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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 16.12.2003
Aktenzeichen: 15 B 2455/03
Rechtsgebiete: GG, GO NRW


Vorschriften:

GG Art. 20 Abs. 2
GO NRW § 26
Die Befugnis von Gemeindeorganen, sich zu einem kassatorischen Bürgerbegehren wertend zu äußern, erfährt Einschränkungen durch Kompetenznormen, den Grundsatz der Freiheit der Teilnahme an Bürgerbegehren und das Sachlichkeitsgebot.
Tatbestand:

Die Antragsteller sind Vertreter eines Bürgerbegehrens, das sich dafür einsetzt, den M.-Platz anders als in einem Beschluss einer Bezirksvertretung der antragsgegnerischen Stadt vorgesehen auszubauen. Während Unterschriften für das Bürgerbegehren gesammelt wurden, wandte sich die Bezirksvorsteherin des betroffenen Stadtbezirks öffentlich gegen das Bürgerbegehren. Im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes erstrebten die Antragsteller, der Stadt die Wiederholung verschiedener von der Bezirksvorsteherin gemachter Äußerungen zu untersagen, nämlich "Die Bezirksvorsteherin ruft die Bürger auf, das Bürgerbegehren nicht zu unterstützen." (Äußerung Nr. 1), "Wer hier unterschreibt, zementiert einen unhaltbaren Zustand. Das ist keine Initiative für, sondern gegen den Stadtbezirk." (Äußerung Nr. 2), "Abgesehen von der optischen Scheußlichkeit ist die Zahl an Stellplätzen nur unter Inkaufnahme einer großen Verkehrsgefährdung machbar." (Äußerung Nr. 3), "Wenn das Bürgerbegehren kommt, herrscht Stillstand im Stadtbezirk. Dann ist der Platz im Eimer." (Äußerung Nr. 4) und "Ich werde dann die Namen derer nennen, die für den Stillstand verantwortlich sind." (Äußerung Nr. 5). Der Antrag blieb in beiden Instanzen erfolglos.

Gründe:

Die Antragsteller haben keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Der in einem Hauptsacheverfahren zu verfolgende Anordnungsanspruch, um dessen Sicherung es im vorliegenden Verfahren geht, ist ein öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch, der auf Unterlassen der im Antrag genannten Äußerungen gerichtet ist. Der Anspruch setzt voraus, dass durch eine drohende Wiederholung der beanstandeten, der Antragsgegnerin zuzurechnenden Äußerungen der Bezirksvorsteherin als hoheitliche Eingriffe in ein subjektives Recht der Antragsteller ein rechtswidriger Zustand geschaffen würde. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, weil die beanstandeten Äußerungen rechtmäßig sind und daher kein rechtswidriger Zustand einzutreten droht.

Die beanstandeten Äußerungen stellen jeweils eine hoheitliche Handlung dar. Die Bezirksvorsteherin der Bezirksvertretung hat sich in ihrer Funktion als städtisches Organ (vgl. § 36 Abs. 2 Satz 2 GO NRW) und somit hoheitlich geäußert.

Vgl. dazu, dass es für die Einstufung einer Äußerung als hoheitlich darauf ankommt, ob sie von einem Hoheitsträger in amtlicher Eigenschaft gemacht wird, BVerwG, Urteile vom 14.4.1988 - 3 C 65.85 -, NJW 1989, 412 (413) und vom 17.1.1980 - 7 C 42.78 -, BVerwGE 59, 319 (325).

Das gilt einerseits für die Äußerungen, die in den von den Antragstellern eingereichten Presseartikeln über eine Pressemitteilung bzw. ein Interview der Bezirksvorsteherin enthalten sind. Dort äußerte sie sich nicht etwa als Parteimitglied, sondern als Bezirksvorsteherin. Soweit sich die Antragsteller auch auf ein Flugblatt stützen (offener Brief an die Bürgerinnen und Bürger), sind die dort enthaltenen Äußerungen von der Bezirksvorsteherin allerdings erkennbar nicht in ihrer amtlichen Eigenschaft getätigt worden. Sie ist als eine der Unterzeichner lediglich mit ihrem Namen ohne Amtsbezeichnung aufgeführt, und im Kopf des Flugblatts wird für ein Informationsgespräch mit Vertretern der Parteien zum Thema der Umgestaltung des M.-Platzes geworben. Jedoch kommt es darauf für den geltend gemachten Anspruch nicht an, da die insoweit beanstandete Äußerung (nämlich das Bürgerbegehren nicht zu unterstützen) auch in den genannten Zeitungsartikeln sowie in einer Presseerklärung der Stadt enthalten ist.

Diese hoheitlichen Äußerungen sind auch grundsätzlich geeignet, in ein Recht der Antragsteller einzugreifen, nämlich das Recht der Antragsteller auf gesetzliche Durchführung eines Bürgerbegehrens (§ 26 Abs. 1 und 9 Satz 1 GO NRW). Die Gemeindeordnung gewährt in diesen Vorschriften den Bürgern eines Stadtbezirks das Recht zu beantragen, anstelle der Bezirksvertretung über eine Angelegenheit, für welche die Bezirksvertretung zuständig ist, zu entscheiden. In dieses Recht kann sowohl unmittelbar durch Anordnung und Zwang gegenüber den Teilnehmern an einem Bürgerbegehren eingegriffen werden als auch, was hier allein in Betracht kommt, mittelbar durch nicht imperative Einwirkungen auf die Bürger, ihr Recht, das Bürgerbegehren zu unterzeichnen und damit einen Bürgerentscheid zu beantragen, in bestimmter Weise auszuüben.

Inhaber des geltend gemachten Unterlassungsanspruchs zur Wahrung des Rechts auf gesetzliche Durchführung eines Bürgerbegehrens wären, wenn er bestünde, wie bei allen Rechten hinsichtlich eines Bürgerbegehrens die Antragsteller als Vertreter des Bürgerbegehrens.

Vgl. OVG NRW, Urteile vom 25.9.2001 - 15 A 2445/97 -, NWVBl. 2002, 110 (111), und vom 9.12.1997 - 15 A 974/97 -, DVBl. 1998, 785.

Jedoch besteht der Unterlassungsanspruch nicht, weil die inkriminierten Äußerungen keinen rechtswidrigen Eingriff in das Recht auf gesetzliche Durchführung eines Bürgerbegehrens darstellen. Die Bezirksvorsteherin war zu den beanstandeten Äußerungen berechtigt.

Die Bezirksvorsteherin unterliegt bei ihren Äußerungen entgegen der Auffassung der Antragsteller keinem Neutralitätsgebot wie bei Wahlen. Allerdings gebieten bei der Wahl als Grundakt demokratischer Legitimation die Wahlrechtsgrundsätze der Wahlfreiheit und Wahlgleichheit in der besonderen Form der Chancengleichheit, dass staatliche Stellen nicht in mehr als nur unerheblichem Maße parteiergreifend auf die Bildung des Wählerwillens einwirken, sie insofern also einem Neutralitätsgebot unterliegen.

Vgl. BVerfG, Urteile vom 8.2.2001 - 2 BvF 1/00 -, NJW 2001, 1048 (1050 f.), und vom 2.3.1977 - 2 BvE 1/76 -, BVerfGE 44, 125 (138 ff.); BVerwG, Urteil vom 8.4.2003 - 8 C 14.02 -, DVBl. 2003, 943 (946), Beschluss vom 19.4.2001 - 8 B 33.01 -, NVwZ 2001, 928 (929); OVG NRW, Urteil vom 18.3.1997 - 15 A 6240/96 -, NWVBl. 1997, 395.

Hier geht es jedoch nicht um diesen Grundakt demokratischer Legitimation, sondern um die Entscheidung einer konkreten Sachfrage im Wege direkter Demokratie, und zwar in der besonderen Form eines kassatorischen Bürgerbegehrens, das begrifflich voraussetzt, dass die - vollständige oder teilweise - Beseitigung eines Rats- bzw. Bezirksvertretungsbeschlusses durch Aufhebung oder Änderung erstrebt wird.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28.1.2003 - 15 A 203/02 -, NWVBl. 2003, 312 (313).

Daraus ergibt sich, dass die Organe der Gemeinde - wie auch sonst bei der gemeindlichen Willensbildung im Verfahren des Rats- bzw. Bezirksvertretungsbeschlusses - nicht zur Neutralität verpflichtet sind, sondern sogar im Gegenteil gehalten sein können, öffentlich zu dem Sachbegehren wertend Stellung zu nehmen. Im repräsentativ-demokratischen Verfahren der gemeindlichen Willensbildung sind Organe oder Organteile der Antragsgegnerin in vielfältiger Form beteiligt, u.a. dadurch, dass der Bürgermeister die Beschlüsse des Rates und der Bezirksvertretung vorbereitet, insbesondere auch durch Beschlussempfehlungen (§ 62 Abs. 2 Satz 1 GO NRW). Die Mitglieder des Rates und der Bezirksvertretungen, aber auch der Bürgermeister (vgl. §§ 36 Abs. 7 Satz 1 2. Halbsatz, 69 Abs. 1 Satz 2 GO NRW) können sich durch Debattenbeiträge an der Beratung beteiligen. Bei einem kassatorischen Bürgerbegehren - wie hier - hat sogar schon eine Willensbildung der Gemeinde im repräsentativ-demokratischen Wege stattgefunden. Hier repräsentiert die Bezirksvorsteherin als Vorsitzende der Bezirksvertretung (§ 36 Abs. 2 Satz 2 GO NRW) die Bezirksvertretung, die den angegriffenen Beschluss gefasst hat. Sie hat alles Erforderliche zu veranlassen, um die Durchführung des Beschlusses der Bezirksvertretung durch den Bürgermeister (§ 62 Abs. 2 GO NRW) zu ermöglichen. Darüber hinaus sieht auch das Recht des Bürgerbegehrens selbst vor, dass Gemeindeorgane inhaltlich zu dem Bürgerbegehren Stellung nehmen können: Gemäß § 26 Abs. 6 Satz 3 GO NRW ist ein Bürgerentscheid nur durchzuführen, wenn der Rat dem zulässigen Bürgerbegehren nicht entspricht. Spätestens in diesem Stadium sieht also das Gesetz die regelmäßige inhaltliche Befassung von Gemeindeorganen mit dem sachlichen Ziel des Bürgerbegehrens in öffentlicher Sitzung (§ 48 Abs. 2 Satz 1 GO NRW) vor und damit auch einen Beschlussvorschlag des Bürgermeisters in Vorbereitung des Beschlusses.

Wird statt des gewöhnlichen Verfahrens der gemeindlichen Willensbildung der Weg des Bürgerentscheids gewählt, der einen Rats- oder Bezirksvertretungsbeschluss ersetzen soll, so folgt daraus nicht die Verpflichtung der Gemeindeorgane, sich nunmehr aus der gemeindlichen Willensbildung herauszuhalten und Neutralität zu üben. Dementsprechend haben die an einem Bürgerbegehren und Bürgerentscheid teilnehmenden Bürger ebenso wenig einen Anspruch auf Neutralität der Gemeindeorgane wie es die Rats- bzw. Bezirksvertretungsmitglieder im repräsentativ-demokratischen Verfahren haben.

Ebenso ein Neutralitätsverbot verneinend für Volksbegehren und Volksentscheid: BayVerfGH, Entscheidung vom 19.1.1994 - Vf. 89, 92 - III - 92 -, NVwZ-RR 1994, 529 (530 f.); Oebbecke, Die rechtlichen Grenzen amtlicher Einflussnahme auf Bürgerbegehren und Bürgerentscheid, BayVBl. 1998, 641 (644 f.); kritisch Morlok/Voss, Grenzen der staatlichen Informationstätigkeit bei Volksentscheiden, BayVBl. 1995, 513 (516 ff.); a.A. wohl BayVGH, Beschluss vom 10.1.2000 - 4 ZE 99.3678 -, NVwZ-RR 2000, 454; Hofmann, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in der kommunalen Praxis, VR 1997, 156 (162).

Schranken für die hier in Rede stehenden Äußerungen ergeben sich auch nicht aus den Grundsätzen über mittelbare Grundrechtseingriffe durch nicht imperatives staatliches Handeln.

Vgl. zu diesen im Einzelnen umstrittenen Schranken: BVerfG, Beschluss vom 26.6.2002 - 1 BvR 558/91 u.a. -, NJW 2002, 2621 (2622 ff.); BVerwG, Urteil vom 27.3.1992 - 7 C 21.90 -, NJW 1992, 2496 (2498 f.); Murswiek, Staatliche Warnungen, Wertungen, Kritik als Grundrechtseingriffe, DVBl. 1997, 1021 ff.; Brohm, Rechtsstaatliche Vorgaben für informelles Verwaltungshandeln, DVBl. 1994, 133 (134 ff.); Di Fabio, Grundrechte im präzeptoralen Staat am Beispiel hoheitlicher Informationstätigkeit, JZ 1993, 689 ff., Heintzen, Staatliche Warnungen als Grundrechtsproblem, VerwArch. 1990 (Bd. 81), 532 ff.

Denn hier geht es nicht um den Schutz eines grundrechtlichen Freiheitsraums vor staatlichen Eingriffen, sondern um den Schutz der einfach gesetzlichen Gewährleistung der unmittelbaren Beteiligung der Bürger an der gemeindlichen Willensbildung.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 9.7.1997 - 2 BvR 389/94, BVerfGE 96, 231 (239 ff.) zur fehlenden grundrechtlichen Betroffenheit der Gesamtheit der Unterzeichner eines Volksbegehrens bei einem Verstoß gegen ein vermeintliches Recht auf Chancengleichheit bei der Durchführung eines Volksentscheids.

Die Grenzen des Äußerungsrechts der Antragsgegnerin durch die Bezirksvorsteherin zu dem Bürgerbegehren der Antragsteller ergeben sich vielmehr aus den Kompetenznormen für die sich äußernden Gemeindeorgane, den fachgesetzlichen Normen des betroffenen Rechtskreises, hier des Rechtes des Bürgerbegehrens, und den allgemein das hoheitliche Handeln bestimmenden Rechtsnormen, insbesondere dem Rechtsstaatsprinzip, hier in Form des Sachlichkeitsgebots: Das Bürgerbegehren gewährleistet eine Mitwirkung der Bürger an der gemeindlichen Willensbildung neben der ansonsten vorgesehenen gemeindlichen Willensbildung durch Rats- bzw. Bezirksvertretungsbeschluss. Wenn Gemeindeorgane sich zu einem Bürgerbegehren in amtlicher Eigenschaft äußern, ist erstens - wie für jedes amtliche Handeln - erforderlich, dass sich das jeweilige Gemeindeorgan im Rahmen seiner kommunalverfassungsrechtlichen Kompetenzen bewegt, zweitens dass die dem Bürgerbegehren als Ausdruck unmittelbarer Demokratie zukommende Teilnahmefreiheit gewahrt bleibt, und drittens dass die allgemein hoheitliches Handeln bestimmenden Gebote der Wahrhaftigkeit und Sachlichkeit als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzip beachtet werden.

Gemessen an diesen Maßstäben verletzen die beanstandeten Äußerungen der Bezirksvorsteherin das Recht der Antragsteller auf gesetzliche Durchführung eines Bürgerbegehrens nicht. Die Kompetenz der Bezirksvorsteherin zur Abgabe der beanstandeten Äußerungen ergibt sich aus den §§ 36 und 37 GO NRW. Nach diesen Vorschriften werden Bezirksvertretungen mit näher bestimmten Kompetenzen eingerichtet, deren Vorsitzender der Bezirksvorsteher ist. Zu den Aufgaben eines Vorsitzenden der Bezirksvertretung gehört es jedenfalls, Beschlüsse der Bezirksvertretung, hier den Beschluss über die Umgestaltung des M.-Platzes, in der Öffentlichkeit zu vertreten und zu verteidigen, hier gegenüber dem Bürgerbegehren der Antragsteller, die eine Änderung des genannten Beschlusses erreichen wollen.

Durch die beanstandeten Äußerungen wird die Freiheit zur Teilnahme am Bürgerbegehren mittels Unterzeichnung nicht verletzt. Mit dem Unterzeichnungs- und späteren Abstimmungsverfahren "Bürgerbegehren und Bürgerentscheid" üben die Bürger im Wege unmittelbarer Demokratie Staatsgewalt aus (Art. 20 Abs. 2 GG). Ungeachtet der obigen Feststellung, dass es bei Bürgerbegehren im Gegensatz zur Wahl ein Neutralitätsgebot nicht gibt, vgl. zur Unterscheidung von Wahl- und Abstimmungsrechtsgrundsätzen: Sachs, Grundgesetz, 3. Aufl., Art. 20 Rn. 18, 34; insoweit nicht näher unterscheidend aber BVerfG, Beschluss vom 17.11.1994 - 2 BvB 1/93 -, BVerfGE 91, 262 (267); zu Abstimmungen im Rahmen von Volksentscheiden über die Neugliederung des Bundesgebietes Beschluss vom 2.4.1974 - 2 BvP 1,2/71 -, BVerfGE 37, 84 (90 f.), handelt es sich beim Bürgerbegehren und Bürgerentscheid jedoch um ein Abstimmungsverfahren zur staatlichen Willensbildung, das demokratische Legitimation nur verleihen kann, wenn es frei ist.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.11.1994 - 2 BvB 1/93 -, BVerfGE 91, 262 (267).

Das bedeutet - insofern nicht anders als beim Grundsatz der Wahlfreiheit -, dass jeder am Bürgerbegehren und Bürgerentscheid teilnehmende Bürger sein Unterschrifts- und Abstimmungsrecht ohne Zwang oder sonstige unzulässige Beeinflussung von außen ausüben kann. Er soll sein Urteil in einem freien, offenen Prozess der Meinungsbildung gewinnen können.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.4.1984 - 2 BvC 2/83 -, BVerfGE 66, 369 (380); allgemein zum Grundsatz der Wahlfreiheit: Schreiber, Handbuch des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag, 5. Aufl., § 1 BWahlG, Rn. 13 ff.

Gegen die so verstandene Unterzeichnungsfreiheit verstoßen die Äußerungen Nr. 1 bis 4 nicht, weil mit ihnen lediglich zu einem bestimmten, nämlich ablehnenden Beteiligungsverhalten bezüglich des Bürgerbegehrens aufgerufen und eine Bewertung des Sachanliegens des Bürgerbegehrens vorgenommen wird. Demgegenüber könnte die Äußerung Nr. 5 geeignet sein, die Unterzeichnungsfreiheit zu beeinträchtigen, wenn die Ankündigung der Bezirksvorsteherin, sie werde dann (nämlich wenn das Bürgerbegehren kommt) die Namen derer nennen, die für den Stillstand verantwortlich seien, dahin zu verstehen wäre, es würden die Namen der Unterzeichner des Bürgerbegehrens von der Bezirksvorsteherin gleichsam mit Prangerwirkung veröffentlicht. Darin läge ein Zwang gegenüber potenziellen Unterzeichnern des Bürgerbegehrens, der in unzulässiger Weise deren Unterzeichnungsfreiheit einschränkte. Indes ist die Äußerung nicht in diesem Sinne zu verstehen. Dies verdeutlicht bereits der Zusammenhang, in dem sie gefallen ist. Mit ihr kündigt die Bezirksvorsteherin Konsequenzen für den Fall an, dass das von ihr negativ bewertete Bürgerbegehren sein Ziel erreicht. Es ist daher naheliegend, dass diese Konsequenzen die Urheber des Bürgerbegehrens treffen sollen. Demgegenüber liegt es fern, in der Äußerung eine Drohung dahingehend zu sehen, jeder einzelne der über 2000 notwendigen Unterzeichner des Bürgerbegehrens werde als Verantwortlicher öffentlich benannt. Zumindest nach der erstinstanzlichen Klarstellung, dass mit der genannten Äußerung nur die Initiatoren des Bürgerbegehrens gemeint seien, gibt es keinen Grund, noch eine auf die Bürger ausgeübte unzulässige Zwangswirkung durch die Äußerung anzunehmen.

Über diese die Unterzeichnungsfreiheit betreffenden Schranken hinaus haben sich amtliche Äußerungen an den allgemeinen Grundsätzen für rechtsstaatliches Verhalten in der Ausprägung des Willkürverbots und des Verhältnismäßigkeitsprinzips (auch außerhalb des grundrechtlichen Bereichs) zu orientieren.

Vgl. zu den rechtsstaatlichen Anforderungen einer staatlichen Äußerung: BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats), Beschluss vom 15.8.1989 - 1 BvR 881/89 -, NJW 1989, 3269 (3270); BVerwG, Beschluss vom 13.3.1991 - 7 B 99/90 -, NJW 1991, 1770 (1771), Urteil vom 23.5.1989 - 7 C 2.87 -, BVerwGE 82, 76 (83); OVG NRW, Urteil vom 22.5.1990 - 5 A 2694/88 -, NVwZ 1991, 176 (178); s. auch zu den Anforderungen an die Begründung eines Bürgerbegehrens: OVG NRW, Urteil vom 23.4.2002 - 15 A 5594/00 -, DÖV 2002, 961.

Dies bedeutet als Sachlichkeitsgebot zusammengefasst, dass mitgeteilte Tatsachen zutreffend wiedergegeben werden müssen und Werturteile nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen und den sachlich gebotenen Rahmen nicht überschreiten dürfen sowie auf einem im Wesentlichen zutreffenden und zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruhen müssen. Außerdem dürfen die Äußerungen im Hinblick auf das mit der Äußerung verfolgte sachliche Ziel im Verhältnis zur Unterzeichnungsfreiheit der Bürger nicht unverhältnismäßig sein.

Diesen Anforderungen genügen die beanstandeten Äußerungen: Äußerung 1 beinhaltet die zusammenfassende Empfehlung an die Bürger, sich nicht am Bürgerbegehren zu beteiligen. Eine solche Empfehlung entspricht ohne weiteres den genannten Anforderungen. Die Äußerungen 2 bis 4 stellen Bewertungen des vom Bürgerbegehren erstrebten Ziels dar, deren sachliche Unvertretbarkeit von den Antragstellern weder substantiiert behauptet noch für den Senat erkennbar ist. Auch stellen sie sich trotz der Deutlichkeit der Worte (unhaltbarer Zustand, optische Scheußlichkeit, Platz im Eimer) nicht als unverhältnismäßige Einwirkung auf die Bürger dar. Letzteres trifft auch auf die Äußerung 5 zu, wenn man sie, wie hier geboten, auf die Namhaftmachung der politischen Verantwortlichkeit der Vertreter des Bürgerbegehrens bezieht.

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