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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 11.05.2009
Aktenzeichen: 18 B 8/09
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 4 Abs. 1
AufenthG § 4 Abs. 6
AufenthG § 81 Abs. 3 Satz 1
AufenthG § 81 Abs. 2 Satz 2
1. § 81 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vermittelt einen rechtmäßigen Aufenthalt.

2. Eine Erlaubnisfiktion nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG berechtigt nicht zur Wiedereinreise in das Bundesgebiet.


Tatbestand:

Die am 11.8.2007 in Deutschland geborene Antragstellerin ist türkische Staatsangehörige. Auf einen am 17.9.2007 gestellten, bisher nicht beschiedenen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erhielt die Antragstellerin eine Bescheinigung über eine Erlaubnisfiktion. Die Bescheinigung wurde bei einer Ausreise der Antragstellerin einbehalten. Ihren Antrag, ihr für die Wiedereinreise nach Deutschland erneut eine Fiktionsbescheinigung zu erteilen, lehnte der Antragsgegner mit der Begründung ab, dass eine Erlaubnisfiktion nicht zur Wiedereinreise berechtige. Daraufhin versuchte die Antragstellerin erfolglos, ihr Begehren mit einem beim VG gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung durchzusetzen. Auch die Beschwerde hatte keinen Erfolg.

Gründe:

Das VG hat zu Recht den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Die Voraussetzungen des § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO liegen nicht vor. Es fehlt bereits an einem Anordnungsgrund. Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung, durch die der Antragsgegner zur Erteilung einer Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 3 und 5 AufenthG verpflichtet werden soll, ihr derzeit irgendwie von Nutzen sein könnte.

Zwar hatte die am 11.8.2007 in Deutschland geborene Antragstellerin durch ihren unter dem 17.9.2007 gestellten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis eine Erlaubnisfiktion nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG erworben; denn ihr Aufenthalt galt - wie von der Norm gefordert - bei Antragstellung als rechtmäßig, weil § 81 Abs. 2 Satz 2 AufenthG der Antragstellerin die Möglichkeit einräumte, innerhalb von sechs Monaten nach ihrer Geburt einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zu stellen, und eine am Kindeswohl orientierte Auslegung dieser Regelung, die sich zur Rechtsstellung des Kindes in diesem Zeitraum nicht verhält, es gebietet, insofern den Aufenthalt des Kindes als rechtmäßig zu beurteilen.

Vgl. Albrecht in: Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/ Harms/Kreuzer, 2. Aufl, ZuwG, § 81 AufenthG Rn.8; Maor, in: Kluth/Hund/Maaßen, Zuwanderungsrecht, 1. Aufl., § 4 Rn. 83; Benassi, Rechtsfolgen der Beantragung eines Aufenthaltstitels, InfAuslR 2006, 178, 179.

Eine Fiktionsbescheinigung, die dem Rechtsinhaber gemäß § 81 Abs. 5 AufenthG auszustellen ist, verschafft aber der am 25.5.2008 in die Türkei ausgereisten Antragstellerin ungeachtet der Frage, ob diese die Erlaubnisfiktion durch ihre Ausreise verloren hat, dies z.B. verneinend Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl., § 81 AufenthG Rn. 28, gegenwärtig keine schützenswerte Rechtsposition. Denn die Fiktionsbescheinigung soll vorliegend der Antragstellerin dazu dienen, ins Bundesgebiet zurückzukehren und sich hier aufzuhalten. Die Erlaubnisfiktion berechtigt jedoch unter der Geltung des AufenthG entgegen einer verbreitet in der Literatur, vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand April 2006, § 81 AufenthG Rn. 13; Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, Stand Februar 2008, § 81 AufenthG Rn. 31; HK-AuslR/Hofmann, 1. Aufl. 2009, § 81 AufenthG Rn. 39, Westphal/Stoppa, Ausländerrecht der Polizei, 3. Auflage, S. 177, vertretenen, wohl auf eine Entscheidung des BVerwG zum AuslG 1965, BVerwG, Beschluss vom 14. 7.1978 - 1 ER 301/78 -, DVBl. 1978, 888, zurückzuführende Auffassung nicht zur Einreise nach Deutschland.

So auch Bundesministerium des Innern, Schreiben vom 20.1.2005 - M I 3 - 125 181-81/0 -, und vom 7.2.2005 - M I 3 - 125 181/0.

Für die Einreise bedarf nach § 4 Abs. 1 AufenthG ein Ausländer, der wie die Antragstellerin über kein Aufenthaltsrecht im Sinne von dessen zweitem Halbsatz verfügt, eines Aufenthaltstitels. Insoweit kommen vorliegend gemäß dessen Satz 2 allein in Betracht ein Visum (§ 6 AufenthG), für dessen Besitz hier nichts ersichtlich ist, und eine Aufenthaltserlaubnis im Sinne des § 7 Abs. 1 AufenthG. Nach dieser Norm ist eine Aufenthaltserlaubnis ein befristeter Aufenthaltstitel, der ausschließlich - von begründeten, hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen - zu den in den nachfolgenden Abschnitten des 2. Kapitels des AufenthG genannten Aufenthaltszwecken erteilt wird. Hierzu zählt nicht eine Erlaubnisfiktion nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, die allein dazu dient, dem Ausländer für das Verfahren auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Bundesgebiet einen Aufenthalt zu ermöglichen. Dies folgt schon daraus, dass dieses Fiktionsrecht nicht zum 2., sondern zum 7. Kapitel des AufenthG gehört, so dass es schon gesetzessystematisch nicht von § 7 Abs. 1 AufenthG erfasst wird und deshalb auch nicht zu den Aufenthaltstiteln im Sinne von § 4 Abs. 1 AufenthG zählt.

Dem lässt sich nicht entgegen halten, dass § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG aufgrund des verwendeten Begriffs des "Erlaubtseins" an den Begriff der Aufenthaltserlaubnis denken lässt und deshalb als eine außerhalb des 2. Kapitels geregelte Spezialnorm einen fiktiven Aufenthaltstitel in der Form einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne des § 4 Abs. 1 AufenthG vermittelt. Hierfür hätte es einer - hier fehlenden - ausdrücklichen Regelung wie in § 81 Abs. 4 AufenthG bedurft. Denn Sinn und Zweck der Erlaubnisfiktion erfordern lediglich eine schlichte Legalisierung des Aufenthalts, nicht mehr und nicht weniger.

Vgl. Renner, a. a. O., § 81 AufenthG Rn. 27; Funke-Kaiser, a. a. O., § 81 AufenthG Rn. 30.

Die Erlaubnisfiktion dient nämlich allein dazu, einem Ausländer, der keinen Aufenthaltstitel besitzt, im Anschluss an einen rechtmäßigen Aufenthalt für die Dauer eines auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichteten Verfahrens bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde einen rechtmäßigen Aufenthalt zu verschaffen. Damit soll im Gegensatz zu dem mit dem AufenthG weiterhin verfolgten Prinzip, den ersten Aufenthaltstitel zu dem endgültig beabsichtigten Aufenthaltszweck grundsätzlich vom Ausland aus einzuholen (vgl. insbesondere § 5 Abs. 2 AufenthG), die Einholung des (ersten) Aufenthaltstitels vom Bundesgebiet aus ermöglicht werden. Dafür muss die bisherige Rechtsstellung eines Ausländers, die ihm - wie der Antragstellerin und beispielsweise den sogenannten Positivstaatern (Art. 1 Abs. 2 und Anhang II zur VO/EG 539/2001) - lediglich einen rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland ermöglicht, nicht verbessert werden, was jedoch bei der Qualität einer fingierten Aufenthaltserlaubnis der Fall wäre. Der Inhaber einer Erlaubnisfiktion ist vor allem von Vergünstigungen ausgeschlossen, wenn das Gesetz den Besitz eines Aufenthaltstitels verlangt (z. B. im Ausländerrecht §§ 29 Abs. 1, 30 Abs. 1 AufenthG).

Vgl. erneut Renner, a. a. O., § 81 AufenthG Rn. 27.

Auch ein Vergleich des § 81 Abs. 3 S. 1 AufenthG mit dem Absatz 4 der Norm verdeutlicht, dass mit der Erlaubnisfiktion nicht ein Aufenthaltstitel im Sinne von § 4 Abs. 1 AufenthG fingiert wird. Denn nur Absatz 4 nimmt die Diktion jener Regelung auf, indem er den Fortbestand des bisherigen "Aufenthaltstitels" bestimmt. Dagegen verfängt nicht der Einwand, aus dem in § 81 Abs. 4 AufenthG verwendeten Begriff des Aufenthaltstitels lasse sich kein Gegensatz zur Regelung in Absatz 3 herleiten, weil die Bezeichnung "Aufenthaltstitel" allein deshalb in die Norm aufgenommen worden sei, um einem Ausländer, der bisher einer Erwerbstätigkeit nachgehen durfte, eine solche weiterhin zu ermöglichen, was mit einer schlichten Erlaubnisfiktion mangels der nach § 4 Abs. 2 Satz 2 AufenthG insoweit erforderlichen ausdrücklichen Regelung zur Berechtigung der Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht hätte erreicht werden können. Im Gegenteil verdeutlicht gerade das Erfordernis des § 4 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, dass die Erlaubnisfiktion kein Aufenthaltstitel ist. In einem solchen Fall müsste nämlich mit ihrem Entstehen eine - nicht vorgesehene - Regelung zur Erwerbstätigkeit verbunden sein. Denn § 4 Abs. 2 Satz 2 AufenthG verlangt, dass jeder Aufenthaltstitel Entsprechendes erkennen lassen muss. Dies bedeutet bei einem ohne Vollzugsakt unmittelbar aus dem Gesetz entstehenden Aufenthaltsrecht, dass sich bereits aus jenem eine Aussage zur Zulässigkeit der Erwerbstätigkeit ergeben müsste.

Des Weiteren kann es aufgrund der bereits erwähnten Entscheidung des BVerwG, Beschluss vom 14.7.1978 - 1 ER 301/78 -, a. a. O., nicht als höchstrichterlich geklärt angesehen werden, dass eine Erlaubnisfiktion nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG zur Wiedereinreise berechtigt. Seinerzeit war entschieden worden, dass ein Ausländer bei einer nach § 21 Abs. 3 Satz 1 AuslG 1995 erworbenen Erlaubnisfiktion so zu behandeln sei, als sei er im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis und deshalb auch zur Wiedereinreise befugt. Diese Rechtsprechung ist angesichts dessen, dass das AufenthG gegenüber dem AuslG 1965 erhebliche strukturelle Veränderungen aufweist, nicht auf das geltende Recht übertragbar. Die gegenüber dem AuslG 1965 erheblich differenzierteren Regelungen im AufenthG setzen hinsichtlich der Fiktionsrechte und zu den rechtlichen Anforderungen an eine Einreise in das Bundesgebiet neue Maßstäbe. So kannte das AuslG 1965 nur eine Erlaubnisfiktion und nur eine Art eines Aufenthaltstitels, die Aufenthaltserlaubnis, während nun zwischen drei Fiktionsrechten und vier Aufenthaltstiteln unterschieden wird, von denen hinsichtlich der Aufenthaltserlaubnis nochmals differenziert wird zwischen verschiedenen Aufenthaltszwecken. Zudem muss nunmehr erstmals jeder Aufenthaltstitel erkennen lassen, ob die Ausübung einer Erwerbstätigkeit erlaubt ist.

Nach alledem kann es keine ausschlaggebende Bedeutung haben, dass die Gesetzesmaterialien zum AuslG 1990 und zum AufenthG hinsichtlich der Fiktionsrechte auf eine vom Gesetzgeber beabsichtigte Kontinuität hindeuten. So sollten durch die Regelung des § 69 Abs. 3 AuslG 1990 in Übernahme der Regelung aus § 21 Abs. 3 AuslG 1995 Ausländer im Wesentlichen dieselbe Rechtsstellung wie Inhaber einer Aufenthaltsgenehmigung oder wie Ausländer, die von der Aufenthaltsgenehmigungspflicht befreit sind, haben.

BT-Drucks. 11/6321, S. 80; Hamb. OVG, Beschluss vom 17.10.1995 - Bs VII 138/95 -, juris.

Zu § 81 Abs. 3 AufenthG heißt es, er gebe im Wesentlichen den geltenden Rechtszustand zu § 69 Abs. 2 und 3 AuslG 1990 wieder.

BT-Drucks. 15/420, S. 96.

Die damit angesprochene Kontinuität verlangt indessen nicht, dass Änderungen bezüglich der Fiktionsrechte nicht beabsichtigt waren. Die jeweiligen Hinweise in den Gesetzesmaterialien auf eine Beibehaltung der wesentlichen Regelungen verdeutlichen vielmehr lediglich, dass der Kerngehalt des Fiktionsrechts erhalten bleiben sollte, was im Übrigen Änderungen einschließt. Dem entspricht es, dass grundsätzlich der Status eines legalen Aufenthalts nach Beantragung eines Aufenthaltstitels beibehalten wurde, wie ihn im Anschluss an das AuslG 1995 zunächst § 69 Abs. 3 AuslG 1990 und jetzt § 81 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 AufenthG regeln. Dagegen betrifft die Frage nach der Wiedereinreisemöglichkeit mit einer Erlaubnisfiktion nicht den Wesenskern des Fiktionsrechts, was sich auch daran zeigt, dass sie nur für wenige Ausländer bedeutsam ist. Insbesondere werden die von § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG vornehmlich begünstigten Gruppen, die sogenannten Positivstaater und die von § 41 AufenthV erfassten Staatsangehörigen, von der Frage nach der Wiedereinreisemöglichkeit nicht betroffen, weil jene ohnehin visumsfrei (wieder) einreisen dürfen.

Ende der Entscheidung

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