Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 24.08.2007
Aktenzeichen: 19 B 689/07
Rechtsgebiete: SchulG NRW, AO-GS, VwGO


Vorschriften:

SchulG NRW § 11 Abs. 4
SchulG NRW § 46 Abs. 2
AO-GS § 8 Abs. 3
AO-GS § 8 Abs. 8
VwGO § 123
1. Statthafte Eilrechtsschutzform gegen die Nichtzulassung zur gewünschten Schulform in einer Schulformempfehlung der Grundschule nach § 11 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW, § 8 Abs. 3 AO-GS ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO.

2. Die Grundschulempfehlung bindet die Schulleitung einer weiterführenden Schule als besondere Aufnahmevoraussetzung im Sinne des § 46 Abs. 2 Satz 2 SchulG NRW.

3. Die Nichtzulassungsentscheidung des Schulamtes nach § 11 Abs. 4 Satz 5 SchulG NRW, § 8 Abs. 8 AO-GS hindert die Grundschule nicht, ihre Schulformempfehlung nachträglich zu korrigieren.

4. Die Grundschulempfehlung ist gerichtlich nur eingeschränkt daraufhin überprüfbar, ob Verfahrensfehler oder Verstöße gegen anzuwendendes Recht vorliegen, ob die Lehrer von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen sind, gegen allgemeine Bewertungsgrundsätze verstoßen haben, sich von sachfremden Erwägungen haben leiten lassen oder sonst willkürlich gehandelt haben.


Tatbestand:

Der Antragsteller strebte zum Schuljahr 2007/2008 den Besuch der Klassenstufe 5 des Gymnasiums an. Die Grundschule empfahl mit dem Halbjahreszeugnis der Klasse 4 im Schuljahr 2006/2007 als für ihn geeignete Schulform die Realschule und die Gesamtschule, nicht aber das Gymnasium. Nachdem der Antragsteller daraufhin am Prognoseunterricht teilgenommen hatte, ließ das Schulamt ihn wegen offensichtlicher Nichteignung nicht zum Besuch des Gymnasiums zu. Den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die Schulformempfehlung der Grundschule lehnte das VG ab. Die dagegen gerichtete Beschwerde blieb ohne Erfolg.

Gründe:

Statthafte Antragsart ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Dies ist unabhängig davon, ob es sich bei der begehrten Änderung der Schulformempfehlung der Grundschule um einen Verwaltungsakt handelt. Denn nach § 123 Abs. 5 VwGO ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stets dann die statthafte Antragsart im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, wenn in der Hauptsache keine Anfechtungsklage zu erheben ist. Letzteres ist hier der Fall. Eine bloße Anfechtung der Empfehlung entspricht nicht dem Rechtsschutzziel und -interesse des Antragstellers. Sein Begehren zielt darauf, dass ihm die Grundschule (auch) den Besuch eines Gymnasiums empfiehlt. Insofern erstrebt er eine Erweiterung seines Rechtskreises im Rahmen der durch § 11 Abs. 4 SchulG NRW eingeschränkten Schulformwahlfreiheit über die ihm erteilte, die Einschränkung in seinem Einzelfall verbindlich konkretisierende Schulformempfehlung der Grundschule hinaus. Dieses Begehren lässt sich im Hauptsacheverfahren nur mit einer Verpflichtungs- oder Leistungsklage durchsetzen. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass der Widerspruch des Antragstellers gegen die Schulformempfehlung - sollte sie ein Verwaltungsakt sein - zwar aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 1 VwGO hat. Die aufschiebende Wirkung bedeutet aber nur, dass keine tatsächlichen oder rechtlichen Folgen aus der Schulformempfehlung gezogen werden dürfen. Dagegen bewirkt die aufschiebende Wirkung keine Erweiterung der Rechtsstellung des Antragstellers in dem Sinne, dass die Schulformempfehlung für die Dauer der aufschiebenden Wirkung den vom Antragsteller gewünschten Inhalt hat.

Das Rechtsschutzinteresse des Antragstellers für die begehrte einstweilige Anordnung ergibt sich aus der verbindlichen Wirkung der Grundschulempfehlung. Sie bindet die Schulleitung einer weiterführenden Schule in positiver und negativer Hinsicht: Entspricht diese Schule der (auch nur mit Einschränkungen) empfohlenen Schulform, darf die Schulleitung das angemeldete Kind nicht wegen fehlender Eignung für diese Schulform vom Aufnahmeverfahren ausschließen. Entspricht diese Schule nicht der empfohlenen Schulform, darf sie das angemeldete Kind schon deswegen nicht oder nur unter Vorbehalt in das Aufnahmeverfahren einbeziehen. Insofern ist die Grundschulempfehlung besondere Aufnahmevoraussetzung im Sinne des § 46 Abs. 2 Satz 2 SchulG NRW. Diese hat der Verordnungsgeber für öffentliche weiterführende Schulen durch den nicht nach einzelnen Absätzen differenzierenden Verweis in § 1 Abs. 1 Satz 2 APO-S I auf § 8 Ausbildungsordnung Grundschule (AO-GS) geregelt. Mit dem durch die Änderungsverordnung vom 31.1.2007 angefügten Satz 2 des § 1 Abs. 1 APO-S I hat er bestimmt, dass § 8 AO-GS "unberührt" bleibt. Er hat damit zum Ausdruck gebracht, dass die Schulleitung einer weiterführenden Schule bei der Entscheidung über die Aufnahme einer Schülerin oder eines Schülers zusätzlich zu der in Satz 1 geregelten Aufnahmevoraussetzung - Versetzungszeugnis der bisher besuchten Grundschule - die im Übergangsverfahren nach § 8 AO-GS getroffenen Entscheidungen über die geeignete Schulform beachten muss.

Der Antragsteller hat das Rechtsschutzinteresse auch nicht durch Ergehen des Bescheides des Schulamtes der Stadt vom 4.5.2007 verloren, mit dem dieses den Antragsteller auf der Grundlage des Prognoseunterrichts wegen offensichtlicher Nichteignung nicht zum Besuch des Gymnasiums zugelassen hat. Unabhängig von dieser Entscheidung kann die gewünschte Änderung der Grundschulempfehlung dem Antragsteller nach wie vor rechtliche Vorteile bringen. Insbesondere hindert die Nichtzulassungsentscheidung des Schulamtes selbst im Fall ihrer Bestandskraft die Grundschule nicht, eine rechtsfehlerhafte eigene Schulformempfehlung nachträglich zu korrigieren und der Schülerin oder dem Schüler doch noch die gewünschte Schulform (mit Einschränkungen) zu empfehlen.

Durch diese Nichtzulassungsentscheidung hat sich die Grundschulempfehlung nicht etwa im Sinne des § 43 Abs. 2 VwVfG NRW erledigt. Eine Ersetzung der Grundschulempfehlung durch die Schulamtsentscheidung schreibt § 8 Abs. 8 Satz 2 AO-GS nur für den Fall vor, dass letztere für den Schüler günstig ausfällt. Bestätigt hingegen das Schulamt die in der Grundschulempfehlung indirekt ausgesprochene Nichtzulassung zur gewünschten Schulform, bleibt diese wirksam.

Für das dortige Landesrecht anders Sächs. OVG, Beschluss vom 9.11.1993 - 2 S 315/93 -, LKV 1994, 450 (452): "Bedeutung verloren"; vgl. auch VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 8.12.1989 - 9 S 2707/89 -, Juris, Rdn. 7: "keine rechtlich selbständige Bedeutung mehr".

Allerdings ist die Schulleitung eines Gymnasiums durch die Nichtzulassungsentscheidung des Schulamtes aufgrund des Ergebnisses des Prognoseunterrichts zunächst gehindert, den Antragsteller aufzunehmen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass der Antragsteller ein Rechtsschutzinteresse an der gerichtlichen Überprüfung der Grundschulempfehlung hat. Letztere ist kausal dafür, dass der Antragsteller am Prognoseunterricht teilgenommen hat. Eine Änderung der Grundschulempfehlung zu Gunsten des Antragstellers hätte - rückblickend - zur Folge, dass er am Prognoseunterricht nicht hätte teilnehmen müssen und dürfen. Aufgrund dieser Kausalität gebieten es die verfassungsrechtlichen Ansprüche des Antragstellers und seiner Eltern auf Schulformwahlfreiheit und auf eine der Eignung des Antragstellers entsprechende Erziehung und Bildung in der Schule, ein fortbestehendes Rechtsschutzinteresse anzunehmen, dass die Grundschulempfehlung und die Entscheidung über den Prognoseunterricht, wie ausgeführt, auf unterschiedlichen Tatsachengrundlagen beruhen. Bis zur Entscheidung über den Prognoseunterricht bestand unzweifelhaft ein Rechtsschutzinteresse an der Überprüfung der Grundschulempfehlung. Es widerspräche dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG, dass ein zulässiger Rechtsschutz durch eine behördliche oder gerichtliche Verfahrensgestaltung oder Entscheidungsfolge abgeschnitten wird. Erweist sich aufgrund der gerichtlichen Überprüfung die Grundschulempfehlung in relevanter Weise als fehlerhaft, ist der Antragsteller grundsätzlich so zu stellen, wie er stünde, wenn es zu der von der Schulformwahl abweichenden Grundschulempfehlung nicht gekommen wäre. Dem gemäß ist die Nichtzulassungsentscheidung des Schulamtes dahin auszulegen, dass die in ihr enthaltene Feststellung der offensichtlichen Nichteignung nicht die Grundschulempfehlung erfasst.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.6.1996 - 6 B 81.95 -, NVwZ-RR 1997, 101 (102), Juris, Rdn. 12 f.

Die vom BVerwG zum Rechtsschutz im Verhältnis von berufsbezogenen Erst- und Wiederholungsprüfungen angeführten Gründe beruhen auf verfassungsrechtlichen (Art. 19 Abs. 4 GG) Vorgaben und nicht so sehr auf spezifisch prüfungsrechtlichen Erwägungen. Sie sind als solche auf das Verhältnis zwischen Grundschulempfehlung und Zulassungsentscheidung des Schulamtes übertragbar und stehen nicht zur Disposition des Landesgesetz- oder -verordnungsgebers.

Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass eine Änderung der Grundschulempfehlung im Sinne des Begehrens des Antragstellers die Erledigung (§ 43 Abs. 2 VwVfG NRW) der Entscheidung über den Prognoseunterricht zur Folge haben dürfte. Denn mit der Änderung ist die "causa" für den Prognoseunterricht entfallen.

Vgl. auch Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, Bd. 2, Prüfungsrecht, 2004, Rdn. 802, m. w. N.

Etwaige Fehler der Grundschulempfehlung kann der Antragsteller auch nur in einem Rechtsstreit gegen diese selbst zur gerichtlichen Überprüfung stellen. In einem Rechtsstreit gegen die Nichtzulassungsentscheidung des Schulamtes sind solche Fehler oder darauf zielende Einwände nicht unmittelbar erheblich. Denn sie beeinflussen aus sich die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung nicht, weil, wie ausgeführt, die Grundschulempfehlung und die Schulamtsentscheidung auf unterschiedlichen Tatsachengrundlagen beruhen und zudem von unterschiedlichen Stellen getroffen werden.

Der Antrag ist unbegründet. Der Antragsteller kann weder die beantragte vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin beanspruchen, seine zumindest eingeschränkte Eignung für das Gymnasium festzustellen, noch kann er (als "Minus") ihre vorläufige Verpflichtung zur Neubewertung seiner Eignung verlangen.

Die Schulformempfehlung der Grundschule nach § 11 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW, § 8 Abs. 3 AO-GS ist gerichtlich nur eingeschränkt daraufhin überprüfbar, ob Verfahrensfehler oder Verstöße gegen anzuwendendes Recht vorliegen, ob die Lehrer von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen sind, gegen allgemeine Bewertungsgrundsätze verstoßen haben, sich von sachfremden Erwägungen haben leiten lassen oder sonst willkürlich gehandelt haben. Denn die Lehrkräfte der Grundschule haben bei der Erteilung ihrer Empfehlung einen Beurteilungsspielraum. Bei ihr handelt sich um eine Prognoseentscheidung, die wesentlich stärker als etwa schulische Benotungen von eignungsspezifischen und pädagogischen Wertungen der Lehrer geprägt ist. Sie müssen aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen und Einschätzungen festlegen, welche weiterführende Schulform für die Schülerin oder den Schüler geeignet erscheint. Diese persönlichen Erfahrungen und Einschätzungen lassen sich nicht regelhaft erfassen mit der Folge, dass das Gericht auch mit sachverständiger Hilfe die komplexe Prognoseentscheidung der Lehrer nicht vollständig nachvollziehen kann.

Vgl. auch zur Entscheidung über die Eignung zum weiteren Besuch der Schulform am Ende der Erprobungsstufe: OVG NRW, Beschluss vom 22.4.2002 - 19 B 575/02 -, m. w. N.

Hieraus folgt, dass das Gericht angesichts dieses Beurteilungsspielraums der Lehrkräfte der Grundschule nicht befugt ist, Leistungen selbst zu bewerten und selbst die Eignung der Schülerin oder des Schülers auf der Grundlage des Leistungsstandes, der Lernentwicklung und der Fähigkeiten (§ 11 Abs. 4 Satz 1 SchulG NRW) zu beurteilen und als Folge dieser eigenen Beurteilung die Grundschule zu verpflichten, eine günstigere Schulformempfehlung zu erteilen.

Insofern gelten diese im (Schul-)Prüfungsrecht entwickelten Grundsätze auch in Bezug auf die Empfehlung der Grundschulen für den Besuch einer weiterführenden Schule nach § 11 Abs. 4 Sätze 1 und 2 SchulG NRW, § 8 Abs. 3 AO-GS.

Vgl. zum Prüfungsrecht BVerwG, Urteil vom 12.11.1997 - 6 C 11.96 -, NVwZ 1998, 636 (637 f.), Beschluss vom 11.4.1996 - 6 B 13.96 -, DVBl. 1996, 997 (998), und Urteil vom 9.12.1992 - 6 C 3.92 -, NVwZ 1993, 677 (678); OVG NRW, Beschlüsse vom 26.5.2006 - 19 A 677/06 -, und vom 16.9.2005 - 19 E 1165/05 -, m. w. N.

Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Antragsteller im vorliegenden Fall auch im Beschwerdeverfahren nicht glaubhaft gemacht, dass die Lehrkräfte der Antragsgegnerin von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen sind, gegen allgemeine Bewertungsgrundsätze verstoßen haben, sich von sachfremden Erwägungen haben leiten lassen, oder sonst willkürlich gehandelt haben (wird ausgeführt).

Der Hinweis auf die nicht gleich lautende Empfehlung für die Mitschülerin N. führt nicht dazu, dass die ihn selbst betreffende Empfehlung willkürlich wäre. Die (bessere) Bewertung der Leistungen von Mitschülern ist grundsätzlich nicht geeignet, eine fehlerhafte Bewertung des Schülers zu belegen.

Vgl. nur OVG NRW, Beschluss vom 10.11.2004 - 19 B 2194/04 -, m. w. N.

Für eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist hier schon deshalb kein Raum, weil die Empfehlungsbegründung für die Mitschülerin und ihre Noten schon nicht mit der Empfehlungsbegründung für den Antragsteller und dessen Noten hinreichend vergleichbar sind.

Ende der Entscheidung

Zurück