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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 18.06.2002
Aktenzeichen: 15 A 83/02
Rechtsgebiete: KWahlG NRW, GWG NRW 1948, GWG NRW 1954, GG, Verf NRW, GO NRW, GO NRW 1952, EStG, AG BAföG NRW, SchVG NRW, UBG NRW, VwGO


Vorschriften:

KWahlG NRW § 12
KWahlG NRW § 13
GWG NRW 1948 § 16
GWG NRW 1954 § 16
GG Art. 7
GG Art. 31
GG Art. 85 Abs. 1
GG Art. 137 Abs. 1
Verf NRW Art. 78
GO NRW § 3
GO NRW § 31
GO NRW § 116
GO NRW § 117
GO NRW § 129
GO NRW 1952 § 2
GO NRW 1952 § 3
GO NRW 1952 § 106
EStG § 39 Abs. 6
AG BAföG NRW § 1 Abs. 1
AG BAföG NRW § 3 Abs. 1
SchVG NRW § 2
SchVG NRW § 5 Abs. 5
SchVG NRW § 9 Abs. 2
SchVG NRW § 10
SchVG NRW § 14
SchVG NRW § 26 Abs. 1
UBG NRW § 3
UBG NRW § 7 Abs. 1
UBG NRW § 9
VwGO § 42 Abs. 1
§ 13 Abs. 1 Satz 1 lit. c KWahlG NRW begründet eine Unvereinbarkeit von Amt und Ratsmandat nur für Angestelle und Beamte solcher Behörden, die Aufgaben der allgemeinen Kommunalaufsicht oder - bezogen auf Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung - der Sonderaufsicht über die Gemeinden wahrnehmen.
Tatbestand:

Der Kläger ist seit 1989 Mitglied des Rates der kreisfreien Stadt A. Seit 1995 ist er zudem als vollzeitbeschäftigter leitender Angestellter im Ministerium für Schule, Wissenschaft und Forschung des Landes NRW - MSWF - tätig. Auf entsprechende Weisung der Bezirksregierung stellte der Beklagte als zuständiger Wahlleiter mit Bescheid fest, dass der Kläger als Bediensteter des Ministeriums nicht dem Rat angehören könne. Mit weiterem Bescheid stellte er fest, dass der Kläger die Mitgliedschaft im Rat verloren habe.

Die gegen die Bescheide erhobene Klage blieb erfolglos. Die gegen die Entscheidung des VG gerichtete Berufung des Klägers führte zur Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung und Aufhebung der angefochtenen Bescheide.

Gründe:

Nach § 12 Abs. 1 KWahlG NRW ist grundsätzlich jede wahlberechtigte Person, die das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat, zu einer Kommunalvertretung wählbar. Eine Einschränkung des passiven Wahlrechts besteht gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 lit. c KWahlG NRW nur für solche Beamte und Angestellte, die im Dienste des Landes stehen und bei einer staatlichen Behörde beschäftigt werden, die die allgemeine Aufsicht oder die Sonderaufsicht über Gemeinden und Gemeindeverbände führt. Diese dürfen nicht der Vertretung einer beaufsichtigten Gemeinde oder eines beaufsichtigten Gemeindeverbandes angehören (Inkompatibilität).

a) Die Vorschrift erfasst ihrem Wortlaut nach nur die Beamten und Angestellten der Behörden der allgemeinen Komunalaufsicht, die bei kreisfreien Städten gemäß § 117 Abs. 2 und 3 GO NRW durch die Bezirksregierung und das Innenministerium ausgeübt wird, und derjenigen der Sonderaufsicht im Fall der Aufgabenerfüllung nach Weisung gemäß § 116 Abs. 2 in Verbindung mit § 3 Abs. 2 GO NRW. Nicht erfasst werden hiernach die Beamten und Angestellten anderer Behörden, auch wenn diese aufsichtsbehördliche Befugnisse ausüben.

Eine über den Wortlaut hinausgehende Auslegung ist entgegen der Auffassung des VG weder durch die Entstehungsgeschichte noch durch den Sinn der Inkompatibilitätsbestimmung geboten:

Noch § 16 Abs. 1 GWG NRW vom 6.4.1948 (GV. NRW. S. 185) bestimmte, dass in die Vertretung des Wahlgebietes nicht gewählt werden konnte, wer unmittelbar entweder im Dienste der Vertretung des Wahlgebietes oder im Dienste einer von der Vertretung beaufsichtigten Behörde oder im Dienste einer Aufsichtsbehörde über die Vertretung des Wahlgebietes stand. Erst durch § 16 Abs. 1 lit. d GWG NRW vom 9.6.1954 (GV. NRW. S. 219) - GWG NRW 1954 -, das als Änderungsgesetz zum Gemeindewahlgesetz vom 6.4.1948 formuliert war, wurde die Inkompatibilität entsprechend der heutigen Regelung auf die Angehörigen solcher Behörden beschränkt, die die allgemeine Aufsicht oder die Sonderaufsicht über die Gemeinden und Gemeindeverbände führen. Den Gesetzesmaterialien ist keine eindeutige Aussage zu dem mit dieser geänderten Formulierung verfolgten Zweck zu entnehmen. In der Begründung zum Gesetzentwurf des Gemeindewahlgesetzes 1954 wird lediglich hervorgehoben, dass es sich nunmehr nicht mehr um eine generelle Beschränkung der Wählbarkeit (Ineligibilität), sondern nur noch um eine Aufzählung von Fällen der Unvereinbarkeit von Amt und Mandat handele, die teils Erleichterungen, teils Erschwerungen der Ausübung eines kommunalen Mandats mit sich bringe. Angesprochen wird allerdings der Umstand, dass der Oberkreisdirektor als untere staatliche Verwaltungsbehörde die allgemeine und die Sonderaufsicht über die kreisangehörigen Gemeinden und Ämter führe und es die hieraus folgende Verflechtung des Verwaltungsapparates notwendig mache, für alle Beamten und Angestellten die Unvereinbarkeit einer gleichzeitigen Mitgliedschaft in den Vertretungen der kreisangehörigen Gemeinden und Ämtern festzulegen.

Vgl. Begründung des Entwurfs der Landesregierung zur Änderung des Gemeindewahlgesetzes vom 8.1.1954, LT-Drs. 2/1411.

Ob der historische Gesetzgeber die Möglichkeit einer Inkompatibilität für Angestellte und Beamte anderer Behörden in Betracht gezogen und in seine Überlegungen eingestellt hat, lässt sich hiernach nicht sicher feststellen. Indes galt im Zeitpunkt der Gesetzesberatungen bereits die Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen vom 21.10.1952 (GV. NRW. S. 269) - GO NRW 1952 -. Diese sprach zunächst nur die Aufgabenkategorien der freiwilligen und pflichtigen Selbstverwaltungsangelegenheiten und der Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung an (§§ 2 und 3 GO NRW 1952). Dementsprechend regelte sie lediglich die allgemeine Aufsicht, die sich auf Selbstverwaltungsangelegenheiten erstreckte (§ 106 Abs. 1 GO NRW 1952), und die Sonderaufsicht in Angelegenheiten zur Erfüllung nach Weisung (§ 106 Abs. 2 GO NRW 1952). Der Gesetzgeber folgte damit den Vorgaben des sog. Weinheimer Entwurfs, vgl. hierzu: Dehmel, Übertragener Wirkungskreis, Auftragsangelegenheiten und Pflichtaufgaben nach Weisung, 1970, S. 83 - 86, der im Interesse einer Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung nach dem Zweiten Weltkrieg eine dritte Art kommunaler Aufgaben in Form staatlicher Auftragsangelegenheiten und entsprechende Fachaufsichtsbefugnisse nicht vorsah. Dem entspricht Art. 78 Verf NRW, der - wie das VG zutreffend ausführt - die Auftragsangelegeheiten bis heute nicht anspricht. Hieraus kann aber nicht mit dem VG der Schluss gezogen werden, der Begriff der Sonderaufsicht in den Inkompatibilitätsvorschriften der Kommunalwahlgesetze umfasse auch die Fachaufsicht in staatlichen Angelegenheiten. Bereits mit dem Gesetz zur Änderung der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen vom 21.10.1952 (GV. NRW. S. 281) wurde nämlich § 115 b in die Gemeindeordnung eingefügt, wonach bis zum Erlass neuer Vorschriften die den Gemeinden zur Erfüllung nach Weisung übertragenen staatlichen Angelegenheiten (Auftragsangelegenheiten) nach den bisherigen Vorschriften durchzuführen seien. Diese wegen besonderer Dringlichkeit gemeinsam mit der Gemeindeordnung NRW 1952 verabschiedete Vorschrift, LT-Drs. 2 / Nr. 938, nahm auf den Umstand Rücksicht, dass seinerzeit - wie auch heute - eine Vielzahl von im Wege der Landesexekutive im Bundesauftrag auf die Gemeinden übertragene Auftragsangelegenheiten bestanden (Art. 85 Abs. 1 GG), deren Erfüllung der umfassenden staatlichen Aufsicht unterlag und deren Abschaffung dem Landesgesetzgeber aufgrund Art. 31 GG nicht möglich war. Vor diesem Hintergrund kann der Annahme in dem angefochtenen Urteil, es sei in Rechtsprechung und Literatur jahrelang nicht zwischen Auftragsangelegenheiten und Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung differenziert worden, nicht gefolgt werden. Vielmehr waren die rechtliche Einordnung der neuen Aufgabenkategorie der Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung und ihre Abgrenzung zu den staatlichen Auftragsangelegenheiten seit dem Weinheimer Entwurf umstritten.

Einen Überblick über die in der 50er-Jahren geführte Diskussion gibt Dehmel, a.a.O., S. 90 - 102; vgl. auch: BVerfG, Urteil vom 23.1.1957 - 2 BvF 3/56 -, BVerfGE 6, 104 (116); OVG NRW, Urteil vom 22.9.1954 - IV A 154/54 -, OVGE 9, 110 (112); Wachter, Inhalt und Grenzen des aufsichtsbehördlichen Weisungsrechts bei Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung, Staats- und Kommunalverwaltung 1976, 299; Peters, DÖV 1964, 754; Jesch, Rechtsstellung und Rechtsschutz der Gemeinden bei der Wahrnehmung "staatlicher Aufgaben", DÖV 1960, 739 (746); Rietdorf, Gedanken zum nordrhein-westfälischen Ordnungsbehördengesetz, DVBl. 1958, 344; Gelzer, Echte und unechte Selbstverwaltung, DVBl. 1958, 87; Rietdorf, Die Grundsätze des neuen Nordrhein-Westfälischen Ordnungsbehördenbegriffs, DÖV 1957, 7 (8); Senger, Zur Frage der Pflichtaufgaben nach Weisung in Nordrhein-Westfalen, DVBl. 1957, 10; Schweer, Die Pflichtaufgaben nach Weisung nach der Gemeindeordnung von Nordrhein-Westfalen, DVBl. 1956, 703; Berkenhoff, Die stattliche Dotierung der gemeindlichen Auftragsangelegenheiten, DVBl. 1955, 347; Scheerbarth, Gibt es weiterhin "Auftragsangelegenheiten" im Land Nordrhein-Westfalen? DVBl. 1953, 261.

Angesichts der seinerzeit bestehenden Unsicherheit über die rechtliche Qualifikation der Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung und über die Frage des Fortbestehens überkommener Auftragsangelegenheiten und hiermit verbundener fachaufsichtlicher Befugnisse, vgl. z.B. Rietdorf, Gesetz über die Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen, 1956, § 13 KWG, Erl. 11, der ohne Begründung auch die Beschäftigten der Fachaufsichtsbehörden in die Inkompatibilitätsvorschrift einbezieht, den Begriff der Fachaufsicht gleichzeitig aber mit Selbstverwaltungsangelegenheiten und Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung in Verbindung bringt, kann nicht ohne weitere Anhaltspunkte davon ausgegangen werden, der Gesetzgeber habe mit der Formulierung "die allgemeine Aufsicht oder die Sonderaufsicht" in § 16 Abs. 1 lit. d GWG NRW 1954 auch die diesen Auftragsangelegenheiten zugeordnete Fachaufsicht ansprechen wollen.

Vielmehr ist es durchaus naheliegend, dass der historische Gesetzgeber bei der Formulierung der Inkompatibilitätsvorschrift in Kenntnis der zwei Jahre zuvor eingefügten Bestimmung des § 115 b GO NRW 1952 den Bereich der in staatlichen Angelegenheiten ausgeübten Fachaufsicht bewusst ausgeklammert hat und nur die Aufsicht in Selbstverwaltungsangelegenheiten einbeziehen wollte, zumal die staatlichen Auftragsangelegehenheiten überkommenen Rechts als auslaufende Materie angesehen wurden und entsprechend den Vorstellungen des Weinheimer Entwurfs in Selbstverwaltungsangelegenheien überführt werden sollten - eine Vorstellung, wie sie bis heute der Bestimmung des § 129 GO NRW zu Grunde liegt.

Vgl. Becker, in: Held/Becker/Decker/Kirchhof/ Krämer/Wansleben, Kommunalverfassungsrecht, Stand: Mai 2002, § 129 GO, Erl. 1; Vietmeier, Die staatlichen Aufgaben der Kommunen und ihrer Organe, 1992, S. 99.

An der sprachlichen Aufteilung der angesprochenen Aufsichtsbefugnisse in die allgemeine Aufsicht und die Sonderaufsicht unter Ausschluss der Fachaufsicht hat der Gesetzgeber auch nach zahlreichen Änderungen des Kommunalwahlgesetzes festgehalten, obwohl die Zuordnung der Fachaufsicht zum Gebiet der Auftragsangelegenheiten und deren Fortbestand als geklärt gelten können.

Vgl. Decker, in: Held/Becker/Decker/Kirchhof/ Krämer/Wansleben, a.a.O., § 116 GO, Erl. 4; Becker a.a.O., § 129 GO, Erl. 1 - 5.

Sie ist aus dessen Sicht auch folgerichtig. Denn der Bereich der staatlichen Auftragsangelegenheiten war und ist bis heute sehr heterogen und von den Erfordernissen der jeweils wahrgenommenen Aufgabe bestimmt.

Vgl. zu den unterschiedlichen Formen der Aufsicht: Groß, Was bedeutet "Fachaufsicht"? DVBl. 2002, 793.

Im Bereich der Auftragsangelegenheiten kraft Bundesrecht ist er zudem durch den Landesgesetzgeber nicht beeinflussbar. Neue Inkompatibilitäten könnten deshalb durch das Bundesrecht jederzeit begründet werden. Es lag auch unter diesem Gesichtspunkt nahe, die entsprechenden Bestimmungen nur auf den landesrechtlich abgegrenzten Bereich der Selbstverwaltungsangelegenheiten zu beziehen.

Allerdings bleibt einzuräumen, dass der Gesetzgeber nicht in jeder Phase der Rechtsentwicklung von einer Differenzierung der Aufsichtsformen ausgegangen ist. So wurde in dem durch das Gesetz zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes vom 14.12.1993 (GV. NRW. S. 992) eingefügten § 13 Abs. 5 Satz 2 KWahlG NRW bestimmt, dass Zuständigkeiten der Finanzämter nach steuerrechtlichen Vorschriften eine Unvereinbarkeit von Amt und Mandat nicht begründen. Dem lag der Umstand zu Grunde, dass die Gemeinden nach § 39 Abs. 6 EStG insoweit, als sie Lohnsteuerkarten ausstellen und Eintragungen auf den Lohnsteuerkarten vorzunehmen und zu ändern haben, örtliche Landesfinanzbehörden und damit Teil des staatlichen Aufgabenvollzuges sind. Aufgrund entsprechender Hinweise der zuständigen Wahlkreisleiter ging der Gesetzgeber davon aus, dass Bedienstete der Finanzämter nach der seinerzeit geltenden Rechtslage wegen der den Finanzämtern insoweit gegenüber den Gemeinden zustehenden (fach-)aufsichtlichen Befugnisse nicht den Vertretungen der beaufsichtigten Gemeinden angehören dürften. In der Begründung des Gesetzentwurfes wurde hierzu ausgeführt, dass die gesetzlichen Inkompatibilitätsbestimmungen eindeutig und Beamte und Angestellte aller Aufsichtbehörden erfasst seien.

Vgl. Begründung des Landesregierung zum Gesetzentwurf des Gesetzes zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes, LT-Drs. 11/6349, S. 1 und 3; ferner: LT-Plenarprotokoll 11/114 vom 8.12.1993.

Das im Jahre 1993 zugrunde gelegte Verständnis des § 13 Abs. 1 Satz 1 lit. c KWahlG NRW ist jedoch nicht geeignet, dieser Vorschrift einen anderen Regelungsinhalt beizumessen. Es lässt nämlich keine Schlüsse auf die Zielsetzung des historischen Gesetzgebers im Jahre 1954 zu. Auch hat der Gesetzgeber 1993 die bestehende Regelung nicht geändert und wollte dies auch nicht.

Für eine wortlautgebundene Auslegung der Vorschrift spricht auch deren Sinn. Die Bestimmungen über die Unvereinbarkeit von Amt und Mandat finden ihre Rechtfertigung in dem Ziel der Verhinderung von Interessenkonflikten. Sie dienen der Auflösung von Spannungsverhältnissen zwischen dem mit dem Gesetzesvollzug befassten Amt und dem (politischen) Mandat.

Vgl. Magiera in: Sachs, Grundgesetz, 2. Auflage 1999, Art. 137, Rdnr. 4; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Kommentar zum Grundgesetz, 9. Auflage 1999, Art. 137, Rdnr. 1c; Hausmann, Die Inkompatibilität im Gemeindeverfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1976, S. 52 - 56, jeweils m.w.N.

Soweit die Gemeinden der Aufsicht durch staatliche Behörden unterliegen, dienen die Inkompatibilitätsbestimmungen in erster Linie dem Schutz der Willensbildung auf gemeindlicher Ebene und damit dem Funktionsinteresse der Gemeindevertretung selbst und nicht dem der Aufsichtsbehörde, die Auswirkungen etwaiger Interessenskonflikte ihrer weisungsunterworfenen Beamten und Angestellten mit dienstrechtlichen Mitteln begegnen kann.

Vgl. Hausmann, a.a.O., S. 193 - 195.

Die Gefahr, dass kommunale Mandatsträger aufgrund ihrer Tätigkeit bei einer Aufsichtsbehörde Interessenkonflikten ausgesetzt sind, wächst mit dem Umfang gemeindlicher Entscheidungsfreiheit. Im Fall klassischer Selbstverwaltungsaufgaben steht den Gemeinden das Recht auf eine eigenverantwortliche Regelung ihrer Angelegenheiten zu. Auch die Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung zählen zu den Selbstverwaltungsangelegenheiten und setzen einen weisungsfreien Spielraum voraus.

Vgl. OVG NRW, Beschluss 16.3.1995 - 15 B 2839/93 -, NWVBl. 1995, 300 (301); VerfGH NRW, Urteil vom 15.2.1985 - VerfGH 17/83 -, DVBl. 1985, 685 (687); Rehn/Cronauge, Gemeindeordnung für Nordrhein-Westfalen, Stand: März 2001, § 3 GO, Erl. III.1; Vietmeier, Die Rechtsnatur der Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung in Nordrhein-Westfalen, DVBl. 1992, 413 (420 f.).

Konflikte mit den Aufsichtsbehörden liegen in diesem Bereich wesentlich näher als im Falle der Einbindung der Gemeinden in die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben. Ein Spannungsverhältnis zwischen kommunalem Mandat und staatlichem Amt liegt bei einer Einordnung der Gemeinde in den staatlichen Aufgabenvollzug, wie er im Fall der Auftragsverwaltung stattfindet, fern. Die Aufsichtsbehörde hat hier jederzeit die Möglichkeit, im Rahmen ihrer fachaufsichtsrechtlichen Befugnisse regelnd einzugreifen und konkrete Vorgaben für die Aufgabenwahrnehmung zu machen. Ein Entscheidungsspielraum der Gemeinde und insbesondere des Rates verbleibt hier regelmäßig nicht. Es besteht unter diesem Blickwinkel kein Anhaltspunkt für den der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Schluss, die Wahrnehmung von Auftragsangelegenheiten habe aufgrund der höheren Eingriffsintensität der Aufsicht in besonderer Weise die Gefahr von Interessenkonflikten zur Folge. So führt auch der vom VG angesprochene Fall ministerieller Vorgaben für die Bearbeitungszeiten von Anträgen auf Ausbildungsförderung oder hinsichtlich der personellen Ausstattung des Amtes für Ausbildungsförderung zu keinem solchen Konflikt. Soweit Belange der Gemeindebediensteten betroffen sind, unterliegt deren Regelung der Dienstaufsicht der Gemeinde und gegebenenfalls der allgemeinen Kommunalaufsicht, die nicht in die Zuständigkeit des MSWF fällt. Interessenkonflikte auf der Ebene des Rates sind insoweit ebenso fernliegend wie im Falle fachaufsichtlicher Vorgaben, die regelmäßig nicht zur Disposition der Gemeindevertretung stehen.

Vietmeier, Die staatlichen Aufgaben der Kommunen und ihrer Organe, 1992, S. 235.

Dessen ungeachtet fallen Angelegenheiten der Verwaltungsorganisation und der Ordnung des Dienstbetriebes innerhalb der Gemeinde in die Zuständigkeit des Bürgermeisters und zählen zu dessen unentziehbarer Organisationsbefugnis (§ 62 Abs. 1 Satz 3 GO NRW).

Vgl. Kirchhof, in: Held/Becker/Decker/Kirchhof/ Krämer/Wansleben, a.a.O., § 62 GO, Erl. 3 und 4; ferner: BVerwG, Beschluss vom 17.3.1987 - 6 P 15.85 -, MittNWStGB 1987, 180 (183).

Gleichwohl verbleibenden Interessenkonflikten kommunaler Mandatsträger bei einer etwaigen Auseinandersetzung zwischen Gemeindevertretung und Fachaufsichtsbehörde muss vor diesem Hintergrund mit den Ausschließungsgründen des § 31 GO NRW begegnet werden.

Schließlich ist der Umstand zu beachten, dass die Anordnung der Inkompatibilität von der Ermächtigung des Art. 137 Abs. 1 GG nur gedeckt ist, soweit sie gewählte Bewerber betrifft, deren berufliche Stellung die Möglichkeit von Interessen- und Entscheidungskonflikten nahelegt. Zwar kann der Gesetzgeber im Rahmen des ihm zustehenden Entscheidungsspielraums generalisierende Tatbestände schaffen, die an die Wahrscheinlichkeit einer Konfliktlage anknüpfen, er ist aber zu einer schonenden Gestaltung der gesetzlichen Vorgaben verpflichtet, um zu verhindern, dass eine zulässige Beschränkung des passiven Wahlrechts in dessen unzulässige Entziehung umschlägt.

BVerfG, Beschluss vom 5.6.1998 - 2 BvL 2/97 -, BVerfGE 98, 145 (158).

Dies legt bei der Auslegung des § 13 Abs. 1 Satz 1 lit. c KWahlG NRW eine besondere Zurückhaltung nahe, zumal die Inkompatibilität im Fall eines unbesoldeten Ehrenamtes zur Aufgabe des Mandats geradezu zwingt.

Eine analoge Anwendung der Inkompatibilitätsvorschrift auf Beschäftigte von Fachaufsichtbehörden kommt nicht in Betracht. Hierbei kann offen bleiben, ob dem - wie der Kläger meint - von vornherein ein Analogieverbot bei hoheitlichen Eingriffen entgegen stünde.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.8.1996 - 2 BvR 2088/93 -, DVBl. 1997, 351 mit kritischer Anmerkung Schwabe.

Selbst wenn man nämlich davon ausgeht, dass eine analoge Anwendung der Vorschrift trotz der damit verbundenen Einschränkung des passiven Wahlrechts denkbar ist, setzt ein solches Verständnis das Bestehen einer ausfüllungsbedürftigen Regelungslücke voraus. Diese kann nach dem Vorstehenden nicht angenommen werden.

b) Der Kläger ist hiernach nicht an der Ausübung des Ratsmandates gehindert. Das MSWF übt weder Befugnisse der allgemeinen Aufsicht noch der Sonderaufsicht über die Stadt A. aus.

Sonderaufsichtliche Befugnisse lassen sich entgegen der Auffassung des VG nicht aus dem Umstand herleiten, dass die Stadt A. als kreisfreie Stadt nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AG BAföG NRW Amt für Ausbildungsförderung ist, da die vom MSWF diesbezüglich ausgeübte Aufsicht in § 3 Abs. 1 AG BAföG NRW ausdrücklich als Fachaufsicht ausgestaltet ist und die Kreise und kreisfreien Städte insoweit im staatlichen Auftrag tätig werden.

Sonderaufsichtliche Befugnisse des MSWF bestehen gegenüber der kreisfreien Stadt A. auch nicht auf dem Gebiet des Schulwesens. Zwar steht gemäß § 14 SchVG NRW das gesamte Schulwesen unter der Aufsicht des Landes. Die staatliche Aufsicht über das Schulwesen, die nach Art. 7 Abs. 1 GG zwingend ist, vgl. Schnitt-Kammler, in: Sachs, a.a.O., Art. 7, Rdnrn. 7 - 21, gliedert sich in Nordrhein-Westfalen aber in die Schulaufsicht und die allgemeine Aufsicht, § 14 Abs. 1 Satz 2 SchVG NRW. Die Schulaufsicht umfasst nach § 14 Abs. 3 SchVG NRW die Dienstaufsicht über das in den Schulen tätige und im Dienst des Landes stehende Personal sowie die Fachaufsicht, die sich entsprechend § 13 Abs. 1 LOG NRW auf die rechtmäßige und zweckmäßige Wahrnehmung der Aufgaben richtet. Soweit dem MSWF gegenüber den Gemeinden als Schulträger (§ 2 i.V.m. § 10 SchVG NRW) mittelbar Befugnisse als oberster Schulaufsichtsbehörde zukommen, beziehen sich diese auf den genannten Bereich der Fachaufsicht. Dieser umfasst die allgemein lenkende und ordnende Tätigkeit des Landes auf dem Gebiet des Schulwesens und die Überwachung der einzelnen Schulen in Form der Anstaltsaufsicht.

So bereits Meyerhoff/Pünder/Schäfer, Schulverwaltungsgesetz und Schulfinanzgesetz Nordrhein-Westfalen, 2. Auflage 1968, S. 146; vgl. auch Margies/Roeser, Schulverwaltungsgesetz, 3. Auflage 1995, S. 163.

Die Fachaufsicht über die kommunalen Schulträger ist dabei Ausdruck des prinzipiellen Vorrangs der staatlichen Schulhoheit.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 11.3.1966 - VII C 141.65 -, BVerwGE 23, 351 (352 f.); Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, Band 1 Schulrecht, 3. Auflage 2000, Rdnr. 142.

Der Begriff der Schulaufsicht ist mithin weder der allgemeinen Aufsicht noch der Sonderaufsicht zuzuordnen. Soweit teilweise die Beteiligung der kommunalen Gebietskörperschaften an den Aufgaben der Schulaufsicht vorgesehen ist - in Nordrhein-Westfalen durch die Bildung von Mischbehörden in Form der auf der Ebene der Kreise und kreisfreien Städte eingerichteten staatlichen Schulämter als untere Landesbehörden (§ 9 Abs. 2 LOG NRW), die aus dem Landrat oder Oberbürgermeister und staatlichen Schulaufsichtsbeamten bestehen, nehmen die kommunalen Aufgabenträger ebenfalls keine Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung wahr. Denn sie sind insoweit in den staatlichen Aufgabenvollzug eingebunden. Dies ist bei Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung im Sinne des § 3 Abs. 2 GO NRW, denen der Begriff der Sonderaufsicht gemäß § 116 Abs. 2 GO NRW zugeordnet ist, gerade nicht in gleicher Weise der Fall.

Einzelne Rechtsetzungsermächtigungen zugunsten des MSWF - so kann das MSWF durch Rechtsverordnung Einzelheiten der schulfachlichen und organisatorischen Zusammenarbeit der Schulen (§ 5 Abs. 5 SchVG NRW) oder Schulbezirke festlegen (§ 9 Abs. 2 lit. b SchVG NRW) oder durch Erlass der Allgemeinen Schulordnung (§ 26 Abs. 1 SchVG NRW) den Schulbetrieb regeln - sind Ausdruck der umfassenden staatlichen Schulaufsicht. Sie lassen nicht den Schluss zu, das Ministerium übe sonderaufsichtliche Befugnisse über die Gemeinden als Schulträger aus.

Entsprechendes ergibt sich auch nicht aus § 14 Abs. 3 Satz 2 SchVG NRW. Hiernach hat die Schulaufsicht die pädagogische Selbstverantwortung zu pflegen, Schulträger, Schulleiter, Lehrer und Schüler zur Erfüllung der ihnen obliegenden Aufgaben anzuhalten und das Interesse der kommunalen Selbstverwaltung an der Schule zu fördern. Auch soweit hiermit die Gemeinden und Gemeindeverbände als Schulträger angesprochen sind, ergeben sich aus der Vorschrift keine Befugnisse der Sonderaufsicht. Die Formulierung "anzuhalten" lässt vielmehr Sanktionen nicht zu. In Streitfällen, ob eine von der Schulaufsicht angenommene Pflichtverletzung erfolgt ist, muss mit den Mitteln der Dienst- oder Fachaufsicht oder - soweit Angelegenheiten der Gemeinden als Schulträger (Äußere Schulangelegenheiten) betroffen sind - der allgemeinen Aufsicht vorgegangen werden.

Vgl. Avenarius/Heckel, Schulrechtskunde, 7. Auflage 2000, S. 254; Niehues, a.a.O., Rdnrn. 140 - 153; Margies/Roeser, a.a.O., § 14 SchVG, Rdnr. 18; Vietmeier, Die staatlichen Aufgaben der Kommunen und ihrer Organe, 1992, S. 212 f.

Sonderaufsichtliche Befugnisse des Ministeriums ergeben sich schließlich auch nicht aus § 7 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Unterhaltsbeihilfen für Schüler des Landes Nordrhein-Westfalen vom 26.6.1984 (GV. NRW. S. 365) - UBG NRW -. Soweit die Durchführung des Gesetzes den Kreisen und kreisfreien Städten als Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung obliegt und dem MSWF insoweit die Funktion einer obersten (Sonder-) Aufsichtsbehörde zufallen könnte, handelt es sich um auslaufendes Recht. Gemäß § 9 UBG NRW in der Fassung des Art. II Nr. 6 des Haushaltssicherungsgesetzes vom 17.12.1998 (GV. NRW. S. 750 <757>) werden Unterhaltsbeihilfen längstens bis einschließlich des Monats Dezember 1998 geleistet; das Gesetz tritt formell insgesamt zum 31.12.2002 außer Kraft. Ob allein mit Blick hierauf für den hier entscheidungserheblichen Zeitraum das Bestehen einer Sonderaufsicht verneint werden kann, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Denn das UBG NRW enthält jedenfalls keine Bestimmungen zu Art und Umfang eines Weisungsrechts, sondern verweist in § 3 nur allgemein auf die Vorschriften des Bundesausbildungsförderungsgesetzes. Mangels dieser nach § 3 Abs. 2, 2. Halbs. GO NRW erforderlichen Bestimmung fehlt es auch hier an einer gesetzlich geregelten Sonderaufsicht, die eine Unvereinbarkeit von Amt und Mandat zur Folge haben könnte.

Sonderaufsichtliche Befugnisse als hier allein in Betracht kommende Anwendungsvoraussetzungen des § 13 Abs. 1 Satz 1 lit. c KWahlG NRW kommen dem MSWF mithin nicht zu.

Ende der Entscheidung

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