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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 25.10.2007
Aktenzeichen: 20 A 1881/07
Rechtsgebiete: WaffG


Vorschriften:

WaffG § 5 Abs. 2 Nr. 1
In den Fällen des § 5 Abs. 2 Nr. 1 WaffG (2002), in denen die Regelvermutung der Unzuverlässigkeit an eine erfolgte strafgerichtliche Verurteilung anknüpft, können Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall regelmäßig nur die Tatumstände selbst oder Umstände betreffend die Persönlichkeit des Täters bieten, die in jenem strafrechtlich relevanten Verhalten zum Ausdruck gekommen sind. Diese in der Rechtsprechung, namentlich des BVerwG (u. a. Beschluss vom 28. 10. 1983 - 1 B 144.83 -, Buchholz 402.5 WaffG Nr. 36) zur Vorgängerregelung entwickelten grundsätzlichen Aussagen zur Prüfung eines Ausnahmefalles sind mangels jeglichen Anhalts zu einer Relativierung der Bedeutung der "Regel" auf die neu gefassten Regelvermutungstatbestände des § 5 Abs. 2 Nr. 1 WaffG zu übertragen.
Tatbestand:

Nachdem der Kläger wegen Bankrotts (§ 283 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. b, Abs. 6 StGB) zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu 15,-- Euro verurteilt worden war, erklärte der Beklagte den Jagdschein des Klägers gestützt auf § 18, § 17 Abs. 1 Satz 2 b JagdG i. V. m. § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG für ungültig und verfügte zugleich dessen Einziehung. Die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage, mit der der Kläger im wesentlichen geltend gemacht hatte, die abgeurteilte Straftat weise nicht den geringsten Bezug zum Umgang mit Waffen auf, blieb auch in der Berufungsinstanz erfolglos. Das OVG hat die Revision nicht zugelassen.

Gründe:

Die streitgegenständliche Ungültigerklärung und Einziehung des dem Kläger zuletzt erteilten Jagdscheines ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Abgestellt auf den maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides war der Jagdschein gemäß § 18 BJagdG zwingend einzuziehen und für ungültig zu erklären, weil der Kläger die nach § 17 Abs. 1 Satz 2 BJagdG für die Erteilung erforderliche waffenrechtliche Zuverlässigkeit (§ 5 WaffG) nicht mehr besaß. Der Kläger ist durch Strafurteil des Amtsgerichtes wegen Bankrottvergehens nach § 283 Abs. 1 Nr. 7 Buchstabe b), Abs. 6 StGB zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt worden. Damit greift der Regeltatbestand des § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a) WaffG. Gründe für eine von der gesetzlichen Regelvermutung abweichende Beurteilung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit fehlen weiterhin; die Regelvermutung ist nicht widerlegt.

Die Regeltatbestände des § 5 Abs. 2 WaffG typisieren die Unzuverlässigkeitsmerkmale in der Weise, dass die in ihnen genannten Tatsachen schon für sich allein den Mangel der erforderlichen Zuverlässigkeit begründen, sofern nicht besondere Umstände gegeben sind, die im Einzelfall diese Annahme entkräften. In den Fällen des § 5 Abs. 2 Nr. 1 WaffG, in denen die Regelvermutung an eine erfolgte strafgerichtlichen Verurteilung anknüpft, können Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall regelmäßig nur die Tatumstände selbst oder Umstände betreffend die Persönlichkeit des Täters bieten, die in jenem strafrechtlich relevanten Verhalten zum Ausdruck gekommen sind. Diese in der Rechtsprechung, namentlich des BVerwG, u. a. Beschluss vom 28. 10. 1983 - 1 B 144.83 -, Buchholz 402.5 WaffG Nr. 36, zur Vorgängerregelung entwickelten grundsätzlichen Aussagen zur Prüfung eines Ausnahmefalles sind mangels jeglichen Anhalts für eine Relativierung der Bedeutung der "Regel" auf die neugefassten Regelvermutungstatbestände des § 5 Abs. 2 Nr. 1 WaffG zu übertragen.

Vgl. zur Übertragbarkeit der Rechtsprechung zur früheren Fassung des Waffengesetzes (bezogen auf den Aspekt der Verhältnismäßigkeit): BVerwG, Beschluss vom 27. 3. 2007 - 6 B 108.06 -, juris.

Die Annahme der Unzuverlässigkeit als Regelfall setzt gerade nicht voraus, dass außer dem Vermutungstatbestand weitere Umstände hinzutreten; deren Fehlen, etwa weil der Betroffene sich ansonsten ordnungsgemäß verhalten hat und weiterhin verhält, ist unerheblich. Gerade auch in den vom Kläger herangezogenen Entscheidungen des BVerwG,

Urteil vom 4. 9. 1995 - 1 C 20.94 -, Jagdrechtliche Entscheidungen XVII Nr. 121, Beschluss vom 22. 4. 1992 - 1 B 61.92 -, GewArch. 1992, 314, kommt dies zum Ausdruck. Danach geht es um die Prüfung, ob die rechtlich abgeurteilte Tat und die in dem Täterverhalten zum Ausdruck kommende Persönlichkeit nach den gesetzlichen Maßstäben den Schluss rechtfertigen, dem Betreffenden fehle die erforderliche waffenrechtliche Zuverlässigkeit. Der Regeltatbestand selbst enthält die gesetzliche Wertung, dass seine Voraussetzung - vorbehaltlich atypischer Fälle - zur Unzuverlässigkeit führt. Eine einzelfallbezogene Prognose des Sicherheitsrisikos unter Einbeziehung weitergehender Aspekte widerspräche der Systematik normierter Regeltatbestände.

Die Rechtsänderung zum 1. 4. 2003 hat bezüglich der waffenrechtlichen Vorgängerbestimmungen zu keiner geänderten Systematik geführt. Im Unterschied zur bisherigen Rechtslage knüpft die Regelvermutung in der hier einschlägigen Alternative nur nicht mehr an die Verwirklichung spezifischer Delikte an. Es reicht schon das vorsätzliche Begehen einer jeden Straftat unbeschadet der Art des Deliktes. Das steht der Heranziehung der bisherigen Grundsätze nicht entgegen. Denn es gilt in gleicher Weise wie bisher, die darin zum Ausdruck gelangte gesetzgeberische Risikobewertung zu beachten. Der jetzigen Regelvermutung liegt die (geänderte) gesetzgeberische Einschätzung zugrunde, dass derjenige, der jenseits von Bagatellsachen, die mit der Verurteilung zu einer geringeren Geldstrafe als 60 Tagessätze definiert sind, wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen Strafvorschriften gleich welcher Deliktsart verurteilt worden ist, regelmäßig solche Zweifel an seiner Vertrauenswürdigkeit weckt, dass die Wertung gerechtfertigt ist, sein Waffenbesitz stelle ein Risiko dar, das nicht hingenommen werden soll. Der Gesetzgeber hält sich damit im Rahmen des Gestaltungsspielraums, der ihm nach der Rechtsordnung bei der Frage zusteht, wie dem Anliegen entsprochen werden soll, das mit jedem Waffenbesitz verbundene Sicherheitsrisiko für Leben und Gesundheit von Menschen möglichst gering zu halten. Denn es geht um Regelungen im Vorfeld des Grundrechtes aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG eines jeden Einzelnen, vor den Gefahren geschützt zu sein, die aus dem Gebrauch von und dem Umgang mit Waffen resultieren. Davon ausgehend ist rechtlich nichts dagegen zu erinnern, dass der Gesetzgeber insoweit von seiner bisherigen Einschätzung im Bereich des Jagdrechts und Waffenrechts abgegangen ist. Denn ein vorsätzlicher Verstoß gegen Strafvorschriften bietet schon für sich hinreichend sachlichen Anhalt für die Befürchtung, dem Betreffenden fehle die allgemeine persönliche Charakterstärke, gegebenenfalls unter Hintanstellung eigener Interessen auch in kritischen Situationen auf die Rechte und Belange anderer Rücksicht zu nehmen. Eine Beschränkung der Regelvermutung auf Verurteilungen wegen Gewaltdelikten oder Delikten im Umgang mit oder unter Gebrauch von Waffen würde eine Erhöhung der Schwelle bedeuten, bei der mit dem vorbeugenden Schutz Dritter angesetzt wird; diese Schwelle zu bestimmen liegt in der Verantwortung des Gesetzgebers, wobei eine Schlussfolgerung aus jeglichem vorsätzlichen Verstoß gegen strafbewehrte Verhaltenspflichten allemal tragfähig ist.

Diese - danach zulässige - gesetzgeberische Bewertung gilt es auch im Rahmen der Prüfung eines Ausnahmefalles zu beachten. Deshalb ist nach wie vor entscheidend, ob Umstände der Tat oder das Täterverhalten auf eine atypische Fallgestaltung deuten. Entscheidend ist dabei, ob Umstände die Annahme rechtfertigen, dass der konkrete Fall von dem typischen Fall eines vorsätzlichen Verstoßes gegen Strafvorschriften abweicht, weil dieser nach der gesetzgeberischen Wertung schon für sich, d. h. auch ohne weitergehende und gefahrerhöhende Umstände, für die Dauer von 5 Jahren der Annahme entgegensteht, der Verurteilte besitze weiterhin die für den Besitz von und Umgang mit Waffen erforderliche Zuverlässigkeit. Der Umstand, dass eine Atypik für den größten Teil der Verurteilungen wegen eines Vorsatzdeliktes nicht festzustellen sein dürfte, ist in der Systematik des Regel-Ausnahme-Verhältnisses begründet und bietet keinen Anlass, die gesetzgeberische Risikobewertung zu relativieren. Es kann auch keine Rede davon sein, dass die Regelvermutungstatbestände in dieser Auslegung auf eine unzulässige zusätzliche Bestrafung hinausliefen. Denn der Ausschluss der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit und deren Auswirkungen auf die Frage der jagdrechtlichen Zuverlässigkeit, soweit es nicht bloß um einen Falknerjagdschein geht, zielt nicht auf die Missbilligung eines vorwerfbaren Verhaltens und dient auch nicht dem Schuldausgleich. Vielmehr erwächst er aus der Einschätzung des Gesetzgebers, bei welcher strafrechtlich in Erscheinung getretenen Person der Waffenbesitz ein Risiko darstellt, das nach den Maßstäben staatlicher Schutzgewährung nicht mehr hingenommen werden kann.

Das Vorstehende zugrunde gelegt fehlen weiterhin greifbare Anhaltspunkte, warum im Falle des Klägers die Regelvermutung nicht greifen sollte. Der Senat hat hierzu bereits in seinem Beschluss vom 7. 11. 2006 - 20 B 1847/06 - folgendes ausgeführt:

Gründe, warum vorliegend diese Zweifel nicht angebracht wären, erschließen sich insbesondere nicht aus den vom VG beigezogenen Strafakten. Damit entfällt auch jeder Anknüpfungspunkt für eine weitere Sachaufklärung. Diese würde bei dem gegebenen Sach- und Streitstand letztlich ins Blaue hinein erfolgen. Die Tatumstände deuten vorliegend auf keinen Ausnahmefall. Sie rechtfertigen insbesondere nicht den Schluss auf ein Bagatelldelikt, dem keine Aussagekraft für die charakterliche Fähigkeit und Bereitschaft des Antragstellers beizumessen wäre, sich grundsätzlich und allgemein, mithin auch mit Waffen, verantwortungsbewusst sowie mit Rücksicht auf die Rechte und Belange Dritter zu verhalten. Vielmehr handelt es sich um einen typischen Fall eines vorsätzlichen Verstoßes gegen strafbewehrte Vorschriften. Soweit der Antragsteller für die Überschuldung ein Fremdverschulden anführt, sein Bemühen, die Firma weiterzuführen, und seine eigene finanzielle Betroffenheit hervorhebt, zeigt er im Kern allein einen durchaus typischen Hintergrund für Delikte dieser Art auf. Mit Blick auf die Höhe der verhängten Geldstrafe von 80 Tagessätzen sowie auf den Umstand, dass der Antragsteller erst fast ein Jahr nach Ablauf der für die Erstellung der Bilanz vorgesehenen Fristen Insolvenz angemeldet und bis dahin die Bilanz nicht erstellt hat, verbietet sich die Annahme eines (bloßen) Bagatelldeliktes. Es spricht auch nichts gegen die strafgerichtlich festgestellte Vorsätzlichkeit des Verhaltens des Antragstellers. In Bezug auf seine Persönlichkeit, wie sie sich in dem Pflichtverstoß gezeigt hat, ergeben sich ebenfalls keine Besonderheiten. Der Antragsteller hat aus Eigeninteresse gegen Strafvorschriften verstoßen. Dabei hat er zugleich die notwendige Einsicht in die mit der Bilanzierungsverpflichtung gerade im Falle der Überschuldung verbundenen Allgemeininteressen an der Wahrung der Vermögens- und Eigentumsordnung vermissen lassen. Sein Wohlverhalten vor und im Anschluss an die Tat sowie seine geordneten familiären Verhältnisse und seine gesellschaftliche Reputation im Übrigen stellen ebenfalls keine Besonderheiten für einen Ersttäter insbesondere im Bereich der Bankrottvergehen dar, welche die gesetzgeberische Gefahreneinschätzung bei der Verwirklichung schon einer vorsätzlichen Straftat, die mit einer nicht unerheblichen Geldstrafe belegt worden ist, entkräften könnten.

An dieser Bewertung hält der Senat nach erneuter Prüfung fest. Der Kläger hat dem im Klage- und Berufungsverfahren nichts Erhebliches entgegengesetzt, was eine andere Bewertung rechtfertigt. Die Ausführungen des Strafrichters bieten keine neuen Gesichtspunkte. Angesichts der gegebenen gesetzgeberischen Bewertung ist für die Annahme eines Regelfalles nicht erforderlich, dass neben der Verurteilung selbst zusätzlich besondere charakterliche Mängel oder gar ein Gefährdungspotential für den Einzelnen oder die Allgemeinheit hervorgetreten ist. Ebenso unerheblich ist die strafrichterliche Einschätzung, es werde zu keinen weiteren (einschlägigen) Straftaten kommen. Denn bei der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit geht es um Aspekte der Gefahrenabwehr und damit um eine nach ordnungsbehördlichen Maßstäben zu treffende Bewertung, wobei angesichts der in Rede stehenden hohen Schutzgüter ein höherer Grad an Gewissheit verlangt werden darf, dass die Eignungsmängel, auf welche eine strafrechtliche Auffälligkeit deutet, nicht vorliegen bzw. sich beim Umgang mit Waffen und Munition nicht auswirken, als ihn die bloße strafrichterliche Erwartung, der Betreffende werde nicht erneut straffällig werden, bietet. Im Grunde erschließt sich aus den Ausführungen des Strafrichters nur, dass der Kläger wegen einer typischen Vorsatztat aus dem Bereich der abstrakten Gefährdungsdelikte verurteilt worden ist, deren strafrechtlicher Unwertgehalt zu einer Bestrafung oberhalb der vom Gesetzgeber vorgestellten Bagatellgrenze - Ahndung mit nicht mehr als 60 Tagessätzen - führte. Dabei mag die Richtigkeit des Vortrages des Klägers unterstellt werden, die Bilanzen nicht erstellt zu haben, weil ihm einerseits die einschlägigen Kenntnisse gefehlt hätten, anderseits die finanziellen Mittel ausgegangen seien, einen Steuerberater damit zu beauftragen. Eine solche Zwangslage stellt letztlich bei dem einschlägigen Straftatbestand, der eine Überschuldung tatbestandlich voraussetzt, keine Besonderheit dar und vermag den Kläger nicht zu entlasten. Im Gegenteil wirft der Umstand, dass bei solchermaßen erkennbarer Überschuldung eine Gesellschaft weitergeführt wird, obschon die entsprechenden buchhalterischen Sachkenntnisse fehlen, im Besonderen die Frage der Vertrauenswürdigkeit auf. Im Übrigen hat der Kläger im Strafverfahren angegeben, einen Steuerberater gehabt zu haben; aber es sei zu viel Zeit vergangen, bis die Bilanz fertig gewesen sei.

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