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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 19.07.2006
Aktenzeichen: 15 B 1214/06
Rechtsgebiete: GO


Vorschriften:

GO § 37 Abs. 5 Satz 1
Zum Anhörungsrecht der Bezirksvertretung gemäß § 37 Abs. 5 Satz 1 GO (hier: Schließung einer öffentlichen Einrichtung)
Tatbestand:

Eine Beschlussvorlage für den Rat der Stadt J sah ein neues Bäderkonzept vor, nach dem an zentraler Stelle - außerhalb des Stadtbezirks I - ein zentrales Sport- und Freizeitbad errichtet werden sollte. Im Gegenzug sollten aus finanziellen Gründen mehrere vorhandene Bäder, darunter u.a. das im Bezirk I gelegene L.-Bad geschlossen und einer Nachnutzung zugeführt werden. Dagegen wandte sich die Antragstellerin (Bezirksvertretung von I), nachdem sie zu den Plänen angehört worden war. Mit Beschluss vom 8.2.2006 lehnte sie das Bäderkonzept ab und machte nähere Vorgaben für die ausstehende Beschlussfassung des Rates. Am 2.3.2006 beschloss der Rat sodann u.a. die sofortige Schließung des L.-Bades. Das Begehren der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes blieb in beiden Instanzen erfolglos.

Gründe:

Der Antrag der Antragstellerin, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, die sofortige Schließung des L.-Bades bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren auszusetzen, hilfsweise, den Antragsgegner zu verpflichten, den Oberbürgermeister als Aufsichtsratsvorsitzenden anzuweisen, dafür zu sorgen, dass die J.-GmbH bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren keine baulichen oder sonstigen Maßnahmen an dem L.-Bad vornehmen lässt, ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO zulässig, aber nicht begründet.

Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Im Hinblick auf die Funktion der einstweiligen Anordnung, durch vorläufige Regelungen zu gewährleisten, dass effektiver Rechtsschutz nicht durch zwischenzeitliche Entwicklungen vereitelt wird, sondern auch durch eine später ergehende Hauptsacheentscheidung noch sichergestellt werden kann, handelt es sich bei dem Anordnungsanspruch nicht um den Anspruch auf Erlass der einstweiligen Anordnung selbst, sondern um den materiellen Anspruch, den der Antragsteller als Kläger im Hauptsacheverfahren geltend macht.

Vgl. Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 123 Rn. 77.

Die von der Klägerin im Hauptsacheverfahren verfolgten Ansprüche bestehen nicht, so dass auch ein Anordnungsanspruch nicht gegeben ist.

Für den im Klageverfahren mit dem Hauptantrag geltend gemachten Anspruch, den Beschluss des Rates vom 2.3.2006 hinsichtlich der Ziffer 4 - Schließung und Verwertung des L.-Bades - aufzuheben und den Rat anzuweisen, erneut im Sinne des Beschlusses der Bezirksvertretung vom 8.2.2006 zu entscheiden, ist eine Rechtsgrundlage nicht ersichtlich. Mit dem genannten Beschluss vom 8.2.2006 hat die Antragstellerin das Bäderkonzept 2006 der Stadt abgelehnt und nähere Vorgaben für die Beschlussfassung des Antragsgegners gemacht. Ein Anspruch darauf, dass der Antragsgegner in diesem Sinne entscheidet, steht der Antragstellerin nicht zu. Er folgt insbesondere nicht aus § 37 Abs. 5 Satz 1 GO, wonach die Bezirksvertretung zu allen wichtigen Angelegenheiten, die den Stadtbezirk berühren, zu hören ist. Es liegt auf der Hand, dass mit diesem Anhörungsrecht nicht der Anspruch verbunden werden kann, dass der Gemeinderat einer im Rahmen der Anhörung abgegebenen Stellungnahme der Bezirksvertretung inhaltlich folgt.

Geht man davon aus, in dem oben genannten Klageantrag sei - als Minus - das im ersten Halbsatz formulierte Aufhebungsbegehren enthalten, so bestünde der geltend gemachte Anspruch auf Aufhebung des Ratsbeschlusses nicht. Nach der Verwaltungsgerichtsordnung kommt kassatorische Wirkung allein dem Urteil zu (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) , das auf eine erfolgreiche Anfechtungsklage gemäß § 42 VwGO ergeht. Die hier erhobene Klage ist aber keine Anfechtungsklage, denn der Ratsbeschluss ist kein Verwaltungsakt i.S.v. §§ 42, 113 VwGO.

Der mit dem hilfsweise gestellten Klageantrag, den Oberbürgermeister gemäß § 119 GO anzuweisen, den Schließungs- und Verwertungsbeschluss des Antragsgegners vom 2.3.2006 in bezug auf das L.-Bad zu beanstanden, verfolgte Anspruch besteht ebenfalls nicht. Dies gilt unabhängig davon, ob der Ratsbeschluss rechtmäßig oder - wie die Antragstellerin meint - rechtswidrig ist. Sollte der Ratsbeschluss rechtswidrig sein, so hätte der Bürgermeister zwar nach § 54 Abs. 2 VwGO die Pflicht, den Ratsbeschluss zu beanstanden. Dritte, also insbesondere Bürger, aber auch Bezirksvertretungen, haben aber keine Klagebefugnis für eine Klage auf Einschreiten des Bürgermeisters oder der Aufsichtsbehörde.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 2.5.2006 - 15 A 817/04 -, mwN.

Zur Vermeidung unnötiger weiter Verfahren bzw. Klageänderungen im Klageverfahren weist der Senat im Hinblick auf die von den Beteiligten vertretenen Rechtspositionen auf Folgendes hin:

Der strittige Ratsbeschluss vom 2.3.2006 verletzt die Antragstellerin nicht in Entscheidungszuständigkeiten der Bezirksvertretung nach § 37 Abs. 1 GO oder - wie die Antragstellerin meint - § 10 Abs. 2 lit. b der Hauptsatzung der Stadt (HS). Ebenso wenig ist derzeit erkennbar, dass die Klägerin in ihrem Anhörungsrecht gemäß § 37 Abs. 5 Satz 1 GO verletzt wäre. Von daher kann offen bleiben, ob aus derartigen Rechtsverletzungen ein Anordnungsanspruch abgeleitet werden könnte.

Gemäß § 37 Abs. 1 GO entscheiden die Bezirksvertretungen unter Beachtung der Belange der gesamten Stadt und im Rahmen der vom Rat erlassenen allgemeinen Richtlinien in allen Angelegenheiten, deren Bedeutung nicht wesentlich über den Stadtbezirk hinausgeht, insbesondere in den in § 37 Abs. 1 GO enumerativ aufgeführten Angelegenheiten. Nach § 37 Abs. 1 Satz 2 GO sind die näheren Einzelheiten in der Hauptsatzung zu regeln, auf die folglich der Blick zunächst zu lenken ist. Insoweit bestimmt § 10 Abs. 2 lit. b HS, dass die Bezirksvertretungen zuständig sind insbesondere für die Ausbauplanung zum Neu-, Um- und Ausbau sowie Unterhaltung und Ausstattung der öffentlichen Einrichtungen. § 10 Abs. 2 lit. b HS betrifft damit gerade nicht die Entscheidung über die Errichtung bzw. Aufhebung öffentlicher Einrichtungen, die durch den Ratsbeschluss vom 2.3.2006 getroffen worden ist. Ebenso wenig ergibt sich die Zuständigkeit der Antragstellerin aus § 10 Abs. 1 Satz 1 HS. Nach dieser inhaltlich mit § 37 Abs. 1 Satz GO übereinstimmenden Regelung entscheiden die Bezirksvertretungen in allen Angelegenheiten, deren Bedeutung nicht wesentlich über den Stadtbezirk hinausgeht. Eine solche Angelegenheit liegt hier nicht vor, denn der Ratsbeschluss vom 2.3.2006 hat bezirksübergreifende, gesamtstädtische Bedeutung. Schließlich betrifft der vorliegende Fall auch keine der in § 37 Abs. 1 Satz 1 GO enumerativ aufgeführten Angelegenheiten, die in die Entscheidungszuständigkeit der Bezirksvertretung fallen.

Gemäß § 37 Abs. 5 Satz 1 GO sind die Bezirksvertretungen zu allen wichtigen Angelegenheiten, die den Stadtbezirk berühren, zu hören. Nach Satz 2 der genannten Vorschrift ist der Bezirksvertretung insbesondere vor der Beschlussfassung des Rates über Planungs- und Investitionsvorhaben im Bezirk und über Bebauungspläne für den Bezirk Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die Wichtigkeit einer Angelegenheit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der der rechtsanwendenden Gemeinde keinen Beurteilungsspielraum eröffnet, sondern umfassender gerichtlicher Nachprüfung unterliegt.

Vgl. Rehn/Cronauge, GO NRW, § 37 Anm. 2.

In § 10 Abs. 5 lit. a bis v HS werden die § 37 Abs. 5 GO unterfallenden Angelegenheiten konkretisiert. Im vorliegenden Zusammenhang ist § 10 Abs. 5 lit. l von Bedeutung, wonach zu den vorgenannten Angelegenheiten insbesondere die Planung, Errichtung, wesentliche Änderung und Aufhebung (einschließlich Raumprogramm) von öffentlichen Einrichtungen zählt. Dementsprechend ist die Antragstellerin - dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig - rechtzeitig über die Möglichkeit der Aufhebung einer öffentlichen Einrichtung, nämlich der Schließung des L.-Bades, informiert worden. Hinsichtlich des Zeitpunkts der Schließung heißt es in der Beschlussvorlage vom 5. 1.2006, zu der die Antragstellerin angehört worden ist: "Die Anlagen, die nicht in einem zukünftigen Bäderkonzept vorgesehen sind, sind nach (Hervorhebung durch den Senat) Fertigstellung des zentralen Sport- und Freizeitbades am Standort M. zu schließen und einer Nachnutzung zuzuführen." In dem Ratsbeschluss vom 2.3.2006 ist - auf einen von der Beschlussvorlage vom 5.1.2006 abweichenden Beschlussvorschlag von zwei Ratsfraktionen - entschieden worden, dass das L.-Bad ab sofort (Hervorhebung durch den Senat) nicht mehr betrieben wird. Der im Ratsbeschluss vom 2.3.2006 verfügte Schließungszeitpunkt weicht damit von dem in der Beschlussvorlage vom 5.1.2006 angedachten Schließungszeitpunkt ab, weil das zentrale Sport- und Freizeitbad am Standort M am 2.3.2006 noch nicht fertiggestellt war. Nach derzeitigem Erkenntnisstand stand der Antragstellerin jedoch kein Anspruch zu, vor der Beschlussfassung des Rates am 2.3.2006 über den Beschlussvorschlag der Fraktionen von D und T und damit über die Möglichkeit der sofortigen Betriebseinstellung des L.-Bades informiert zu werden. § 10 Abs. 5 lit. l HS ist nicht zu entnehmen, dass die Bezirksvertretung auch über den genauen Zeitpunkt der Aufhebung einer öffentlichen Einrichtung zu informieren wäre. Zur Beantwortung dieser Frage ist auf die Generalklausel in § 37 Abs. 5 Satz 1 GO zurückzugreifen. Die in dieser Norm geregelte Anknüpfung des Anhörungsrechts an die Wichtigkeit der Angelegenheit trägt der Vielgestaltigkeit der denkbaren Lebenssachverhalte Rechnung, deren Einordnung in das Raster etwa von Regelbeispielen nur in begrenztem Maße möglich ist. Dementsprechend lässt sich die Frage, ob neben dem "Ob" der Aufhebung einer öffentlichen Einrichtung auch das "Wann" eine wichtige, das Anhörungsrecht auslösende Angelegenheit darstellt, nur unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalles, insbesondere der Verhältnisse im Bezirk, beantworten. Im vorliegenden Beschwerdeverfahren kommt insoweit den Darlegungen der Antragstellerin besondere Bedeutung zu. Diesen ist nicht zu entnehmen, dass auch dem Schließungszeitpunkt ein Gewicht zukam, das ihm den Charakter einer wichtigen, eine vorherige Information der Bezirksvertretung erfordernden Angelegenheit verlieh. Denn der im Beschwerdeverfahren angeführte Vortrag, an dem sich die Antragstellerin durch den von ihr gerügten Anhörungsmangel gehindert sieht, bezieht sich gar nicht auf die Frage des Schließungszeitpunkts des L.-Bades, sondern richtet sich gegen dessen Schließung als solche. So heißt es in der Beschwerdebegründung, hätte die Bezirksvertretung von der sofortigen Schließung des L.-Bades "rechtzeitig Kenntnis gehabt, wäre sie sicherlich mit ihren Argumenten gegen die Schließung des L.-Bades beim Rat vorstellig geworden". Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Antragstellerin bereits auf Grund der ihr rechtzeitig zugeleiteten Beschlussvorlage vom 5.1.2006 damit rechnen musste, dass der Antragsgegner in seiner Sitzung vom 2.3.2006 eine verbindliche Entscheidung über die - wenn auch erst zu einem späteren Zeitpunkt vorzunehmende - Schließung des L.-Bades treffen würde. Wie bereits das VG in der Begründung des angegriffenen Beschlusses ausgeführt hat, oblag es deshalb der Antragstellerin, sämtliche aus ihrer Sicht gegebenen Argumente gegen die Schließung des L.-Bades bereits vor der Sitzung vom 2.3.2006 geltend zu machen. Sollten dem zeitliche Gründe entgegengestanden haben, so wäre es Sache der Antragstellerin gewesen, gegebenenfalls eine Verschiebung der Ratssitzung anzuregen.

Der am 17.9.2006 stattfindende Bürgerentscheid zum Bäderkonzept der Stadt führt nicht zu einer Verbesserung der Rechtsposition der Antragstellerin im vorliegenden Verfahren. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats besteht weder für den Rat noch für andere Organe oder Behörden eine "Entscheidungssperre", wen parallel ein denselben Sachverhalt betreffendes Verfahren zur Herbeiführung eines Bürgerbegehrens bzw. Bürgerentscheids betrieben wird.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19.3.2004 - 15 B 522/04 -, NWVBl. 2004, 346, mwN.

Dies gilt auch dann, wen der Termin für den Bürgerentscheid bereits bestimmt worden ist.

Ende der Entscheidung

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