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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 05.07.2006
Aktenzeichen: 19 B 991/06
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 44 a
Rechtsbehelfe gegen Verfahrenshandlungen im Verfahren auf Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs sind unzulässig (§ 44 a VwGO). Das gilt auch für Anträge, die auf vorläufige oder endgültige Einstellung des Verfahrens oder auf die Feststellung gerichtet sind, dass keine Verpflichtung zur Mitwirkung im Verfahren oder bei einzelnen Verfahrenshandlungen oder -abschnitten besteht.
Tatbestand:

Die Antragstellerin beantragte, im Wege der einstweiligen Anordnung festzustellen, dass sie nicht verpflichtet ist, bei der Durchführung des laufenden Verfahrens zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs mitzuwirken, insbesondere sich dem Gesundheitsamt vorzustellen. Der Antrag blieb in beiden Instanzen erfolglos.

Gründe:

Nach § 44 a Satz 1 VwGO können Rechtsbehelfe gegen Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Zu den behördlichen Verfahrenshandlungen im Sinne des § 44 a Satz 1 VwGO gehören die Eröffnung des Verfahrens zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs sowie zur Entscheidung über den Förderschwerpunkt und den Förderort und auch die übrigen in diesem Verfahren ergehenden Verfahrenshandlungen der Schulaufsichtsbehörde. Damit sind nach § 44 a Satz 1 VwGO auch Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und sonstige Rechtsbehelfe unzulässig, soweit sie auf die vorläufige oder endgültige Einstellung des Verfahrens nach den Vorschriften der AO-SF abzielen.

Vgl. zur außer Kraft getretenen VO-SF: OVG NRW, Beschlüsse vom 11.7.2003 - 19 B 1160/03 - und vom 6.2.1991 - 19 B 298/91 -.

Das Gleiche gilt für Anträge in verwaltungsgerichtlichen Hauptsache- oder Eilverfahren, die - wie hier - auf die Feststellung gerichtet sind, dass keine Verpflichtung zur Mitwirkung im Verfahren oder bei einzelnen Verfahrenshandlungen oder -abschnitten besteht. Auch in diesen Fällen würde es dem in § 44 a Satz 1 VwGO zum Ausdruck kommenden Grundsatz der Verfahrensökonomie zuwiderlaufen, wenn die Verwaltungsgerichte über derartige Feststellungsanträge zu entscheiden hätten, obwohl aufgrund der fehlenden Sachentscheidung im Verfahren nach der AO-SF nicht feststeht, ob die Schülerin oder Schüler aufgrund des Ergebnisses des Verfahrens in der Sache beschwert ist.

Die Eröffnung des Verfahrens nach den Vorschriften der AO-SF und auch die übrigen in diesem Verfahren ergehenden Verfahrenshandlungen sind entgegen der Auffassung der Antragstellerin auch keine vollstreckbaren behördlichen Verfahrenshandlungen im Sinne des § 44 a Satz 2 VwGO. Die Verfahrenshandlungen nach der AO-SF sind ebenso wie die Anordnung der Fahrerlaubnisbehörde, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 28.11.1969 - VII C 18.69 -, jurisweb, Rdn. 10, OVG NRW, Beschlüsse vom 22.1.2001 - 19 B 1757/00, 19 E 886/00 -, NJW 2001, 3427 ff., oder die Anordnung der Prüfungsbehörde, ein amtsärztliches Attest vorzulegen, vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 27.8.1992 - 6 B 33.92 -, NVwZ-RR 1993, 252 (252 f.), keine Handlungen, die zwangsweise durchgesetzt werden können oder unmittelbar Rechtswirkungen etwa in dem von der Antragstellerin angeführten grundrechtsrelevanten Bereich, zu Lasten des Betroffenen über das Verfahren nach den Vorschriften der AO-SF hinaus entfalten.

Vgl. zum weiten Begriff der vollstreckbaren Verfahrenshandlungen im Sinne des § 44 a Satz 2 VwGO: BVerwG, Beschluss vom 27. 8. 1992 - 6 B 33.92 -, a. a. O. ; Hess. VGH, Urteil vom 23.2.1994 - 1 UE 3980/88 -, NVwZ-RR 1995, 47 (48); VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 9.9.1987 - 4 S 1614/87 -, DVBl 1988, 358 (359).

Sie dienen vielmehr nur der Aufklärung des Sachverhalts und der Vorbereitung der allein mit Rechtsbehelfen anfechtbaren Entscheidung der Schulaufsichtsbehörde gemäß § 13 Abs. 1 AO-SF darüber, ob ein sonderpädagogischer Förderbedarf besteht sowie ggf. welcher Förderschwerpunkt und welcher Förderort in Betracht kommt. Die Schülerin und der Schüler sowie seine Eltern sind zwar aufgrund ihrer Pflicht zur Mitwirkung an der Bildung und Erziehung der Schülerin und des Schülers in der Schule (§ 42 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 Sätze 1 und 2, § 62 Abs. 1 Satz 1 SchulG NRW) verpflichtet, in dem Verfahren nach den Vorschriften der AO-SF (aktiv) mitzuwirken, also etwa an erforderlichen testpsychologischen Untersuchungen zur Vorbereitung des sonderpädagogischen Gutachtens im Sinne des § 12 Abs. 1 AO-SF, der schulärztlichen Untersuchung im Sinne des § 12 Abs. 3 Sätze 1 und 2 AO-SF und dem Elterngespräch im Sinne des § 12 Abs. 5 AO-SF teilzunehmen. Die Teilnahme ist jedoch weder nach den Vorschriften der AO-SF noch des SchulG NRW erzwingbar. Die fehlende Mitwirkung stellt auch keine Ordnungswidrigkeit nach § 126 SchulG NRW dar. Insbesondere betrifft die Ordnungswidrigkeit gemäß § 126 Abs. 1 Nr. 2 SchulG NRW das unentschuldigte Fernbleiben vom Unterricht und von den sonstigen Veranstaltungen der Schule, nicht aber die mangelnde Mitwirkung an Handlungen der für die Durchführung des Verfahrens nach der AO-SF zuständigen Schulaufsichtsbehörde. Darüber hinaus kommen im Falle der fehlenden Mitwirkung keine Ordnungsmaßnahmen im Sinne des § 53 SchulG NRW gegen die Schülerin und den Schüler in Betracht. Dem steht schon entgegen, dass die Ordnungsmaßnahmen nach ihrem Sinn und Zweck an Fehlverhalten der Schülerin oder des Schülers in der Schule anknüpfen. Hier kommt hinzu, dass nichts dafür ersichtlich ist, dass die Antragstellerin nicht bereit ist, an dem Verfahren nach der AO-SF teilzunehmen. Die angekündigte und beabsichtigte Nichtteilnahme an den einzelnen Verfahrensabschnitten und -handlungen beruht vielmehr nach Aktenlage ausschließlich auf dem Willen ihrer Eltern.

Die fehlende Mitwirkung im Verfahren nach den Vorschriften der AO-SF hat im Übrigen nicht zur Folge, dass die Schulaufsichtsbehörde an einer Entscheidung gemäß § 13 Abs. 1 AO-SF gehindert ist. Bei fehlender Mitwirkung hat sie ihre Entscheidung auf der Grundlage der ihr vorliegenden Unterlagen, die Aufschluss über das Lern- und Leistungsverhalten der Schülerin und des Schülers in der Schule geben, zu treffen. Hierzu gehören etwa die Zeugnisse und die Lern- und Leistungsberichte der besuchten Schule und das sonderpädagogische Gutachten. Die gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 AO-SF von der Schulaufsichtsbehörde beauftragten Gutachter sind nämlich berechtigt und verpflichtet, bei fehlender Mitwirkung an testpsychologischen Untersuchungen das sonderpädagogische Gutachten auf der Grundlage der Erkenntnisse im Schulunterricht und den sonstigen verbindlichen Schulveranstaltungen, an denen teilzunehmen die Schülerin oder der Schüler verpflichtet ist (§ 43 Abs. 1 Satz 1, § 42 Abs. 3 Satz 2 SchulG NRW), zu erstellen. Dies erfordert ggf. eine längere Unterrichtsbeobachtung durch beide Gutachter. Außerdem hat die Schulaufsichtsbehörde zu prüfen, ob bei fehlender Mitwirkung das Verfahren nach der AO-SF als ordnungsgemäß durchgeführt gilt. In der Rechtsprechung des Senats ist insoweit geklärt, dass das Verfahren nach den auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) als ordnungsgemäß durchgeführt gilt, wenn die schulärztliche Untersuchung (§ 12 Abs. 3 AO-SF) verweigert oder der Aufforderung zur Untersuchung aus einem sonstigen vorwerfbaren Grund nicht nachgekommen wird.

OVG NRW, Beschluss vom 14.11.2003 - 19 B 2125/03 -, m. w. N.

Nichts Anderes gilt, wenn die Mitwirkung bei anderen Verfahrenshandlungen verweigert wird.

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