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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 07.05.2002
Aktenzeichen: 15 A 5299/00
Rechtsgebiete: BGB, KAG NRW, AO


Vorschriften:

BGB §§ 705 ff.
KAG NRW § 8
AO § 191
1.Eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts kann als solche Eigentümerin eines Grundstücks und damit auch Beitragspflichtige nach § 8 KAG NRW sein.

2. Wenn eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts nach § 8 KAG NRW beitragspflichtig ist, können die Gesellschafter nur im Wege eines Haftungsbescheides nach § 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG NRW i.V.m. § 191 Abs. 1 Satz 1 AO in Anspruch genommen werden.

3. Ein Haftungsbescheid an die Gesellschafter der Gesellschaft bürgerlichen Rechts setzt jedenfalls dann, wenn derjenige persönlich beitragspflichtig ist, der im Zeitpunkt des Erlasses des Beitragsbescheides Eigentümer ist, zwingend voraus, dass ein Beitragsbescheid an die Gesellschaft bürgerlichen Rechts ergangen ist.

4. Wird ein Beitragsbescheid, durch den eine Beitragsschuld einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts festgesetzt wird, mehreren Gesellschaftern bekannt gegeben, wird durch die Aufhebung des Bescheides gegenüber einem Gesellschafter die Beitragsfestsetzung insgesamt aufgehoben. Einer gesonderten "Aufhebung" der den anderen Gesellschaftern gegenüber bekannt gegebenen Ausfertigungen bedarf es nicht.


Tatbestand:

Der Kläger ist Mitglied einer aus zwei Gesellschaftern bestehenden Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), die im Rechtsverkehr als solche auftritt und zu deren Gesellschaftsvermögen ein Grundstück gehört. Die beklagte Stadt erließ an jeden der beiden Gesellschafter einen inhaltsgleichen Kanalanschlussbeitragsbescheid, in dem ein Kanalanschlussbeitrag "für Ihr Grundstück" festgesetzt wurde. Sodann heißt es in dem Bescheid: "Für diesen Betrag werden Sie als Gesellschaft bürgerlichen Rechts H.M. und K.M. GbR in Anspruch genommen. Einen gleich lautenden Bescheid hat auch der andere Gesellschafter erhalten. Selbstverständlich ist der Betrag jedoch nur einmal zu zahlen." Daran anschließend erfolgt ein Zahlungsgebot. Den unter dem Briefkopf "Gebrüder M. GbR" erhobenen Widerspruch wies der Beklagte durch gleich lautende Widerspruchsbescheide gegenüber dem Kläger und dem anderen Gesellschafter zurück. Dabei wurde im Betreff als Beitragspflichtige die "GbR H.M. und K.M." genannt.

Auf eine von dem anderen Gesellschafter erhobene Anfechtungsklage hin hob die Stadt den Bescheid auf, vertrat aber den Standpunkt, der dem Kläger bekannt gegebene Bescheid sei mangels Erhebung einer Anfechtungsklage bestandskräftig und verpflichte ihn als Gesamtschuldner zur Zahlung. Daraufhin erhob auch der Kläger Anfechtungsklage, die das VG als verfristet abwies. Im Berufungsverfahren änderte der Kläger auf Anraten des Senats die Klage in eine Feststellungsklage dahin festzustellen, dass durch den ihm bekannt gegebenen Bescheid keine Beitragsfestsetzung und kein Zahlungsgebot ihm gegenüber erfolgt sei. Die ursprünglich erhobene Anfechtungsklage hielt er nur noch hilfsweise aufrecht. Das Berufungsgericht gab der Feststellungsklage antragsgemäß statt.

Gründe:

Das genannte Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten besteht nicht.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist in dem hier streitbefangenen Schreiben kein Bescheid gegenüber dem Kläger persönlich zu sehen. In Wirklichkeit handelt es sich nämlich bei den beiden Schreiben, die den beiden Brüdern M. bekannt gegeben wurden, nicht um zwei unterschiedliche Verwaltungsakte, mit denen jeweils eine Beitragsschuld gegenüber einem Gesellschafter der GbR festgesetzt wurde, sondern um einen einzigen Beitragsbescheid gegenüber der GbR, der lediglich in zwei Ausfertigungen jedem der beiden - vorbehaltlich abweichender Regelungen gemäß §§ 709 Abs. 1, 714 BGB gesamtvertretungsberechtigten - Gesellschafter bekannt gegeben worden ist.

Schon der Wortlaut des Schreibens spricht für einen solchen Inhalt. Denn nach der Festsetzung des Beitrages heißt es zum rechtlichen Charakter: "Für diesen Betrag werden Sie als Gesellschaft bürgerlichen Rechts H.M. und K.M. GbR in Anspruch genommen. Einen gleich lautenden Bescheid hat auch der andere Gesellschafter erhalten." Damit wird dem Wortlaut nach eine Beitragspflicht der Gesellschaft, nicht des Gesellschafters geltend gemacht. Mit diesem Verständnis deckt sich der Widerspruchsbescheid, in dem es im Kopf heißt: "Beitragspflichtige: GbR H.M. und K.M.". Der einzige auf eine Inanspruchnahme des Klägers persönlich deutende Umstand kann darin gesehen werden, dass im Heranziehungsbescheid nach der Anrede "Sehr geehrter Herr M." von "Ihr(em) Grundstück" die Rede ist. Jedoch ist dieser Anhalt zum einen zu schwach, um den Inhalt der genannten späteren Erläuterung zu erschüttern, zum anderen wird auch diese Eigentumszuschreibung im Widerspruchsbescheid, der für den Inhalt des Verwaltungsaktes maßgebend ist, anders vorgenommen, wenn es dort in der Begründung heißt: "Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts H. und K.M. ist Eigentümer des Grundstücks ..."

Die so dem Wortlaut nach ausgesprochene Heranziehung der Gesellschaft statt des Gesellschafters ist auch rechtlich möglich, wenn nicht gar erforderlich. In Abkehr von der überkommenen Theorie der Gesellschaft bürgerlichen Rechts als "die Gesellschafter in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit" wird die GbR heute als rechtsfähig angesehen, soweit sie durch Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründet.

Vgl. BGH, Urteil vom 29.1.2001 - II ZR 331/00 -, NJW 2001, 1056 ff.

Danach kann die GbR, soweit nicht spezielle Gesichtspunkte entgegenstehen, jede Rechtsposition einnehmen, insbesondere Grundstückseigentümerin sein.

Vgl. Sprau, in: Palandt, BGB, 61. Aufl., § 705 Rn. 24.

Fraglich kann allenfalls die Grundbuchfähigkeit der GbR sein, vgl. dazu Ulmer/Steffek, Grundbuchfähigkeit einer rechts- und parteifähigen GbR, NJW 2002, 330; Schmidt, Die BGB-Außengesellschaft: rechts- und parteifähig, NJW 2001, 993 (1002), nicht aber die Fähigkeit, Eigentümer zu sein. Dass die GbR Eigentümerin war, ergab sich aus der gemäß § 47 GBO erfolgten Eintragung der Namen der beiden Gesellschafter im Grundbuch mit dem Zusatz "als Gesellschafter bürgerlichen Rechts".

Aus dieser Rechtsinhaberschaft am Grundeigentum i.V.m. § 8 Abs. 2 Satz 2 KAG NRW, wonach die Grundstückseigentümer beitragspflichtig sind, folgt, dass die Gesellschaft und nicht die Gesellschafter beitragspflichtig sind.

Vgl. Stuttmann, Hinweise zur Festsetzung von Kommunalabgaben gegen Gesellschaften bürgerlichen Rechts nach dem Urteil des BGH vom 29.1.2001, KStZ 2002, 50.

Die Gesellschafter schulden die Erfüllung der Gesellschaftsschulden nicht, sondern haften lediglich dafür akzessorisch kraft Gesetzes wie bei einer OHG.

Vgl. BGH, Urteil vom 29.1.2001 - II ZR 331/00 -, NJW 2001, 1056 (1061).

Damit darf den Gesellschaftern gegenüber keine Beitragsfestsetzung für ein einer GbR gehörendes Grundstück erfolgen, vielmehr darf ihnen gegenüber nur ein Haftungsbescheid gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG NRW i.V.m. § 191 Abs. 1 Satz 1 AO ergehen, wie es für das Steuerrecht, soweit die GbR als Steuerschuldnerin bereits anerkannt war, schon früher galt.

Vgl. BFH, Urteil vom 26.8.1997 - VII R 63/97 -, BFHE 183, 307; Kruse/Loose, in: Tipke/Kruse, AO, Loseblattsammlung (Stand: November 2001), vor § 69 Rn. 43 f.; Boeker, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, Loseblattsammlung (Stand: November 2001), vor §§ 69 - 77 Rn. 52; Rüsken, in: Klein, AO, 7. Aufl., § 69 Rn. 156; zur Rechtsqualität eines Steuerbescheids gegen eine GbR vgl. BFH, Urteil vom 22.10.1986 - II R 118/84 -, BFHE 148, 331 (333 f.); vgl. dazu, dass eine GbR nach geläuterter Rechtsauffassung auch Bauherrin sein kann, Sächs. OVG, Beschluss vom 16.7.2001 - 1 B 113/01 -, NJW 2002, 1361.

Ein Haftungsbescheid an die Gesellschafter der GbR setzt jedenfalls dann, wenn derjenige persönlich beitragspflichtig ist, der im Zeitpunkt des Erlasses des Beitragsbescheides Eigentümer ist, zwingend voraus, dass ein Beitragsbescheid an die GbR ergangen ist. Denn da die Haftung der Gesellschafter für Gesellschaftsschulden akzessorisch ist, also vom Bestand der Gesellschaftsschuld abhängt, die persönliche Beitragspflicht aber erst durch Erlass eines Beitragsbescheides entsteht, setzt ein Haftungsbescheid die Festsetzung der Beitragsschuld gegenüber der beitragspflichtigen GbR voraus.

Vgl. zum Unterschied von sachlicher und persönlicher Beitragspflicht OVG NRW, Urteil vom 2.3.1976 - II A 248/74 -, OVGE 32, 7; zum Unterschied zum Steuerrecht vgl. Stuttmann, a.a.O., S. 51.

Die dem Wortlaut nach hier erfolgte Beitragsfestsetzung gegenüber der GbR war somit rechtlich möglich, wenn nicht gar erforderlich, um jedenfalls Haftungsbescheide gegenüber den Gesellschaftern erlassen zu können. Ob der Beklagte dies tatsächlich wollte oder vielmehr doch den Gesellschaftern gegenüber eine Beitragsfestsetzung vornehmen wollte, wie es entsprechend dem Verständnis einer GbR vor dem BGH-Urteil vom 29.1.2001 nur möglich gewesen war, bedarf keiner Klärung, da Wortlaut und objektiv-rechtlicher Sinn des Bescheides ihn nach heutiger geläuterter Rechtsauffassung nur als Beitragsfestsetzung gegenüber der Gesellschaft erscheinen lassen.

Auf der Grundlage der vorgenannten Auslegung des Bescheides hat der Senat dem Kläger in der mündlichen Verhandlung angeraten (§§ 86 Abs. 3, 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), sein Klagebegehren dahin umzustellen, statt der bis dahin allein erhobenen Anfechtungsklage nunmehr vorrangig einen Feststellungsanspruch zu verfolgen. Die Anfechtungsklage wäre nämlich selbst dann unzulässig gewesen, wenn sie im Wege des Parteiwechsels auf die GbR als Klägerin umgestellt worden wäre. Sie würde sich in keinem Fall gegen einen wirksamen Verwaltungsakt richten (§ 42 Abs. 1 VwGO). Der dem Kläger bekannt gegebene Verwaltungsakt ist durch die Stadt im Verfahren des anderen Gesellschafters aufgehoben worden. Zwar bezog sich die Aufhebung auf den gegenüber dem Mitgesellschafter K.M. ergangenen Bescheid. Der dem Kläger gegenüber ergangene Bescheid betrifft jedoch dieselbe Festsetzung einer Beitragsschuld der GbR, die nur einem weiteren Gesellschafter bekannt gegeben worden ist. An der inhaltlichen Identität der beiden Ausfertigungen ein und desselben Verwaltungsaktes ändert dies nichts. Daher ist mit dem Schriftsatz gegenüber K.M. die der GbR gegenüber erfolgte Beitragsfestsetzung insgesamt aufgehoben worden, einer gesonderten "Aufhebung" der dem Kläger gegenüber bekannt gegebenen Ausfertigung bedarf es nicht.

Vgl. zur Bedeutung der ersten Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes bei mehrfacher Bekanntgabe Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., § 41 Rn. 21; Hennecke, in: Knack, VwVfG, 6. Aufl., § 41 Rn. 4.2; für Widerspruchsbescheide BVerwG, Urteil vom 18.4.1994 - 5 B 18.94 -, S. 2 f.; Urteil vom 11.5.1979 - 6 C 70.78 -, BVerwGE 58, 100 (106).

Die Anfechtungsklage wäre auch nicht etwa deshalb zulässig, weil der vorliegende Sachverhalt eines durch behördliche Aufhebung unwirksam gewordenen Verwaltungsakts (§ 12 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b KAG NRW i.V.m. § 124 Abs. 2 AO; vgl. auch den entsprechenden § 43 Abs. 2 VwVfG) gleich zu behandeln wäre mit der Konstellation eines nichtigen Verwaltungsakts (§ 12 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b KAG NRW i.V.m. § 125 AO; vgl. auch den entsprechenden § 44 VwVfG), gegen den nach einhelliger Auffassung eine Anfechtungsklage zulässig ist.

Vgl. Redeker/von Oertzen, VwGO, 13. Aufl., § 42 Rn. 12.

Die Zulässigkeit der Anfechtungsklage gegen einen nichtigen Verwaltungsakt beruht darauf, dass einerseits die Abgrenzung von bloß rechtswidrigen und damit zweifelsohne anfechtbaren Verwaltungsakten auf der einen Seite und nichtigen Verwaltungsakten auf der anderen Seite im Einzelfall schwierig sein kann, und dass andererseits ein Rechtsschutzinteresse an der Beseitigung eines nichtigen Verwaltungsaktes allein schon wegen des durch seinen Erlass gegebenen Anscheins eines wirksamen Verwaltungsaktes gegeben ist. Beides liegt bei einem durch die Behörde aufgehobenen, allerdings mehreren Vertretungsberechtigten bekannt gegebenen Verwaltungsakt nicht vor.

Vgl. dazu, dass im Falle eines mangels ordnungsgemäßer Bekanntgabe unwirksamen Verwaltungsaktes keine Feststellungsklage nach der zweiten Alternative des § 43 Abs. 1 VwGO (Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts) zulässig ist, BVerwG, Urteil vom 21.11.1986 - 8 C 127/84 -, NVwZ 1987, 330.

Ende der Entscheidung

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