach § 8 Abs. 1 Satz 2 KAG NRW, wonach bei den dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Straßen Beiträge erhoben werden sollen, eine Beitragserhebungspflicht. Dieses "Sollen" ist in der Regel einem "Müssen" gleichzusetzen; den Gemeinden steht dementsprechend nur ein sehr enger Ermessensspielraum zu. Die Vorschrift erlaubt aber - wie jede Sollvorschrift - ein Abweichen vom Regelfall dann, wenn besondere, als atypisch anzusehende Umstände dies rechtfertigen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21.10.1997 - 15 A 4058/94 -, S. 9 des amtl. Umdrucks; Urteil vom 23.7.1991 - 15 A 1100/90 -, NWVBl. 1992, 288 (289); zur kommunalrechtlichen Pflicht zur Erhebung von Vorzugslasten vgl. Urteil vom 29.9.1995 - 15 A 1215/91 -, S. 10 ff. des amtl. Umdrucks.

Darüber hinaus ergibt sich aus dem Bundesrecht, nämlich der Gesetzesgebundenheit der Verwaltung nach Art. 20 Abs. 3 GG und dem Gebot der Gleichmäßigkeit der Abgabenerhebung nach Art. 3 Abs. 1 GG ein Verbot des Abgabenverzichts in Abweichung von den gesetzlichen Regelungen.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 21.10.1983 - 8 C 174.81 -, DVBl. 1984, 192 (193), und vom 27.1.1982 - 8 C 24.81 -, DVBl. 1982, 550; OVG NRW, Urteil vom 7.9.1976 - II A 1591/74 -, S. 18 des amtl. Umdrucks.

Das schließt einen gegenleistungslosen, außerhalb eines Vergleichsvertrages (vgl. § 55 VwVfG NRW) vorgenommenen Abgabenverzicht ohne Vorliegen eines gesetzlichen Erlassgrundes nach § 12 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a KAG NRW i.V.m. § 227 AO aus. Davon zu trennen sind jedoch die Fälle, in denen nur auf die Abgabenerhebung durch Abgabenbescheid verzichtet wird, die gesetzlich zu fordernde Abgabe aber wirtschaftlich vereinnahmt wird (Abgabenanrechnung). In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass ein Verzicht auf die Abgabenerhebung zulässig ist, wenn die Abgabeschuld durch eine andere Leistung des Abgabenschuldners als abgegolten angesehen werden kann.

Vgl. OVG NRW, Urteile vom 7.9.1976 - II A 1591/74 -, S. 18 des amtl. Umdrucks, vom 22.11.1971 - II A 38/70 -, OVGE 27, 147 (151), und vom 7.12.1970 - II A 148/69 -, OVGE 26, 131 (135 f.); Bay. VGH, Urteile vom 14.4.1989 - Nr. 22 B 87.839 -, ZfW 1990, 330 (332), und vom 28.5.1975 - 100 IV 70 -, DVBl. 1977, 394 (395); OVG Saarl., Beschluss vom 4.10.1982 - 3 W 1842-1875/82 -, AS 17, 431 (434); Urteil vom 18.8.1982 - 3 R 67/80 -, KStZ 1983, 76 f.; Hess. VGH, Urteile vom 3.2.1999 - 5 UE 2492/92 -, ESVGH 49, 151 (155 f.), und vom 29.3.1979 - V OE 55/76 -, KStZ 1980, 111 (112); a.A. OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 9.9.1985 - 12 B 50/85 -, NVwZ 1986, 68; allgemein Dahmen, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Loseblattsammlung (Stand: September 2001), § 4 Rn. 20 ff.

Diese Voraussetzung liegt hier vor. Der Verzicht auf die Beitragserhebung ist nicht gegenleistungslos im Sinne einer nach den Beitragsvorschriften nicht vorgesehenen Begünstigung, sondern im Rahmen eines zum Zwecke des Straßenausbaus geschlossenen Grundstückskaufvertrages als neben dem Kaufpreis weitere Gegenleistung für die Übertragung des Grundeigentums vereinbart worden. Diese Gegenleistung war angemessen, weil der Gesamtkaufpreis von 105.140,-- DM, den der Beklagte intern als "durchaus angemessen" bezeichnete, dadurch um nur 2.256,-- DM erhöht wurde, also um gut 2 %. Angesichts dessen ist es ausgeschlossen, dass durch die Beitragsanrechnung die Gesamtgegenleistung des Beklagten unangemessen wird.

Auch bei einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalles spricht nichts dafür, dass die Beitragsanrechnung in Wirklichkeit ein verdeckter gegenleistungsloser Beitragsverzicht war. Ein Indiz dafür wäre, wenn es keinen sachlichen Grund gäbe, Leistung und Gegenleistung zu verknüpfen. Deshalb ist in entsprechender Anwendung des § 56 Abs. 1 Satz 2 VwVfG NRW erforderlich, dass die vertragliche Leistung der Gemeinde, hier also der Abgabenerhebungsverzicht, und die Gegenleistung des Bürgers, hier also die Grundstücksübertragung, in sachlichem Zusammenhang stehen. Fehlt dieser sachliche Zusammenhang, führt dies zu einem Verstoß gegen das Koppelungsverbot. Ein solcher Sachzusammenhang liegt vor. Der Beitrag ist eine Gegenleistung der Grundstückseigentümer dafür, dass sich der Gebrauchswert ihrer Grundstücke in Folge der Verbesserung der B.-Straße durch Anlegung von Parkstreifen erhöht. Die Erblasserin erlitt durch die zum Zwecke dieses Straßenausbaus vorgenommene Grundstücksübereignung nicht nur allgemein einen Eigentumsverlust an ihren durch die ausgebaute Straße erschlossenen Grundstücken, sondern darüber hinaus eine Einbuße des Gebrauchswertes ihrer Grundstücke dadurch, dass Stellplätze verloren gingen. Damit liegt der erforderliche Sachzusammenhang zwischen Grundstücksübertragung und Beitragserhebungsverzicht vor.

Ein weiterer zu einem unzulässigen Abgabenverzicht führender Umstand wäre es, wenn im Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Höhe der Abgabe noch völlig ungewiss und damit die Angemessenheit von Leistung und Gegenleistung gar nicht feststellbar gewesen wäre. Auch dies war nicht der Fall, da im Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Höhe des zu erwartenden Beitrages absehbar war, denn es lag nicht nur bereits seit Jahren eine konkrete Planung vor, zu deren Vollzug u.a. der Grundstückskaufvertrag geschlossen wurde, sondern der Ausbau war sogar schon im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abgeschlossen.

Schließlich steht der Beitragsanrechnung auch nicht die vom erkennenden Gericht in seinen älteren Entscheidungen geforderte Voraussetzung entgegen, dass nur dann ein Gebührenverzicht wegen äquivalenter Gegenleistung zulässig sei, wenn die Leistung dem Gebührenhaushalt zugute komme.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 22.11.1971 - II A 38/70 -, OVGE 27, 147 (151).

Damit soll allein ausgeschlossen werden, dass die übrigen Abgabenpflichtigen nicht für den Ausfall des Verzichtsbegünstigten einstehen müssen. Eine solche Gefahr besteht beim vorliegenden Straßenbaubeitrag nicht, da in der Beitragsberechnung die Grundstücke der Klägerin voll zu berücksichtigen sind, sodass der Ausfall allein zu Lasten der Gemeinde geht.

Ende der Entscheidung

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