Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 27.09.2002
Aktenzeichen: 15 B 855/02
Rechtsgebiete: GO NRW


Vorschriften:

GO NRW § 50 Abs. 3
1. Soll ein Mitglied eines Ratsausschusses durch eine andere Person ersetzt werden, so ist dies - neben dem Rücktritt des Mitglieds und einer Nachfolgerwahl nach § 50 Abs. 3 Satz 5 GO NRW - entsprechend § 50 Abs. 3 Satz 1 GO NRW durch einstimmigen Beschluss der Ratsmitglieder über die Annahme eines einheitlichen Wahlvorschlages, auf den sich die Ratsmitglieder geeinigt haben, möglich.

2. Für das Merkmal der Einigung der Ratsmitglieder auf einen Wahlvorschlag in § 50 Abs. 3 Satz 1 GO NRW reicht es nicht aus, dass nur eine nicht die Mehrheit des Rates umfassende Fraktion einen Wahlvorschlag unterbreitet, auch wenn dieser einstimmig angenommen wird.


Tatbestand:

Die Antragstellerin ist Mitglied des Antragsgegners (Rat einer kreisfreien Stadt) und Mitglied im Schulausschuss. Nachdem sie aus ihrer Fraktion (A-Fraktion) ausgetreten war, stellte diese ohne vorherige Absprache mit Mitgliedern anderer Fraktionen in einer Ratssitzung, zu der auch zum Tagesordnungspunkt "Wahlen/Ersatzwahlen zu den Ausschüssen" eingeladen war, den Antrag, die ihrer Fraktion zustehenden Stellen für ordentliche oder stellvertretende Mitglieder im Schulausschuss neu zu besetzen, indem sie als nunmehriges ordentliches Mitglied den früheren 1. Stellvertreter, als 1. Stellvertreter den früheren 2. Stellvertreter und als 2. Stellvertreter eine weitere Person benannte. Im Ergebnis sollte die Antragstellerin damit aus dem Ausschuss herausgewählt werden. Der Bürgermeister stellte bei der Abstimmung über diesen Antrag Einstimmigkeit fest. Der Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen den Rat, sie vorläufig als ordentliches Mitglied des Schulausschusses zu behandeln, hatte im Beschwerderechtszug Erfolg.

Gründe:

Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht (§ 123 VwGO i.V.m. § 920 der Zivilprozessordnung). Es ist überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragstellerin wegen Unwirksamkeit des Neubesetzungsbeschlusses nach wie vor Mitglied im Schulausschuss ist, sodass sie einen zu sichernden Anordnungsanspruch in Form des Mitgliedschaftsrechts hat.

Zum Tagesordnungspunkt 5a "Wahlen/Ersatzwahlen zu den Ausschüssen" lag ein Antrag der B-Fraktion vor, der Veränderungen im Bauausschuss, Kulturausschuss, Sozialausschuss und Werksausschuss betraf. Erstmals in der Sitzung stellte die A-Fraktion den hier maßgeblichen, den Schulausschuss betreffenden Antrag.

Die Wahl zur Neubesetzung des Schulausschusses ist nicht gesetzeskonform durchgeführt worden. § 50 Abs. 3 GO NRW regelt drei verschiedene Wahlverfahren für die Besetzung von Ausschüssen: Satz 1 regelt die Besetzung durch einstimmigen Beschluss, die Sätze 2 bis 4 regeln die Wahl nach den Grundsätzen der Verhältniswahl auf Grund von Wahllisten, und Satz 5 regelt die Wahl eines Nachfolgers für ein vorzeitig ausgeschiedenes Ausschussmitglied. Hier hat der Antragsgegner von dem Wahlverfahren des Satzes 1 (einstimmiger Beschluss) Gebrauch gemacht. Dessen Voraussetzungen lagen jedoch nicht vor.

Das Verfahren nach Satz 5 war nicht anzuwenden, da die Antragstellerin aus dem Ausschuss nicht ausgeschieden war. Die Regelung schafft keinen Grund dafür, dass ein Ausschussmitglied ausscheidet, sondern setzt dies voraus. Auch das Wahlverfahren nach den Sätzen 2 bis 4 (Verhältniswahl) war nicht anzuwenden. Dieses Verfahren kommt von vorneherein nur bei der Besetzung aller Ausschussstellen in einem Wahlgang in Betracht. Denn durch die Verhältniswahl soll im Interesse des Minderheitenschutzes sichergestellt werden, dass eine Mehrheit im Rat eine Minderheit bei der Ausschussbesetzung nicht übergeht. Da es hier jedoch um die Abwahl der Antragstellerin mit Aufrücken der bisherigen Stellvertreter und Neubesetzung der sodann freien zweiten Stellvertreterstelle ging, konnte keine Verhältniswahl stattfinden.

Vgl. zur Unzulässigkeit eines Mehrheitsbeschlusses bei der Ersetzung eines Ausschussmitgliedes auch durch eines derselben Fraktion: Verwaltungsvorschriften zur Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, RdErl. des Innenministers vom 4. September 1984, SMBl. 2020, Nr. 5 zu § 35 GO a.F.; Kirchhof, in: Held u.a., Kommunalverfassungsrecht Nordrhein-Westfalen, Loseblattsammlung (Stand: Mai 2002), § 50 GO Erl. 8; Rehn/Cronauge, Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, Loseblattsammlung (Stand: Januar 2002), § 50 Erl. 5.

Auch das Verfahren nach Satz 1 ist von seinem unmittelbaren Regelungsgehalt her nicht einschlägig, da es wie auch das Verhältniswahlsystem nach den Sätzen 2 bis 4 die Besetzung freier Ausschussstellen betrifft, nicht aber die Abwahl eines bereits gewählten Ausschussmitglieds bei gleichzeitiger Wahl eines anderen auf diese Stelle. Die Neubesetzung von Ausschussstellen durch Abberufung eines Mitglieds und Wahl eines anderen ist in der Gemeindeordnung überhaupt nicht vorgesehen. Allerdings ist eine Neubesetzung jedenfalls in der Weise möglich, dass das jeweilige Ausschussmitglied auf seine Mitgliedschaft verzichtet und für die so frei gewordene Stelle nach § 50 Abs. 3 Satz 5 GO NRW ein Nachfolger bestellt wird.

Zur Niederlegung des Ausschusssitzes als eine Möglichkeit des Ausscheidens aus dem Ausschuss s. Dieckmann/Heinrichs, Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, § 50 Erl. 4.

Daneben ist ein Verfahren analog der Regelung des § 50 Abs. 3 Satz 1 GO NRW eröffnet. Die Vorschrift wurde durch Art. 1 Nr. 16 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Gemeindeordnung, der Kreisordnung und anderer kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften vom 15.5.1979 (GV NRW S. 408) eingefügt und ergänzte die bislang nur vorgesehene Verhältniswahl nach Wahlvorschlägen.

Vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung, LT-Drs. 8/3152, S. 13; Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kommunalpolitik, Wohnungs- und Städtebau, LT-Drs. 8/4352, S. 16 f.

Die Möglichkeit, Ausschüsse statt durch Verhältniswahl durch einstimmigen Beschluss zu besetzen, war auch ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage anerkannt, weil dadurch, dass nur ein einziger Wahlvorschlag vorliegt, zu dessen Bestätigung Einstimmigkeit erforderlich ist, dem Grundsatz des Minderheitenschutzes, den die Verhältniswahl sichern soll, ausreichend Rechnung getragen wird.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 3.11.1954 - III A 353/54 -, OVGE 10, 143 (147).

Diese Erwägungen rechtfertigen es, eine Neubesetzung von Ausschussstellen auch im Wege des § 50 Abs. 3 Satz 1 GO NRW vorzunehmen.

Im Ergebnis bejaht von Kirchhof, a.a.O., § 50 GO Erl. 8 und Dieckmann/Heinrichs, Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, § 50 Erl. 4.

Die Voraussetzungen dieses Verfahrens lagen jedoch hier nicht vor. Nach § 50 Abs. 3 Satz 1 GO NRW ist ein einstimmiger Ratsbeschluss nur über einen einheitlichen Wahlvorschlag, auf den sich die Ratsmitglieder geeinigt haben, möglich. Mit dem Merkmal der Einheitlichkeit wird konkretisiert, dass nur ein einziger Vorschlag konkurrenzlos zur Beschlussfassung unterbreitet werden darf. Daneben kommt dem weiteren Merkmal der Einigung (auf den Wahlvorschlag) selbstständige Bedeutung zu. Es kann offen bleiben, welche Anforderungen insoweit zu stellen sind, insbesondere ob der Vorschlag von allen Ratsmitgliedern eingebracht werden muss oder ob es ausreicht, wenn zumindest die Mehrheit der Ratsmitglieder den Vorschlag vorlegt.

Für Letzteres Kirchhof, a.a.O., § 50 GO Erl. 6.5.

Jedenfalls reicht es für die Anwendung des Verfahrens nach § 50 Abs. 3 Satz 1 GO NRW nicht aus, wenn - wie hier durch die A-Fraktion - nur eine nicht die Mehrheit des Rates umfassende Fraktion einen Wahlvorschlag unterbreitet, auch wenn dieser einstimmig angenommen wird. Andernfalls würde allein dem Einstimmigkeitserfordernis der Vorschrift Genüge getan, zugleich aber verkannt, dass die Regelung als weiteres Tatbestandsmerkmal voraussetzt, dass sich die Ratsmitglieder auf einen einheitlichen Wahlvorschlag geeinigt haben. Würde man dieses Merkmal solchermaßen übergehen, erschöpfte sich der Regelungsgehalt der Vorschrift darin, dass eine Ausschussbesetzung auch durch einstimmigen Beschluss über einen wie auch immer zustande gekommenen Wahlvorschlag erfolgen könnte. Das Merkmal der Einigung würde damit, obwohl es in der Vorschrift ausdrücklich benannt wird und ausformuliert ist, als schlichtweg bedeutungslos behandelt. Dem Gesetzgeber kann aber nicht unterstellt werden, dass er bedeutungslose Voraussetzungen aufstellt.

Für etwaige Erwägungen, ob allgemeine Wahlverfahrensgrundsätze es rechtfertigen, für eine Wahl zur Ausschussbesetzung auch stets einen einstimmigen Beschluss über Wahlvorschläge genügen zu lassen, ist kein Raum. Dem steht § 50 Abs. 3 Satz 1 GO NRW entgegen, der den Fall einer Besetzung von Ausschussstellen durch einstimmigen Beschluss abschließend regelt. Der Gesetzgeber hat danach gerade für einen solchen einstimmigen Beschluss weitere Voraussetzungen aufgestellt, nämlich den einheitlichen Wahlvorschlag, auf den sich die Ratsmitglieder geeinigt haben. Angesichts dessen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Gemeindeordnung ohne eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung eine Neubesetzung, die nicht nur mit der Wahl eines neuen Ausschussmitgliedes, sondern mit der Abwahl eines bereits gewählten Mitgliedes verbunden ist, durch schlichten einstimmigen Beschluss ohne einen einheitlichen Wahlvorschlag, auf den sich die Ratsmitglieder geeinigt haben, erlaubt.

Nach alledem war die Wahl des 1. Stellvertreters zum Mitglied des Schulausschusses an die Stelle der Antragstellerin rechtswidrig, sodass sie den oben genannten Anordnungsanspruch hat.

Auch ein Anordnungsgrund ist gegeben. Bei der danach anzustellenden Abwägung, ob eine einstweilige Anordnung zur Sicherung des Anordnungsanspruchs erfolgen soll, ist zu berücksichtigen, dass im Kommunalverfassungsstreit nicht - wie im Außenrechtsstreit - über Individualrechte, sondern über innerorganisatorische Kompetenzen zu entscheiden ist. Diese, nämlich hier das Recht auf weitere Mitwirkung im Schulausschuss, sind der Antragstellerin nicht um ihrer selbst willen, sondern im Interesse der Gemeinde zugewiesen und daher weder aus den Grundrechten herzuleiten noch im Schutzbereich der Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes) angesiedelt. Gemessen daran kommt es für den Anordnungsgrund in einem Kommunalverfassungsstreit nicht auf die subjektive Betroffenheit des jeweiligen Antragstellers, sondern darauf an, ob die einstweilige Anordnung im Interesse der Körperschaft objektiv notwendig bzw. - bei einer Vorwegnahme der Hauptsache - unabweisbar erscheint.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12.6.1992 - 15 B 2283/92 -, DVBl. 1993, 212 (213); kritisch zu diesem Ansatz Bracher, Zum einstweiligen Rechtsschutz im verwaltungsgerichtlichen Organstreit, NWVBl. 1994, 409 ff.

Hier geht es um die Wahrung der gesetzlichen Regeln über die Wahl von Ausschussmitgliedern und damit nicht um Detailfragen der rechtlichen Ausgestaltung der Ausschussarbeit für die Ausschussmitglieder, sondern um die Fundamentalnorm der Kreation der Ausschussmitglieder, um das Mitgliedschaftsrecht zur Gänze. Sowohl der Rang des Rechtssatzes, dessen Verletzung durch die einstweilige Anordnung abgewendet werden soll, als auch die Bedeutung der konkreten Angelegenheit für die Gemeinde sind daher von so hohem Gewicht, dass eine einstweilige Anordnung objektiv notwendig erscheint.

Vgl. zu diesen Kriterien für die Prüfung eines Anordnungsgrundes im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bei einem Kommunalverfassungsstreit OVG NRW, Beschluss vom 20.7.1992 - 15 B 1643/92 -, DVBl. 1993, 213 (215).

Ende der Entscheidung

Zurück