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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 26.03.2009
Aktenzeichen: 15 A 939/06
Rechtsgebiete: KAG NRW


Vorschriften:

KAG NRW § 8 Abs. 4 Satz 4
1. Die Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen der Beitragsfähigkeit eines Straßenausbaus trägt die Gemeinde.

2. Zur notwendigen Dokumentation dieser tatsächlichen Voraussetzungen.

3. Die Festsetzung eines Gemeindeanteils von 20 % des beitragsfähigen Aufwands für Gehwege von Anliegerstraßen bewegt sich im Rahmen des satzungsgeberischen Ermessens.

4. Die undifferenzierte Festsetzung eines einheitlichen Anliegeranteils für Gehwege bei allen Straßentypen widerspricht § 8 Abs. 4 Satz 4 KAG NRW und ist deshalb, jedenfalls für Anliegerstraßen und Haupterschließungsstraßen, unzulässig.


Tatbestand:

Die Klägerin wandte sich gegen einen Straßenbaubeitragsbescheid, mit dem ein Beitrag für den Ausbau eines Gehweges gefordert wurde. Die Stadt hatte sich zu dem Ausbau aus Anlass der Verlegung von Versorgungsleitungen im Gehweg durch die Stadtwerke entschieden. Die Klägerin bemängelte, dass der Ausbau nicht notwendig gewesen und der Gemeindeanteil von 20 % des beitragsfähigen Aufwands zu niedrig sei. In der Berufungsinstanz hatte die Klage Erfolg.

Gründe:

Der Beitragstatbestand einer (nachmaligen) Herstellung in Form einer Erneuerung ist nicht gegeben. Eine Erneuerung liegt vor, wenn eine Straße, die infolge bestimmungsgemäßer Nutzung nach Ablauf der üblichen Nutzungszeit trotz ordnungsgemäßer Unterhaltung und Instandsetzung verschlissen ist, erneuert wird.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22.1.2009 - 15 A 3137/06 -, S. 7 des amtlichen Umdrucks, und Urteil vom 20.8.2002 - 15 A 583/01 -, NWVBl. 2003, 58 f.

Hier kann nicht festgestellt werden, dass die Voraussetzungen für eine beitragsfähige Herstellung vorliegen.

Zwar ist die übliche Nutzungszeit mit zum Ausbauzeitpunkt 39 Jahren überschritten. Es entspricht darüber hinaus ständiger Rechtsprechung des Senats, dass dann, wenn die übliche Nutzungszeit einer Straße längst abgelaufen ist, es für den Nachweis der Verschlissenheit keiner ins Einzelne gehenden Dokumentation bedarf. Denn dann indiziert bereits das Alter der Straße deren Abgenutztheit. Dies kann allerdings erst für eine vormalige Herstellung vor über 50 Jahren angenommen werden.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15.6.2007 - 15 A 1471/07 -, S. 2 des amtlichen Umdrucks.

Daher bedarf es hier einer ins Einzelne gehende Dokumentation der Verschlissenheit des Gehwegs. Die dazu dem Senat zugänglichen Erkenntnismittel lassen keinen Schluss auf die Verschlissenheit des Gehwegs zu.

Erforderlich ist gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, dass das Gericht die Überzeugung von den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen gewinnt, dem Gericht dürfen mit anderen Worten keine vernünftigen Zweifel daran verbleiben.

Vgl. OVG NRW, Urteile vom 12.12.2006 - 15 A 2173/04 -, S. 14 des amtlichen Umdrucks, und Urteil vom 14.3.2006 - 15 A 1845/04 -, S. 7 f. des amtlichen Umdrucks.

Solche Zweifel verbleiben. Die vom Beklagten vorgelegten Lichtbilder dokumentieren, dass der Gehweg nicht mehr vollständig plan war, sondern sich Pfützen bildeten und Spurrinnen vorhanden waren. Einzelne Platten waren beschädigt. Damit wird jedoch die Verschlissenheit des Gehwegs nicht zweifelsfrei belegt, sondern lediglich ein Unterhaltungs- und Instandsetzungsbedarf nachgewiesen, dem möglicherweise durch Neuverlegung der Platten auf einer wiederherzustellenden Bettung bzw. durch Pflasteraustausch in den betroffenen Bereichen hätte Rechnung getragen werden können. Dass mehr als nur Platten und Bettung von diesen Verschleißerscheinungen betroffen waren, lässt sich anhand der Unterlagen nicht feststellen. Unterhaltung und Instandsetzung sind jedoch beitragsfrei (§ 8 Abs. 2 Satz 1 KAG NRW).

Auch die Übersicht über die jährlichen Reparatureinsätze im ausgebauten Bereich belegen die Verschlissenheit nicht. Festzustellen ist, dass die jährlichen Reparatureinsätze im ausgebauten Bereich vor dem Ausbau höher als danach waren und einmal, nämlich 1997, mit 10 Einsätzen sogar einen zweistelligen Bereich erreichten. Dass alte Anlagen reparaturanfälliger als neue sind, belegt jedoch noch keine Verschlissenheit von alten Anlagen. Maßgeblich ist vielmehr, dass die Häufigkeit der Einsätze ein derartig unzumutbares Ausmaß erreicht haben, dass die Instandsetzung nicht mehr wirtschaftlich sinnvoll ist. Dann erst kann auf die Verschlissenheit der Anlage geschlossen werden. Das kann bei den hier in Rede stehenden überschaubaren Einsatzzahlen nicht festgestellt werden. Die bloße Senkung der Kosten für laufende Unterhaltung und Instandsetzung durch Erneuerung rechtfertigt keine nachmalige Herstellung.

Auch die Voraussetzungen für eine beitragsfähige Verbesserung können nicht festgestellt werden. Eine Verbesserung liegt vor, wenn durch die Ausbaumaßnahme die Ausstattung der Anlage entsprechend ihrer bisherigen verkehrstechnischen Konzeption hinsichtlich der räumlichen Ausdehnung (Erweiterung), hinsichtlich der funktionalen Aufteilung der Gesamtfläche oder hinsichtlich der Art der Befestigung vorteilhaft verändert wird. Diese vorteilhafte Veränderung ist unter verkehrstechnischen Gesichtspunkten zu beurteilen. Maßgebend ist also, ob der Verkehr bei Zugrundelegung der bisherigen verkehrstechnischen Konzeption (Trennsystem, Mischfläche, Fußgängerstraße) auf der neu gestalteten Anlage zügiger, geordneter, unbehinderter oder reibungsloser abgewickelt werden kann als vorher.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22.1.2009 - 15 A 3137/06 -, S. 8 des amtlichen Umdrucks, und Urteil vom 20.8.2002 - 15 A 583/01 -, NWVBl. 2003, 58 (60).

Das ist unter dem Gesichtspunkt der Verstärkung des Oberbaus nicht feststellbar. Nach dem bei den Ausbauakten befindlichen Arbeitsblatt vom 20. Februar 2002 wies der Gehweg einen Urzustand in Form von 4,5 cm starken Platten (am Rand zur Fahrbahn: Mosaiksteine) auf 3 cm Mörtel und 15 bis 30 cm Sand auf. Der Neuzustand besteht aus 8 cm starken Platten auf einem 4 cm starken Splitt-Sand-Gemisch auf einer 20 cm starken Schotterschicht. Somit wies der Oberbau früher eine Stärke zwischen 22,5 cm und 37,5 cm auf, während der neue Oberbau einheitlich 32 cm stark ist. Die Stärke des Oberbaus ist somit nur teilweise erhöht worden, zum Teil auch vermindert worden.

Der Einbau einer Schotter- statt einer Sandschicht dürfte zwar zu einer Erhöhung der Tragfähigkeit geführt haben. Jedoch ist diese Verbesserung derartig geringfügig, dass eine Neuerstellung der gesamten Teileinrichtung im Hinblick auf die durch den Ausbau ausgelöste Kostenfolge vom Grundsatz der Erforderlichkeit nicht mehr gedeckt ist, denn es bewegt sich nicht mehr im Rahmen des sachlich Vertretbaren, wegen dieses minimalen verkehrstechnischen Vorteils eine noch nicht abgenutzte Anlage neu zu erstellen.

Vgl. zu diesem die Beitragsfähigkeit ausschließenden Gesichtspunkt OVG NRW, Beschluss vom 13.12.2007 - 15 A 3332/07 -, S. 2 f. des amtlichen Umdrucks, und Urteil vom 28.8.2001 - 15 A 465/99 -, NVwZ-RR 2002, 299 (301).

Eine Verbesserung kann auch nicht unter dem Gesichtspunkt des erstmaligen Einbaus einer Frostschutzschicht begründet werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats stellt die erstmalige Anlegung einer Frostschutzschicht eine beitragsfähige Verbesserung dar.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15.6.2007 - 15 A 1471/07 -, S. 3 des amtlichen Umdrucks.

Es kann aber nicht festgestellt werden, dass tatsächlich gegenüber dem Vorzustand erstmalig ein frostsicherer Oberbau hergestellt wurde. Die Bodengruppe Sand gehört zu den Böden der Frostempfindlichkeitsklasse F 1.

Vgl. Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Erdarbeiten im Straßenbau (ZTVE-StB 94), Ausgabe 1994/Fassung 1997, Tabelle 1.

Nach Aktenlage wies somit der frostsichere Oberbau vor dem Ausbau eine Mächtigkeit von 22,5 cm bis 37,5 cm auf. Nach Punkt 5.2.1 der Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen (RStO 01), Ausgabe 2001, genügt für Gehwege in geschlossener Ortslage - wie hier - ein frostsicherer Oberbau von 20 cm, der somit bereits vor dem Ausbau existierte.

Wenn der Beklagte nunmehr vom genannten Akteninhalt abgehen und behaupten will, einen derartigen frostsicheren und darüber hinaus auch ausreichend tragfähigen Oberbau habe es im hier abgerechneten Teil der Straße nicht gegeben, stehen diese Behauptungen nicht zur Überzeugung des Senats fest. (Wird ausgeführt)

Bleibt somit die Verschlissenheit des Gehwegs im Altzustand und der Altaufbau ungeklärt, trifft dafür den Beklagten die Beweislast, der sich für die Rechtmäßigkeit seines Bescheides auf das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale einer beitragsfähigen Erneuerung und Verbesserung beruft.

Vgl. zur Verteilung der Beweislast OVG NRW, Urteil vom 28.8.2001 - 15 A 465/99 -, NWVBl. 2002, 150 (152).

Er hat es verabsäumt, rechtzeitig vor Beseitigung des Altzustands diesen sorgfältig und überzeugend zu dokumentieren, um die tatsächlichen Voraussetzungen für die Beitragsfähigkeit des Ausbaus beweisen zu können. Dies war hier auch deshalb angezeigt, weil der Ausbau gerade nicht darin motiviert lag , einen verschlissenen Gehweg zu erneuern oder einen Gehweg zu verbessern, sondern darin, die Verlegung von Versorgungsleitungen durch die Stadtwerke zum bloßen Anlass zu nehmen, den Gehweg auszubauen.

Somit kommt es nicht weiter darauf an, ob der Bescheid darüber hinaus rechtswidrig ist, weil die Satzung mit einem Gemeindeanteil von 20 % des beitragsfähigen Aufwands nichtig ist, wie die Klägerin geltend macht. Dies ist allerdings zu verneinen. Nach § 8 Abs. 4 Satz 4 KAG NRW bleibt dann, wenn die Anlage erfahrungsgemäß auch von der Allgemeinheit oder von der Gemeinde selbst in Anspruch genommen wird, bei der Ermittlung des Aufwandes ein dem wirtschaftlichen Vorteil der Allgemeinheit oder der Gemeinde entsprechender Betrag außer Ansatz. Auch für die Bemessung des Beitrags der Anlieger ist deren durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme gebotener wirtschaftlicher Vorteil maßgeblich (vgl. § 8 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 6 Satz 1 KAG NRW).

Wie der Senat für den Gemeindeanteil bei Fahrbahnen von Haupterschließungsstraßen entschieden hat, kommt es bei der vom Satzungsgeber im Rahmen der Festsetzung des Gemeindeanteils vorzunehmenden Abwägung zwischen dem wirtschaftlichen Vorteil der Allgemeinheit und dem der Anlieger nicht auf eine schematische Gegenüberstellung der absoluten Zahlen der Durchgangsverkehrsvorgänge einerseits und der Anliegerverkehrsvorgänge andererseits an, sondern auf eine Gewichtung der Verkehrsvorgänge. Dabei ist es erlaubt, dem Anliegerverkehrsvorgang ein höheres Gewicht als dem Durchgangsverkehrsvorgang zuzumessen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22.1.2009 - 15 A 3137/06 -, S. 4 ff. des amtlichen Umdrucks.

Unter Anlegung dieses Maßstabs liegt die Festsetzung eines Gemeindeanteils von 20 % des beitragsfähigen Aufwandes für Gehwege von Anliegerstraßen wie die hier in Rede stehende Straße, die überwiegend der Erschließung der angrenzenden oder durch private Zuwegung mit ihr verbundenen Grundstücke dienen (vgl. § 3 Abs. 3 Buchstabe a SBS), im Rahmen des satzungsgeberischen Ermessens. Allerdings setzt die Beitragssatzung hier für Gehwege bei allen Straßenarten unterschiedslos einen Anliegeranteil von 80 % fest. Dies widerspricht § 8 Abs. 4 Satz 4 KAG NRW. Die undifferenzierte Festsetzung eines Anliegeranteils für Gehwege bei allen Straßentypen ist, jedenfalls für Anliegerstraßen und Haupterschließungsstraßen, unzulässig, da sie entgegen der oben genannten Vorschrift den Umstand außer Acht lässt, dass Gehwege von Haupterschließungsstraßen auch dem Durchgangsfußgängerverkehr innerhalb von Baugebieten oder innerhalb von im Zusammenhang bebauten Ortsteilen dienen und damit erfahrungsgemäß in größerem Umfang von der Allgemeinheit in Anspruch genommen werden als Gehwege von Anliegerstraßen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27.2.2009 - 15 B 210/09 -, S. 5 f. des amtlichen Umdrucks.

Daran scheitert die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides jedoch nicht. Nach dem Grundsatz der regionalen Teilbarkeit kommt es alleine darauf an, ob die Beitragssatzung Regelungen enthält, die zur Verteilung des in dem konkreten Abrechnungsgebiet entstandenen Aufwands geeignet sind, ob also mit anderen Worten für den Abrechnungsfall des konkret in Rede stehenden Ausbaus eine ausreichende satzungsrechtliche Grundlage vorliegt.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30.11.2007 - 15 A 3064/07 -, S. 3 des amtlichen Umdrucks, und Urteil vom 15.3.2005 - 15 A 636/03 -, NWVBl. 2005, 317 f.

Das ist für den Gemeindeanteil bei Gehwegen von Anliegerstraßen - wie oben aufgeführt - hier der Fall.

Ende der Entscheidung

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