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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 28.11.2006
Aktenzeichen: 19 B 1789/06
Rechtsgebiete: GG, AufenthG, BPolG


Vorschriften:

GG Art. 104
AufenthG § 82 Abs. 4
BPolG § 40
1. Die Anordnung des persönlichen Erscheinens eines Ausländers bei der zuständigen Behörde oder einer Auslandsvertretung nach § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ist ein (Grund-)Verwaltungsakt, dessen zwangsweise Durchsetzung sich nach den Vorschriften des (Landes-)Verwaltungsvollstreckungsrechts richtet; die Vorführung als Anwendung des unmittelbaren Zwanges setzt danach grundsätzlich eine vorherige Androhung voraus.

2. Zuständige Behörde im Sinne des § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG kann in Nordrhein-Westfalen im Rahmen der Beschaffung von Passersatzpapieren auch eine Zentrale Ausländerbehörde sein (§ 3 Abs. 1 Nr. 1, § 4 ZustAVO NRW).

3. Ausländische Vertretung im Sinne des § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG sind nicht Diensträume eines ausländischen Staates, sondern vertretungsberechtigte Personen dieses Staates, auch wenn sich diese Personen in anderen Räumen aufhalten (hier: in Räumen einer Zentralen Ausländerbehörde).

4. Die zwangsweise Durchsetzung einer Anordnung nach § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG durch Vorführung eines Ausländers unterliegt grundsätzlich dem einfachgesetzlichen Richtervorbehalt in § 40 Abs. 1 BPolG unabhängig davon, ob diese zugleich die Voraussetzungen einer Freiheitsentziehung im Sinne von Art. 104 Abs. 2 GG erfüllt.

5. Die Ausnahmebestimmung in § 40 Abs. 1 Halbsatz 2 BPolG, wonach der einfachgesetzliche Richtervorbehalt ausnahmsweise dann nicht greift, wenn die Herbeiführung der richterlichen Entscheidung voraussichtlich längere Zeit in Anspruch nehmen würde, als zur Durchführung der Maßnahme erforderlich wäre, erfordert einen realitätsgerechten prognostischen Zeitvergleich durch die Behörde.

6. Die Anwendung unmittelbaren Zwanges durch Vorführung eines Ausländers zur Durchsetzung der Pflicht zum persönlichen Erscheinen ohne Ingewahrsamnahme oder Einschließen in einen eng umgrenzten Raum ist keine Freiheitsentziehung im Sinne von Art. 104 Abs. 2 GG und bedarf - verfassungsrechtlich - nicht prinzipiell einer vorherigen richterlichen Anordnung.


Tatbestand:

Der Antragsteller ist Angehöriger des Staates Kamerun und nach rechtskräftigem Abschluss seines Asylverfahrens zur Ausreise verpflichtet. Er ist nicht im Besitz eines Passes oder sonstigen Identitätsnachweises. Mit Bescheid vom 21.8.2006 gab ihm die Ausländerbehörde unter Anordnung der sofortigen Vollziehung auf, am 22.8.2006, 10.30 Uhr bei der Zentralen Ausländerbehörde der Stadt K. zur Anhörung durch eine Delegation seines Heimatstaates persönlich zu erscheinen, und drohte ihm für den Fall des Nichterscheinens die Vorführung im Rahmen des unmittelbaren Zwanges an. Der Anordnung kam der Antragsteller nicht nach. Seinen Antrag auf Wiederherstellung und Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs lehnte das VG durch Beschluss vom 21.8.2006 ab. Das OVG wies die Beschwerde des Antragstellers zurück.

Gründe:

In der Beschwerdebegründung wird von der Zulässigkeit der Beschwerde ausgegangen. Diese Annahme trifft zu. Der Antragsteller hat das Rechtsschutzinteresse für den Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Aussetzung der Vollziehung des Bescheides des Antragsgegners vom 21.8.2006 nicht deshalb verloren, weil der dort für das angeordnete persönliche Erscheinen bei der Zentralen Ausländerbehörde (ZAB) der Stadt K. bestimmte Termin verstrichen ist; die Verpflichtung des Antragstellers zum persönlichen Erscheinen hat sich dadurch nicht erledigt. Zwar ist unter 1. des Bescheides nur der genannte Termin bestimmt. Der im Bescheid dargelegte Zweck der Anordnung in Verbindung mit der Androhung der zwangsweisen Vorführung im Rahmen des unmittelbaren Zwanges lassen aber hinreichend erkennen, dass die durch die Anordnung begründete konkrete Verpflichtung des Antragstellers zum persönlichen Erscheinen bei der ZAB K. fortwirkt. Das angeordnete persönliche Erscheinen dient dazu, den Antragsteller, der seit seiner Einreise im März 2004 ohne Ausweispapiere oder sonstigen Identitätsnachweis im Bundesgebiet lebt, mit Vertretern oder einer Delegation des Staates Kamerun, dessen Staatsangehörigkeit der Antragsteller nach seinem gesamten Vorbringen im bestandskräftig abgeschlossenen Asylverfahren besitzt, in den Räumlichkeiten der ZAB K. zum Zweck der Identifikation seiner Person zu einem Gespräch oder einer Anhörung zusammenzubringen, um je nach dem Ergebnis der Identifikationsmaßnahme die Beschaffung eines gültigen Heimreise- oder eines Identitätsdokuments zu fördern, welches für die Rückkehr oder Abschiebung in den Heimatstaat erforderlich ist; Zweck ist also die Vorbereitung der Durchsetzung der gesetzlichen Ausreisepflicht nach bestandskräftigem Abschluss des Asylverfahrens. Dieser Zweck besteht auch nach dem 22.8.2006 unverändert fort. Die Androhung unmittelbaren Zwanges zeigt, dass der Antragsgegner die durch Nummer 1. des Bescheides vom 21.8.2006 als Grundverwaltungsakt sofort vollziehbar (Nummer 3.) begründete Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen für den Fall der Nichtbefolgung der Anordnung durchzusetzen vorhat. Dies setzt aber notwendig das Fortwirken der Verpflichtung über den bestimmten Termin hinaus voraus; denn dass der Antragsteller der Anordnung nicht nachgekommen ist, steht erst nach Verstreichen des Termins endgültig fest. Dieser Regelungszusammenhang - Anordnung des persönlichen Erscheinens als Grundverwaltungsakt, Vollstreckung bei Nichtbefolgung - entspricht dem Normprogramm des § 82 Abs. 4 Sätze 1 und 2 AufenthG. Die Terminsfestlegung dient so - neben der Bestimmtheit der Anordnung selbst in zeitlicher Hinsicht - der Bestimmung des Zeitpunkts, ab dem die Anordnung zwangsweise durchgesetzt werden kann, nicht aber des Zeitpunkts, ab dem sie nicht mehr befolgt zu werden braucht. Diesem Verständnis stehen die Ausführungen des Antragsgegners im Schriftsatz vom 24.8.2006 nicht entgegen, nach Auskunft der ZAB K. sei derzeit nicht absehbar, ob Identifizierungsmaßnahmen durch eine Delegation des Staates Kamerun zukünftig möglich seien, da dies eine Bereitschaft des Staates Kamerun zur Durchführung derartiger Maßnahmen voraussetze. Sie lassen vielmehr offen, ob sich für die angesprochene Maßnahme in absehbarer Zeit eine Gelegenheit ergeben wird und schließen nicht aus, dass die Verpflichtung des Antragstellers zum persönlichen Erscheinen zwangsweise durchgesetzt werden soll, wenn sich die Gelegenheit für die vorgesehene Identifizierungsmaßnahme ergibt.

Die Anordnung des persönlichen Erscheinens ist von der Ermächtigungsgrundlage des § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG insbesondere auch im Hinblick auf die Stelle, bei welcher persönlich zu erscheinen der Antragsteller verpflichtet worden ist, gedeckt. Der Antragsteller hat zu dem angeführten Zweck bei der ZAB K. persönlich zu erscheinen. Diese ist zuständige (Ausländer-)Behörde im Sinne der Vorschrift. Dies folgt aus den anzuwendenden Vorschriften unmittelbar und braucht nicht über den Weg der Amtshilfe begründet zu werden. Nach § 71 Abs. 1 Satz 2 AufenthG kann die Landesregierung oder die von ihr bestimmte Stelle bestimmen, dass für einzelne Aufgaben nur eine oder mehrere bestimmte Ausländerbehörden zuständig sind. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung (des Landes) über Zuständigkeiten im Ausländerwesen (ZustAVO) vom 15.2.2005, GV.NRW. S. 50, wird der Zentralen Ausländerbehörde - u. a. der Stadt K. - im Rahmen der Rückführung ausreisepflichtiger Ausländerinnen und Ausländer die Aufgabe der Beschaffung von Passersatzpapieren übertragen, und nach § 4 ZustAVO werden Einzelheiten durch Verwaltungsvorschrift nach § 19 geregelt. Nach Nummer 1.1.1 des Runderlasses des Innenministeriums vom 30.5.2005 - Az. 15 - 39.16.01 -1 - Ums.ZustAVO -, MBl.NRW. S. 762, ist die Zuständigkeit zur Beschaffung von Passersatzpapieren generell auf die ZAB übertragen, und als besondere Zuständigkeit hinsichtlich bestimmter Zielstaaten der Rückführung im Sinne der Zentralisierung der Passersatzbeschaffung ist in Anlage 1 für den - hier allein in Betracht kommenden - Zielstaat Kamerun die Zuständigkeit der ZAB K. festgelegt. Diese Zuständigkeitsregelungen sind vorliegend anwendbar. Die strittige Anordnung des persönlichen Erscheinens dient mit der Identifizierung des Antragstellers letztlich der Beschaffung eines Passersatzpapiers. Diese schließt vorbereitende Schritte wie die hier anstehende Identifizierungsmaßnahme ein. Wie die zuständige Ausländerbehörde die Maßnahme im Einzelnen ausgestaltet, steht im Rahmen des Erforderlichen und Zumutbaren in ihrem Ermessen. Dabei kann sie sich geeigneter Auskunftspersonen bedienen. Dass es sich bei den Vertretern des Staates Kamerun nicht um geeignete Auskunftspersonen handelt, macht der Antragsteller nicht substantiiert geltend und ist auch nicht ersichtlich. Im Hinblick darauf, dass die ZAB nach Nr. 1.1.1. des Runderlasses vom 30.5.2005 Ansprechpartner für die Ausländerbehörden in der Zusammenarbeit mit den Auslandsvertretungen ist, ist davon auszugehen, dass die für die Beschaffung von Passersatzpapieren des Zielstaates Kamerun zentral zuständige ZAB K. mit der Auslandsvertretung dieses Staates Kontakt hält und - bei entsprechender Mitwirkungsbereitschaft - aus Interesse am Erfolg der Identifizierungsmaßnahme darauf hinwirkt, dass für die Maßnahme sachkundige Auskunftspersonen bereit gestellt werden. Anhaltspunkte dafür, dass die ZAB K. die Identifizierungsmaßnahme nicht selbst unter eigener Regie durchführt, sind nicht ersichtlich.

Die Anordnung vom 21.8.2006 ist auch dann von der Ermächtigungsgrundlage des § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG gedeckt, wenn sie, wie der Antragsteller meint, im Hinblick darauf, dass das persönliche Erscheinen bei der ZAB K. nur der Identifizierung durch eine Vorsprache vor oder eine Anhörung durch Vertreter des Staates Kamerun dient, der Sache nach das persönliche Erscheinen "bei" den (in den Räumen der ZAB präsenten) Vertretern dieses Staates zum Inhalt hat. Der Wortlaut des § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ("oder bei den Vertretungen des Staates, dessen Staatsangehörigkeit der Ausländer vermutlich besitzt") gibt im Hinblick auf den Ort, auf den sich die Anordnung des persönlichen Erscheinens notwendig beziehen muss, keinen Anhalt für das Verständnis, dass das persönliche Erscheinen nur in den Räumlichkeiten der diplomatischen oder konsularischen Vertretung des betreffenden ausländischen Staates angeordnet werden darf. Sinn und Zweck der Vorschrift, die Durchführung von ausländerrechtlichen Maßnahmen durch die Beschaffung von Heimreisedokumenten durch die betreffende Auslandsvertretung (vgl. § 49 Abs. 1 AufenthG) vorzubereiten oder zu fördern, sprechen vielmehr für ein funktionales Verständnis des Begriffs der (Auslands-)Vertretung. Es muss sich um eine Person oder um Personen handeln, der oder denen der ausländische Staat die Wahrnehmung diplomatischer oder konsularischer Aufgaben oder sonstiger Aufgaben auf dem Gebiet der Ausstellung von Heimreisedokumenten übertragen hat und die von diesem legitimiert oder autorisiert ist oder sind, ihn im Inland zu vertreten, und so die "Vertretung" des betreffenden Staates bildet oder bilden. Es ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, die Aufgabenwahrnehmung der Auslandsvertretung etwa auf dem Gebiet der Ausstellung von Heimreisedokumenten auf ihre Diensträume beschränkt zu sehen und Außentermine, vgl. den zugrunde liegenden Fall bei Bay.VGH, Urteil vom 11.7.2000 - 10 B 99.3200 -, NVwZ-Beilage I 1/2001, 4, zu § 70 Abs. 4 Satz 1 AuslG, vom Anwendungsbereich des § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG auszunehmen. Es spricht nichts dafür, dass Vorsprachen bei der Auslandsvertretung in den Räumen der ZAB belastendere Auswirkungen für den Ausländer mit sich bringen als Vorsprachen unmittelbar in den Diensträumen der Auslandsvertretung selbst. Vielmehr ist in der Regel davon auszugehen, dass eine Vorsprache zu wohnortnäheren Außenterminen den äußeren Umständen nach weniger belastend ist. Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei den Vertretern des Staates Kamerun, bei denen der Antragsteller persönlich zu erscheinen verpflichtet worden ist, oder bei der, wie die ZAB K. unter dem 17.7.2006 mitgeteilt hat, "Delegation aus Kamerun" und "Expertenrunde" nicht um autorisierte Vertreter des Staates Kamerun handelt, sind weder substantiiert geltend gemacht noch sonst ersichtlich.

Die sonstigen Voraussetzungen des § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG sind erfüllt. Der Antragsgegner hat im Bescheid vom 21.8.2006 zutreffend ausgeführt, dass die Anordnung des persönlichen Erscheinens zur Vorbereitung ausländerrechtlicher Maßnahmen, nämlich der Rückführung oder Abschiebung des ausreisepflichtigen Antragstellers erforderlich ist, weil seine Identität mangels Besitzes von Identitätspapieren nicht geklärt ist und er seiner Mitwirkung bei der Beschaffung von Identitätspapieren aus § 48 Abs. 3 AufenthG, § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylVfG nicht nachgekommen ist. Dem ist der Antragsteller in der Sache nicht entgegengetreten.

Rechtliche Bedenken gegen die Anordnung des persönlichen Erscheinens ergeben sich schließlich nicht aus dem unter Verweisung auf den Senatsbeschluss vom 24.3.2006 - 19 B 464/06 - in der Beschwerdebegründung gegebenen Hinweis, bei der Maßnahme handle es sich um eine zwangsweise Vorführung, für die es nach § 82 Abs. 4 Satz 3 AufenthG in Verbindung mit § 40 Abs. 1 BPolG einer vorherigen richterlichen Entscheidung bedürfe. Die Anordnung des persönlichen Erscheinens regelt nicht die zwangsweise Vorführung, begründet vielmehr - als Grundverwaltungsakt - die konkrete Pflicht zum persönlichen Erscheinen am angegebenen Ort zur festgelegten Zeit. Dieser Verpflichtung konnte - und musste - der Antragsteller von sich aus, also ohne zwangsweise Vorführung, nachkommen. Erst wenn der betreffende Ausländer der - sofort vollziehbaren - Anordnung des persönlichen Erscheinens nicht nachkommt, kann sie, wie § 82 Abs. 4 Satz 2 AufenthG ausdrücklich bestimmt, "zwangsweise durchgesetzt" werden. Daraus lässt sich nicht schließen, dass, wenn der Ausländer der Anordnung nach Satz 1 nicht nachkommt, unmittelbar das Zwangsmittel des unmittelbaren Zwanges anzuwenden ist. Satz 2 bringt lediglich zum Ausdruck, dass die zwangsweise Durchsetzung zulässig ist ("kann"). Da § 82 Abs. 4 AufenthG - vorbehaltlich des Satzes 3 - keine weiteren Vorschriften über die bei der Durchsetzung anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen enthält, gelten für die Durchsetzung die allgemeinen Vorschriften des Verwaltungsvollstreckungsrechts.

Vgl. Bay.VGH, Urteil vom 11.7. 000, a. a. O., S. 5; Bay.ObLG, Beschluss vom 11.4.2001 - 3 Z BR 1/01 -, NVwZ-Beilage I 9/2001, 110, jeweils zu § 70 Abs. 4 AuslG.

Diese schreiben in §§ 57 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, 62, 63 VwVG NRW die Androhung des gewählten Zwangsmittels vor, die der Antragsgegner unter 2. des Bescheides vom 21.8.2006 vorgenommen hat. In der Beachtung der Unterscheidung von Anordnung nach § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG als Grundverwaltungsakt und Zwangsmittelandrohung unterscheidet sich der im vorliegenden Verfahren streitige Bescheid von der Verfügung, um die es in dem Verfahren ging, in welchem der Senatsbeschluss vom 24.3.2006 - 19 B 464/06 - und der stattgebende Beschluss des VG Köln vom 24.3.2006 - 23 L 477/06 - ergangen sind; in dieser Verfügung hatte die (nämliche) Ausländerbehörde unmittelbar die "Vorführung" und nicht vorab das persönliche Erscheinen angeordnet.

Der Hinweis in der Beschwerdebegründung auf den vorgenannten Senatsbeschluss führt unter den Aspekten der Freiheitsentziehung und einer erforderlichen vorherigen gerichtlichen Entscheidung auch nicht auf rechtliche Bedenken gegen die Androhung der zwangsweisen Vorführung im Rahmen des unmittelbaren Zwanges. Durch Gesetz ist nicht bestimmt, dass bereits bei der Androhung unmittelbaren Zwanges eine richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit einer (eventuellen) Freiheitsentziehung vorliegen muss, bereits die Androhung also dem Richtervorbehalt unterliegt. Die Frage nach einer erforderlichen richterlichen Entscheidung stellt sich im konkreten Fall erst, wenn die tatsächliche Freiheitsbeschränkung ansteht, es also um die Anwendung des angedrohten unmittelbaren Zwanges geht.

Hierzu weist der Senat ergänzend auf Folgendes hin:

Ob für die Anwendung unmittelbaren Zwanges durch zwangsweise Vorführung wegen der damit verbundenen tatsächlichen Beschränkung der körperlichen Bewegungsfreiheit und somit des Eingriffs in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG eine (vorherige) richterliche Entscheidung erforderlich ist, bestimmt sich in den Fällen des § 82 Abs. 4 AufenthG zunächst einfachgesetzlich nach dessen Satz 3; danach finden § 40 Abs. 1 sowie die §§ 41, 42 Abs. 1 Satz 1 und 3 BPolG entsprechende Anwendung. Durch diese Verweisung, die an die in § 82 Abs. 4 Satz 1 und 2 AufenthG normierten Eingriffsbefugnis und Tatbestandsvoraussetzungen anknüpft, bestimmt das Gesetz auf der Rechtsfolgenseite Vorgaben für einzelne Fragen der Durchführung und des Umfangs der zwangsweisen Durchsetzung des persönlichen Erscheinens sowie deren gerichtlicher Überprüfung.

Vgl. Bay.ObLG, Beschluss vom 11.4.2001, a. a. O., zu § 70 Abs. 4 Satz 3 AuslG.

Nach § 40 Abs. 1 BPolG hat die Bundespolizei, wenn eine Person aufgrund bestimmter Vorschriften des Gesetzes festgehalten wird, unverzüglich eine richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeizuführen, es sei denn, die Herbeiführung der richterlichen Entscheidung würde voraussichtlich längere Zeit in Anspruch nehmen, als zur Durchführung der Maßnahme notwendig wäre. Folge der angeordneten entsprechenden Anwendung des § 40 Abs. 1 BPolG ist, dass die Ausländerbehörde nach dem Festhalten des Ausländers unverzüglich eine richterliche Entscheidung - des nach Absatz 2 zuständigen Amtsgerichts - über die Zulässigkeit und Fortdauer der "Freiheitsentziehung" herbeizuführen hat, wenn nicht die Voraussetzungen der Ausnahmebestimmung des zweiten Halbsatzes vorliegen. Durch § 40 Abs. 1 BPolG ist der Richtervorbehalt einfachgesetzlich für bestimmte Sachverhalte angeordnet worden unabhängig davon, ob es sich bei der Beschränkung der körperlichen Bewegungsfreiheit etwa durch zwangsweise Vorführung um eine Freiheitsentziehung im Sinne von Art. 104 Abs. 2 GG oder lediglich um eine Freiheitsbeschränkung im Sinne von Art. 104 Abs. 1 GG handelt. Soweit der einfachgesetzliche Richtervorbehalt greift, kommt es auf die am verfassungsrechtlichen Mindeststandard ausgerichtete Definition der Freiheitsentziehung in Abgrenzung zur Freiheitsbeschränkung nicht an. Es ist Sache des Gesetzgebers, den Richtervorbehalt umfassender anzuordnen als von Art. 104 Abs. 2 GG gefordert, vgl. Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, 4. Aufl., Art. 104 Rdnr. 22; Melchior, ZAR 2000, 110, 111, mag auch der Gesetzgeber (subjektiv) an diese Unterscheidung angeknüpft haben, vgl. BT-Drs. 12/7562, S. 54, 70 (Begründung zum Gesetzentwurf für das Bundesgrenzschutzneuregelungsgesetz).

Kraft der Verweisung in § 82 Abs. 4 Satz 3 AufenthG auf § 40 Abs. 1 BPolG gilt danach der Richtervorbehalt auch bei der Vorführung zur zwangsweisen Durchsetzung der Anordnung des persönlichen Erscheinens nach § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG. Die Pflicht der Ausländerbehörde, beim Festhalten des betreffenden Ausländers unverzüglich die richterliche Entscheidung herbeizuführen, besteht ausnahmsweise dann nicht, wenn die Herbeiführung der richterlichen Entscheidung voraussichtlich längere Zeit in Anspruch nehmen würde, als zur Durchführung der Maßnahme erforderlich wäre. Zweck der Ausnahmebestimmung ist es zu verhindern, dass die Freiheitsbeschränkung allein durch die Herbeiführung der richterlichen Entscheidung über den durch den sachlichen Grund der Maßnahme gerechtfertigten Zeitraum hinaus fortdauert. Dies erfordert einen prognostischen Zeitvergleich durch die Behörde.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 15.5.2002 - 2 BvR 2292/00 -, NJW 2002, 3161, 3162, zu § 19 Abs. 1 Satz 2 NdsGefAG.

Bei diesem Vergleich ist in Fällen der vorliegenden Art der möglichst wirklichkeitsnah abgeschätzte Zeitaufwand, der vom Beginn der Maßnahme (Festhalten) für die Fahrt zur ZAB, die Vorsprache bei der ZAB und je nach vorheriger Abstimmung der geplanten Abläufe für etwaige Wartezeiten voraussichtlich entstehen wird, dem Zeitaufwand gegenüber zu stellen, der für die Herbeiführung der Entscheidung des zuständigen erreichbaren Amtsrichters nach Maßgabe des Verfahrens nach dem Gesetz über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen (erfahrungsgemäß) zu erwarten ist, wobei auch die §§ 5 Abs. 1, 8 Abs. 1, 11 FrhEntzG zu beachten sind.

Über § 40 Abs. 1 BPolG hinaus wäre - gerade mit Blick auf vorab geplante und der Ausländerbehörde rechtzeitig mitgeteilte Vorführungstermine bei der ZAB - eine vorherige richterliche Anordnung prinzipiell stets erforderlich, wenn es sich bei der zwangsweisen Vorführung im Sine von § 82 Abs. 4 AufenthG um eine Freiheitsentziehung im Sinne von Art. 104 Abs. 2 GG handelte. Das ist bei einer Vorführung ohne Ingewahrsamnahme oder Einschließen in einen eng umgrenzten Raum nicht der Fall. In nach der Intensität des Eingriffs vorzunehmender Abgrenzung zur Freiheitsbeschränkung im Sinne von Art. 104 Abs. 1 GG, die gegeben ist, wenn eine Person durch die öffentliche Gewalt gegen ihren Willen daran gehindert wird, einen tatsächlich und rechtlich zugänglichen Ort aufzusuchen oder sich dort aufzuhalten, liegt eine Freiheitsentziehung im Sinne von Art. 104 Abs. 2 GG nur vor, wenn die körperliche Bewegungsfreiheit nach jeder Richtung hin aufgehoben ist.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 15.5.2002, a. a. O., S. 3161.

Danach sind Einsperrung und Einschließung in einen eng umgrenzten räumlichen Bereich grundsätzlich als Freiheitsentziehung anzusehen. Demgegenüber ist nicht jede Zwangsmaßnahme, die die körperliche Bewegungsfreiheit vorübergehend einschränkt, zu den intensiven Freiheitsbeschränkungen zu rechnen, die als Freiheitsentziehung den besonderen Schutz des Art. 104 Abs. 2 GG auslösen. Eine Maßnahme des unmittelbaren Zwanges gegen eine Person zur Durchsetzung eines Verhaltens, zu dem der Betroffene (ohnehin) rechtlich verpflichtet ist, ist - wie bei einer Abschiebung - nicht schon wegen des mit ihr verbundenen Eingriffs in die körperliche Bewegungsfreiheit notwendig Freiheitsentziehung. Dies gilt auch für eine Vorführung bei der ZAB zur zwangsweisen Durchsetzung der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen im Rahmen einer Identifizierungsmaßnahme. Sie ist nicht auf das Festhalten des betroffenen Ausländers an einem bestimmten Ort gerichtet, sondern darauf, dass er bei der ZAB persönlich zur Vorsprache erscheint. Dies kennzeichnet die Vorführung nicht als Beschränkung der körperlichen Bewegungsfreiheit nach jeder Richtung hin, sondern als Zwangsmaßnahme einer Verhaltenspflicht, zu der der Ausländer nach § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG verpflichtet worden ist. Die Auswirkungen auf die Bewegungsfreiheit stellen sich als sekundäre kurzzeitige Folge der Erfüllung der Erscheinenspflicht dar. Die für die körperliche Bewegungsfreiheit relevanten äußeren Umstände wie Beförderung zur und Aufenthalt in den Räumen der ZAB sind im Wesentlichen denen vergleichbar, die gegeben sind, wenn der Ausländer der Anordnung zum persönlichen Erscheinen nachkommt.

Vgl. zu Abschiebungsmaßnahmen BVerwG, Urteil vom 23.6.1981 - I C 78.77 -, BVerwGE 62, 325 ff. (bzgl. der Abgrenzung zur Freiheitsentziehung zustimmend angeführt von BVerfG, Beschluss vom 15.5.2002, a. a. O.) sowie Urteil vom 17.8.1982 - 1 C 85.80 -, InfAuslR 1982, 276 ff.; ferner BGH, Beschluss vom 17.12.1981 - VII ZB 8/81 -, BGHZ 82, 261 ff. = NJW 1982, 753 ff. zu einer Vorführung zur amtsärztlichen Untersuchung; schließlich Gusy, a. a. O., Art. 104 GG, Rdnr. 19, 23, und Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, 4./5. Aufl., Art. 104 Rdnr. 19 f.

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