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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 02.03.2006
Aktenzeichen: 18 A 142/06
Rechtsgebiete: AufenthG, ARB 1/80


Vorschriften:

AufenthG § 55
ARB 1/80 Art. 14
1. Der Verlust des Aufenthaltsrechts aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit hat bei einem assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen nicht in der Form einer deklaratorischen Feststellung zu erfolgen. Erforderlich ist vielmehr eine Ermessens-Ausweisung.

2. Eine derartige Ausweisung kann nicht nur zulässig sein bei einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit des Staates, sondern schon bei einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung.


Tatbestand:

Der in der Bundesrepublik Deutschland als Kind eines türkischen Arbeitnehmers geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Seine Verurteilung zu einer einheitlichen Jugendstrafe von 6 Jahren und 6 Monaten wegen zahlreicher schwerer Raubüberfälle im Jahre 2001 nahm der Beklagte zum Anlass für seine Ausweisung. Die nach erfolglosem Widerspruch dagegen erhobene Klage wurde vom VG abgewiesen. Den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung, mit der er allein eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend machte, lehnte das OVG ab.

Gründe:

Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist nicht ersichtlich.

Die als erstes vom Kläger formulierte Rechtsfrage, die auf Grund der in Bezug genommenen Literaturmeinungen sinngemäß nur so verstanden werden kann, ob ein türkischer Staatsangehöriger, der sich auf ein Aufenthaltsrecht nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19.9.1980 - ARB 1/80 - berufen kann, in Form einer Ermessensentscheidung ausgewiesen werden darf oder ob der Verlust des Aufenthaltsrechts nur im Wege einer deklaratorischen, gerichtlich voll überprüfbaren Feststellung, die rechtlich gebunden und nicht von einem behördlichen Handlungsermessen abhängig ist, erfolgen kann, - so Renner, Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 7.7.2005 - C-383/03 - (Dogan), ZAR 2005, 295, 297; Gutmann, Die verborgene Altfallregelung für ausgewiesene Unionsbürger, InfAuslR 2005, 125 - ist höchstrichterlich bereits geklärt. Das BVerwG hat nicht nur, wie der Kläger meint, unter der Geltung des Ausländergesetzes 1990 im Hinblick auf die darin vorgesehene Ermessensausweisung, sondern auch nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes - AufenthG - unter besonderer Würdigung der einschlägigen neueren Entscheidungen des EuGH entschieden, dass assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige nur nach § 55 AufenthG in Verbindung mit den einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen "auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung" ausgewiesen werden dürfen und dass die Gerichte den Ausländerbehörden gegebenenfalls während eines Übergangszeitraums Gelegenheit zur Nachholung einer bisher nicht getroffenen Ermessenentscheidung und zur Aktualisierung von Ermessenserwägungen zu geben haben.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 15.3.2005 - 1 C 2.04 -, DÖV 2005, 834 = NVwZ 2005, 1074 = AuAS 2005, 220.

Dies entspricht der Rechtsprechung des Senats.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 16.3.2005 - 18 B 1751/04 - InfAuslR 2005, 245 = EZAR NF 19 Nr. 7 und vom 2.12.2005 - 18 B 1529/05 -.

In den genannten Entscheidungen hat der Senat bereits ausführlich dargelegt, dass die Assoziationsberechtigung eines türkischen Staatsangehörigen nicht auf die Anwendung des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern - FreizügG/EU - führt und deshalb ein assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger im Gegensatz zu den freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern und deren Familienangehörigen, hinsichtlich denen § 6 FreizügG/EU (lediglich) die Feststellung des Verlustes des Rechts auf Einreise und Aufenthalt ermöglicht, nach den Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes - namentlich dessen § 55 - unter Berücksichtigung der Grundsätze, die für die Beschränkung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer gelten, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Union besitzen, ausgewiesen werden darf. Damit wird den Assoziationsberechtigten schon deshalb keine gemeinschaftsrechtliche Position genommen, weil das Gemeinschaftsrecht nach der Rechtsprechung des EuGH - vgl. Urteil vom 29.4.2004 - Rs. C-482/01 und C-493/01 (Orfanopoulos und Olivieri) -, InfAuslR 2004, 268 - einer Ausweisung grundsätzlich nicht entgegen steht, was nunmehr auch die Art. 28 ff. der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 (ABl. L 158 vom 30.4.2004) verdeutlichen, die konkrete Vorgaben für die Ausweisung von Unionsbürgern und deren Familienangehörigen beinhalten.

Hinsichtlich der weiter als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichneten Frage, ob die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen nur rechtmäßig ist, wenn durch seinen weiteren Aufenthalt die öffentliche Sicherheit des Staates gefährdet ist, fehlt es bereits an einer substantiierten Darlegung des Klägers, dass diese Frage entscheidungserheblich ist. Seine Begründung des Zulassungsantrags erschöpft sich insoweit in der ohne Bezug zu Art und Schwere seiner Straftaten und das erhebliche Strafmaß einer einheitlichen Jugendstrafe von 6 Jahren und 6 Monaten aufgestellten Behauptung, er erfülle "nicht einen solchen Gefährdungsbegriff der öffentlichen Sicherheit".

Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass auch diese zur Entscheidung gestellte Frage bereits durch das BVerwG grundsätzlich geklärt ist. Das BVerwG hat hinsichtlich der Ausweisung freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger unter besonderer Würdigung der Rechtsprechung des EuGH entschieden, dass diese Ausweisung eine hinreichend schwere Gefährdung voraussetzt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung - im Sinne einer "gegenwärtigen und schwer wiegenden Gefahr für wichtige Rechtsgüter" - darstellt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 3.8.2004 - 1 C 30.02 -, BVerwGE 121, 297 = DÖV 2005, 834 = DVBl 2005, 122 = InfAuslR 2005, 18 = NVwZ 2005, 220 = NWVBl. 2005, 99.

Diese - nicht auf eine Gefährdung für die Sicherheit des Staates beschränkten - Voraussetzungen für eine Ausweisung hat das BVerwG auf die Ausweisung assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger übertragen.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 3.8.2004 - 1 C 29.02 -, BVerwGE 121, 315 = DVBl. 2005, 119 = InfAuslR 2005, 26 = NVwZ 2005, 224 = AuAS 2005, 26 und vom 15.3.2005 - 1 C 2.04 -, a. a. O.

Es hat in der letztgenannten Entscheidung für die Feststellung einer gegenwärtigen Gefährdung der öffentlichen Ordnung auf die Gefahr der Begehung erneuter Straftaten - hier nach einer Drogentat - abgestellt.

Dass entgegen der Ansicht des Klägers insbesondere aus Art. 28 Abs. 3 der für Unionsbürger geltenden Richtlinie 2004/38/EWG nicht hergeleitet werden kann, dass eine Ausweisung nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit des Staates verfügt werden dürfe, hat auch der Senat bereits grundsätzlich entschieden, vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2.12.2005 - 18 B 1529/05 -, so dass dies keiner Klärung in einem Berufungsverfahren mehr darf.

Ende der Entscheidung

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