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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 24.06.2009
Aktenzeichen: 17 A 805/03
Rechtsgebiete: AZRG, EG, Richtlinie 95/46/EG


Vorschriften:

AZRG § 2
AZRG § 3
AZRG § 36 Abs. 1 Satz 4
EG Art 12 Abs. 1
Richtlinie 95/46/EG Art 6 Abs. 1 lit. b
Richtlinie 95/46/EG Art 6 Abs. 7 lit. e
Die Anwendung der §§ 2 und 3 AZRG auf einen ausländischen Unionsbürger verstößt nicht gegen Gemeinschaftsrecht
Tatbestand:

Der Kläger, ein österreichischer Staatsangehöriger, ließ sich 1996 in Deutschland nieder, um hier den Beruf eines selbständigen Versicherungsagenten auszuüben. Im Ausländerzentralregister sind über ihn Daten des in § 3 AZRG bezeichneten Inhalts gespeichert. Der Kläger hält die Datenspeicherung für unvereinbar mit den Diskriminierungsverboten gem. Art. 12 und 49 EG sowie den Vorgaben der Art. 6 Abs. 1 lit. b und 7 lit. e der Richtlinie 95/46/EG. Seiner Klage auf Löschung der Daten gab das VG statt. Auf die Berufung der Beklagten und nach Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH (NVwZ 2009, 379) änderte das OVG das angefochtene Urteil und wies die Klage ab.

Gründe:

Die Berufung ist begründet.

Das VG hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Löschung der im Ausländerzentralregister über ihn gespeicherten Daten nicht zu.

Nach § 36 Abs. 1 Satz 4 AZRG sind im Ausländerzentralregister gespeicherte Daten zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig war. Entsprechendes gilt, wenn eine ursprünglich zulässig gewesene Speicherung nachträglich unzulässig geworden ist. Beides ist hier nicht der Fall. Die Speicherung der Daten des Klägers im Ausländerzentralregister war und ist zulässig.

1. Der in § 2 Abs. 1 AZRG vorausgesetzte Anlass der Speicherung liegt vor, da der Kläger seinen Aufenthalt nicht nur vorübergehend in Deutschland hat. Gegenstand der Speicherung sind Daten des in § 3 AZRG bezeichneten Inhalts.

2. Die Anwendung der §§ 2 und 3 AZRG auf den Kläger verstößt nicht gegen Gemeinschaftsrecht.

a) Aufgrund der vom Senat eingeholten Vorabentscheidung des EuGH vom 16.12.2008 - C-524/06 - steht fest, dass der Gebrauch eines Registers wie des Ausländerzentralregisters zur Unterstützung der mit der Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften betrauten Behörden grundsätzlich legitim und angesichts seiner Natur mit dem in Art. 12 Abs. 1 EG niedergelegten Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit vereinbar ist. Der EuGH begründet dies mit der Notwendigkeit, dass ein Mitgliedstaat über einschlägige Informationen und Dokumente verfügen muss, um in dem durch das anwendbare Gemeinschaftsrecht festgelegten Rahmen zu überprüfen, ob ein Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats ein Recht auf Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet hat und keine Gründe vorliegen, die eine Beschränkung dieses Rechts rechtfertigen (Rn. 58). Die hiernach grundsätzlich zulässige Speicherung personenbezogener Daten ausländischer Unionsbürger zur Unterstützung der mit der Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften betrauten nationalen Behörden unterliegt allerdings mit Blick auf das im Lichte des Diskriminierungsverbots auszulegende Erforderlichkeitsgebot gemäß Art. 7 lit. e der Richtlinie 95/46/EG einer doppelten Einschränkung: Zum einen darf das Register nur die Daten enthalten, die für die Anwendung der entsprechenden Vorschriften durch die genannten Behörden erforderlich sind. Zum anderen muss sein zentralisierter Charakter eine effizientere Anwendung dieser Vorschriften in Bezug auf das Aufenthaltsrecht von Unionsbürgern erlauben, die keine Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats sind (Rn. 66).

Beide Voraussetzungen liegen hier vor.

aa) In Bezug auf den Kläger sind ausschließlich solche personenbezogenen Daten gespeichert, die für die Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften erforderlich sind.

Nach der Vorabentscheidung des EuGH vom 16.12.2008 - C-524/06 - ist beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts die Verarbeitung personenbezogener Daten, die aus den in Art. 8 Abs. 3 und Art 27 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG genannten Dokumenten hervorgehen, als zur Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften erforderlich im Sinne von Art. 7 lit. e der Richtlinie 95/46/EG anzusehen (Rn. 59). Hierunter fallen unter anderem die Passdaten (Art des Passes, Passnummer, ausstellender Staat) und die in dem Pass enthaltenen personenbezogenen Daten (Name, Vorname, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit, Geschlecht).

Der zitierten Äußerung des EuGH ist in Ermangelung eines entsprechenden einschränkenden Zusatzes ("nur") nicht zu entnehmen, dass die Erforderlichkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten zur Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften auf die dort genannten Daten beschränkt wäre. Einzubeziehen sind vielmehr sämtliche Daten, die unmittelbar für die Feststellung und Überprüfung des aufenthaltsrechtlichen Status des Unionsbürgers erforderlich sind.

Hierzu gehört auch die Angabe des Familienstandes. Denn dieser ist gegebenenfalls Anknüpfungspunkt für die Ableitung einer an die Eigenschaft als Familienangehöriger anknüpfenden gemeinschaftsrechtlichen Rechtsposition (vgl. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG).

Für die Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften erforderlich sind darüber hinaus auch die historischen Einträge zum Meldestatus. Die dort dokumentierten bisherigen Zuzüge nach Deutschland und Fortzüge ins Ausland ermöglichen die Überprüfung der Dauer des Aufenthalts, die unter verschiedenen gemeinschaftsrechtlichen Gesichtspunkten bedeutsam ist (vgl. etwa Art. 16 Abs. 1 und 4, 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG). Im Übrigen lässt sich anhand dieser Einträge feststellen, welche Ausländerbehörden während des bisherigen Inlandsaufenthalts aktenführend waren und für etwa erforderlich werdende aufenthaltsbezogene Nachfragen zur Verfügung stehen.

Schließlich sind auch die Speicherung des Geschäftszeichens der Registerbehörde sowie der Bezeichnung und Geschäftszeichen der Stellen, die Daten übermittelt haben, für die Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften erforderlich, so dass dahinstehen kann, ob es sich insoweit überhaupt um personenbezogene Daten im Sinne von Art. 2 lit. a der Richtlinie 95/46/EG handelt. Denn diese Angaben ermöglichen eine Rekonstruktion der Datengenese und somit die erforderliche Absicherung ihrer formellen Authentizität.

bb) Der zentralisierte Charakter des Ausländerzentralregisters ermöglicht eine effizientere Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften als ein alternativ in Betracht kommender Rückgriff auf die dezentralisierten Melderegister der Länder.

Dies ergibt sich de lege lata bereits aus dem Umstand, dass die Melderegister der Länder keine Daten zum aufenthaltsrechtlichen Status der dort verzeichneten Personen enthalten (zu den von den Meldebehörden zu speichernden Daten vgl. § 2 MRRG).

Eine de lege ferenda grundsätzlich in Betracht kommende Einstellung derartiger Daten von ausländischen Unionsbürgern in die Melderegister der Länder statt in das Ausländerzentralregister ginge mit einem signifikanten Effizienzverlust bei der Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften einher. Denn ohne die Möglichkeit eines Zugriffs auf das Ausländerzentralregister müssten die Ausländerbehörden vor einer Entscheidung, die den aufenthaltsrechtlichen Status eines Unionsbürgers betrifft, sämtliche Melderegister der Länder daraufhin abfragen, ob womöglich ein Grund vorliegt, der eine Beschränkung des Aufenthaltsrechts rechtfertigt. Dass dies in Anbetracht einer Zahl von 5.283 Meldebehörden (Stand: 2.2.2007; Quelle: Bundesministerium des Innern, IT-Projekte im Überblick, Bundesmelderegister, http://www.deutschland-online.de) unpraktikabel und mit einem erhöhten Fehlerrisiko verbunden ist, liegt auf der Hand.

Nicht minder unpraktikabel und damit ineffizient ist die ebenfalls theoretisch denkbare Möglichkeit, diejenigen personenbezogenen Daten, die sowohl in den kommunalen Melderegistern als auch im Ausländerzentralregister gespeichert sind, aus Letzterem zu entfernen. Denn dies beträfe im Wesentlichen die Grund- und weiteren Personalien, § 3 Nrn. 4 und 5 AZRG, ohne die den übrigen im Ausländerzentralregister gespeicherten Daten ein torsohafter Charakter zukäme.

Die demnach gegebene Zulässigkeit der Speicherung personenbezogener Daten ausländischer Unionsbürger zur Unterstützung der mit der Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften betrauten nationalen Behörden impliziert zugleich, dass die Speicherung mit Art. 6 lit. b Satz 1 Hs. 1 der Richtlinie 95/46/EG vereinbar ist, wonach die Datenerhebung für festgelegte eindeutige und rechtmäßige Zwecke erfolgen muss.

b) Nicht erforderlich im Sinne von Art. 7 lit. e der Richtlinie 95/46/EG ist nach der Vorabentscheidung des EuGH die Speicherung und Verarbeitung von namentlich genannte Personen betreffenden personenbezogenen Daten im Rahmen eines Registers wie des Ausländerzentralregisters zu statistischen Zwecken (Rn. 65). Darüber hinaus ist es nach dieser Entscheidung einem Mitgliedstaat durch Art. 12 Abs. 1 EG verwehrt, zur Bekämpfung der Kriminalität ein System zur Verarbeitung personenbezogener Daten zu errichten, das nur Unionsbürger erfasst, die keine Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats sind (Rn. 81).

Aus dieser Einschränkung zulässiger Nutzungszwecke erwächst dem Kläger allerdings kein Löschungsanspruch. Denn die Speicherung seiner Daten dient - wie dargelegt - dem in gemeinschaftsrechtlicher Hinsicht legitimen Anliegen, die mit der Anwendung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften betrauten nationalen Behörden zu unterstützen. Die Unterbindung einer Datennutzung durch sonstige Behörden zu anderen als ausländerrechtlichen Zwecken ist nicht durch eine Löschung der Daten, sondern durch ein Verbot einer mit ihrer Zweckbestimmung nicht zu vereinbarenden Weiterverarbeitung, vgl. Art. 6 Abs. 1 lit. b Satz 1 Hs. 2, 2 lit. b der Richtlinie 95/46/EG, zu erreichen. Für einen hierauf gerichteten Verpflichtungsantrag, den der Kläger nicht gestellt hat, dürfte allerdings das erforderliche Rechtsschutzinteresse fehlen. Denn durch die Dienstanweisung des Bundesministeriums des Innern vom 12. Februar 2009 ist sichergestellt, dass eine Nutzung der Daten des Klägers zu statistischen Zwecken nur in anonymisierter Form erfolgt und ein Zugriff auf sie zum Zwecke der Kriminalitätsbekämpfung unterbleibt. Anhaltspunkte dafür, dass eine Beachtung dieser Maßgaben nicht gewährleistet wäre, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.



Ende der Entscheidung

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