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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 17.07.2007
Aktenzeichen: 15 B 874/07
Rechtsgebiete: GO NRW


Vorschriften:

GO NRW § 26
Richtet sich ein Bürgerbegehren auf eine Entscheidung, die der Verwirklichung einer in Gang gesetzten Bauleitplanung entgegenstünde, unterfällt es nicht dem Ausschlusstatbestand des § 26 Abs. 5 Nr. 6 GO NRW (Aufstellung, Änderung, Ergänzung und Aufhebung von Bauleitplänen).
Tatbestand:

In der politischen Diskussion einer Gemeinde gibt es Überlegungen, das städtische Rathaus zu beseitigen und das Gelände für ein Einkaufszentrum zu nutzen. Entsprechende bauleitplanerische Verfahren und ein vorbereitender Vertrag mit einem Investor sind eingeleitet. Gegen den Abriss wendet sich ein Bürgerbegehren. Der Stadtrat stellte die Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens gemäß § 26 Abs. 5 Nr. 6 GO NRW fest. Die Vertreter des Bürgerbegehrens beantragten den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, dem Rat aufzugeben, die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens festzustellen. Der Antrag blieb in beiden Instanzen erfolglos, allerdings allein wegen eines fehlenden Anordnungsgrundes.

Gründe:

Zwar ist ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, es fehlt jedoch am Anordnungsgrund (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

Der im Hauptsacheverfahren zu verfolgende Anspruch auf Verpflichtung des Antragsgegners zur Feststellung der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens dürfte entgegen der Auffassung des Antragsgegners nicht daran scheitern, dass es nach § 26 Abs. 5 Nr. 6 GO NRW unzulässig wäre. Nach dieser Vorschrift ist ein Bürgerbegehren unzulässig über die Aufstellung, Änderung, Ergänzung und Aufhebung von Bauleitplänen. Dies hat das Bürgerbegehren nicht zum Gegenstand, sodass nach dem Wortlaut der Norm kein unzulässiges Bürgerbegehren vorliegt. Das Bürgerbehren richtet sich gegen einen in der öffentlichen Diskussion befindlichen Rathausabriss und stellt die Frage zur Entscheidung "Soll das Neue Rathaus ... erhalten bleiben?" Danach soll nicht über eine Bauleitplanung entschieden werden, sondern über den Erhalt und die Nutzung eines städtischen Gebäudes.

Richtig ist allerdings, dass zur Vorbereitung der ins Auge gefassten Errichtung eines Einkaufszentrums anstelle des Rathauses bauplanerische Maßnahmen eingeleitet wurden, insbesondere wurden Einleitungsbeschlüsse zur Änderung bzw. Teilaufhebung des Flächennutzungsplanes und eines Bebauungsplanes gefasst und die Aufstellung eines Bebauungsplanes "Einkaufszentrum Innenstadt" beschlossen. Derartige Maßnahmen sind von einer Entscheidung durch Bürgerbegehren ausgeschlossen. Diese sind aber nicht Gegenstand des Bürgerbegehrens, insbesondere darf die Stadt die entsprechende Bauleitplanung weiter betreiben. Betroffen wäre die Bauleitplanung, so sie denn im beabsichtigten Sinne zum Abschluss gebracht wird, allein in ihrer Verwirklichung: Solange ein eventueller Bürgerentscheid, der die Beseitigung des Rathauses untersagt, Bestand hat, könnte eine Bauleitplanung, die an der Stelle des Rathauses ein Einkaufszentrum vorsieht, nicht verwirklicht werden, weil der Eigentümer in Gestalt der Stadt das Baugelände nicht zur Verfügung stellt.

Es besteht kein Grund, den Wortlaut des § 26 Abs. 5 Nr. 6 GO NRW in einem weiteren Sinne auszulegen, sodass auch bereits Entscheidungen, die der Verwirklichung einer in Gang gesetzten Bauleitplanung entgegenstünden, von dem Ausschlusstatbestand erfasst wären. Dagegen sprechen bereits systematische Gründe: Der vergleichbare Ausschlusstatbestand des § 26 Abs. 5 Nr. 5 GO NRW betrifft Planfeststellungsverfahren, förmliche Verwaltungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung und bestimmte Zulassungsverfahren. Hier schließt das Gesetz nicht etwa nur Entscheidungen in diesen Verfahrensarten vom Bürgerbegehren aus, sondern "Angelegenheiten, die im Rahmen [solcher Verfahren] zu entscheiden sind". Mit dieser betont weiten Umschreibung zielt der Ausschlusstatbestand in einem umfassenden Sinne auf Sachentscheidungen, die auf das planungs- oder zulassungsbedürftige Vorhaben gerichtet sind.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 5.2.2002 - 15 A 1965/99 -, NWVBl. 2002, 346 (348).

Demgegenüber beschreibt Nr. 6 dieser Vorschrift als dem Bürgerbegehren nicht eröffnete Gegenstände nicht etwa "Angelegenheiten, die im Rahmen von Bauleitplänen zu entscheiden sind", sondern in weitaus präziserer Wortwahl "die Aufstellung, Änderung, Ergänzung und Aufhebung von Bauleitplänen". Angesichts dieser unterschiedlichen Formulierungen weiter und enger gefasster Ausnahmetatbestände vergleichbarer Art in ein und derselben Vorschrift kann nicht davon ausgegangen werden, dass Nr. 6 einen ähnlich weit gefassten Bereich wie Nr. 5 abdecken soll.

Auch Sinn und Zweck des Ausschlussgrundes der Nr. 6 legen eine erweiternde Auslegung nicht nahe: Die Regelung, Bauleitpläne umfassend dem Anwendungsbereich des Bürgerbegehrens zu entziehen, ist in der nahe liegenden Überlegung begründet, dass solche mit Öffentlichkeitsbeteiligung zu treffende Entscheidungen eine Vielzahl öffentlicher und privater Interessen zu berücksichtigen und abzuwägen haben, die sich nicht in das Schema einer Abstimmung mit "Ja" oder "Nein" pressen lassen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24.4.2002 - 15 A 5594/00 -, NVwZ-RR 2002, 766 (767).

Darum geht es hier nicht: Es ist keine planerische Entscheidung zu treffen, ob nach den Vorstellungen der Stadt an der Stelle des jetzigen Rathauses die Errichtung eines Einkaufszentrums bauplanungsrechtlich zulässig sein soll, sondern lediglich, ob ein durch eine solche Bauleitplanung zukünftig vielleicht ermöglichtes Vorhaben auch unter Einsatz des städtischen Grundstücks verwirklicht werden soll.

Eine erweiternde Auslegung der Vorschrift über den Wortlaut hinaus wäre allenfalls dann gerechtfertigt, wenn das Bürgerbegehren mittelbar auf eine Bauleitplanung gerichtet wäre und sich nur in das formelle Gewand einer anderen Frage kleidete. Wo die Grenze verläuft zwischen einem dem Bürgerbegehren zugänglichen Gegenstand jenseits der Bauleitplanung und einer in das Gewand einer anderen Maßnahme gekleideten unzulässigen bauplanerischen Entscheidung ist jedoch eine Frage des Einzelfalles.

Vgl. ähnlich zum Planfeststellungsverfahren OVG NRW, Urteil vom 28.1.2003 - 15 A 203/02 -, NWVBl. 2003, 312 (315).

Hier geht es dem Bürgerbegehren darum, dass eine öffentliche Sache im Verwaltungsgebrauch und möglicherweise zum Teil auch eine öffentliche Einrichtung als solche erhalten bleiben und nicht zugunsten der Errichtung eines Einkaufszentrums zur Verfügung gestellt werden. Das ist ein zweifelsfrei dem Bürgerbegehren zugänglicher Gegenstand. Die Bauleitplanung ist nur insofern tangiert, als die Stadt in Vorbereitung der geplanten Freigabe des städtischen Grundstücks für die Errichtung des Einkaufszentrums bauplanerische Entscheidungen eingeleitet hat. Das Bürgerbegehren wendet sich der Sache nach und nicht nur vorgeschoben in der Hauptsache gegen die geplante Freigabe, während die Bauleitplanung dafür ein nur vorbereitendes Element und damit nicht der eigentliche Gegenstand des Bürgerbegehrens ist.

Der Senat verkennt nicht, dass durch einen erfolgreichen Bürgerentscheid zwar nicht die rechtlichen, aber wohl die politischen und wirtschaftlichen Grundlagen für ein weiteres Vorantreiben des Projekts im Hinblick auf die Bauleitplanung und vertragliche Abmachungen mit einem Bauträger gefährdet sind. Insoweit könnte das beabsichtigte Projekt nämlich binnen zweier Jahre erst nach einem erneuten Bürgerentscheid mit anderem Ergebnis oder ohne einen solchen erst nach Ablauf dieser Frist in Umsetzung eines den Bürgerentscheid aufhebenden Ratsbeschlusses verwirklicht werden (§ 26 Abs. 8 GO NRW). Für die "Sperrzeit" blieben die dem Vorhaben dienenden bauleitplanerischen Vorstellungen auf dem Papier.

Dennoch ist der Gesichtspunkt einer Störung gemeindlicher Planungssicherheit kein Gesichtspunkt, der zur Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens führt, da Planungsunsicherheit für ein über längere Zeit angelegtes Vorhaben schon angesichts der turnusmäßigen Neubesetzung politischer Gremien im Rahmen von Wahlen nichts Ungewöhnliches ist: Hier ist etwa auch der Antragsgegner unbeschadet des Standes der Bauleitplanung und zu einem späteren Zeitpunkt nicht gehindert, einer Veräußerung des Rathausgrundstücks entgegenzutreten und damit die Verwirklichung des Vorhabens zu verhindern. Soweit es um gegenläufige Bürgerbegehren geht, hätte der Antragsgegner es in der Hand gehabt, Planungssicherheit durch einen Grundsatzbeschluss über die Freigabe des Rathausgeländes für ein Einkaufszentrum - unter dem Vorbehalt baurechtlicher Zulässigkeit - zu schaffen. Ein solcher Beschluss hätte außer durch den Antragsgegner selbst nur durch ein fristgebundenes kassatorisches Bürgerbegehren beseitigt werden können (§ 26 Abs. 3 GO NRW), bei dessen Erfolglosigkeit er durch ein Bürgerbegehren nicht mehr hätte in Frage gestellt werden können.

Vgl. zur Unterscheidung kassatorischer und initiierender Bürgerbegehren und zum Bestand erfolglos durch Bürgerbegehren angegriffener Ratsbeschlüsse OVG NRW, Urteil vom 28.1.2003 - 15 A 203/02 -, NWVBl. 2003, 312.

Erweist sich somit das Bestehen eines Anordnungsanspruchs als überwiegend wahrscheinlich, fehlt es jedoch für den Erlass einer einstweiligen Anordnung am erforderlichen Anordnungsgrund, wie das VG zutreffend ausgeführt hat. Einem Bürgerbegehren zuvorkommende Umsetzungshandlungen wie etwa ein Abriss des Gebäudes oder eine Veräußerung des Geländes sind in Kürze nicht zu erwarten.

Vgl. dazu, dass die Gefahr, dass ein Bürgerbegehren gegenstandslos wird, einen Anordnungsgrund darstellen kann, OVG NRW, Beschluss vom 19.3.2004 - 15 B 522/04 -, NWVBl. 2004, 346 (348).

Die von den Antragstellern unter dem Gesichtspunkt des Anordnungsgrundes angeführte Gefahr, dass sich die Bauplanungsvorstellungen der Gemeinde immer weiter verdichten könnten, bis ein Bürgerbegehren tatsächlich der Verwirklichung eines Bebauungsplanes entgegenstehen und deshalb unzulässig werden könnte, ist nicht gegeben. Wie oben ausgeführt, ist ein gegen die Verwirklichung eines bauplanungsrechtlich ermöglichten Vorhabens gerichtetes Bürgerbegehren nicht nach § 26 Abs. 5 Nr. 6 GO NRW unzulässig. Es ist den Antragstellern daher zuzumuten, ihren Anspruch auf dem Klagewege durchzusetzen.

Ende der Entscheidung

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