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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 28.01.2005
Aktenzeichen: 19 A 3391/03
Rechtsgebiete: RuStAÄndG 1974


Vorschriften:

RuStAÄndG 1974 Art. 3 Abs. 1
Der Erklärungserwerb nach Art. 3 Abs. 1 RuStAÄndG 1974 erstreckt sich nicht auf die bei Wirksamwerden der Erklärung bereits geborenen Abkömmlinge des Erklärungsberechtigten.
Tatbestand:

Die Mutter des Klägers hat die deutsche Staatsangehörigkeit gemäß Art. 3 Abs. 1 RuStAÄndG 1974 durch Erklärung vom 7.12.1999 erworben. Das VG verpflichtete die Beklagte zur Umstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises an den Kläger mit der Begründung, der Erklärungserwerb der Mutter erstrecke sich auch auf ihren Sohn. Das OVG wies die Klage des Klägers ab.

Gründe:

Der Kläger hat die deutsche Staatsangehörigkeit auch nicht in der Zeit nach seiner Geburt erworben. Der rechtskräftige Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit seiner Mutter durch Erklärung erstreckt sich nicht auf ihn.

I. Dem steht der Wortlaut der Regelungen in Art. 3 Abs. 1 RuStAÄndG 1974 entgegen. Danach erwerben nur die ehelich oder nichtehelich geborenen Kinder einer deutschen Mutter durch die Erklärung, deutscher Staatsangehöriger werden zu wollen, die Staatsangehörigkeit. Eine Erstreckung des Erklärungserwerbs auch auf die vor Abgabe der Erklärung bereits geborenen Abkömmlinge des Erklärungsberechtigten sowie auf diejenigen, die der Erklärungsberechtigte vor Abgabe der Erklärung adoptiert oder legitimiert hatte, ist weder in Art. 3 Abs. 1 RuStAÄndG 1974 noch in den sonstigen Bestimmungen des Art. 3 RuStAÄndG 1974 vorgesehen. Die Regelungen in Art. 3 Abs. 5 RuStAÄndG 1974 über die Vertretung Minderjähriger und bestimmter Volljähriger betreffen nur solche Personen, die selbst Erklärungsberechtigte sind.

II. Eine erweiternde Auslegung des Art. 3 RuStAÄndG 1974 dahin, dass der Erklärungserwerb sich auch auf die vor Abgabe der Erklärung bereits geborenen Abkömmlinge sowie auf die vor Abgabe der Erklärung Adoptierten oder Legitimierten des Erklärungsberechtigten erstreckt, kommt entgegen der Auffassung des VG,

ebenso: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.9.2002 - 13 S 2015/01 -, juris, Rdn. 26; Renner in: Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 4. Aufl., 2005, § 3 StAG, Rdn. 12; Makarov/von Mangoldt, Deutsches Staatsangehörigkeitsrecht, Stand: Dezember 2004, Art. 3 RuStAÄndG 1974, Rdn. 32; a. A.: OVG NRW, Urteil vom 24.4.2001 - 8 E 730/00 -,

nicht in Betracht. Denn eine über den Wortlaut hinausgehende Auslegung einer Vorschrift steht den Gerichten nur zu, wenn ohne Korrektur des Wortlauts der Gesetzeszweck in einem Teil der Fälle verfehlt würde, ein schwerwiegender Wertungswiderspruch oder eine offenbare Ungerechtigkeit vorläge.

BVerwG, Urteile vom 27.6.1995 - 9 C 8.95 -, DVBl. 1995, 1308 (1309), 7.3.1995 - 9 C 389.94 -, NVwZ 1995, 791 (792), und Beschluss vom 27.3.1992 - 6 B 6.92 -, NVwZ 1992, 1199 (1200), jeweils m. w. N.

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Es ist dem VG, der von ihm zitierten obergerichtlichen Rechtsprechung und Literatur darin zuzustimmen, dass ohne die erweiternde Auslegung des Art. 3 Abs. 1 RuStAÄndG 1974 die vom Gesetzgeber bezweckte Gleichberechtigung von Frauen und Männern (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG) nicht vollständig herbeigeführt wird. Während die Kinder deutscher Väter und einer ausländischen Mutter die durch Geburt von ihrem Vater erworbene deutsche Staatsangehörigkeit auch an ihre eigenen Abkömmlinge vermitteln, führt die dem Wortlaut entsprechende Anwendung des Art. 3 RuStAÄndG 1974 dazu, dass der Erklärungsberechtigte die durch Erklärung erworbene deutsche Staatsangehörigkeit nicht an die bereits vor Abgabe der Erklärung geborenen Abkömmlinge weitergeben kann. Dies steht jedoch mit dem Gesetzeszweck und dem Grundgesetz in Einklang.

1. Der Gesetzgeber hat sich für die Optionslösung in Art. 3 RuStAÄndG 1974 entschieden, damit die von dieser Vorschrift Betroffenen selbst darüber bestimmen können, ob sie die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben wollen. Ein Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes hätte zur Folge gehabt, dass sie ohne eigene Entscheidung ihre bisherige Staatsangehörigkeit verloren und die Pflichten deutscher Staatsangehöriger (z. B. Wehrdienst) hätten erfüllen müssen. Der gesetzgeberischen Entscheidung für die Optionslösung liegen aber auch außenpolitische Erwägungen und völkerrechtliche Gesichtspunkte zugrunde. Im Falle der Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes an die in der Zeit vom 1.4.1953 bis zum 31.12.1974 geborenen Kinder deutscher Mütter könnten sich nach der Gesetzesbegründung Belastungen der zwischenstaatlichen Beziehungen daraus ergeben, dass die nachträgliche - durch Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes erfolgende - Inanspruchnahme von Personen, die bisher staatsangehörigkeitsrechtlich ausschließlich anderen Staaten zugeordnet waren, von diesen Staaten als Eingriff in ihre Personalhoheit angesehen werden konnte. Dies hätte dazu führen können, dass nicht nur der Heimatstaat, sondern auch Drittstaaten nicht bereit wären, die kraft Gesetzes verliehene deutsche Staatsangehörigkeit anzuerkennen mit der Folge, dass die Bundesrepublik Deutschland keinen wirksamen Auslandsschutz gewähren könnte.

BT-Drs. 7/2175, S. 11; vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 9.11.2004 - 19 A 4422/03 -.

Diese Erwägungen des Gesetzgebers gelten aber in gleicher Weise für die vor Abgabe der Erklärung gemäß Art. 3 Abs. 1 RuStAÄndG 1974 geborenen Kinder der Erklärungsberechtigten sowie für diejenigen, die der Erklärungsberechtigte vor Abgabe der Erklärung adoptiert oder legitimiert hatte. Auch ihnen würde, wenn der erweiternden Auslegung des VG gefolgt wird, ohne eigene Entscheidungsfreiheit die deutsche Staatsangehörigkeit verliehen mit den in der Gesetzesbegründung angesprochenen und vom Gesetzgeber nicht gewollten außenpolitischen und völkerrechtlichen Konsequenzen. Dies spricht dafür, dass der Gesetzgeber bewusst davon abgesehen hat, den Erklärungserwerb gemäß Art. 3 RuStAÄndG 1974 auf Abkömmlinge, Adoptierte und Legitimierte des Erklärungsberechtigten zu erstrecken.

Dieser Annahme steht nicht entgegen, dass sich dem Gesetzgeber die Frage, ob der Erklärungserwerb sich etwa auch auf die Abkömmlinge des Erklärungsberechtigten erstreckt, angesichts des Alters des durch Art. 3 RuStAÄndG 1974 begünstigten Personenkreises nicht aufdrängen musste.

So aber VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.9.2002 - 13 S 2015/01 -, a. a. O., Rdn. 27.

Das Gegenteil ist der Fall. Erklärungsberechtigte sind nach Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 RuStAÄndG 1974 die in der Zeit vom 1.4.1953 bis zum 31.1.1974 Geborenen. Sie konnten die Erklärung nach Art. 3 Abs. 6 RuStAÄndG 1974 bis zum 31.12.1977 abgeben. Soweit sie ohne Verschulden gehindert waren und sind, die Erklärungsfrist einzuhalten, konnten sie die Erklärung gemäß Art. 3 Abs. 7 RuStAÄndG 1974 auch nach Ablauf der Erklärungsfrist und können sie die Erklärung bis heute abgeben. Vor diesem Hintergrund musste der Gesetzgeber davon ausgehen, dass das Erklärungsrecht auch von Volljährigen ausgeübt werden kann, die entweder schon bei Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes 1974 am 1.1.1975 oder jedenfalls bei Abgabe der Erklärung innerhalb der Fristen gemäß Art. 3 Abs. 6 und Abs. 7 RuStAÄndG 1974 Eltern waren.

Dass die erweiternde Auslegung des Art. 3 RuStAÄndG 1974 keinen aufgedrängten Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit zur Folge habe, lässt sich im Übrigen nicht damit begründen, dass Anknüpfungspunkt für die Erstreckung des Erklärungserwerbs auf Abkömmling die freiwillig abgegebene Erklärung des Erklärungsberechtigten bleibe.

So aber VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.9.2002 - 13 S 2015/01 -, a. a. O., Rdn. 28.

Eine solche Betrachtungsweise erfolgt allein aus dem Blickwinkel des Erklärungsberechtigten und mag bei minderjährigen Abkömmlingen des Erklärungsberechtigten unter der Voraussetzung zutreffen, dass der ausländische Elternteil seine Zustimmung erteilt hat. Sie nimmt die Rechtsstellung des Abkömmlings aber dann unzureichend in den Blick, wenn es um die Erstreckung des Erklärungserwerbs auf volljährige Abkömmlinge geht. Der Erklärungsberechtigte ist nämlich ohne eine entsprechende Bevollmächtigung nicht befugt, für seine volljährigen Abkömmlinge "freiwillige" Erklärungen abzugeben, die unmittelbare Auswirkung auf ihren staatsangehörigkeits-rechtlichen Status haben.

2. Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass ohne eine Erstreckung des Erklärungserwerbs seiner Mutter eine "Perpetuierung der Ungleichbehandlung" (Art. 3 Abs. 2 GG) erfolge, weil ohne eine erweiternde Auslegung des Art. 3 RuStAÄndG 1974 nur den erklärungsberechtigten ehelichen Kindern einer deutschen Mutter und eines ausländischen Vaters die Möglichkeit des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit durch Erklärung eröffnet sei, sie diesen Status jedoch anders als eheliche Kinder eines deutschen Vaters und einer ausländischen Mutter nicht an ihre eigenen Abkömmlinge vermitteln könnten.

So VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.9.2002 - 13 S 2015/01 -, a. a. O., Rdn. 26.

a. Der Kläger selbst wird nicht im Sinne des Art. 3 Abs. 2 GG dadurch benachteiligt, dass er bei einer dem Wortlaut des Art. 3 RuStAÄndG 1974 entsprechenden Anwendung dieser Vorschrift die deutsche Staatsangehörigkeit nicht aufgrund des Erklärungserwerbs seiner Mutter erwirbt. Denn bei der wortlautgemäßen Anwendung des Art. 3 RuStAÄndG 1974 wird nicht an das Geschlecht des Klägers angeknüpft. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 GG kann aber nur derjenige geltend machen, der selbst aufgrund seines Geschlechts benachteiligt wird. Das ist nicht der Fall, wenn sich die an das Geschlecht anknüpfende Benachteiligung eines Anderen (mittelbar) auch auf ihn auswirkt.

BVerfG, Beschlüsse vom 21.5.1974 - 1 BvL 22/71 und 21/72 -, BVerfGE 37, 217, 259, und 25.7.1963 - 1 BvR 79/57 -, BVerfGE 17, 99 (104 f.); Jarass, in: ders./Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 7. Aufl., 2004, Art. 3, Rdn. 87 und 89.

b. Die wortlautgemäße Auslegung des Art. 3 RuStAÄndG 1974 verstößt auch nicht gegen den Gleichberechtigungsgrundsatz gemäß Art. 3 Abs. 2 GG als objektive Wertentscheidung.

Vgl. zu dieser objektiven Wertentscheidung: BVerfG, Beschlüsse vom 21.5.1974 - 1 BvL 22/71 und 21/72 -, a. a. O., 259 f.

aa. Einschränkungen des Gleichberechtigungsgrundsatzes können aufgrund des verfassungsrechtlichen Auftrags in Art. 3 Abs. 2 GG oder durch kollidierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt sein.

BVerfG, Beschluss vom 24.1.1995 - 1 BvL 18/93 und 5, 6, 7/94, 1 BvR 403, 569/94 -, BVerfGE 92, 91 (109); Jarass, a. a. O., Art. 3, Rdn 92, 97 f., jeweils m. w. N.

Art. 3 Abs. 2 GG will für die Zukunft die Gleichberechtigung von Frauen und Männern durchsetzen. Dem entspricht es, wenn in gesetzlichen Regelungen, die die Rechtsstellung von Eltern und Kindern betreffen, nicht von vornherein von einem Primat der Mutter oder des Vaters ausgegangen wird.

BVerfG, Urteil vom 24.3.1981 - 1 BvR 1516/78 und 964, 1337/80 -, BVerfGE 56, 363 (389), und Beschluss vom 5.11.1980 - 1 BvR 349/80 -, BVerfGE 55, 171 (184).

Die Erstreckung des Erklärungserwerbs auf Abkömmlinge führt in der konkreten Einzelfallanwendung zu einem solchen Primat. Auch wenn die Abkömmlinge ihre ausländische Staatsangehörigkeit, die der ausländische Elternteil besitzt und auch der Erklärungsberechtigte vor dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Erklärung besaß, beibehalten, hätte die Erstreckung des Erklärungserwerbs insoweit ein Primat des Erklärungsberechtigten zur Folge, als allein dieser den Abkömmlingen (zusätzlich) die deutsche Staatsangehörigkeit vermittelt. Darin liegt zugleich ein Eingriff in das durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte Elternrecht des ausländischen Elternteils, wenn er mit dem (zusätzlichen) Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit seiner Abkömmlinge nicht einverstanden ist. Er würde letztlich in der Familie staatsangehörigkeitsrechtlich isoliert,

vgl. zu diesem Gesichtspunkt: BVerfG, Beschluss vom 21.5.1974 - 1 BvL 22/71 und 21/72 -, a. a. O., 253 f.,

weil er (rechtlich) keinen Einfluss darauf nehmen kann, dass seine Kinder infolge des Erklärungserwerbes der Mutter ebenfalls die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben.

Dem Eingriff in das Elternrecht des ausländischen Elternteils kann auch nicht hinreichend dadurch Rechnung getragen werden, dass die Erstreckung des Erklärungserwerbs auf die Abkömmlinge etwa in erweiternder oder analoger Anwendung des Art. 3 Abs. 5 RuStAÄndG 1974 von der Zustimmung des ausländischen Elternteils abhängig gemacht wird. Hierdurch wird - vom Standpunkt des Erklärungsberechtigten aus gesehen - die angeführte "Perpetuierung der Ungleichbehandlung" jedenfalls dann nicht beseitigt, wenn der ausländische Elternteil seine Zustimmung zur Erstreckung des Erklärungserwerbs auf die Abkömmlinge nicht erteilt. Außerdem kommt die erweiternde Auslegung oder analoge Anwendung des Art. 3 Abs. 5 RuStAÄndG 1974 nur bei minderjährigen und solchen volljährigen Abkömmlingen zum Tragen, die wegen geistiger oder körperlicher Gebrechen durch ihre Eltern vertreten werden. Bei den übrigen volljährigen Abkömmlingen ändert auch die erweiternde Auslegung oder analoge Anwendung des Art. 3 Abs. 5 RuStAÄndG 1974 nichts daran, dass die Erstreckung des Erklärungserwerbs weder Rücksicht auf Rechte des ausländischen Elternteils nimmt noch das Selbstbestimmungsrecht des volljährigen Abkömmlings beachtet, der ein Interesse daran haben kann, die deutsche Staatsangehörigkeit nicht zu erwerben.

bb. Die wortlautgemäße Auslegung und Anwendung des Art. 3 RuStAÄndG 1974 verstößt aus einem weiteren Grund nicht gegen den Gleichberechtigungsgrundsatz als objektive Wertentscheidung. Ein verfassungswidriger Verstoß gegen den Gleichberechtigungsgrundsatz liegt nicht vor, wenn eine gesetzliche Regelung durch gewichtige objektive Gründe gerechtfertigt ist, die nicht auf eine Diskriminierung eines Geschlechts hinauslaufen.

Vgl. EuGH, Urteil vom 13.5.1986 - Rs. 170/84 -, Rdn. 31, zu Art. 119 des EWG-Ver-trages; BAG, Urteil vom 25.7.1996 - 6 AZR 138/94 -, BAGE 83, 327 (337), zu Art. 3 Abs. 3 GG.

Verstöße gegen den Gleichberechtigungsgrundsatz sind deshalb etwa dann verfassungsrechtlich hinnehmbar, wenn der Gesetzgeber ein außerordentliches Problem zu bewältigen hat, das seinen Ursprung in historischen Vorgängen aus der Zeit vor der Entstehung der Bundesrepublik Deutschland hat.

BVerfG, Beschlüsse vom 16.6.1981 - 1 BvL 129/78 -, BVerfGE 57, 335 (345), 26.1.1977 - 1 BvL 17/73 -, BVerfGE 43, 213 (226), und 13.1.1976 - 1 BvR 631/69 und 24/70 -, BVerfGE 41, 126 (150 f.).

Hier liegen gewichtige objektive Gründe für eine dem Wortlaut des Art. 3 RuStAÄndG 1974 entsprechende Anwendung dieser Vorschrift vor, die weder unmittelbar noch mittelbar an das Geschlecht der Abkömmlinge von Erklärungsberechtigten anknüpfen. Dass die Abkömmlinge des Erklärungsberechtigten bei wortgetreuer Anwendung des Art. 3 RuStAÄndG 1974 nicht die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben, beruht nämlich allein auf die oben dargelegten Erwägungen des Gesetzgebers, ihnen die deutsche Staatsangehörigkeit nicht aufzudrängen sowie völkerrechtliche und außenpolitische Schwierigkeiten vermeiden zu wollen.

c. Auch der allgemeine Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) erfordert nicht, dass sich der Erklärungserwerb auf diejenigen erstreckt, die bereits vor Abgabe der Erklärung Abkömmlinge des Erklärungsberechtigten oder von diesem adoptiert oder legitimiert waren.

aa. Die Ungleichbehandlung des genannten Personenkreises gegenüber den Abkömmlingen eines deutschen Elternteils, dem die deutsche Staatsangehörigkeit von seinem Vater vermittelt worden ist, trägt den unterschiedlichen Lebenssituationen in nicht zu beanstandender Weise Rechnung. Die Abkömmlinge eines deutschen Elternteils, dem die deutsche Staatsangehörigkeit von seinem Vater vermittelt worden ist, erwerben - ggf. neben der ausländischen Staatsangehörigkeit, die der andere Elternteil besitzt - (auch) die deutsche Staatsangehörigkeit bereits mit der Geburt. Bei ihnen stellt sich deshalb anders als bei den Abkömmlingen von Erklärungsberechtigten weder das Problem des nachträglichen (unfreiwilligen oder freiwilligen) Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit noch ergeben sich bei ihnen völkerrechtliche oder außenpolitische Schwierigkeiten, die durch eine nachträgliche Änderung der bisherigen Staatsangehörigkeit oder dem zusätzlichen Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit entstehen können.

bb. Die Abkömmlinge des Erklärungsberechtigten werden auch nicht in einer gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßenden Weise schlechter gestellt als die Abkömmlinge eines Elternteils, der die deutsche Staatsangehörigkeit durch Adoption (§ 6 Satz 1 StAG) oder Legitimation (§ 5 StAG) erworben hat. Nach § 6 Satz 2 StAG erstreckt sich der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit eines adoptierten Kindes im Sinne des § 6 Satz 1 StAG auch auf dessen Abkömmlinge. Im Falle des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit gemäß § 5 StAG durch Erklärung nach einer nach deutschen Gesetzen wirksamen Legitimation fehlt eine dem § 6 Satz 2 StAG vergleichbare Regelung für die Abkömmlinge des Legitimierten. Die Erstreckung des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit auf die Abkömmlinge des Legitimierten wird jedoch in analoger Anwendung des § 16 Abs. 2 StAG angenommen oder aus dem Zweck des § 5 StAG hergeleitet, Legitimierte vom Zeitpunkt der Legitimation an den ehelichen Kindern, die die deutsche Staatsangehörigkeit an ihre Abkömmlinge vermitteln, gleichzustellen.

Makarov/von Mangoldt, a. a. O., § 5 RuStAG Rdn. 20; Renner, a. a. O., § 5 StAG Rdn. 19, jeweils m. w. N.

Außerdem wird angeführt, dass der Gesetzgeber selbst in der Begründung des Entwurfes eines Gesetzes über die Annahme als Kind davon ausgegangen, dass die Abkömmlinge des Legitimierten ebenfalls die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben.

BT-Drs. 7/3061, S. 66 (Nr. 8).

Staatsangehörigkeitsrechtlich stellt sich damit im Ergebnis der Ausschluss der Abkömmlinge eines Erklärungsberechtigten vom Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit als systemwidrig dar.

So Makarov/von Mangoldt, a. a. O., Art. 3 RuStAÄndG 1974, Rdn. 32.

Dies gilt vor allem deshalb, weil die bei der Adoption oder Legitimation bereits geborenen Abkömmlinge die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben, ohne dass es darauf ankommt, ob sie damit einverstanden sind. Außerdem hatten sie bereits vor der Adoption oder Legitimation ihres Elternteils eine ausländische Staatsangehörigkeit, so dass sich auch bei ihnen aufgrund des nachträglichen Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit die vom Gesetzgeber bei der Verabschiedung des Art 3 RuStAÄndG 1974 angeführten völkerrechtlichen und außenpolitischen Schwierigkeiten ergeben können. Schließlich hat der Gesetzgeber in § 6 StAG nicht vorgesehen, dass die Abkömmlinge eines adoptierten Elternteils nur dann die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben, wenn der andere ausländische Elternteil zustimmt.

Eine Systemwidrigkeit für sich allein verstößt jedoch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz. Sie ist gerechtfertigt, wenn plausible Gründe dafür sprechen. Nach welchem System der Gesetzgeber eine Materie ordnen will, obliegt ebenso wie die Zweckmäßigkeit einer Regelung seiner Entscheidung.

BVerfG, Beschlüsse vom 1.7.1987 - 1 BvL 21/82 -, BVerfGE 76, 130 (140), 6.11.1984 - 2 BvL 16/83 -, BVerfGE 68, 237 (253), 19.10.1982 - 1 BvL 39/80 -, BVerfGE 61, 138 (148 f.), 10.11.1981 - 1 BvL 18, 19/77 -, BVerfGE 59, 36 (49), und 25.7.1960 - 1 BvL 5/59 -, BVerfGE 11, 283 (293).

Hier liegt ein plausibler Grund für die unterschiedliche Behandlung der Abkömmlinge eines Erklärungsberechtigten einerseits sowie der Abkömmlinge eines adoptierten oder legitimierten Elternteils andererseits vor. Mit der Adoption oder Legitimation des Elternteils erwirbt dieser die Rechtsstellung eines ehelichen Kindes und vollziehen sich damit nach deutschen Gesetzen wirksame Änderungen der familienrechtlichen Verhältnisse. Erwirbt ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit durch Erklärung gemäß Art. 3 RuStAÄndG 1974, ändern sich dagegen die familienrechtlichen Verhältnisse nicht. Ob die allein aufgrund der Änderung familienrechtlicher Verhältnisse gerechtfertigte Differenzierung des Gesetzgebers zweckmäßig ist, hat der Senat nicht zu beurteilen.

Ende der Entscheidung

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