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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 09.07.2007
Aktenzeichen: 16 B 907/07
Rechtsgebiete: StVG, FeV


Vorschriften:

StVG § 3 Abs. 1 Satz 1
FeV § 46 Abs. 1
FeV Anlage 4 Ziff. 9.2.2
Fehlendes Trennungsvermögen zwischen gelegentlichem Cannabiskonsum und dem Führen von Kraftfahrzeugen ist unabhängig von der beim Fahrerlaubnisinhaber ermittelten THC-Konzentration (hier: 1,4 ng/ml) jedenfalls dann zu bejahen, wenn in nahem zeitlichem Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges drogenbedingte Auffälligkeiten oder Ausfallerscheinungen festgestellt werden, die einen Bezug zur aktuellen Fahrtüchtigkeit aufweisen.
Tatbestand:

Der Antragsteller wandte sich gegen die sofortige Vollziehung einer Ordnungsverfügung, mit der seine Fahrerlaubnis entzogen worden war. Der Antrag blieb in beiden Instanzen ohne Erfolg.

Gründe:

Der Antragsteller wendet sich im Ergebnis ohne Erfolg gegen die dem angefochtenen Beschluss zugrundeliegende Einschätzung, er habe durch die Unfallfahrt vom 3.8.2006 gezeigt, dass er den Cannabiskonsum und das Führen von Kraftfahrzeugen nicht zu trennen vermöge. Der Antragsteller beruft sich insoweit zu unrecht auf die Rechtsprechung des Bay. VGH,

Beschluss vom 25.1.2006 - 11 CS 05.1711 -, VRS 110 (2006), 310 = DAR 2006, 407 = Blutalkohol 43 (2006), 416,

der zufolge bei einer Fahrt mit einer THC-Konzentration im Blutserum zwischen 1,0 und 2,0 ng/ml noch nicht von einem Verstoß gegen das Trennungsgebot ausgegangen werden könne. Abgesehen davon, dass die Auffassung des Bayerischen VGH im Fachschrifttum nicht unwidersprochen geblieben ist,

vgl. insbesondere mit beachtlichen Argumenten Drasch/von Meyer/Roider/Staack/Paul, Blutalkohol 43 (2006), 441,

und andere Gerichte zum Teil niedrigere Grenzwerte zugrundelegen,

vgl. Hamb. OVG, Beschluss vom 15.12.2005 - 3 Bs 214/05 -, NJW 2006, 1367 = VRS 110 (2006),388 = Blutalkohol 43 (2006), 427; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 27.3.2006 - 10 S 2519/05 -, NJW 2006, 2135 = NZV 2007, 55 = VRS 111 (2006), 311 = Blutalkohol 43 (2006), 412,

liegt der dortigen Entscheidung ein Fall zugrunde, in dem bei dem betroffenen Fahrerlaubnisinhaber keine cannabisbedingten Ausfallerscheinungen feststellbar waren, es also lediglich um das Vorhandensein einer allein aus dem festgestellten THC-Wert abzuleitenden "absoluten" Fahruntüchtigkeit ging. Vorliegend verhält es sich indessen so, dass der Antragsteller, der einen Verkehrsunfall mit Personenschaden zumindest mitverursacht hatte, nach den polizeilichen Berichten jedenfalls unmittelbar nach dem Unfallgeschehen "einen nicht verkehrstüchtigen Eindruck machte" und leicht gerötete Bindehäute aufwies. Ein etwa zwei Stunden später erstellter ärztlicher Bericht kam zu dem Ergebnis, dass die Pupillen des Antragstellers "mittelweit erweitert" waren und verzögert auf Lichteinfall reagierten. Dabei handelt es sich um körperliche Merkmale, die typischerweise nach einem Cannabiskonsum auftreten und einen deutlichen Bezug zur aktuellen Fahrtüchtigkeit aufweisen. Jedenfalls die Erweiterung der Pupillen (Mydriasis) führt unter anderem zu einer erhöhten Blendungsempfindlichkeit und - zumindest unter bestimmten Lichtverhältnissen - einer Beeinträchtigung des Sehvermögens.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15.1.2007 - 16 B 2429/06 - unter Bezugnahme auf die im Urteil des OVG Rh.-Pf., Urteil vom 13.1.2004 - 7 A 10206/03 -, VRS 106 (2004), 313 = DAR 2004, 413 = Blutalkohol 41 (2004), 293, zitierte Stellungnahme des Gutachters Prof. Dr. Urban.

Es spricht somit ganz Überwiegendes dafür, dass beim Antragsteller unabhängig von der THC-Konzentration von 1,4 ng/ml jedenfalls eine aktuelle drogenbedingte Fahruntüchtigkeit vorgelegen hat. Dass auch in derartigen Fällen einer "relativen" Fahruntüchtigkeit von einem Verstoß gegen das Trennungserfordernis auszugehen ist, wird durch die verbreitete Auffassung von Verkehrsmedizinern unterstrichen, dass die Wirkungen des Cannabiskonsums weit schwerer einschätzbar seien als insbesondere beim Alkohol,

vgl. die im Urteil des OVG Rh.-Pf. vom 13.1.2004 - 7 A 10206/03 - und im Beschluss des Bay. VGH vom 25.1.2006 - 11 CS 05.1711 -, jeweils a.a.O., wiedergegebenen wissenschaftlichen Stellungnahmen,

so dass das Erreichen oder Überschreiten bestimmter Grenzwerte allein nur in beschränktem Maße Aussagen über die konkrete Fahrtauglichkeit ermöglicht. Wenn im Übrigen die in den letzten Jahren veröffentlichten wissenschaftlichen Studien zu den Auswirkungen des Cannabiskonsums und zur Ermittlung von "Grenzwerten" vergleichend darauf abstellen, wie häufig bei bestimmten THC-Werten Ausfallerscheinungen oder doch jedenfalls "Auffälligkeiten" auftreten,

vgl. insoweit etwa Drasch/von Meyer/Roider/Staack/Paul, a.a.O.,

ist auch dies nach Auffassung des Senats ein gewichtiges Argument dagegen, dann entscheidend auf den im jeweiligen Einzelfall ermittelten THC-Wert bzw. die danach üblicherweise anzunehmenden Beeinträchtigungen abzustellen, wenn der betreffende Fahrzeugführer - wie vorliegend der Antragsteller - konkret unter deutlicher Rauschmitteleinwirkung gestanden hat.



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