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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 13.12.2007
Aktenzeichen: 16 A 2919/03
Rechtsgebiete: LBlGG NRW, GHBG NRW, BVG, SGB X


Vorschriften:

LBlGG NRW F. 1970 § 3
LBlGG NRW F. 1970 § 5
LBlGG NRW F. 1992 § 3 Abs. 2
GHBG NRW § 3 Abs. 1 Satz 1
BVG § 35
SGB X § 48
1. Das landesrechtliche Blindengeld kann durch einen über den einzelnen Monat hinausreichenden Dauerverwaltungsakt gewährt werden.

2. Die Pflegezulage nach Stufe III für Kriegsblinde (§ 35 BVG) ist als Leistung zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen vollen Umfangs auf das landesrechtliche Blindengeld anzurechnen.

3. Zur rückwirkenden Aufhebung blindengeldgewährender Bescheide und zur Erstattung des geleisteten Blindengeldes bei langjährigem Doppelbezug von landesrechtlichem Blindengeld und der Pflegezulage für Kriegsblinde nach § 35 BVG.


Tatbestand:

Die Beteiligten stritten über die Aufhebung der Bewilligung von Blindengeld und die Erstattung der im Zeitraum vom 1.9.1991 bis zum 31.3.1998 an den Kläger geleisteten Blindengeldzahlungen.

Der 1924 geborene Kläger erlitt im 2. Weltkrieg diverse Verletzungen, unter anderem den Verlust des rechten Auges. In der Folgezeit erblindete er infolge einer Star- und Netzhauterkrankung auch auf dem linken Auge. Im Februar 1991 beantragte der Kläger beim Beklagten die Gewährung von Blindengeld und legte dazu ein fachärztliches Attest vor. Auf dem Antragsformular ist zu der Frage

"6 Erhält der/die Berechtigte Leistungen zum Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen nach anderen Rechtsvorschriften?

6.1 Pflegezulage nach § 35 BVG"

die Antwort "nein" angekreuzt.

Mit Bescheid vom 21. März 1991 bewilligte der Bekl. dem Kl. Blindengeld nach dem Landesblindengeldgesetz. Auf der Rückseite des Bescheides wird auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Gewährung von Leistungen zum Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen nach anderen Rechtsvorschriften mitzuteilen, da diese Leistungen auf das Blindengeld anzurechnen seien.

Auch die nachfolgend jeweils zum 1. Juli an den Kläger übersandten Mitteilungen über die Erhöhung des Blindengeldes enthielten entsprechende Hinweise.

Nachdem der Beklagte davon Kenntnis erlangt hatte, dass der Kläger auf der Grundlage eines versorgungsamtlichen Bescheides vom 20.8.1991 mit Wirkung vom 1.2.1991 Leistungen der Kriegsopferfürsorge, unter anderem eine Pflegezulage der Stufe III nach § 35 BVG, eine Pauschale für Kleidungsmehrverschleiß und eine Ausgleichsrente erhielt, nahm er mit Bescheid vom 24.11.1998 seinen Bewilligungsbescheid vom 21.3.1991 zurück und forderte vom Kl. das für die Zeit vom 1.9.1991 bis zum 31.3.1998 gezahlte Blindengeld in Höhe von 79.213 DM zurück.

Die dagegen erhobene Klage war sowohl vor dem VG als auch vor dem OVG erfolglos.

Gründe:

Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Das VG hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil der angefochtene Aufhebungs- und Erstattungsbescheid rechtmäßig ist und der Kläger daher nicht in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid findet seine Rechtsgrundlage in den §§ 48 und 50 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X).

Die Anwendbarkeit der Bestimmungen des SGB X im Hinblick auf den gesamten durch den angefochtenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid geregelten Sachverhalt, der bis in das Jahr 1991 zurückreicht, ist nicht deshalb in Frage gestellt, weil das bis zum 12.12.1992 geltende Landesblindengeldgesetz in der Fassung vom 16.6.1970 (GV. NRW. S. 435; im Folgenden: Landesblindengeldgesetz 1970) keine Verweisung auf die allgemeinen Bestimmungen des Sozialgesetzbuchs enthält und in seinem § 5 eine eigenständige Regelung zur Rückforderung trifft. Diese Regelung ist nicht mehr in Kraft. Eine Übergangsregelung sieht weder das das Landesblindengeldgesetz 1970 noch das SGB X vor, weshalb die nunmehr geltenden §§ 44 ff. SGB X auch solche Sachverhalte erfassen, die deshalb noch nicht als abgeschlossen angesehen werden können, weil die leistungsgewährende Stelle - hier der Beklagte - von den Voraussetzungen für die Rückabwicklung der fehlgeschlagenen Leistung erst unter der Geltung des SGB X Kenntnis erlangt hat. Dass die §§ 44 ff. SGB X damit auch insoweit zurückwirken, als die Blindengeldgewährung noch auf der Grundlage des Landesblindengeldgesetzes 1970 erfolgte, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, insbesondere besteht kein schützenswertes Vertrauen des Klägers. Denn schon im Zeitpunkt der Leistungsgewährung konnte gemäß § 5 LBlGG 1970 zu Unrecht gezahltes Blindengeld zurückgefordert werden. Durch die nachfolgend geschaffenen Verweisungsnormen des § 4 des Landes-blindengeldgesetzes in der Fassung vom 11.11.1992 (GV. NRW. S. 447; im Folgenden: LBlGG 1992) bzw. nunmehr § 7 des Gesetzes über die Hilfen für Blinde und Gehörlose vom 25.11.1997 (GV. NRW. S. 436; GHBG) auf das SGB X hat sich an dieser Rechtslage dem Grunde nach nichts geändert. Im Übrigen können die im vormals geltenden Recht, hier also in § 5 LBlGG 1970, enthaltenen Voraussetzungen für die Rückforderung zu Unrecht gezahlten Blindengeldes jedenfalls insoweit auch im Rahmen der anzuwendenden neueren Bestimmungen der §§ 48 und 50 SGB X berücksichtigt werden. Ob sie der Rückforderung zusätzliche zwingende Grenzen setzen, bedarf hier keiner Entscheidung, denn die Entscheidung des Beklagten begegnet auch unter diesem Gesichtspunkt keinen Bedenken.

Der Beklagte ist allerdings davon ausgegangen, er könne den Blindengeldbescheid gemäß § 45 SGB X zurücknehmen, während die maßgebende Ermächtigungsgrundlage § 48 SGB X ist. Beide Vorschriften unterscheiden sich jedoch hinsichtlich der hier streiterheblichen Fragen im Wesentlichen nur im tatsächlichen Ausgangspunkt, das heißt hinsichtlich der Frage, ob der leistungsbewilligende Verwaltungsakt schon im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig gewesen ist - Fall des § 45 SGB X - oder ob wie vorliegend erst nach dem Erlass des Verwaltungsakts eine wesentliche Änderung eingetreten ist, die zur Aufhebung des Bescheides führt. Hinsichtlich der sonstigen tatbestandlichen Voraussetzungen ergeben sich für die hier gegebene Fallgestaltung keine entscheidenden Unterschiede, insbesondere soweit sie den Vertrauensschutz im Falle der Kenntnis bzw. der grob fahrlässigen Unkenntnis (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 bzw. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X), die Zeitspanne zwischen der Bekanntgabe des Verwaltungsakts und seiner Rücknahme bzw. Aufhebung (vgl. § 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 bzw. § 48 Abs. 4 SGB X), die Möglichkeit der Rücknahme bzw. Aufhebung für die Vergangenheit (vgl. § 45 Abs. 4 Satz 1 bzw. § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X) sowie die von der zuständigen Behörde zu wahrende Frist nach deren Kenntniserlangung (vgl. § 45 Abs. 4 Satz 2 bzw. § 48 Abs. 4 SGB X) betreffen. Dass sich die genannten Ermächtigungsnormen hinsichtlich der Ermessenseinräumung unterscheiden - nach § 45 Abs. 3 SGB X "kann" unter den dort geregelten Voraussetzungen ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung zurückgenommen werden, während dies in den Fällen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X geschehen "soll" - steht der Heranziehung des § 48 SGB X gleichfalls nicht entgegen. Nachdem der Beklagte schon in Ausübung des relativ weiten "Kann"-Ermessens keinen Anlass gesehen hat, von der Aufhebung des leistungsbewilligenden Verwaltungsakts Abstand zu nehmen, wäre dies im Rahmen des engeren, nur in atypischen Fällen ein Abweichen ermöglichenden "Soll"-Ermessens nach § 48 SGB X erst recht nicht der Fall gewesen.

Die Voraussetzungen des § 48 SGB X für die Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 21.3.1991 liegen vor. Es handelt sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, nicht um eine fortlaufende Reihe von monatlichen Einzelbewilligungen. Das geht unabhängig von allgemeinen Erwägungen zur Rechtsnatur des Blindengeldes schon aus dem Wortlaut des Bescheides hervor ("das ab 1.02.91 monatlich zu zahlende Blindengeld"). Anhaltspunkte für eine zeitliche Begrenzung der Blindengeldgewährung können dem Bescheid nicht entnommen werden. Auch die Rechtsnatur des Anspruchs auf Blindengeld spricht nicht gegen die Annahme eines der Bestimmung des § 48 SGB X unterfallenden Dauerverwaltungsaktes. Der Senat hat für das nach dem GHBG gewährte Blindengeld entschieden, dass es sich dabei nicht wie bei der Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz bzw. dem SGB XII um fürsorgerische Leistungen zur Abwendung konkreter Notlagen handelt. Vielmehr habe die Blindenhilfe jedenfalls in der Ausgestaltung durch das GHBG weithin den Charakter einer Versorgungsleistung bzw. eines Nachteilsausgleichs für den von einem besonders schweren Schicksal betroffenen Personenkreis der Blinden.

OVG NRW, Urteil vom 8.11.2007 - 16 A 292/05 -, Juris, mwN.

Diese Bewertung, die darüber hinaus vielfach auch schon für das Blindengeld nach § 67 BSHG (nunmehr § 72 SGB XII) sowie generell für die landesrechtlichen Blindenhilfebestimmungen in Betracht gezogen worden ist, vgl. BVerwG, Urteil vom 4.11.1976 - V C 7.76 -, BVerwGE 51, 281 = FEVS 25, 1; ähnlich LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.9.2006 - L 7 SO 5514/05 -, aaO.; W. und H. Schellhorn, BSHG, Kommentar, 16. Auflage, § 67 Rn. 2, bringt es mit sich, dass die leistungsbewilligenden Behörden bei der Blindengeldgewährung den Ausgleich einer in aller Regel dauerhaften Benachteiligung des Empfängers regeln und daher typischerweise nicht mit rasch wechselnden Bedarfslagen konfrontiert sind. Auch eine fortwährende Überprüfung der wirtschaftlichen Situation des blinden Leistungsempfängers ist regelmäßig nicht erforderlich, weil das GHBG ebenso wie die vorangegangenen Fassungen des Landesblindengeldgesetz NRW das Blindengeld jedenfalls im Grundsatz unabhängig vom Einkommen und Vermögen des Betroffenen gewähren. Auch im konkreten Fall des vormaligen Klägers bestand keine besondere Notwendigkeit, die Blindengeldgewährung "kleinschrittig" auszugestalten, um so auf zu erwartende Änderungen der Bedarfslage reagieren zu können. Denn aus der Stellungnahme des Landesarztes zur Blindheit vom 13.3.1991 ging hervor, dass eine Besserung des Sehvermögens nicht zu erwarten war; auch eine spätere Überprüfungsuntersuchung wurde nicht angeordnet.

Auch die Mitteilungen über die jährliche Anpassung der Höhe des Blindengeldes waren lediglich insoweit als neuerliche Verwaltungsakte zu qualifizieren, als sie sich eben auf die Höhe der Leistung bezogen. Anhaltspunkte dafür, dass bei dem Erlass dieser Anpassungsbescheide jeweils auch erneut dem Grunde nach die Anspruchsvoraussetzungen überprüft worden wären, sind nicht ersichtlich.

Der Bewilligungsbescheid des Beklagten vom 21.3.1991 ist infolge einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse nachträglich rechtswidrig geworden. Jedenfalls seit dem Erlass des Bescheides des Versorgungsamtes E. über die Gewährung einer Pflegezulage der Stufe III nach § 35 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) vom 20.8.1991 verfügte der vormalige Kläger über eine laufende Leistung, die in vollem Umfang auf das (Zivil-)Blindengeld nach dem Landesblindengeldgesetz NRW bzw. nachfolgend nach dem GHBG anzurechnen war. § 3 LBlGG NRW 1970, § 3 Abs. 2 LBlGG NRW 1992 und schließlich § 3 Abs. 1 Satz 1 GHBG bestimmen im wesentlichen gleichlautend, dass Leistungen, die Blinde zum Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen nach anderen Rechtsvorschriften erhalten, auf das Blindengeld angerechnet werden. Dies trifft für die dem Kläger gewährte Pflegezulage nach § 35 BVG zu.

Vgl. auch BSG, Urteil vom 11.11.2004 - B 9 VG 2/04 R -, BSGE 93, 290 = FEVS 57, 145; ebenso für die entsprechende Vorschrift des § 67 Abs. 1 BSHG: Brühl, in: BSHG, Lehr- und Praxiskommentar, 6. Aufl. § 67 Rn. 2; Gottschick/Giese, BSHG, Kommentar, 9. Aufl., § 67 Rn. 3; Oestreicher/Schelter/Kunz/Decker, BSHG, Loseblatt-Kommentar, Stand: Juni 2003, § 67 Rn. 3; W. und H. Schellhorn, BSHG, Kommentar, 16. Aufl., § 67 Rn. 8.

Die Pflegezulage nach § 35 BVG ist zwar - insoweit ähnlich wie die Leistungen nach § 558 RVO -, vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 21.12.1998 - 16 A 5938/95 -, Juris, im Ausgangspunkt auf Personen beschränkt, die schädigungsbedingt so hilflos sind, dass sie für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfang dauernder fremder Hilfe bedürfen. Für Blinde ist indessen für die Bemessung der Pflegezulage nicht das konkrete Ausmaß der Pflegebedürftigkeit ausschlaggebend. Vielmehr erhält dieser Personenkreis ohne nähere Prüfung die Pflegezulage nach der Stufe III, deren Höhe sich schon ab dem 1.7.1991 auf monatlich 1.019 DM belief und damit die Höhe des (Zivil-)Blindengeldes nach dem Landesblindengeldgesetz NRW übertraf. Damit wohnt der Pflegezulage der Charakter einer pauschalierten und nicht allein oder auch nur in erster Linie an den Pflegeaufwendungen orientierten Leistung für blinde Kriegsopfer inne, die damit wie auch das auf Landesrecht beruhende (Zivil-)Blindengeld umfassend dem Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen dient. Darüber hinaus zeigen auch die Bestimmungen in § 35 Abs. 4 BVG über die Fortführung der Leistungen etwa bei einer stationären Krankenhausbehandlung, dass jedenfalls ab Stufe III die Pflegezulage weiten Umfangs trotz der stationären Vollversorgung gezahlt wird. Im Übrigen sieht das Bundesversorgungsgesetz weitere über die Pflegezulage der Stufe III hinausgehende Zuwendungen bei einem entsprechenden spezifischen Bedarf vor, weshalb der Kl. - zusätzlich zur Pflegezulage der Stufe III - einen monatlichen Ausgleich für Kleidungsmehrverschleiß erhalten hat.

Die vom Kläger geltend gemachten sonstigen (Kriegs-)Verletzungen hatten im Hinblick auf seine Pflegebedürftigkeit keine erkennbare Auswirkung, so dass nichts dafür spricht, einen Teil der Pflegezulage von der Anrechnung auf das Blindengeld auszunehmen. Es verhielt sich vielmehr so, dass die dem Kläger gewährte Zulage der Stufe III allein auf der Erblindung beruhte; wären vom Versorgungsamt noch weitere den Pflegebedarf heraufsetzende Behinderungen anerkannt worden, hätte dies gegebenenfalls zu einer noch höheren Stufe der Pflegezulage geführt.

Bei der Gewährung der Pflegezulage nach dem Bundesversorgungsgesetz handelte es sich auch iSv § 48 Abs. 1 SGB X um eine (wesentliche) Änderung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, d.h. um einen zur nachträglichen Rechtswidrigkeit der Blindengeldgewährung führenden Umstand. Die "Nachträglichkeit" folgt daraus, dass der Kläger zur Zeit des Erlasses des blindengeldbewilligenden Bescheides, also am 21.3.1991, noch keine anzurechnenden Leistungen nach dem Kriegsopferfürsorgerecht bezog. Solche Leistungen wurden ihm vielmehr erst nachfolgend, und zwar mit Bescheid vom 20.8.1991, zuerkannt. Dass diese Bewilligung rückwirkend zum 1.2.1991 erfolgte, ändert an der Nachträglichkeit nichts.

Vgl. Wiesner, in: von Wulffen, SGB X, Kommentar, 4. Aufl., § 45 Rn. 10.

Dem Kläger war auch kein Vertrauensschutz zu gewähren, weil seine Unkenntnis vom Wegfall des Blindengeldanspruchs darauf beruhte, dass er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X). Bereits der Umstand, dass der Kläger nach dem Eintritt der Erblindung praktisch zeitgleich pauschalierende Leistungen nach dem Kriegsopferfürsorgerecht und nach dem - die weitgehende Gleichstellung der Zivilblinden mit den Kriegsblinden anstrebenden - Landesblindengeldgesetz beantragte und diese Leistungen auch innerhalb weniger Monate bewilligt worden sind, musste ihm eindringlich die Vorstellung vermitteln, dass er wegen eines hilfebegründenden Merkmals, nämlich seiner Blindheit, zwei auf den vollständigen materiellen Nachteilsausgleich abzielende pauschalierende Leistungen erhielt. Im Übrigen ist der Kläger, wie schon das VG zutreffend im Einzelnen dargelegt hat, im Zusammenhang mit der Beantragung des Blindengeldes, aber auch bei dessen Bewilligung und im Rahmen der jährlichen Anpassung des Blindengeldes ausdrücklich auf die Zweckidentität und die darauf beruhende Anrechnung der Pflegezulage nach § 35 BVG hingewiesen worden. Diese wiederholten Hinweise waren so eindeutig, dass an der Anrechenbarkeit der Pflegezulage kein Zweifel bestehen konnte; wenn dem Kläger dieser rechtliche Zusammenhang gleichwohl verborgen blieb, kann das nur mit einem ungewöhnlichen Maß an Sorglosigkeit erklärt werden. Hinzu kommt, dass dem Kläger aufgegeben worden war, einen Erklärungsvordruck über den Erhalt des Bescheides einschließlich der Hinweise auf seine Meldepflichten persönlich zu unterzeichnen, und er dies auch tat; auch dies musste dem Kläger die rechtliche Relevanz des Doppelbezuges blindheitsbedingter Leistungen verdeutlichen. Dass der Kl. grundsätzlich imstande war, die aus dem Bezug mehrerer Leistungen mit identischem Leistungszweck hervorgehende rechtliche Problematik jedenfalls laienhaft zu erfassen, zeigte sich im Übrigen darin, dass nach seinem Vorbringen seine Ehefrau deshalb beim Versorgungsamt vorgesprochen hat. Es liegt aber auf der Hand, dass es beim Auftreten derartiger Zweifel am Verhältnis mehrerer zugleich bezogener Leistungen zueinander nicht genügt, sich lediglich an eine der beteiligten Stellen zu wenden; abgesehen davon ging aus den erfolgten Belehrungen ja gerade hervor, dass wegen des Bezuges der Pflegezulage für Kriegsopfer der Anspruch auf das Blindengeld in Frage stand, während es für die umgekehrte Anrechnung keinen greifbaren Anhaltspunkt gab.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass dem Kl. nicht etwa ein Versäumnis oder Verschulden seiner für ihn handelnden Ehefrau zugerechnet wird. Er war als Empfänger der konkurrierenden Leistungen vielmehr selbst gehalten, sich über die Voraussetzungen der Blindengeldgewährung kundig zu machen und die Konsequenzen aus diesen Erkenntnissen zu ziehen. Auch von einem Blinden kann die Kenntnisnahme von behördlichen Hinweisen und Belehrungen erwartet werden; er muss sich die Bescheide und die damit verbundenen Hinweise vorlesen lassen. Dies mag - je nach der Möglichkeit, die Hilfe nahestehender Personen in Anspruch zu nehmen - für Blinde in vielen Fällen mit größeren Schwierigkeiten als für Sehende verbunden sein. Vorliegend ist aber nichts dafür ersichtlich, das es dem Kläger an der Hilfestellung durch Dritte gemangelt hätte. Die des Weiteren geltend gemachten subjektiven Hinderungsgründe, insbesondere die dem Kläger versorgungsamtlich bescheinigte "besondere Persönlichkeitsstruktur", geben nichts dafür her, dass er an der Wahrung der ihm abverlangten Sorgfaltspflichten gehindert war.

Die vom Kläger gesehene Verfristung der Aufhebungsentscheidung nach § 48 Abs. 4 iVm § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X liegt nicht vor. Dass bereits im Jahr 1991 die Hauptfürsorgestelle beim beklagten Landschaftsverband über die kriegsbedingten Schädigungen und den Bezug einer Pflegezulage informiert worden ist, begründete eine solche Kenntnis nicht. Die übersandte Mitteilung verhielt sich nicht zu einer Erblindung des Klägers - das Kästchen für "blind durch anerkannte Schädigungsfolgen" war nicht angekreuzt -; auch im Hinblick auf die Gewährung einer Pflegezulage ergab sich - etwa durch die Nennung der Pflegestufe - kein Hinweis auf die Blindheitsbedingtheit. Abgesehen davon handelte es sich bei der Hauptfürsorgestelle nicht um diejenige Stelle, die mit der Blindengeldgewährung befasst war.

Auch die Voraussetzungen des § 50 SGB X für die Erstattung der aufgrund des aufgehobenen Bewilligungsbescheides geleisteten Zahlungen sind gegeben. Im Grundsatz bestehen - nach der Rücknahme bzw. Aufhebung leistungsbewilligender Verwaltungsakte - keine speziellen Erstattungsvoraussetzungen. Vorliegend ist aber für den Rückforderungszeitraum vom 1.9.1991 bis zum 12.12.1992 noch der Frage nachzugehen, ob die seinerzeit geltenden speziellen Bestimmungen in § 5 LBlGG NRW 1970 einer Rückforderung des Blindengeldes entgegenstehen. Das ist zu verneinen. Zum einen ist kein Verschulden der leistungsbewilligenden Behörde ersichtlich. Die Auffassung des Klägers, der Beklagte habe durch ein einfaches Telefonat die Sach- und Rechtslage klären können, trifft schon deshalb nicht zu, weil nicht allein der Bezug einer Pflegezulage nach § 35 BVG, sondern auch der Erhalt anderer Leistungen, für die andere Leistungsträger zuständig sind, dem Anspruch auf das Blindengeld entgegenstehen konnten. Der Beklagte konnte auch nicht allein wegen des Geburtsjahrganges des Klägers zu der Schlussfolgerung gelangen, dass dessen Erblindung (auch) kriegsbedingt war; insbesondere wegen der langen Zeitspanne zwischen dem Kriegsende und der erstmaligen Beantragung von Blindengeld durch den Kl. lag die Annahme einer Kriegsopferfürsorgeberechtigung eher fern. Zum anderen ist auch nichts dafür ersichtlich, dass das Erstattungsbegehren im Hinblick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers nicht angemessen gewesen wäre. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass er über einen langen Zeitraum erhebliche Überzahlungen erlangt hat und daher von vornherein viel dafür sprach, dass diese Zahlungen auch noch nach der Einstellung der Blindengeldgewährung seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit positiv beeinflussten. Außerdem bezog der Kläger neben seiner normalen Altersrente noch weitere Leistungen der Kriegsopferfürsorge, insbesondere eine nicht unbeträchtliche Ausgleichsrente. Schließlich hat der Beklagte dem Kläger in den angefochtenen Bescheiden die Möglichkeit eingeräumt, den Erstattungsbetrag auf seinen Antrag hin in Raten zurückzuzahlen. Angesichts dessen spricht nichts für eine angespannte wirtschaftliche Lage des Klägers, auf die der Beklagte keine hinreichende Rücksicht genommen hätte.

Ende der Entscheidung

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