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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 29.04.2008
Aktenzeichen: 19 A 1863/06
Rechtsgebiete: WDR-Satzung, RGebStV, BGB, AO


Vorschriften:

WDR-Satzung § 7
WDR-Satzung § 7 Satz 1
RGebStV § 4 Abs. 7 Satz 1
BGB § 366 Abs. 1
AO § 47
AO § 225 Abs. 1
AO § 232
§ 7 Satz 1 WDR-Satzung bewirkt die Verrechnung einer Zahlung mit der jeweils ältesten Rundfunkgebührenschuld grundsätzlich auch dann, wenn der entsprechende Gebührenanspruch verjährt ist. Der Gebührenschuldner kann eine solche Verrechnung nur verhindern, indem er spätestens bis zum Zeitpunkt der Zahlung die Einrede der Verjährung erhebt.
Tatbestand:

Der Beklagte zog die Klägerin mit zwei Bescheiden zu Rundfunkgebühren heran. Dagegen legte die Klägerin Widersprüche ein und trug unter anderem vor, mit ihren zwischenzeitlich veranlassten Zahlungen habe sie einen Teil der streitbefangenen Gebührenansprüche getilgt. Der Beklagte wies die Widersprüche zurück und führte insoweit aus, eingehende Zahlungen würden auf die jeweils älteste Gebührenschuld verrechnet. Die Klägerin erhob Klage, die das VG abwies, soweit nicht die Hauptsache erledigt war. Auch ihre Berufung hatte, soweit streitig entschieden wurde, keinen Erfolg.

Gründe:

Die Verrechnung folgt aus § 7 WDR-Satzung. Nach dieser Vorschrift werden Zahlungen zunächst auf die Kosten im Zusammenhang mit rückständigen Rundfunkgebühren, dann auf die Säumniszuschläge und dann auf die jeweils älteste Rundfunkgebührenschuld verrechnet. Dies gilt auch dann, wenn der Rundfunkteilnehmer eine andere Bestimmung trifft. § 7 Satz 1 WDR-Satzung ist wirksames Satzungsrecht. Diese Bestimmung kann sich auf eine gesetzliche Rechtsgrundlage stützen (I.1.) und steht mit höherrangigem Recht in Einklang (I.2.). § 7 Satz 1 WDR-Satzung bewirkt eine Verrechnung grundsätzlich auch mit verjährten Forderungen, es sei denn, der Gebührenschuldner erhebt spätestens bis zum Zeitpunkt der Zahlung die Einrede der Verjährung (II.).

I.1. § 7 Satz 1 WDR-Satzung wird von der Ermächtigungsgrundlage des § 4 Abs. 7 Satz 1 des Rundfunkgebührenstaatsvertrags - RGebStV - in seiner unverändert gebliebenen Ursprungsfassung vom 20.11.1991 gedeckt. Danach werden die Landesrundfunkanstalten ermächtigt, Einzelheiten des Verfahrens zur Leistung der Rundfunkgebühren einschließlich von Nachlässen bei längerfristiger Vorauszahlung und von Säumniszuschlägen durch Satzung zu regeln. Bei der Verrechnungsregelung des § 7 Satz 1 WDR-Satzung handelt es sich um eine solche Einzelheit des Leistungsverfahrens. Dass es sich insoweit um eine Regelung handelt, die wegen der mit der Verrechnung verbundenen Erfüllung unter anderem des jeweiligen Gebührenanspruchs materiell-rechtliche Wirkung entfaltet, steht dieser Annahme entgegen dem Vorbringen der Klägerin nicht entgegen. Denn § 4 Abs. 7 Satz 1 RGebStV erfasst, wie sich aus der beispielhaften Erwähnung von Nachlässen bei längerfristiger Vorauszahlung ergibt, auch derartige Satzungsbestimmungen.

OVG Berlin, Urteil vom 19.11.1996 - 8 B 117.96 -, juris, Rdnr. 35; Gall, in: Hahn/Vesting, Beck?scher Kommentar zum Rundfunkrecht, 2. Aufl. 2008, RGebStV § 4 Rdnr. 128.

I.2. § 7 Satz 1 WDR-Satzung steht auch mit höherrangigem Recht in Einklang. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des VG Bezug genommen. Der Einwand der Klägerin, eine Satzung könne den sich aus § 366 Abs. 1 BGB ergebenden allgemeinen Rechtsgrundsatz des Tilgungsbestimmungsrechts des Schuldners nicht umgehen, greift nicht durch. Dies folgt schon daraus, dass es, wie das VG zu Recht festgestellt hat, keinen im öffentlichen Recht unmittelbar geltenden (allgemeinen) Grundsatz des Inhalts gibt, wonach der Schuldner hinsichtlich mehrerer Schulden individuell bestimmen kann, welche Schuld er mit seiner Zahlung tilgen will. Das - grundsätzlich abdingbare - Tilgungsbestimmungsrecht des Schuldners im Sinne des § 366 Abs. 1 BGB ist Ausdruck der im Zivilrecht herrschenden Vertrags(inhalts)freiheit und kann im Recht der Rundfunkgebühren nicht ohne weiteres zugrunde gelegt werden. Die jeweiligen Rechtsverhältnisse haben nämlich keinen übereinstimmenden Grundcharakter. Die Rundfunkgebühren werden nicht aufgrund eines privatrechtlichen Anspruchs, sondern aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Abgabennorm gefordert. Das öffentliche Recht geht im Gegensatz zum Privatrecht aber gerade nicht von der Privatautonomie des Einzelnen (und des Staates) aus und hat grundsätzlich zwingenden Charakter. Gegen die Annahme eines allgemeingültigen Leistungsbestimmungsrechts des Schuldners spricht auch, dass der Gesetzgeber das Tilgungsbestimmungsrecht des Steuerschuldners in § 225 Abs. 1 AO ausdrücklich geregelt hat; Entsprechendes gilt für die nordrhein-westfälischen Kommunalabgaben (§ 12 Abs. 1 Nr. 5 lit. a KAG NRW).

In diesem Sinne zu § 225 Abs. 1 AO: VG Frankfurt, Urteil vom 25.4.2005 - 10 E 3894/03 -, juris, Rdnr. 26.

II. Gemäß § 7 Satz 1 WDR-Satzung werden Zahlungen grundsätzlich auch dann mit der jeweils ältesten Rundfunkgebührenschuld verrechnet, wenn der entsprechende Gebührenanspruch verjährt ist; der Gebührenschuldner kann eine solche Verrechnung nur dadurch verhindern, dass er spätestens bis zum Zeitpunkt der Zahlung die Einrede der Verjährung erhebt. Der Wortlaut des § 7 Satz 1 WDR-Satzung differenziert nicht danach, ob der Gebührenanspruch verjährt ist. Er spricht mit der Bezugnahme auf "die jeweils älteste Rundfunkgebührenschuld" vielmehr für die Erstrechnung auch auf verjährte Ansprüche. Denn diese sind lediglich einredebehaftet, nicht aber erloschen. Auch Sinn und Zweck dieser Bestimmung, den Zahlungsverkehr im EDV-Massenverfahren zu erleichtern, sprechen für diese Auslegung. Denn der Verwaltungspraktikabilität kann die Verrechnung mit der ältesten verjährten Forderung ebenso wie mit der ältesten nicht verjährten Forderung jedenfalls dann dienen, wenn ein redlicher Gebührenschuldner wegen der ihm als "Gegenleistung" für die Gebühr gewährten Möglichkeit, das Rundfunkangebot durch Inbetriebnahme des bereit gehaltenen Empfangsgeräts zu nutzen, auch auf eine verjährte Forderung leisten möchte. Zudem steht der Ausschluss der verjährten Gebührenansprüche von der Verrechnungsregelung in § 7 Satz 1 WDR-Satzung und die damit einher gehende Berücksichtigung der Verjährung von Amts wegen mit dem Rechtscharakter der Verjährung im Rundfunkgebührenrecht nicht in Einklang. Diese Verjährung führt anders als etwa nach §§ 47, 232 AO nicht zu einem Erlöschen des Rechts; vielmehr berechtigt die Verjährung wie im Zivilrecht lediglich zur (dauernden) Leistungsverweigerung; dabei ist es in das Belieben des Gebührenschuldners gestellt, ob und in welchem Umfang er die Einrede der Verjährung erhebt.

Vgl. Gall, a.a.O., RGebStV § 4 Rdnr. 58, m.w.N.

Die Anwendung des § 7 Satz 1 WDR-Satzung auch auf verjährte Gebührenansprüche hat schließlich entgegen dem Vortrag der Klägerin nicht zur Folge, dass die Regelung der Verjährung der Rundfunkgebührenpflichten umgangen oder zumindest weit gehend leer laufen würde. Denn dem Gebührenschuldner bleibt es unbenommen, die Einrede der Verjährung vor oder spätestens gleichzeitig mit der Zahlung zu erheben. Dass eine nach diesem Zeitpunkt erhobene Verjährungseinrede dagegen ins Leere geht, ergibt sich als Rechtsfolge aus § 7 Satz 1 WDR-Satzung. Die Verrechnung nach dieser Vorschrift führt nämlich zur Erfüllung des Gebührenanspruchs, mit dem die entsprechende Zahlung verrechnet wird. Dieses Erlöschen des Gebührenschuldverhältnisses ist von Amts wegen zu berücksichtigen und kann aus Gründen der Rechtsklarheit und -sicherheit nicht rückgängig gemacht werden. Durch das Erfordernis der Erhebung der Verjährungseinrede spätestens bis zur Zahlung wird der Gebührenschuldner auch nicht etwa unangemessen benachteiligt. Denn er kennt typischerweise die tatsächlichen Voraussetzungen der Entstehung der Gebührenschuld. Es ist ihm auch zuzumuten, vor der Veranlassung einer Zahlung zu überprüfen, ob von ihm noch nicht erfüllte Gebührenansprüche verjährt sind und ob er von seinem Leistungsverweigerungsrecht Gebrauch machen will.

Ende der Entscheidung

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