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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 16.09.2009
Aktenzeichen: 17 A 2539/03
Rechtsgebiete: Entscheidung 88/408/EWG


Vorschriften:

Entscheidung 88/408/EWG Art. 2 Abs. 2 Unterabsatz 1
Zur Frage, ob die im Vergleich mit dem Gemeinschaftsdurchschnitt höheren Lohnkosten in der Bundesrepublik Deutschland unter der Geltung der Entscheidung 88/408/EWG eine Anhebung der gemeinschaftsrechtlichen Pauschalbeträge zu rechtfertigen vermochten (offen).

Die durch Art. 2 Abs. 2 Unterabsatz 1 der Entscheidung 88/408/EWG eröffnete Möglichkeit einer Anhebung der Pauschalbeträge erlaubte es den Mitgliedstaaten nicht, von der gemeinschaftsrechtlich vorgegebenen Gebührenstruktur abzuweichen und eine Gebühr zu erheben, deren Satz nach der Größe der Betriebe und degressiv nach der Zahl der geschlachteten Tiere innerhalb einer Tierart gestaffelt ist.


Tatbestand:

Die Klägerin betrieb einen Fleischhandel. Einen Teil der hierfür benötigten Tiere ließ sie in der Großschlachtstätte V. schlachten. Die nach fleischhygienerechtlichen Vorschriften vorzunehmenden Untersuchungen erfolgten durch Bedienstete des Beklagten. Für Untersuchungen im Zeitraum von Januar bis August 1991 zog der Beklagte die Klägerin zur Zahlung von Gebühren heran. Die zugrunde liegende Satzung sah unterschiedliche Gebührensätze für Untersuchungen innerhalb der Groß-schlachtstätte V., in sonstigen gewerblichen Schlachtbetrieben sowie bei Hausschlachtungen vor; hinsichtlich der sonstigen gewerblichen Schlachtbetriebe differenzierte sie zusätzlich nach der Zahl der pro Tag geschlachteten Tiere. Die gegen die Heranziehung gerichtete Anfechtungsklage hatte im zweiten Rechtszug Erfolg.

Gründe:

Die den Gebührenbescheiden zugrunde liegende Satzung ist bezogen auf den streitbefangenen Untersuchungszeitraum unwirksam, da sie insoweit den in § 4 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 FlGFlHKostG NRW in Bezug genommenen gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben nicht genügt.

1. Gemeinschaftsrechtliche Grundlage der Gebührenbemessung war für die Zeit vom 1. 1. 1991 bis 31. 12. 1993 die Richtlinie 85/73/EWG des Rates vom 29. 1. 1985 i. V. m. der Entscheidung 88/408/EWG des Rates vom 15. 6. 1988. Hiernach werden für Fleischhygieneuntersuchungen Gebühren auf der Grundlage durchschnittlicher Pauschalbeträge erhoben. Nach Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 85/73/EWG können die Mitgliedstaaten einen höheren Betrag erheben, sofern die erhobene Gesamtgebühr je Mitgliedstaat die tatsächlichen Untersuchungskosten nicht überschreitet. Diese Befugnis wird in Art. 2 Abs. 2 Unterabsatz 1 der Entscheidung 88/408/EWG dahin konkretisiert, dass die Mitgliedstaaten, in denen die Lohnkosten, die Struktur der Betriebe und das Verhältnis zwischen Tierärzten und Fleischbeschauern von dem Gemeinschaftsdurchschnitt, der für die Berechnung der Pauschalbeträge festgelegt wurde, abweichen, die Pauschalbeträge auf den Stand der tatsächlichen Untersuchungskosten senken bzw. anheben können. Nach Unterabsatz 2 gehen sie dabei von den im Anhang der Entscheidung genannten Grundsätzen aus. Dieser regelt in Nr. 1 bindende Kriterien für Abschläge und in Nr. 2 beispielhafte Voraussetzungen für Aufschläge. Letztere sind begrenzt durch die Höhe der zu deckenden Kosten. 2. Die in der Satzung festgelegten Gebühren für Amtshandlungen nach den Vorschriften des Fleischhygienerechts überschreiten die in der Entscheidung 88/408/EWG vorgesehenen Pauschalgebühren. Es mag insoweit zugrunde gelegt werden, dass die in Art. 2 Abs. 2 Unterabsatz 1 der Entscheidung 88/408/EWG normierten Anhebungsvoraussetzungen in dem streitbefangenen Untersuchungszeitraum vorlagen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. 12. 2007 - 3 C 50/06 -, NVwZ-RR 2008, 387 = juris Rdn. 27 unter Bezugnahme auf die Bekanntmachung des Bundesministeriums für Gesundheit vom 24. 10.1997 (BAnz S. 13298); ebenso bereits OVG NRW, Urteil vom 6. 12. 2000 - 9 A 2228/97 -, NVwZ-RR 2001, 601 = juris Rdn. 11.

Es erscheint jedoch bereits fraglich, ob die im Anhang der Entscheidung 88/408/EWG genannten Grundsätze, von denen die Mitgliedstaaten nach Art. 2 Abs. 2 Unterabsatz 2 der Entscheidung 88/408/EWG bei einer Anhebung der pauschalen Leitgebühr auszugehen haben, beachtet worden sind (a); jedenfalls ist die gebührentechnische Ausgestaltung der Abweichung mit den Vorgaben der Entscheidung 88/408/EWG nicht vereinbar (b).

a) Nr. 2 Satz 1 des Anhangs der Entscheidung 88/408/EWG bestimmt als Zweck einer Anhebung der pauschalen Leitgebühr die Deckung höherer Kosten. Diesem Zweck dient die in der Satzung des Kreises Viersen vorgesehene Gebührenbemessung. Ausweislich § 2 Abs. 1 Sätze 2 und 3 sowie § 3 Abs. 1 Sätze 2 und 3 der Satzung erfolgt die Gebührenerhebung abweichend von den gemeinschaftsrechtlichen Pauschalgebühren, weil diese nicht den tatsächlichen Untersuchungskosten im Kreis Viersen entsprechen.

Nach Satz 2 von Nr. 2 des Anhangs der Entscheidung 88/408/EWG können als Voraussetzung für eine Anhebung der pauschalen Leitgebühr die dort beispielhaft genannten Sachverhalte gelten. Allen Beispielsfällen ist gemein, dass strukturelle oder organisatorische Defizite einzelner Betriebe einen erhöhten Untersuchungsaufwand bedingen. Ein derartiger Fall steht vorliegend nicht in Rede. Die Unterdeckung der tatsächlichen Untersuchungskosten durch die gemeinschaftsrechtlichen Pauschalgebühren beruht nicht auf kostensteigernden betrieblichen Unzulänglichkeiten, sondern auf den im Vergleich mit dem Gemeinschaftsdurchschnitt höheren Lohnkosten in der Bundesrepublik Deutschland. Ob auch dieser Gesichtspunkt unter der Geltung der Entscheidung 88/408/EWG eine Anhebung der gemeinschaftsrechtlichen Pauschalgebühren zu rechtfertigen vermochte, ist fraglich.

Offen lassend: OVG NRW, Urteil vom 26. 3. 2009 - 17 A 4781/03 -, n. v.

Dafür könnte sprechen, dass die in Nr. 2 Satz 2 des Anhangs der Entscheidung 88/408/EWG genannten Voraussetzungen für eine Anhebung der Pauschalbeträge lediglich beispielhaften Charakter hat ("z. B.") und somit Raum für eine Berücksichtigung weiterer kostenrelevanter Sachverhalte lässt.

Hierauf abstellend: OVG NRW, Beschluss vom 1. 7. 2005 - 9 A 2382/03 -, n. v.

Für die Annahme, dass hierzu insbesondere auch das im Vergleich zum Gemeinschaftsdurchschnitt erhöhte Lohnkostenniveau in Deutschland gehört, ließe sich anführen, dass Art. 2 Abs. 2 Unterabsatz 1 der Entscheidung 88/408/EWG als Orientierungsziel einer möglichen Anhebung der Pauschalbeträge den "Stand der tatsächlichen Untersuchungskosten" bezeichnet, die ihrerseits maßgeblich durch die Höhe der Lohnkosten geprägt werden. Ohne die Berücksichtigung ihrer konkreten Höhe ließe sich zudem das in Art. 1 Abs. 1 Spiegelstrich 1 der Richtlinie 85/73/EWG vorgegebene Kostendeckungsziel nur unvollkommen erreichen. Hinzu kommt, dass Art. 2 Abs. 2 Unterabsatz 1 der Entscheidung 88/408/EWG die Möglichkeit einer Anhebung der Pauschalbeträge unter anderem davon abhängig macht, dass die Lohnkosten vom Gemeinschaftsdurchschnitt abweichen; hiermit wäre es schwerlich vereinbar, wenn deren Berücksichtigung durch die im Anhang der Entscheidung 88/408/EWG genannten Grundsätze ausgeschlossen wäre.

Gegen die Annahme, dass sich eine Anhebung der Pauschalbeträge auf das höhere Lohnkostenniveau in Deutschland stützen lässt, spricht hingegen, dass dieser Gesichtspunkt im Gegensatz zu den in Nr. 2 Satz 2 des Anhangs der Entscheidung 88/408/EWG beispielhaft genannten Anhebungsvoraussetzungen nicht betriebsbezogener Natur ist.

Hierauf abstellend: Bay.VGH, Urteil vom 25. 5. 1994 - 4 N 93.749 -, BayVBl. 1994, 593 mit ablehnender Anmerkung von Kraft.

Zwar ist eine beispielhafte Aufzählung per definitionem nicht abschließend. Ihr normativer Sinn besteht jedoch darin, die strukturelle Beschaffenheit möglicher weiterer Anwendungsfälle zu kennzeichnen. Diese müssen den Beispielsfällen in wesentlicher Hinsicht ähnlich sein. Vorliegend ist allen ausdrücklich genannten Beispielen gemein, dass durch schlechte Betriebsorganisation ein erhöhter Aufwand verursacht wird. Demgegenüber ist das allgemeine Lohnkostenniveau in Deutschland eine betriebsunabhängige Größe.

Es kommt hinzu, dass der Aspekt unterschiedlicher Lohnkosten in den einzelnen Mitgliedstaaten im Anhang der Entscheidung 88/408/EWG Rat durchaus Berücksichtigung gefunden hat. Er findet Erwähnung allerdings nur im Rahmen der Voraussetzungen für eine Senkung der Pauschalbeträge (Nr. 1 lit. a), nicht aber im Rahmen ihrer Anhebung. Dies könnte die Schlussfolgerung e contrario nahe legen, dass ein überdurchschnittliches Lohnniveau keine Anhebungsmöglichkeit eröffnen soll.

Hierfür könnte schließlich auch ein Vergleich der Entscheidung 88/408/EWG mit der sie ablösenden Richtlinie 93/118/EG des Rates vom 22. 12. 1993 sprechen. Die in Nr. 2 Satz 2 des Anhangs der Entscheidung 88/408/EWG beispielhaft genannten Anhebungsvoraussetzungen sind nahezu textidentisch mit denjenigen in Kapitel I Nr. 4 lit. a des Anhangs zur Richtlinie 93/118/EG. Letztere Norm bezieht sich ausdrücklich auf "bestimmte Betriebe" und setzt das Vorliegen eines oder mehrerer der dort genannten Organisationsmängel voraus. Für eine Berücksichtigung allgemein überdurchschnittlicher Lohnkosten bietet diese Regelung keinen Raum. Ihnen kann nur im Rahmen der Erhöhungsmöglichkeit nach Nr. 4 lit. b Rechnung getragen werden, die in Nr. 2 Satz 2 des Anhangs der Entscheidung 88/408/EWG keine Entsprechung findet.

b) Letztlich bedarf die Frage, ob die gemeinschaftsrechtlichen Voraussetzungen für eine die Pauschalbeträge überschreitende Gebührenerhebung vorlagen, keiner Entscheidung. Denn jedenfalls genügt die Ausgestaltung der Gebührenbemessung nicht den Vorgaben der Entscheidung 88/408/EWG.

Nach Art. 2 Abs. 2 Unterabsatz 1 der Entscheidung 88/408/EWG können die Mitgliedstaaten unter den dort genannten Voraussetzungen "die Pauschalbeträge (...) anheben". Diese Formulierung entspricht derjenigen in Kapitel I Nr. 4 lit. a des Anhangs A zur Richtlinie 96/43/EG des Rates vom 26. 6. 1996. Die letztgenannte Bestimmung ist nach der Rechtsprechung des EuGH dahin auszulegen, dass sie es den Mitgliedstaaten nicht erlaubt, von der in Kapitel I Nr. 1 und 2 lit. a des besagten Anhangs A vorgesehenen Gebührenstruktur abzuweichen und eine Gebühr zu erheben, deren Satz nach der Größe der Betriebe und degressiv nach der Zahl der geschlachteten Tiere innerhalb einer Tierart gestaffelt ist.

EuGH, Urteil vom 19. 3. 2009 - Rs. C-309/07 - ("Baumann").

Genau dies tut indes die den angefochtenen Bescheiden zugrunde liegende Satzung: Die Gebührensätze differenzieren sowohl nach der Betriebsgröße (vgl. § 2, 3) als auch - bei Schlachtungen außerhalb der Großschlachtstätte Gerberstraße - nach der Zahl der geschlachteten Tiere. Ausweislich der zugrunde liegenden Gebührenbedarfsrechnungen sind die Gebühren jeweils kostendeckend berechnet worden. Sie beruhen damit auf einer Kalkulation, die der einer spezifischen Gebühr nach Kapitel I Nr. 4 lit. b des Anhangs zur Richtlinie 93/118/EG bzw. des Anhangs A zur Richtlinie 96/43/EG entspricht. Eine solche Erhebungsform sah die Entscheidung 88/408/EWG indes nicht vor; sie kannte allein die - dem Procedere gemäß Kapitel I Nr. 4 lit. a der genannten Anhänge entsprechende - Möglichkeit einer Anhebung der Pauschalbeträge unter Wahrung der gemeinschaftsrechtlich vorgegebenen Gebührenstruktur.

Ende der Entscheidung

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