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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 25.01.2005
Aktenzeichen: 15 A 548/03
Rechtsgebiete: KAG NRW, AO


Vorschriften:

KAG NRW § 8
KAG NRW § 12
AO § 42 Abs. 1
1. Rechtliche Schranken, die dazu führen können, dass die räumliche Ausdehnung einer Anlage hinter dem Bauprogramm zurück bleibt, ergeben sich aus dem Vorteilsgedanken, insbesondere daraus, dass durch die Abgrenzung der Anlage alle Grundstücke erfasst werden müssen, denen durch die Ausbaumaßnahme annähernd gleiche wirtschaftliche Vorteile geboten werden. Solche Schranken können durch die unterschiedliche Ausstattung der ausgebauten Straßenteile begründet werden.

2. Es ist möglich, dass der vom Bauprogramm bestimmte straßenbaubeitragsrechtliche Anlagenbegriff auch Erschließungseinheiten umfasst. Dies erfordert jedoch eine funktionelle Abhängigkeit der als Einheit zusammengefassten Straßen.

3. Ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten im Sinne des § 12 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b KAG NRW i.V.m. § 42 Abs. 1 AO liegt vor, wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die zur Erreichung des erstrebten wirtschaftlichen Ziels unangemessen ist, der Abgabenminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche außersteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist.

4. Führt eine Grundstücksteilung zur Entstehung mehrerer wirtschaftlicher Einheiten, kann die Teilung im Regelfall nicht als rechtsmissbräuchlich angesehen werden.

5. Es spricht viel dafür, dass ein - auch unbebautes - Hinterliegergrundstück beitragspflichtig ist, wenn es für seine Nutzung auf die ausgebaute Straße angewiesen ist und das Vorderliegergrundstück im Eigentum desselben Eigentümers wie das Hinterliegergrundstück steht.

6. Die bloße Eigentümeridentität zwischen einem bereits anderweitig voll erschlossenen Hinterliegergrundstück und einem Vorderliegergrundstück führt nicht zur Beitragspflicht.


Tatbestand:

Der beklagte Oberbürgermeister erhob für den gleichzeitigen Ausbau der Straßenzüge S.-Straße und W.-Straße Vorausleistungen auf den künftigen Straßenbaubeitrag. Dabei bewertete er die Straßenzüge als eine Anlage und legte daher einen gemeinsamen Aufwand für ein einziges Abrechnungsgebiet zu Grunde. Die Klägerin, eine Wohnungsbaugenossenschaft, die im Abrechnungsgebiet Grundstücke an der W.-Straße innehat, auf denen vier Blocks mit je drei Reihenhäusern zwischen der W.-Straße und der westlich gelegenen E.-Straße errichtet sind, trennte für die jeweils westlich gelegenen Häuser eigene Buchgrundstücke ab. Der Beklagte betrachtete diese als zu wirtschaftlichen Einheiten gehörig, die zusammen mit den an die W.-Straße grenzenden und mit den jeweils beiden östlichen Reihenhäusern bebauten Buchgrundstücken zu bilden seien. Einen Vorausleistungsbescheid, der eine solche wirtschaftliche Einheit betraf, focht die Klägerin teilweise an. Das VG gab der Klage statt, da die W.-Straße mit einem niedrigeren Beitragssatz gesondert abzurechnen und das abgetrennte östliche Buchgrundstück nicht in die Verteilung einzubeziehen sei. Das OVG bestätigte dieses Entscheidung im Berufungsrechtszug.

Gründe:

Zu Recht ist das VG der Auffassung, dass die beitragsrechtliche Abrechnung der Ausbaumaßnahmen an der W.-Straße und der S.-Straße nicht zusammen erfolgen darf. Es handelt sich nämlich um den Ausbau zweier verschiedener Anlagen.

Was die abzurechnende Anlage ist, richtet sich in erster Linie nach der gemeindlichen Straßenbaubeitragssatzung. Diese kann den Anlagenbegriff des Erschließungsbeitragsrechts wählen (Erschließungsanlagenbegriff), der darauf abstellt, welcher Straßenteil bei natürlicher Betrachtungsweise durch Unterschiede im Erscheinungsbild (z.B. Straßenführung, Straßenbreite, Straßenlänge, Straßenausstattung) zu einem augenfällig abgegrenzten Element des öffentlichen Straßennetzes gemacht wird.

Vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 7. Aufl., § 12 Rn. 10.

Dieser Begriff wird etwa gewählt, wenn Gegenstand der Ausbaumaßnahme öffentliche Straßen, Wege und Plätze und damit Anlagen sein sollen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22.7.1999 - 15 A 1784/96 -, S. 10 des amtl. Umdrucks.

Die Satzung kann jedoch auch - wie hier in § 1 der Straßenbaubeitragssatzung (SBS) geschehen - mit der Wendung "Anlagen im Bereich der öffentlichen Straßen, Wege und Plätze" den spezifisch straßenbaubeitragsrechtlichen Anlagenbegriff wählen, der für die räumliche Abgrenzung der Anlage grundsätzlich auf das Bauprogramm abstellt.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 29.1.2002 - 15 A 5565/99 -, NVwZ-RR 2002, 870.

Ein Bauprogramm legt die räumliche Ausdehnung der Anlage fest und bestimmt, wo, was und wie ausgebaut werden soll, und zwar so konkret, dass festgestellt werden kann, ob die Anlage i.S.d. § 8 Abs. 7 Satz 1 KAG NRW endgültig hergestellt ist.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6.11.1996 - 15 B 369/96 -, NVwZ-RR 1998, 70.

Hier spricht viel dafür, dass das Bauprogramm den gemeinsamen Ausbau der S.-Straße und der W.-Straße vorsah: Der Beschluss des Bauausschusses erfolgte auf Grund einer einzigen Beschlussvorlage, die nur diesen Ausbau zum Gegenstand hatte. Der Ausbauplanung, der mit dem Beschluss zugestimmt wurde, lag ein einziger, die Gesamtmaßnahme betreffender Ausbauplan zu Grunde mit der Bezeichnung "S.-Straße/W.-Straße".

Dennoch bestimmen sich die Grenzen der Anlage hier nicht nach diesem Bauprogramm. Denn die Maßgeblichkeit des Bauprogramms unterliegt gewissen rechtlichen Schranken, die dazu führen können, dass die räumliche Ausdehnung einer Anlage über das Bauprogramm hinausgeht oder hinter diesem zurück bleibt. Diese Schranken ergeben sich aus dem dem Straßenbaubeitragsrecht zu Grunde liegenden Vorteilsgedanken. Da der wirtschaftliche Vorteil ein Erschließungsvorteil ist, muss die Anlage so begrenzt werden, dass ihr erkennbar eine Erschließungsfunktion für bestimmte Grundstücke zukommt. Das setzt voraus, dass die Anlage selbst durch örtlich erkennbare Merkmale oder nach rechtlichen Gesichtspunkten abgrenzbar ist. Weitere Voraussetzung ist, dass durch die Abgrenzung der Anlage alle Grundstücke erfasst werden, denen durch die Ausbaumaßnahme annähernd gleiche wirtschaftliche Vorteile geboten werden.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 29.1.2002 - 15 A 5565/99 -, a.a.O.

Wie das VG zu Recht ausführt, verhindert die unterschiedliche Ausstattung der S.-Straße und der W.-Straße eine Zusammenfassung zu einer Anlage, da den Anliegern nicht annähernd gleiche wirtschaftliche Vorteile geboten werden: Während die S.-Straße mit einem Parkstreifen auf der Ostseite und beidseitigen Gehwegen versehen ist, fehlen solche Parkmöglichkeiten auf der W.-Straße und ist hier nur ein einseitiger Gehweg vorhanden. Außerdem ist die Fahrbahn der W.-Straße - wenngleich nur geringfügig - schmaler. Die Unterschiedlichkeit der Ausstattung der beiden Straßen wird im Unterschied im Beitragssatz deutlich, der bei getrennter Abrechnung entsteht. Nach dem Vortrag des Beklagten liegt bei getrennter Abrechnung der Beitragssatz für die S.-Straße bei 6,8163 DM je Verteilungsanteil und für die W.-Straße bei 4,2861 DM je Verteilungsanteil. Damit übersteigt der Beitragssatz der S.-Straße den der W.-Straße um fast 60 %. Entgegen der Auffassung des Beklagten kann nicht von ungefähr gleichen wirtschaftlichen Vorteilen für die Anlieger der S.-Straße und der W.-Straße gesprochen werden, denn die genannte unterschiedliche Ausstattung führt zu einer besseren Erschließungssituation der durch die S.-Straße erschlossenen Grundstücke. Die gegenüber der W.-Straße zusätzlichen Gebrauchsvorteile an der S.-Straße steigern den Gebrauchswert der durch sie erschlossenen Grundstücke und damit die wirtschaftlichen Vorteile für deren Eigentümer entsprechend. Deshalb kann von einer Beitragsverzerrung zu Lasten der Anlieger der S.-Straße durch eine getrennte Abrechnung, wie der Beklagte meint, keine Rede sein. Vielmehr würde eine gemeinsame Abrechnung zu einer nicht durch entsprechende wirtschaftliche Vorteile gerechtfertigten Beitragsnivellierung zu Lasten der Anlieger der W.-Straße führen. Die vom Beklagten angeführte Entstehungsgeschichte der Ausbauplanung, die vor allem auf Wünsche der Anlieger beider Straßen zurückzuführen sein soll, spielt für die hier in Rede stehende Frage der Möglichkeit zusammengefasster Abrechnung keine Rolle.

Die einheitliche Ermittlung und Verteilung des Aufwandes für die beiden Straßen kann auch nicht auf den Gesichtspunkt einer Erschließungseinheit gestützt werden. Allerdings ist es möglich, dass der vom Bauprogramm bestimmte straßenbaubeitragsrechtliche Anlagenbegriff auch Erschließungseinheiten umfasst.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23.12.1994 - 15 B 1196/94 -, S. 2 f. des amtl. Umdrucks; zur Zusammenfassung mehrerer Straßen zu einer Anlage kraft Bauprogramms vgl. auch Beschluss vom 11.6.1996 - 15 B 1313/96 -, NWVBl. 1997, 187; Beschluss vom 10.6.1992 - 2 B 2342/91 -, S. 3 ff. des amtl. Umdrucks.

Hier erlaubt § 9 Abs. 3 SBS, den beitragsfähigen Aufwand für mehrere Anlagen, welche für die erschlossenen Grundstücke eine Einheit bilden, insgesamt zu ermitteln, auf die durch sie erschlossenen Grundstücke zu verteilen und den Beitrag zu erheben. Für diese an die erschließungsbeitragsrechtliche Regelung des § 130 Abs. 2 Satz 3 BauGB angelehnte Regelung besteht zwar in § 8 KAG NRW keine ausdrückliche Ermächtigung. Indes ist die Gemeinde, weil § 8 KAG NRW keinen bestimmten Anlagenbegriff vorschreibt, befugt, durch Satzungsrecht eine derartige Möglichkeit der Bildung einer Erschließungseinheit anzuordnen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 15.11.1991 - 2 A 1232/89 -, S. 12 ff. des amtl. Umdrucks; Beschluss vom 4.2.1985 - 2 B 499/84 -, S. 2 f. des amtl. Umdrucks.

Die vorliegende satzungsrechtliche Ermächtigung, "für mehrere Anlagen, welche für die erschlossenen Grundstücke eine Einheit bilden," eine gemeinsame Abrechnung vorzunehmen, deckt jedoch selbst dann, wenn der Rat, der nach § 9 Abs. 3 Satz 2 SBS alleine über die Bildung einer solchen Einheit zu entscheiden hat, dies für die endgültige Beitragserhebung beschließen sollte, hier eine gemeinsame Abrechnung nicht. Es fehlt nämlich daran, dass die zusammen abzurechnenden Straßen für die Erschließung der Grundstücke eine Einheit bilden.

Nach der Rechtsprechung des BVerwG zur Bildung einer Erschließungseinheit nach § 130 Abs. 2 Satz 3 BauGB muss eine funktionelle Abhängigkeit der zusammen abgerechneten Straßen in der Weise vorliegen, dass die mit geringerem Aufwand hergestellte Straße ihre Erschließungsfunktion nur im Zusammenwirken mit der aufwändiger hergestellten Anlage erfüllen kann.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 16.9.1998 - 8 C 8.97 -, DVBl. 1999, 395 (397 f.); Urteil vom 25.2.1994 - 8 C 14.92 -, NVwZ 1994, 913 (914 f.); Urteil vom 22.5.1992 - 8 C 57.90 -, DVBl. 1992, 1107 (1108).

Zwar gilt für den Bereich des Beitragsrecht nach § 8 KAG NRW dieses grundsätzlich auch hier maßgebliche Verständnis des Funktionszusammenhangs zweier zusammen abgerechneter Straßen nicht in der Rigidität, dass praktisch nur ein Hauptzug zusammen mit einem davon abzweigenden Nebenzug als Stichstraße oder auf den Hauptzug zurückführender Ring als Erschließungseinheit anerkannt werden kann.

Vgl. zu dieser aus der Rechtsprechung gewonnenen Beschränkung Driehaus, a.a.O., § 14 Rn. 39 f.; Fischer, in: Hoppenberg/de Witt, Handbuch des öffentlichen Baurechts, Loselattsammlung (Stand: Juli 2004), F Rn. 262 ff.; kritisch Quaas, in: Schrödter, BauGB, 6. Aufl., § 130 Rn. 12 f.

Vielmehr kann auch ein System von Sackgassen, die von einem Hauptzug ausgehen, in Folge ihrer inneren Verbindung und Abhängigkeit zusammen mit dem Hauptzug eine ausreichende einheitliche Erschließungsfunktion für ein Abrechnungsgebiet haben und damit eine Erschließungseinheit bilden.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9.6.2000 - 15 A 6119/96 -, S. 7 f. des amtl. Umdrucks.

Die S.-Straße und die W-Straße stehen aber nicht in einer solchen funktionellen Abhängigkeit: Die W.-Straße ist über die H.-Straße und in Fortführung im Süden über die C.-Straße an das Verkehrsnetz angebunden. Die W.-Straße ist damit lediglich eine von der S.-Straße abzweigende und im weiteren Verlauf mit dem sonstigen Verkehrsnetz verbundene Straße. Das begründet nicht die erforderliche Einheit in der Erschließungsfunktion.

Weil die satzungsrechtlichen Voraussetzungen für die Bildung einer Erschließungseinheit nicht vorliegen, bedarf es keiner Prüfung, ob eine Entscheidung des Rates über die Bildung einer Einheit nach § 9 Abs. 3 Satz 2 SBS überhaupt noch möglich und vor der Erhebung von Vorausleistungen auf der Basis einer Erschließungseinheit erforderlich ist. Ebenso bedarf es auch keiner Prüfung, ob § 9 Abs. 3 SBS, der die Bildung einer Einheit dem Rat vorbehält, die Bildung einer Erschließungseinheit kraft Bauprogramms, das nicht vom Rat aufgestellt wurde, ausschließt. Selbst wenn sich § 9 Abs. 3 SBS lediglich auf Fälle bezieht, bei denen vom Bauprogramm her unterschiedliche Anlagen zusammengefasst werden sollen, und die Vorschrift daher die Bildung einer allein durch ein Bauprogramm hergestellten Erschließungseinheit nicht ausschließt, kann hier eine Erschließungseinheit durch Bauprogramm nicht festgestellt werden. Liegen nämlich unterschiedliche wirtschaftliche Vorteile für die Anlieger der durch ein Bauprogramm zusammengefassten Straßen vor, so kann eine gemeinsame Abrechnung mit der sich daraus ergebenden Beitragsnivellierung nur dann erfolgen, wenn die oben genannte funktionelle Abhängigkeit der Straßen vorliegt. Denn nur dies rechtfertigt es, trotz bei isolierter Betrachtung unterschiedlicher wirtschaftlicher Vorteile die Anlieger der weniger aufwändig hergestellten Straße an den Kosten der aufwändiger hergestellten Straße zu beteiligen. Die damit auch für eine allein durch ein Bauprogramm hergestellte Erschließungseinheit zu fordernde funktionelle Abhängigkeit fehlt aber, wie oben ausgeführt wurde.

Das VG hat schließlich ebenfalls zu Recht entschieden, dass die Flurstücke 1723, 1727 und 1729 aus dem Abrechnungsgebiet herauszunehmen sind. Sie bilden keine wirtschaftliche Einheit mit den zur W.-Straße vorgelagerten Flurstücken. Sie sind auch nicht als Hinterliegergrundstücke von dieser Straße, sondern allein als Anliegergrundstücke von der E.-Straße erschlossen.

Eine wirtschaftliche Einheit ist der demselben Eigentümer gehörende Teil der Grundfläche, der selbstständig baulich oder gewerblich genutzt werden kann. Ausgangspunkt ist das Buchgrundstück, denn in der Mehrzahl der Fälle sind Grundstücke im Sinne des bürgerlichen Rechts zugleich auch wirtschaftliche Einheiten. Davon ausgehend ist hier festzustellen, ob die an der W.-Straße liegenden Buchgrundstücke zur Bildung einer wirtschaftlichen Einheit um die aus den genannten Flurstücken gebildeten Flächen vergrößert werden müssen. Für eine Zusammenlegung von Flächen ist ein Mindestmaß an rechtlicher Zusammengehörigkeit der Flächen erforderlich.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27.8.2004 - 15 B 1432/04 -, S. 3 f. des amtl. Umdrucks; Beschluss vom 9.6.1998 - 15 A 6852/95 -, NWVBl. 1999, 25, zum Anschlussbeitragsrecht.

Hier liegt kein Grund vor, die drei Flächen, die aus den Flurstücken 413 und 1724, 1728 und 1730 bestehen, um die Flurstücke 1723, 1727 und 1729 zu erweitern. Das erforderliche Mindestmaß an rechtlicher Zusammengehörigkeit für eine Zusammenlegung zu drei wirtschaftlichen Einheiten fehlt.

Sie kann nicht darauf gestützt werden, dass im Baugenehmigungsverfahren insoweit einheitliche Baugrundstücke vorhanden gewesen sein sollen. Allerdings ist bei bebauten Grundstücken darauf abzustellen, was im Einzelfall auf Grund und in Übereinstimmung mit der erteilten Baugenehmigung an Bausubstanz verwirklicht worden ist, wobei der Darstellung des Baugrundstücks nach § 3 Abs. 1 der Verordnung über bautechnische Prüfungen hervorgehobene Bedeutung zukommt.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9.6.1998 - 15 A 6852/95 -, a.a.O.

Hier geben jedoch weder die verwirklichte Bausubstanz noch die in den Bauvorlagen bezeichneten Baugrundstücke etwas für eine rechtliche Zusammengehörigkeit her. Die verwirklichte Bausubstanz besteht aus zwölf Mehrfamilienhäusern, die in vier Hausgruppen angeordnet sind. Gegenstand des Bauantrags war damit die Genehmigung zur Errichtung von zwölf Reihenhäusern, die nicht entlang einer Straße, sondern quer zwischen zwei Straßen gebaut werden sollten. Dieser Bebauung stünde sogar die Existenz dreier Buchgrundstücke als wirtschaftlicher Einheiten pro Hausgruppe, auf denen je ein Reihenhaus errichtet ist, nicht entgegen. Wegen der Notwendigkeit der Anbindung an eine öffentliche Verkehrsfläche für das jeweils mittlere Grundstück nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 BauO NRW wäre dann allerdings eine öffentlich-rechtlich gesicherte Zufahrt zu einer Straße erforderlich. Die jetzige Grundstückslage von nur zwei wirtschaftlichen Einheiten, die jeweils an eine Straße grenzen und mit einem Reihenhaus oder zweien bebaut sind, entspricht damit der Bebauung, sodass diese nicht zur Bildung einer einzigen wirtschaftlichen Einheit zwingt.

Auch der zum Baugenehmigungsantrag gehörende Lageplan gibt für die Annahme einer wirtschaftlichen Einheit nichts her. Er stellt nämlich die Fläche der Gesamtbebauung dar, auf der die vier hier in Rede stehenden Hausgruppen sowie eine weitere Hausgruppe (Block V) und ein Hochhaus errichtet werden sollten, wie es im Bauantrag beantragt wurde. Der Beklagte hat einzelne Reihenhäuser im Genehmigungsverfahren zusammengefasst, indem er jeweils eine Baugenehmigung für eine Hausgruppe erteilte, wobei er als Gegenstand den "Neubau eines Mehrfamilienhauses" angab. Gleiches galt für die Gebrauchsabnahmebescheinigungen. Alleine durch derartige zusammengefasste behördliche Erklärungen wird aber die erforderliche rechtliche Zusammengehörigkeit der Flächen nicht begründet.

Auch sonst gibt es keine Gesichtspunkte für eine solche Zusammengehörigkeit. Insbesondere ergibt sie sich nicht aus dem Bauordnungsrecht, denn die Genehmigung der Teilung, ohne dass dazu Baulasten auf Nachbargrundstücken geschaffen werden mussten, die Anknüpfungspunkt für die Bildung einer wirtschaftlichen Einheit hätten sein können, erfolgte, weil die Bildung der eigenständigen Grundstücke bauordnungsrechtlichen Vorschriften nicht zuwider lief (§ 8 Abs. 2 Satz 1 BauO NRW). Der Beklagte macht auch baurechtliche Gründe, die zur Bildung einer wirtschaftlichen Einheit zwängen, nicht geltend.

Unerheblich ist, dass nach dem Vortrag des Beklagten die tatsächliche Erschließung des rückwärtigen Reihenhauses W.-Straße 42 zur W.-Straße über den an den Häusern 38 bis 42 entlang über die Flurstücke 1723, 1724 und 413 führenden Fußweg erfolge. Solchen tatsächlichen Umständen kommt für die Bildung einer wirtschaftlichen Einheit keine maßgebliche Bedeutung zu, da erst die rechtliche Zusammengehörigkeit die wirtschaftliche Einheit begründet. Daher bleibt es auch im vorliegenden Fall bei dem Grundsatz, dass die abgetrennten Buchgrundstücke selbst wirtschaftliche Einheiten sind.

Der Maßgeblichkeit des Buchgrundstücks für die Bildung der wirtschaftlichen Einheiten hier kann nicht entgegen gehalten werden, die Grundstücksteilung sei beitragsrechtlich unbeachtlich, weil sie einen Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b KAG NRW i.V.m. § 42 Abs. 1 AO darstelle. Nach dieser Vorschrift kann durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Abgabengesetz nicht umgangen werden, vielmehr entsteht der Abgabeanspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht. Nach der Rechtsprechung des BFH, der sich der Senat für das Beitragsrecht nach dem Kommunalabgabengesetz NRW anschließt, liegt ein solcher Missbrauch vor, wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die zur Erreichung des erstrebten wirtschaftlichen Ziels unangemessen ist, der Abgabenminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche außersteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist.

Vgl. BFH, Urteil vom 20.3.2002 - I R 63/99 -, BFHE 198, 506 (509).

Das Motiv, Abgaben zu sparen, macht eine rechtliche Gestaltung noch nicht unangemessen. Dies ist erst dann der Fall, wenn der Abgabepflichtige die vom Gesetz vorausgesetzte Gestaltung zum Erreichen eines bestimmten wirtschaftlichen Ziels nicht gebraucht, sondern dafür einen ungewöhnlichen Weg wählt, auf dem nach den Wertungen des Gesetzes das Ziel nicht erreichbar sein soll.

Vgl. BFH, Urteil vom 3.2.1998 - IX R 38/96 -, BFHE 185, 379 (381); Urteil vom 26.3.1996 - IX R 51/92 -, BFHE 180, 330 (331).

Die Unangemessenheit einer Rechtsgestaltung tritt deutlich hervor, wenn sie überhaupt keinem wirtschaftlichen Ziel dient, also ein vernünftiger wirtschaftlicher Grund nicht zu entdecken ist.

Vgl. BFH, Urteil vom 17.1.1991 - IV R 132/85 -, BFHE 163, 449 (454); OVG NRW, Urteil vom 21.4.1997 - 3 A 3508/92 -, NWVBl. 1998, 245 (246).

Die hier vorgenommene Teilung in mit einzelnen oder mehreren Reihenhäusern bebaute Grundstücke ist nicht unangemessen im oben beschriebenen Sinne. Vielmehr entspricht sie der gegebenen baulichen Situation einer Reihenhausbebauung, die sogar mit einer weiteren Aufteilung (für jedes Reihenhaus ein Grundstück) übereinstimmen würde.

Vgl. dazu, dass es sogar zum bauplanungsrechtlichen Begriff des Reihenhauses gehören soll, dass jedes Haus auf einem eigenen Grundstück steht, Fickert/Fieseler, Baunutzungsverordnung, 9. Aufl., § 22 Rn. 6.4.

Mit der vorliegenden Teilung, die der baulichen Selbstständigkeit der errichteten Gebäude entspricht, können die einzelnen Objekte getrennt - etwa durch Veräußerung oder Umwandlung in Eigentumswohnungen - verwertet werden, mag dies auch gegenwärtig nicht geplant sein. Wenn - wie es hier nach den obigen Ausführungen der Fall ist - kein Grund vorliegt, die Flurstücke als eine wirtschaftliche Einheit zu behandeln, kann die vorgenommene Grundstücksaufteilung auch nicht als Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten angesehen werden. Denn diese Bewertung der Grundstücksituation unter dem Gesichtspunkt einer wirtschaftlichen Einheit zeigt, dass die vorgenommene Teilung beitragsrechtlich zu billigen ist. Angesichts der Flexibilität des Begriffs der wirtschaftlichen Einheit, die die vorgegebene rechtliche Grundstücksituation mit den Anforderungen des Beitragsrechts verbindet, dürfte es bei Grundstücksteilungen keinen Anwendungsbereich des § 42 Abs. 1 AO geben, wenn nur, wie es der Begriff der wirtschaftlichen Einheit verlangt, Eigentümeridentität zwischen den betroffenen Flurstücken besteht. Regelmäßig werden nämlich dann, wenn die Grundstücksteilung als missbräuchlich im Sinne des § 42 Abs. 1 AO anzusehen wäre, die betroffenen Flurstücke als wirtschaftliche Einheit zusammenzufassen sein, wie umgekehrt dann, wenn die Grundstücksteilung beitragsrechtlich zu mehreren wirtschaftlichen Einheit führt, jene regelmäßig nicht als missbräuchlich angesehen werden kann.

Schließlich sind die abgetrennten Grundstücke (Flurstück 1723, 1727 und 1729) auch nicht als selbstständige Hinterliegergrundstücke zur W.-Straße zu veranlagen. Die in der Rechtsprechung des erkennenden Senats dafür aufgestellten Voraussetzungen für eine gesicherte Inanspruchnahmemöglichkeit der ausgebauten Straße,

vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 17.5.2004 - 15 B 747/04 -, NVWZ-RR 2004, 784 f.,

liegen nicht vor. Eine solche gesicherte Inanspruchnahmemöglichkeit begründet auch die Eigentümeridentität nicht. Grundsätzlich ist zwar auch bei einem Hinterliegergrundstück dann eine Beitragspflicht gerechtfertigt, wenn die Inanspruchnahme der Anlage nur noch vom Willen des Eigentümers dieses Grundstücks abhängt. Daher spricht viel dafür, dass das Merkmal bei einem - auch unbebauten - Hinterliegergrundstück dann zu bejahen ist, wenn es für seine Nutzung auf die ausgebaute Straße angewiesen ist und das Vorderliegergrundstück im Eigentum desselben Eigentümers wie das Hinterliegergrundstück steht.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4.8.2004 - 15 B 1351/04 -, S. 4 des amtl. Umdrucks.

Denn dann wird durch die nur so vermittelte Erschließung des Hinterliegergrundstücks dessen Gebrauchswert erhöht und dem Eigentümer ein wirtschaftlicher Vorteil zugewandt, ohne dass es darauf ankommt, ob er diesen Vorteil durch Anlegung einer öffentlich-rechtlich gesicherten Zufahrt zur Straße realisiert, was in Folge der Eigentümeridentität alleine von seinem Willen abhinge. Dies gilt jedoch nicht bei einem bereits anderweitig voll erschlossenen Grundstück, da dann nur eine Zweiterschließung über ein Vorderliegergrundstück vermittelt wird, von der die Nutzung des Grundstücks nicht abhängt. Eine solche nur mittelbare und nicht notwendige Erschließungsmöglichkeit rechtfertigt die Beitragspflicht noch nicht. Hier lässt sich ein beitragsrechtlich relevanter Vorteil möglicherweise schon dann bejahen, wenn der Eigentümer durch sein Verhalten nach außen kund tut, dass er die Straße über eine solche Zweiterschließung tatsächlich in Anspruch zu nehmen gedenkt, etwa indem er eine Zufahrt über das Vorderliegergrundstück herstellt.

Vgl. zur Bedeutung einer tatsächlich angelegten Zufahrt für die Erschließungsbeitragspflicht von Hinterliegergrundstücken Driehaus, a.a.O., § 17 Rn. 77 ff.

Auch dies ist jedoch hier nicht der Fall, da allein eine fußläufige Verbindung der Hinterliegergrundstücke über die Vorderliegergrundstücke zur ausgebauten Straße besteht.



Ende der Entscheidung

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