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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 16.03.2005
Aktenzeichen: 18 B 1751/04
Rechtsgebiete: ARB 1/80, AufenthG


Vorschriften:

ARB 1/80 Art. 7
AufenthG § 4 Abs. 4
AufenthG § 4 Abs. 5
AufenthG § 50 Abs. 1
AufenthG § 55
Die Ausweisung assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger beurteilt sich nach dem Aufenthaltsgesetz unter Berücksichtigung der Grundsätze, die für die Beschränkung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer gelten, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der EU besitzen.
Tatbestand:

Der 1979 in Deutschland geborene Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger. Er wurde durch Ordnungsverfügung vom 12.7.2004 ausgewiesen. Das VG lehnte den nach Widerspruchserhebung gestellten Aussetzungsantrag ab. Die dagegen eingelegte Beschwerde hatte keinen Erfolg.

Gründe:

Gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO muss die Beschwerdebegründung u. a. die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen.

Diese Anforderungen entspricht die Beschwerdebegründung nicht. (Wird ausgeführt)

Dessen ungeachtet wäre die Beschwerdebegründung unter keinem Gesichtspunkt geeignet, die auch nach dem inzwischen durch das Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) vom 30.7.2004 - BGBl. I S. 1950 - zum 1.1.2005 in Kraft getretenen Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG) weiterhin zutreffenden Gründe des angefochtenen Beschlusses in Frage zu stellen.

Insoweit ist zunächst klarzustellen, dass sich die Erfolgsaussichten des Widerspruchs und einer etwa nachfolgenden Anfechtungsklage gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 12.7.2004 nunmehr nach dem Aufenthaltsgesetz beurteilen. Das gilt auch dann, wenn mit dem VG zugunsten des Antragstellers von einer ihm zukommenden Rechtsposition aus Art. 7 ARB 1/80 ausgegangen wird. Die Assoziationsberechtigung eines türkischen Staatsangehörigen führt nicht auf die Anwendung des ebenfalls durch das Zuwanderungsgesetz in Kraft getretenen Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG-EU -). Zwar hat der EuGH wiederholt entschieden, - zuletzt Urteil vom 11.11.2004 - Rs. C-467/02 (Cetinkaya) - Rn. 42, InfAuslR 2005, 13 - dass die im Rahmen des Art. 39 EG (vormals Art. 48 EG-Vertrag) geltenden Grundsätze über die Freizügigkeit der Unionsbürger so weit wie möglich auf türkische Arbeitnehmer, welche die im Beschluss ARB 1/80 eingeräumten Rechte besitzen, übertragen werden sollen, und das BVerwG hat die Übertragung dieser Grundsätze auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige im Rahmen des Ausweisungsschutzes ausdrücklich bestätigt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 3.8.2004 - 1 C 29.02 -, InfAuslR 2005, 26.

Dies bedeutet, dass bei der Bestimmung des Umfangs der in Art. 14 ARB 1/80 vorgesehenen Beschränkung der Rechte aus diesem Beschluss darauf abzustellen ist, wie die gleiche Maßnahme im Bereich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der EU besitzen, erfolgen dürfte.

Vgl. erneut EuGH, Urteil vom 11.11.2004 - Rs. C-467/02 (Cetinkaya) - Rn. 43, a.a.O.

Daraus folgt jedoch nicht, dass türkische Staatsangehörige, die ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 besitzen, rechtlich wie Unionsbürger zu behandeln sind. Die zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Türkei bestehenden Assoziationsregelungen zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer beinhalten nicht eine vollständige Gleichstellung von türkischen Arbeitnehmern in Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft mit Gemeinschaftsangehörigen, sondern dienen der schrittweisen Herstellung der Freizügigkeit türkischer Arbeitnehmer

Vgl. Art. 36 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12.9.1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation vom 23.11.1970 - BGBl. 1972 II S. 385 -; OVG NRW, Beschluss vom 20.5.2003 - 18 B 962/03 - m.w.N.

Davon ausgehend bleibt es dem nationalen Gesetzgeber unbenommen, auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige das allgemeine Ausländerrecht unter Berücksichtigung der Sonderstellung dieses Personenkreises für anwendbar zu erklären. Dies ist im Aufenthaltsgesetz geschehen. So wird in dessen § 4 Abs. 1 und Abs. 5 davon ausgegangen, dass für Ausländer, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht, das Aufenthaltsgesetz in vollem Umfang und nicht nur - wie für Unionsbürger durch § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG und durch die Verweisung in § 11 Abs. 1 FreizügG-EU geregelt - in sehr eingeschränktem Umfang gilt. Demzufolge finden auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige auch die Vorschriften der §§ 50, 51 AufenthG für die Begründung der Ausreisepflicht Anwendung. Nach § 50 Abs. 1 AufenthG ist ein Ausländer zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt und ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei nicht oder nicht mehr besteht.

Vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 29.12.2004 - 12 TG 3649/04 -.

Mit den aufgezeigten Regelungen im Aufenthaltsgesetz korrespondieren diejenigen des Freizügigkeitsgesetzes/EU. Nach seinem eindeutigen Wortlaut erfasst es ausschließlich Unionsbürger (§ 1 FreizügG-EU). Nur diese sollen nach dem gesetzgeberischen Willen grundsätzlich nicht mehr dem Anwendungsbereich des Aufenthaltsgesetzes unterfallen.

Vgl. BT-Drucks. 15/420, S. 62

Der Anwendung der Regelungen des Aufenthaltsgesetzes über die Begründung der Ausreisepflicht auf türkische Assoziationsberechtigte steht auch nicht entgegen, dass diese weiterhin ausgewiesen werden dürfen, während § 6 FreizügG/EU für Unionsbürger und deren Familienangehörigen lediglich die Feststellung des Verlustes des Rechts auf Einreise und Aufenthalt ermöglicht. Ungeachtet der Frage, ob zwischen beidem materiellrechtlich ein Unterschied zu sehen ist, wird den Assoziationsberechtigten schon deshalb keine gemeinschaftsrechtliche Position genommen, weil das Gemeinschaftsrecht nach der Rechtsprechung des EuGH - vgl. Urteil vom 29.4.2004 - Rs. C-482/01 und C-493/01 (Orfanopoulos und Olivieri) -, InfAuslR 2004, 268 - einer Ausweisung grundsätzlich nicht entgegen steht, was nunmehr auch die Art. 28 ff. der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates der Europäischen Union vom 29.4.2004 (Amtsblatt der EU, L 158/77 vom 30.4.2004) verdeutlichen, die konkrete Vorgaben für die Ausweisung von Unionsbürgern und ihrer Familienangehörigen beinhalten.

Ausgehend davon hat der Antragsteller selbst bei einer zu seinen Gunsten unterstellten Assoziationsberechtigung mit seiner Beschwerdebegründung weder die - diesbezüglich allein in Betracht kommenden - Ausführungen des VG zu einer von ihm ausgehenden konkreten Gefahr der Begehung weiterer schwerer Straftaten noch zur Ermessensentscheidung in Zweifel zu ziehen vermocht. (Wird ausgeführt)

Ende der Entscheidung

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