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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 16.07.2009
Aktenzeichen: 15 B 945/09
Rechtsgebiete: KrO, GO NRW


Vorschriften:

KrO § 28
KrO § 33
KrO § 53
GO NRW § 30
GO NRW § 107
Für die Beratung über den von einer Gesellschaft mit kommunaler Beteiligung beabsichtigten Vertragsschluss, über den der Rat bzw. der Kreistag zuvor entscheiden muss, darf die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden, da eine öffentliche Beratung die Verhandlungsposition der Gesellschaft in etwaigen weiteren Vertragsverhandlungen schwächen könnte.

Zur Frage, wann eine Marktanalyse nach § 107 Abs. 5 GO NRW erforderlich ist, wenn die Gemeinde bzw. der Kreis sich mittelbar an einer Aktiengesellschaft beteiligen will.


Tatbestand:

Der Antragsgegner, ein Kreistag, hatte darüber zu entscheiden, ob er dem Erwerb von Aktien der A Holding AG durch den Kreis - mittelbar über mehrere Gesellschaften (B Holding AG und C GmbH), in deren Gremien er Vertreter entsandt hatte - von der D Holding GmbH zustimmen wollte. Zuvor beschloss er, darüber unter Tagesordnungspunkt 24 in nichtöffentlicher Sitzung zu beraten und zu entscheiden. Gegen den Ausschluss der Öffentlichkeit wandte sich die Antragstellerin, eine Kreistagsfraktion, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes. Der Antrag blieb in beiden Instanzen erfolglos.

Gründe:

Das VG hat den Antrag zu Recht abgelehnt. Ihm ist nicht aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen, vom Senat nur zu prüfenden Gründen (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) stattzugeben. Denn der zu sichernde oder zu regelnde Anordnungsanspruch (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO) in der Form einer Feststellung gegenüber dem Antragsgegner, dass durch den Ausschluss der Öffentlichkeit zum genannten Tagesordnungspunkt 24 organschaftliche Mitwirkungsrechte der Antragstellerin verletzt worden sind, bzw. eines noch nicht näher konkretisierten, auf diese Verletzung organschaftlicher Mitwirkungsrechte gestützten körperschaftsinternen Unterlassungs- und Störungsbeseitigungsanspruchs besteht bei summarischer Prüfung nicht. Es ist nämlich nicht überwiegend wahrscheinlich, dass durch den Ausschluss der Öffentlichkeit für die Behandlung des genannten Tagesordnungspunkts 24 Rechte der Antragstellerin verletzt wurden.

Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 3 KrO NRW kann - wie es hier geschehen ist - auf Vorschlag des Landrats für einzelne Angelegenheiten die Öffentlichkeit in der Sitzung des Kreistages ausgeschlossen werden. Dem Wortlaut dieser Vorschrift sind allerdings keine inhaltlichen Kriterien dafür zu entnehmen, für welche einzelnen Angelegenheiten der Kreistag die Öffentlichkeit ausschließen darf. Wegen der großen Bedeutung des Grundsatzes der Sitzungsöffentlichkeit ist hieraus aber nicht zu schließen, dass der Kreistag insoweit keinen Bindungen unterläge. Die Vorschrift setzt vielmehr voraus, dass aus anderen Rechtsvorschriften oder Rechtsgrundsätzen herzuleiten ist, in welchen einzelnen Angelegenheiten in nichtöffentlicher Sitzung zu beraten ist. Nach den Wertungen des § 30 Abs. 1 Satz 1 und 2 GO NRW zur Verschwiegenheitspflicht, der auch für den Kreis über § 28 Abs. 2 Satz 1 KrO NRW gilt, ist der Ausschluss der Öffentlichkeit bei der Beratung über Angelegenheiten, deren Geheimhaltung ihrer Natur nach erforderlich ist, zulässig, wobei ihrer Natur nach geheim insbesondere Angelegenheiten sind, deren Mitteilung an andere dem Gemeinwohl oder den berechtigten Interessen einzelner Personen zuwiderlaufen würde.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12.9.2008 - 15 A 2129/08 -, NWVBl. 2009, 221 (222).

Nach diesen Maßstäben liegt es auf der Hand, dass unter dem Gesichtspunkt des Gemeinwohlinteresses ein Ausschluss der Öffentlichkeit für den Tagungsordnungspunkt 24 geboten war. Bei diesem Tagungsordnungspunkt ging es im Kern um die kommunalrechtliche Ermächtigung von Vertretern des Kreises in Gesellschaften, der mittelbaren Beteiligung des Kreises an der A Holding AG durch Aktienerwerb der B Holding AG, an der der Kreis mittelbar über die C GmbH beteiligt ist, von der D Holding GmbH zuzustimmen (§ 53 Abs. 1 KrO NRW i. V. m. § 108 Abs. 5 Satz 1 Buchst. a GO NRW). Dabei spielte auch ein abzuschließender Vergleich zwischen der D AG und der B Holding AG eine Rolle. In der Kreistagssitzung sollte insbesondere das bisherige Verhandlungsergebnis bewertet und daraus die verfahrensmäßige Konsequenz gezogen werden.

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin kam nicht nur in Betracht, das vorgefundene Verhandlungsergebnis zu billigen oder abzulehnen, mag das auch der Erwartung der Verwaltung und der Kreistagsmitglieder - möglicherweise auf Grund bekannter Haltungen der Fraktionen - entsprochen haben. Eine solche Sichtweise würde rechtlich die Möglichkeiten des Kreistages nicht ausschöpfen und wäre inhaltlich eine Beschneidung seiner Kompetenzen. Er hatte vielmehr verschiedene Möglichkeiten, den Tagesordnungspunkt 24 zu behandeln: Entsprechend dem Verwaltungsvorschlag konnte der Kreistag der beabsichtigten Beteiligung gemäß § 53 Abs. 1 KrO NRW i. V. m. § 108 Abs. 5 Satz 1 Buchst. a GO NRW zustimmen; er konnte die beabsichtigte Beteiligung endgültig ablehnen; er konnte sie vorläufig mit der Maßgabe bestimmter Vertragsnachbesserungen ablehnen; er konnte in Bezug auf den abzuschließenden Vertrag Weisungen an die Vertreter des Kreises gemäß § 53 Abs. 1 KrO NRW i. V. m. § 113 Abs. 1 Satz 2 GO NRW beschließen. Schließlich wäre auch eine Behandlung des Tagesordnungspunktes 24 ohne Sachentscheidung in Form der Vertagung oder des Übergangs zur Tagesordnung möglich gewesen.

Alle genannten Möglichkeiten mit Ausnahme endgültiger Zustimmung oder endgültiger Ablehnung hätten den Verhandlungsprozess für die Vertreter des Kreises in den Gesellschaften offen gehalten. Wäre in diesen Fällen die Sitzung öffentlich, könnte aus dem Verlauf der Beratung und dem Abstimmungsergebnis die Haltung des Kreises zu weiteren Verhandlungen erschlossen werden. Dies würde die Verhandlungsposition der Unternehmen, in die Vertreter des Kreises entsandt sind, hier also C GmbH und B Holding AG, schwächen, so dass die vom dahinter stehenden Kreis verfolgten Interessen gefährdet würden. Die öffentliche Beratung dieses Verhandlungsgegenstands liefe somit dem Gemeinwohl zuwider.

Vgl. zu der ähnlichen Situation des Ausschlusses der Öffentlichkeit bei der Beratung zum prozesstaktischen Vorgehen in einem von der Gemeinde geführten Rechtstreit OVG NRW, Urteil vom 24.4.2001 - 15 A 3021/97 -, NWVBl. 2002, 31.

Dabei ist es unerheblich, dass sich die Gefährdung des Gemeinwohls im vorliegenden Fall bei dem tatsächlichen Ablauf der Willensbildung im Kreistag nicht realisiert hat, da der beabsichtigten Beteiligung zugestimmt wurde. Die Entscheidung über die Nichtöffentlichkeit der Sitzung war vor der Behandlung des Tagungsordnungspunktes zu treffen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12.9.2008 - 15 A 2129/08 -, NWVBl. 2009, 221 (222).

Nur durch den Ausschluss der Öffentlichkeit wurde sichergestellt, dass die Meinungsbildung ohne Sorge um zukünftige weitere Verhandlungen durch die Offenlegung des Meinungsstandes auch in der Richtung erfolgen konnte, keine abschließende Entscheidung zu treffen. In diesem Sinne wurde sogar ein Antrag gestellt, der allerdings keine Mehrheit fand.

Da das Geheimhaltungsinteresse vor Abhandlung des Tagesordnungspunktes zu beurteilen war, ergibt sich, dass aus der von der Antragstellerin angeführten Presseerklärung der Kreisverwaltung zwei Arbeitstage nach der Kreistagssitzung über den Kreistagsbeschluss zu Tagesordnungspunkt 24, der in der Tat weder selbst noch was die Diskussion dazu betrifft, etwas Geheimhaltungsbedürftiges enthält, nichts dazu gefolgert werden kann, wie die Frage der Geheimhaltung vor Behandlung des Tagesordnungspunktes zu beurteilen war.

Unerheblich ist auch, ob der hier genannte Gesichtspunkt für den Ausschluss der Öffentlichkeit maßgebend war. Die Motivation der einzelnen Kreistagsmitglieder für den Beschluss, die Öffentlichkeit auszuschließen, lässt sich ohnehin nicht feststellen. Im Übrigen kommt es auch nur darauf an, ob der Beschluss im Ergebnis eine Stütze im Gesetz findet.

Da somit im Gemeinwohlinteresse die Öffentlichkeit auszuschließen war, kommt es nicht darauf an, ob darüber hinaus auch wegen berechtigter Interessen der Vertragspartner, nämlich der D AG und der D Holding GmbH, eine nichtöffentliche Behandlung des Tagungsordnungspunktes angezeigt war.

Soweit die Antragstellerin sich auf eine Verletzung der Ladungsfrist beruft, kann eine Verletzung ihrer Mitwirkungsrechte nicht festgestellt werden. Die Antragstellerin trägt vor, dass nach der Geschäftsordnung des Kreistages die Einladung mindestens 8 Kalendertage vor der Sitzung zur Post hätte gegeben werden müssen. Das ist geschehen: Die Sitzung fand am 26. Juni statt, die Einladung wurde am 18. Juni, also am 8. Tage vor der Sitzung, zur Post gegeben. Aus § 187 Abs. 1 BGB folgt nichts anderes. Danach wird, wenn für den Anfang einer Frist ein Ereignis maßgebend ist, bei der Berechnung der Frist der Tag nicht mitgerechnet. Die Vorschrift erfasst ihrer Zielrichtung nach Ereignisse, die am Fristbeginn liegen und die Frist auslösen. Hier wird jedoch von einem Ereignis am Fristende der Fristbeginn errechnet. Aber auch bei analoger Anwendung (sog. Rückwärtsfrist) ist die Frist eingehalten, denn obwohl der Tag, in den das Ereignis (die Sitzung) fällt, also der 26. Juni, nicht zu den 8 Kalendertagen zählt, die in die Fristberechnung einfließen, ist der Zeitraum ausreichend (18. bis 25. Juni, jeweils einschließlich).

Schließlich kann auch keine Rechtsverletzung deshalb festgestellt werden, weil für das Beteiligungsgeschäft keine Marktanalyse gemäß § 53 Abs. 1 KrO i.V.m. § 107 Abs. 5 GO NRW erstellt wurde. Es kann dahinstehen, ob die Vorschrift hier überhaupt einschlägig ist. Das ist allerdings fraglich. Denn eine solche Marktanalyse ist notwendig bei einer mittelbaren Beteiligung an Unternehmen im Sinne des Absatzes 1. Zwar beteiligt sich hier der Kreis mittelbar über die C GmbH und die B Holding AG an der D Holding AG. Diese ist allerdings nicht am Markt tätig als Hersteller, Anbieter oder Verteiler von Gütern und Dienstleistungen (vgl. § 107 Abs. 1 Satz 3 GO NRW), sondern betätigt sich lediglich als Dachgesellschaft der A AG.

Vgl. dazu, ob Holding-Gesellschaften Unternehmen im Sinne des § 107 Abs. 1 GO NRW sind, Held, in: Held u.a., Kommunalverfassungsrecht NRW, Loseblattsammlung (Stand: November 2008), § 108 Anm. 4.1.

Das dürfte aber die Anwendbarkeit des § 107 Abs. 5 GO NRW nicht ausschließen, wenn die Gesellschaft, deren Anteile die Holding innehat, ein im Sinne des § 107 Abs. 1 GO NRW am Markt tätiges Unternehmen ist. Es fragt sich jedoch, ob die kommunale Beteiligung an Unternehmen von § 107 Abs. 5 GO NRW nur dann erfasst wird, wenn die Kommune das am Markt tätige Unternehmen "betreibt", weil erst im Betreiben des Unternehmens eine wirtschaftliche Betätigung liegt (§ 107 Abs. 1 Satz 3 GO NRW). Das Betreiben eines Unternehmens verlangt aber möglicherweise mehr als nur die Innehabung eines beliebig kleinen Aktienpakets, etwa ein Mindestmaß an Steuerungsmöglichkeit und tatsächlicher ausgeübter Steuerung hinsichtlich des Unternehmens.

Das kann aber hier offen bleiben, da die Antragstellerin sich nicht auf die Verletzung ihrer Mitwirkungsrechte wegen einer fehlenden Marktanalyse nach § 53 Abs. 1 KrO i.V.m. § 107 Abs. 5 GO NRW berufen kann. Aus dem auf das Verhältnis zwischen kommunalen Organen und Organteilen übertragbaren Grundsatz der Organtreue ergibt sich, dass die Antragstellerin eine Obliegenheit traf, Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Verfahrensgestaltung in der verfahrensrechtlich gebotenen Form geltend zu machen. Wird diese Obliegenheit verletzt, so ist die spätere Geltendmachung der Rechtsverletzung treuwidrig und deshalb unzulässig.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12.9.2008 - 15 A 2129/08 -, NWVBl. 2009, 221; Urteil vom 2.5.2006 - 15 A 817/04 -, juris Rn. 76.

Daher hätte die Antragstellerin spätestens in der Sitzung des Kreistages die Vertagung unter Hinweis darauf beantragen müssen, dass der Punkt mangels erforderlicher Marktanalyse jedenfalls im Sinne positiver Beschlussfassung noch nicht entscheidungsreif sei. Das ist nicht geschehen. Vielmehr hat die Antragstellerin die Vertagung aus anderen Gründen, denen die sachliche Ablehnung der Beteiligung zugrunde lag, begehrt.

Ende der Entscheidung

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