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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 19.11.2007
Aktenzeichen: 18 E 124/07
Rechtsgebiete: VwVfG NRW, VwGO, ZPO


Vorschriften:

VwVfG NRW § 3 Abs. 3
VwGO § 166
ZPO § 114
1. Zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussichten als Voraussetzung für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

2. Legt man den Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs als maßgeblich zugrunde, kann das Gesuch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren frühestens nach Anhörung des Gegners als entscheidungsreif angesehen werden.

3. Zur Fortführung des Verfahrens nach Änderung der die Zuständigkeit begründenden Umstände (§ 3 Abs. 3 VwVfG NRW).


Gründe:

Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hatte zum maßgeblichen Zeitpunkt keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO.

Das gilt zunächst, wenn man mit der wohl überwiegenden Auffassung als maßgeblichen Zeitpunkt für die Entscheidung über das Gegebensein hinreichender Erfolgsaussichten als Voraussetzung für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe denjenigen der Entscheidungsreife zugrundelegt, also den Zeitpunkt, an dem alle Erfordernisse für die Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch erstmals gegeben waren und das Gericht darüber hätte entscheiden können.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 26.7.2007 - 19 E 517/07 -, vom 14.3.2003 - 16 E 151/03 - und vom 29.1.2003 - 16 E 784/00 -; BayVGH, Beschlüsse vom 18.6.2007 - 19 C 06.3043 - und vom 18.7.2006 - 24 C 06.1531 -, jeweils juris; Hamb. OVG, Beschluss vom 10.9.2003 - 4 So 81/03 -, FamRZ 2005, 464; OVG Bremen, Beschluss vom 14.2.2002 - 1 S 469/01 -, juris; Sächs. OVG, Beschluss vom 18.1.2001 - 5 BS 272/00 -, DVBl. 2001, 1228; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, § 166 Rn. 14a; Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 166 Rn. 77, alle m.w.N.; offengelassen vom BVerfG, Beschluss vom 14.6.2006 - 2 BvR 626/06 -, NVwZ 2006, 1156 (1157).

Für die Zugrundelegung dieses Zeitpunktes könnte ausgehend von der verfassungsrechtlich verankerten Funktion der Prozesskostenhilfe sprechen, dass der unbemittelte Kläger alsbald Gewissheit darüber haben soll, ob ihm die für seine beabsichtigte Rechtsverfolgung erforderlichen Mittel zur Verfügung gestellt werden oder nicht, und ihm aus einer verzögerten Behandlung seines Gesuchs durch das Gericht kein Nachteil erwachsen soll.

Zu gleichen Ergebnissen dürften die Vertreter der Auffassung gelangen, die statt dessen für die Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung grundsätzlich auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung und nur bei verzögerter gerichtlicher Entscheidung auf den Zeitpunkt der Entscheidungsreife abstellen.

So BFH, Beschluss vom 17.1.2006 - VIII S 6/05 (PKH) -, juris; OVG M.-V., Beschluss vom 4.2.2005 - 1 O 388/04 -, NVwZ-RR 2006, 509.

Allerdings kann es für die Annahme der Entscheidungsreife im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht ausreichen, dass lediglich Klageschrift bzw. Prozesskostenhilfegesuch nebst Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Beteiligten vorliegen.

So wohl BFH, Beschluss vom 27.6.2005 - VII S 11/05 (PKH) -, juris.

Allein aufgrund des Vorbringens des Klägers lässt sich die Frage der Erfolgsaussichten seines Begehrens nicht beurteilen. So bestimmt bereits § 118 Abs. 1 ZPO, dass vor der Bewilligung der Prozesskostenhilfe regelmäßig dem Gegner Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Gesuch zu geben ist. Im verwaltungsgerichtlichen, vom Amtsermittlungsgrundsatz bestimmten Verfahren wird ferner nach dem Grundsatz 'audiatur et altera pars' für die Frage, ob der Antrag entscheidungsreif ist, mindestens zu berücksichtigen sein, ob der Gegner Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt hat.

Vgl. OVG M.-V., Beschluss vom 4.2.2005 - 1 O 388/04 -; Hamb. OVG, Beschluss vom 10.9.2003 - 4 So 81/03 -; OVG Bremen, Beschluss vom 14.2.2002 - 1 S 469/01 -, jeweils a.a.O.

Ausgehend hiervon war vorliegend in dem Zeitpunkt, in dem das Prozesskostenhilfegesuch entscheidungsreif war, die Klage unbegründet, weil durch den Umzug des Klägers die Zuständigkeit des Beklagten weggefallen war. Denn die - bereits mit Begründung versehene - Klage nebst Prozesskostenhilfegesuch war dem Beklagten am 24.4.2005 mit einer sechswöchigen Frist zur Stellungnahme zugestellt worden. Die Frist, deren Länge dem Üblichen entspricht und nicht zu beanstanden ist, lief damit am 6.6.2005 ab. Bereits mit Schriftsatz vom 2.6.2005 hatte jedoch der Beklagte - zutreffend - mitgeteilt, dass der Kläger nach E. verzogen sei. Seit diesem Zeitpunkt ist der Beklagte ausländerrechtlich unzuständig für den Kläger und damit für den geltend gemachten Anspruch nicht passivlegitimiert.

Das Aufenthaltsgesetz enthält keine Regelungen über die örtliche Behördenzuständigkeit. Diese richtet sich vielmehr nach dem Verfahrensrecht der Länder, die die Bundesgesetze gemäß Art. 83 GG als eigene Angelegenheiten ausführen. Maßgeblich ist in Nordrhein-Westfalen § 4 Abs. 1 OBG NRW, der darauf abstellt, in welchem Bezirk die zu schützenden Interessen verletzt oder gefährdet werden. Dazu gehört - was hier in Betracht kommt - der Aufenthaltsort des Ausländers, von dem Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen können.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20.7.2007 - 18 B 2514/06 - m.w.N.

Grundsätzlich hat der Wegzug des Klägers aus dem örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten bei einer Verpflichtungsklage zur Folge, dass Letzterer mangels fortbestehender Passivlegitimation zum Erlass des begehrten Verwaltungsakts nicht mehr verpflichtet werden kann, sich ihm gegenüber das Verpflichtungsbegehren also erledigt hat und der Kläger deshalb allenfalls zur Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 Abs. 4 VwGO oder zur isolierten Anfechtungsklage übergehen kann.

Vgl. BVerwG, Urteilte vom 31.3.1987 - 1 C 32.84 -, NJW 1987, 2179, und vom 10.12.1996 - 1 C 19.94 -, Buchholz 402.240 § 5 AuslG 1990 Nr. 1; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Aufl. 2005, § 3 Rn. 53.

Eine derartige Klageänderung hat der Kläger hier nicht vorgenommen.

Unter Berücksichtigung der Bestimmung des § 3 Abs. 3 VwVfG NRW ergibt sich nichts anderes. Nach § 3 Abs. 3 VwVfG NRW kann, wenn sich im Laufe des Verwaltungsverfahrens die die Zuständigkeit begründenden Umstände ändern, die bisher zuständige Behörde das Verwaltungsverfahren fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr zuständige Behörde zustimmt. Es kann auf sich beruhen, ob der Kläger sich zur Begründung seiner Beschwerde überhaupt darauf stützen kann, dass der Beklagte diese Bestimmung, die die Begründung einer von der an sich vorgesehenen abweichenden Behördenzuständigkeit ermöglicht, falsch angewandt habe. Denn überwiegend und auch in der Rechtsprechung des Senats wird zwar angenommen, dass eine Fortführung auch des gerichtlichen Verfahrens durch die bisher zuständige Behörde in Verpflichtungssituationen gemäß § 3 Abs. 3 VwVfG NRW möglich ist und damit auch die Passivlegitimation fortbestehen kann, die sich hier allein nach örtlichen Zuständigkeit richtet.

So etwa BVerwG, Urteil vom 24.5.1995 - 1 C 7.94 -, NVwZ 1995, 1131; OVG NRW, Beschlüsse vom 26.8.1997 - 18 B 2978/96 - und vom 12.4.2000 - 18 B 465/00 - ; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.6.2006 - 13 S 1663/06 -, juris; Redeker, NVwZ 2000, 1223 (1226); a.A. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 3 Rn. 53; Louis/Abry, DVBl. 1986, 331 (335) -

Es kann jedoch nicht festgestellt werden, dass in Anwendung dieser Bestimmung der Beklagte passivlegitimiert wäre.

(...)

Die Zustimmung der an sich nunmehr zuständigen Behörde liegt bereits nicht vor. Es bedarf hier keiner Erörterung, ob diese Zustimmung im Aufsichts- oder Gerichtsweg ersetzt werden kann, vgl. dazu Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 3 Rn. 51; Stelkens/Bonk/Sachs VwVfG, 5. Aufl. 2001, Rdn. 38, denn es fehlt an der weiteren für die Eröffnung einer Ermessenentscheidung erforderlichen Voraussetzung. Es ist nämlich nicht ersichtlich, dass die Fortführung des Verfahrens durch den Beklagten unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient. (Wird ausgeführt.)

Nichts anderes ergäbe sich im Übrigen im Ergebnis, wenn für die Entscheidung über das Vorliegen hinreichender Erfolgsaussichten für das Prozesskostenhilfegesuch - in Übereinstimmung mit sonstigen Leistungsbegehren - auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgestellt würde.

So etwa BFH, Beschluss vom 17.1.2006 - VIII S 6/05 -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 18.9.2000 - 16 E 138/99 -, m.w.N.; Nds. OVG, Beschluss vom 27.7.2004 - 2 PA 1176/04 -, FamRZ 2005, 463; OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 27.1.1993 - 12 A 10776/91 -, NVwZ-RR 1994, 123.

Denn zu diesem Zeitpunkt war nach dem oben Ausgeführten der Beklagte für das Klagebegehren erst recht nicht mehr passivlegitimiert.

Ende der Entscheidung

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