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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 19.05.2009
Aktenzeichen: 19 B 533/09
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 6 Abs. 4 Satz 1
Die Verbalnote der deutschen Botschaft in Rio de Janeiro vom 28.6.1956 (BGBl. 2008 II S. 1179) befreit brasilianische Staatsangehörige nicht vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels für längerfristige Aufenthalte im Sinn des § 6 Abs. 4 Satz 1 AufenthG.
Tatbestand:

Die Antragstellerin ist brasilianische Staatsangehörige und reiste im Mai 2008 ohne Visum in das Bundesgebiet ein. Sie beantragte die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unter anderem zum Zweck der Eheschließung mit einem deutschen Staatsangehörigen. Der Antragsgegner lehnte den Antrag ab und drohte der Antragstellerin die Abschiebung unter anderem mit der Begründung an, ihre Eheschließung stehe nicht unmittelbar bevor, weil ihr deutscher Verlobter noch anderweitig verheiratet sei. Das VG lehnte ihren dagegen gerichteten Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ab. Während des Beschwerdeverfahrens wurde der deutsche Verlobte geschieden. Der Antragsgegner hob den bereits festgesetzten Abschiebetermin auf. Nach beiderseitiger Erledigungserklärung legte das OVG die Kosten der Antragstellerin auf.

Gründe:

Im Übrigen ist nur noch unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden (§ 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Hier entspricht es billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge der Antragstellerin aufzuerlegen.

[...]

Ohne Erfolg rügte die brasilianische Antragstellerin zunächst, ihr Aufenthalt sei nach § 16 AufenthV vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit. Zutreffend hat das VG diese Vorschrift in der seit dem 1.1.2009 geltenden Fassung des Art. 3 Nr. 1 des Arbeitsmigrationssteuerungsgesetzes vom 20.12.2008 (BGBl. I S. 2846, 2848) angewendet. Nach dieser Fassung sind die Inhaber der in Anlage A zur Aufenthaltsverordnung genannten Dokumente für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet, auch bei Überschreitung der zeitlichen Grenze eines Kurzaufenthalts, vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit, soweit völkerrechtliche Verpflichtungen, insbesondere aus einem Sichtvermerksabkommen, die vor dem 1.9.1993 gegenüber den in Anlage A aufgeführten Staaten eingegangen wurden, dem Erfordernis des Aufenthaltstitels oder dieser zeitlichen Begrenzung entgegenstehen.

Diese Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels erfasst nicht den Aufenthalt der Antragstellerin, mit dem sie vorrangig den Zweck des Zusammenlebens mit ihrem deutschen Verlobten verfolgt. Insbesondere genügt es für diese Befreiung entgegen ihrer Auffassung nicht, dass Deutschland gegenüber Brasilien aus der Verbalnote der deutschen Botschaft in Rio de Janeiro vom 28.6.1956 völkerrechtlich verpflichtet ist, brasilianischen Inhabern von Nationalpässen die sichtvermerksfreie Einreise auch für einen länger als drei Monate dauernden Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland zu gewähren. Denn diese einseitige völkerrechtliche Verpflichtung, die der Bund inzwischen durch Aufnahme Brasiliens in die Anlage A zu § 16 AufenthV mit Wirkung ebenfalls vom 1.1.2009 in das nationale deutsche Ausländerrecht transformiert hat (Art. 3 Nr. 2, Art. 5 des Arbeitsmigrationssteuerungsgesetzes), befreit die Antragstellerin im Sinne des Abschnitts 2 der AufenthV vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels allenfalls für einen Aufenthalt von bis zu sechs Monaten. Für längerfristige Aufenthalte im Sinne des § 6 Abs. 4 Satz 1 AufenthG gilt die Befreiung hingegen nicht. Ob hierfür ein Aufenthaltstitel erforderlich ist, richtet sich vielmehr weiterhin ausschließlich nach nationalem deutschen Ausländerrecht. Das ergibt sich aus dem Wortlaut sowohl des Satzes 1 als auch des Satzes 2 der Verbalnote, die jeweils nur die Erforderlichkeit eines Einreisesichtvermerks regeln ("für Einreisen ... eines Sichtvermerks nicht mehr bedürfen"; "Einreisesichtvermerk ... nur noch erforderlich"). Zudem lässt sich aus der Ausnahmeregelung in Satz 2 rückschließen, dass die Erforderlichkeit eines Aufenthaltstitels für längerfristige Aufenthalte durch die Verbalnote nicht angetastet werden sollte. Denn nur unter dieser Voraussetzung ergibt die Ausnahme von der Visumbefreiung für die dort genannten Erwerbstätigkeiten einen Sinn.

Auch Satz 3 der Verbalnote bestätigt, dass die Regelung lediglich die Einreise erleichtern, keinesfalls aber die Erforderlichkeit eines Aufenthaltstitels für längerfristige Aufenthalte modifizieren sollte. Danach "dürfte" ... "die neue Regelung" ... "insbesondere Studenten, Stipendiaten und Personen" "begünstigen", "die im Rahmen des kulturellen Austausches für mehr als drei Monate ins Gebiet der Bundesrepublik Deutschland einreisen". Auch die Benennung gerade dieses Personenkreises lässt darauf schließen, dass eine Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels nur für einen vorübergehenden Aufenthalt von wenigen Monaten beabsichtigt war.

Ebenso wenig ergibt sich die von der Antragstellerin in Anspruch genommene Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels aus § 16 AufenthV. Die Vorschrift befreit nach ihrem Wortlaut von diesem Erfordernis bei Überschreitung der zeitlichen Grenze für einen Kurzaufenthalt nur, "soweit" völkerrechtliche Verpflichtungen dem Erfordernis eines Aufenthaltstitels oder dieser zeitlichen Begrenzung entgegenstehen. Die erwähnte Verbalnote der deutschen Botschaft in Rio de Janeiro steht dem Erfordernis eines Aufenthaltstitels jedoch, wie ausgeführt, nur für die näher beschriebenen vorübergehenden Aufenthalte entgegen. Folgerichtig hat der Verordnungsgeber Brasilien lediglich in die Anlage A zu § 16 AufenthV, nicht aber auch in eine der beiden Staatenlisten in § 41 AufenthV eingefügt. Nur unter dieser Voraussetzung wäre die Antragstellerin auch für einen Aufenthalt, der kein Kurzaufenthalt mehr ist, vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit.

Ende der Entscheidung

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