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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 30.06.2005
Aktenzeichen: 20 A 3988/03
Rechtsgebiete: OBG NRW, WHG


Vorschriften:

OBG NRW § 9
WHG § 19
Eine Planfeststellungsbehörde hat im Allgemeinen nicht die Kompetenz, bei der Entscheidung über ein Planfeststellungsvorhaben Regelungen einer Wasserschutzgebietsverordnung in der Annahme ihrer Unwirksamkeit unberücksichtigt zu lassen.

Zur Befreiung von dem in einer Wasserschutzgebietsverordnung enthaltenen Verbot von Nassabgrabungen.

Zur Anfechtbarkeit einer Weisung, die im Rahmen der Sonderaufsicht ergangen ist.


Tatbestand:

Das beigeladene Kiesunternehmen plante die Erweiterung eines Baggersees im Gebiet des klagenden Kreises. Der See und die Erweiterungsfläche liegen in der Schutzzone III B des Wasserschutzgebietes N., in dem Nassabgrabungen verboten sind. Der Kläger beabsichtigte, den Plan für das Erweiterungsvorhaben unter Befreiung von dem Verbot festzustellen. Die beklagte Bezirksregierung wies den Kläger im Rahmen der staatlichen Sonderaufsicht u. a. an, den Planfeststellungsantrag abzulehnen, weil eine Befreiung nicht erteilt werden dürfe. Die hiergegen erhobene Klage, die nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Weisungen gerichtet war, hatte in der Berufungsinstanz keinen Erfolg.

Gründe:

Die Zulässigkeit des Klagebegehrens berührende Bedenken bestehen dagegen, dass die Weisungen - wie für einen Verwaltungsakt erforderlich - auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet sind und, sofern man dies bejaht, der Kläger geltend machen kann, durch die Weisungen in seinen Rechten verletzt zu sein (§ 42 Abs. 2 VwGO). Die unmittelbare Außenwirkung einer Regelung hängt maßgeblich von dem ihr zugrunde liegenden materiellen Recht ab. Die Klagebefugnis ist gegeben, wenn nach dem Vorbringen des Klägers die Verletzung seiner Rechte möglich ist, was nach allgemeiner Meinung dann nicht der Fall ist, wenn die behaupteten Rechte offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise bestehen oder dem Kläger zustehen können. Ob Weisungen im vorliegend in Rede stehenden aufsichtsbehördlichen Über- und Unterordnungsverhältnis die angewiesene Behörde bzw. den hinter ihr stehenden Rechtsträger in eigenen Rechten berühren, bestimmt sich nach dem von den Weisungen betroffenen Wirkungskreis. Bei einer staatlichen Weisung gegenüber einer Selbstverwaltungskörperschaft ist entscheidend, ob die Weisung im Einzelfall darauf gerichtet ist, die Selbstverwaltungskörperschaft in eben dieser Eigenschaft und damit als Träger eigener Rechte und Pflichten zu treffen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 14.12.1994 - 11 C 4.94 -, NVwZ 1995, 910; Urteil vom 11.11.1988 - 8 C 9.87 -, NVwZ-RR 1989, 359; Urteil vom 16.3.1977 - 8 C 72.75 -, BVerwGE 52, 151.

Die Entscheidung im wasserrechtlichen Planfeststellungsverfahren über ein Nassabgrabungsvorhaben obliegt dem Kläger als Kreisordnungsbehörde (Nr. 20.1.19 Ziffer 2 ZustVOtU). Er ist untere Wasserbehörde und als solche Sonderordnungsbehörde (§§ 136, 138 LWG). Die Aufgaben der Kreisordnungsbehörde nimmt der Kläger als Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung wahr, und zwar auch hinsichtlich der ihm als Sonderordnungsbehörde übertragenen Aufgaben (§§ 3 Abs. 1, 12 OBG). Dabei unterliegt der Kläger der staatlichen Sonderaufsicht (§ 57 Abs. 2, § 2 Abs. 2 Satz 3 KrO); der Umfang des Weisungsrechts beurteilt sich nach § 9 OBG. Unter welchen Voraussetzungen eine sonderaufsichtliche Weisung nach dieser Vorschrift einen Kreis in seiner geschützten eigenen Rechtssphäre der Selbstverwaltung berührt, wird kontrovers erörtert.

Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Auflage, § 42 Rdnr. 139, Anh. § 42 Rdnr. 80; Held/Becker u. a., Kommunalverfassungsrecht Nordrhein-Westfalen, Stand März 2005, § 3 GO Anmerkungen 5 und 6; Drews/Wacke/Vogel/ Martens, Gefahrenabwehr, 9. Auflage, Seite 54 f.

Der 15. Senat des erkennenden Gerichts hat die Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung in einer Entscheidung - Beschluss vom 16.3.1995 - 15 B 2839/93 -, NVwZ-RR 1995, 502 - als Selbstverwaltungsangelegenheiten eingestuft und die Auffassung vertreten, eine in diesen Aufgabenbereich eingreifende sonderaufsichtliche Weisung stelle sich immer als regelnder Eingriff in den gemeindlichen Wirkungskreis und folglich als Verwaltungsakt dar. Ob dem in dieser Uneingeschränktheit auch und gerade für eine Maßnahme der Rechtsaufsicht (§ 9 Abs. 1 OBG) zuzustimmen ist, von der außerhalb der Aufgabe selbst liegende Elemente der geschützten Selbstverwaltung nicht betroffen werden und deswegen unmittelbare Auswirkungen auf den Selbstverwaltungsbereich nach Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 78 LVerf NRW nicht ausgehen, bedarf keiner Vertiefung und abschließenden Entscheidung. Zum einen ist die Möglichkeit eines rechtlichen Betroffenseins des Klägers jedenfalls unter den Gesichtspunkten einer Beeinträchtigung seiner wirtschaftlichen Entwicklung sowie möglicher finanzieller Folgen einer rechtsfehlerhaften Ablehnung des Planfeststellungsantrages nicht schlechthin ausgeschlossen. Zum anderen kann die Zulässigkeit der Klage im Ergebnis auf sich beruhen, weil sie zu Gunsten des Klägers unterstellt werden kann. Diese Möglichkeit besteht, weil die Klage jedenfalls mangels einer Verletzung von Rechten des Klägers - wie nachfolgend ausgeführt - nicht begründet ist. Die unterschiedlichen Rechtskraftwirkungen eines Prozess- und eines Sachurteils (§ 121 VwGO) erfordern keine endgültige Beurteilung der fraglichen Sachurteilsvoraussetzungen. Mit der Abweisung der Klage werden die Weisungen, soweit sie noch angegriffen sind, für den Kläger unanfechtbar, und zwar unabhängig von einer Abweisung als unzulässig oder als unbegründet und weiter unabhängig von der Erledigung. Bezogen auf individuelle Rechte der Beigeladenen enthalten die Weisungen von vornherein keine Regelung, die unter dem Blickwinkel des § 121 VwGO eine abschließende Klärung der Zulässigkeit der Klage veranlassen könnte. Die Weisungen entfalten als Regelungen ausschließlich innerhalb der Verwaltungsorganisation jedenfalls gegenüber der Beigeladenen keine unmittelbaren Rechtswirkungen und bedürfen, sollen sie im Verhältnis zur Beigeladenen Rechtsfolgen nach sich ziehen, der vorherigen Umsetzung durch den Kläger.

Die Klage ist nicht begründet. Durch die Weisungen werden, soweit sie noch Gegenstand des Verfahrens sind, Rechte des Klägers ungeachtet ihrer Erledigung nicht verletzt. Ebenso wie bei dem hilfsweise aufrecht erhaltenen Anfechtungsbegehren reicht eine objektive Rechtswidrigkeit der Weisungen für einen Erfolg des mit dem Hauptantrag verfolgten Fortsetzungsfeststellungsbegehrens nicht aus. Denn einem Fortsetzungsfeststellungsbegehren kann in der Sache nur entsprochen werden, soweit der Kläger durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt worden ist und der Verwaltungsakt deshalb, hätte er sich nicht erledigt, aufgrund eines Anfechtungsbegehrens hätte aufgehoben werden müssen. Hieran fehlt es. Denn bei den angegriffenen Weisungen handelt es sich um solche auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 OBG, die Selbstverwaltungsrechte des Klägers nicht weiter einschränken und ihn auch sonst nicht in einer eigenen einfachrechtlichen Rechtsposition verletzen.

Nach § 9 Abs. 1 OBG können die Aufsichtsbehörden Weisungen erteilen, um die gesetzmäßige Erfüllung der ordnungsbehördlichen Aufgaben zu sichern. Diese Vorschrift ist einschlägig. Die Weisungen der Beklagten zielen auf die Beachtung des die Vorhabenfläche räumlich erfassenden Verbots von Nassabgrabungen nach § 4 Abs. 2 Nr. 7 der Wasserschutzgebietsverordnung N. sowie der zugehörigen Befreiungsregelung nach § 9 der Verordnung. Das betrifft inhaltlich Fragestellungen der Übereinstimmung der, wie die Zulassung des vorzeitigen Beginns des Vorhabens seitens des Klägers verdeutlichte, bei Erlass der Weisungen konkret bevorstehenden Feststellung des Plans mit in die Prüfung der Zulassungsvoraussetzungen einzubeziehenden Rechtsvorschriften (§ 75 Abs. 1 VwVfG). § 9 Abs. 2 OBG, wonach Weisungen unter näher bestimmten Voraussetzungen zur zweckmäßigen Erfüllung der ordnungsbehördlichen Aufgaben ergehen dürfen, findet demgegenüber keine Anwendung. Bei einer privatnützigen Planfeststellung eines Gewässerausbauvorhabens - wie hier - wird die Stufe der planerischen Abwägung nicht erreicht, wenn dem Vorhaben zwingendes materielles Recht entgegensteht. Die Planfeststellungsbehörde ist an das im Rahmen der Konzentrationswirkung eines Planfeststellungsbeschlusses zu berücksichtigende strikte materielle Recht gebunden. Das schließt, stehen Bestimmungen einer Wasserschutzgebietsverordnung und eine Befreiung hiervon in Rede, die Bindung an die in der Verordnung vorgegebenen Voraussetzungen für eine Befreiung ein.

§ 9 Abs. 1 OBG ermächtigt die Aufsichtsbehörde zur Rechtsaufsicht. Sichergestellt werden soll die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns der untergeordneten Behörde. Auch wenn man die (sonder-)ordnungsbehördlichen Aufgaben der Gemeinden und Kreise als Selbstverwaltungsaufgaben betrachtet, stehen der Selbstverwaltungskörperschaft Rechte hinsichtlich der Wahrnehmung dieser Aufgaben nur innerhalb des Rahmens der Gesetze zu (Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 78 Abs. 4 LVerf NRW). Die Gesetzmäßigkeit der Aufgabenerfüllung nach § 9 Abs. 1 OBG wird durch die Anwendung des die Selbstverwaltungskörperschaft bindenden Rechts verwirklicht. Die Aufgaben sind trotz ihrer Übertragung auf die Träger kommunaler Selbstverwaltung funktional solche des Staates, der für ihre Ausgestaltung und Erfüllung die Verantwortung trägt und insofern sowohl für die Gesetze als auch für deren sachlich richtige Durchführung sorgt. Stellt eine Weisung die gesetzmäßige Aufgabenerfüllung durch die Selbstverwaltungskörperschaft sicher, können deren subjektive Rechte lediglich unter dem Gesichtspunkt verletzt sein, dass Weisungen nach dem Wortlaut des § 9 Abs. 1 OBG erteilt werden "können". Versteht man das Weisungsrecht in Anknüpfung hieran als Befugnis, deren Wahrnehmung dem aufsichtsbehördlichen Ermessen überantwortet ist und die Berücksichtigung von Belangen der anzuweisenden Behörde erfordert, ist zu deren Gunsten nicht zuletzt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Das bedarf keiner weitergehenden Erörterung, weil eine Verletzung von Rechten des Klägers weder unter dem Aspekt der gesetzlichen Voraussetzungen der Weisungsbefugnis noch demjenigen der Ausübung dieser Befugnis festzustellen ist.

Der Kläger wird nicht durch Auswirkungen der angegriffenen Weisungen auf seinen außerhalb der unmittelbaren Aufgabenerfüllung stehenden Selbstverwaltungsbereich in seinen Rechten verletzt. Seine Befürchtung, im Falle der Befolgung der Weisungen Amtshaftungsansprüchen der Beigeladenen ausgesetzt zu sein, stellt einen tragfähigen Bezug zu einem rechtswidrigen Eingriff in den Schutzbereich seiner Finanzhoheit unabhängig davon nicht her, dass die Finanzhoheit in ihrer anerkannten Schutzwirkung nicht vor jeglichen nachteiligen finanziellen Folgen staatlicher Tätigkeit bewahrt. Eine haftungsbegründende Verletzung der Amtspflicht des Klägers zu rechtmäßigem Handeln ruft die Anordnung, den Planfeststellungsantrag abzulehnen, trotz der vom Kläger für das Vorliegen der Zulassungsvoraussetzungen des Plans vorgebrachten Erwägungen nicht hervor. Insbesondere lässt die geltend gemachte Unwirksamkeit der Wasserschutzgebietsverordnung wegen fehlerhafter Abgrenzung des Schutzgebietes und mangelnder Erforderlichkeit des Nassabgrabungsverbotes nicht den Schluss zu, der Kläger sei daran gehindert, § 4 Abs. 2 Nr. 7, § 9 der Verordnung bei der Bescheidung des Planfeststellungsantrages der Beigeladenen heranzuziehen. Zwar wird eine Amtspflichtverletzung angenommen, wenn einer behördlichen Entscheidung eine Vorschrift zugrunde gelegt wird, deren Nichtigkeit dem Entscheider bekannt ist.

Vgl. BGH, Urteil vom 17.3.1994 - III ZR 27/93 -, NJW 1994, 3158; Urteil vom 10.4.1986 - III ZR 209/84 -, NVwZ 1987, 168.

Über eine positive Kenntnis von der Unwirksamkeit des Nassabgrabungsverbotes für die Vorhabenfläche verfügt der Kläger aber nicht. Er vertritt hinsichtlich der Wirksamkeit des Verbotes lediglich eine Rechtsmeinung zu einer komplexen, von der Beklagten als Verordnungsgeber anders beurteilten und gerichtlich nicht abschließend geklärten Rechtsfrage. (Wird ausgeführt)

Bei Zweifeln an der Wirksamkeit einer bei einer Entscheidung zu berücksichtigenden Vorschrift handelt der Entscheider grundsätzlich jedenfalls dann nicht schuldhaft, wenn er die Vorschrift nach Prüfung und erfolgloser Geltendmachung seiner Bedenken anwendet.

Vgl. BGH, Urteil vom 25.3.1994 - III ZR 227/02 -, DVBl. 2004, 947; Urteil vom 17.3.1994 - III ZR 27/93 -, a.a.O.; Bay.ObLG, Urteil vom 14.1.1997 - 2 Z RR 422/96 -, NJW 1997, 1514; Hecker in: Erman, BGB, 11. Aufl., § 839 Rdnrn. 41, 43.

Das gilt erst recht dann, wenn - wie hier - der Normgeber die Wirksamkeit der infrage stehenden Vorschrift in Kenntnis vorgebrachter Bedenken bejaht und die Anwendung der Vorschrift mittels Weisung gesondert anordnet. Entsprechend trägt die angewiesene Behörde - von hier nicht in Betracht zu ziehenden Ausnahmen abgesehen - nicht die haftungsmäßige Verantwortung für eine entgegen vorgetragenen Bedenken durch Weisung angeordnete Auslegung und Handhabung einer Vorschrift.

Vgl. BGH, Urteil vom 16.12.1976 - III ZR 3/74 -, NJW 1977, 713; Papier in: Münchener Kommentar zum BGB, 4. Aufl., § 839 Rdnr. 210.

Die vom Kläger angeführten nachteiligen Folgen, die von Nassabgrabungsverboten in Wasserschutzgebieten innerhalb seines Kreisgebietes auf seine wirtschaftliche Entwicklung ausgehen, ergeben, sieht man insoweit im Ansatz den Bereich seiner geschützten Selbstverwaltung als berührt an, vgl. bezogen auf die Planungshoheit von Gemeinden BVerwG, Urteil vom 26.2.1999 - 4 A 47.96 -, Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 148; Beschluss vom 18.9.1998 - 4 VR 11.98 -, NuR 1999, 631, eine Verletzung von außerhalb der ordnungsbehördlichen Aufgaben liegenden Rechten durch die angegriffenen Weisungen ebenfalls nicht. Das Betroffensein des Klägers durch die streitigen Weisungen hält sich in den Grenzen, die seiner Wirtschaftsstruktur durch die Schutzgebietsverordnung ohnehin gezogen worden sind. Der Kläger beruft sich auf die Gewährleistung seines Selbstverwaltungsrechtes nicht gegenüber dem verordnungsrechtlichen Nassabgrabungsverbot, sondern gegenüber den Weisungen, mithin im Rahmen seiner Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung.

Bei der Erfüllung seiner Aufgaben als Kreisordnungsbehörde ist der Kläger nicht berechtigt, die Verbotsregelungen der Schutzgebietsverordnung zu Nassabgrabungen außer Acht zu lassen. Maßgeblich für ihn ist der formelle Geltungsanspruch der Verbotsregelungen. Eine mit dem Vollzug einer Verordnung befasste Behörde ist zwar berechtigt und unter bestimmten Voraussetzungen auch verpflichtet, die Verordnung auf ihre Rechtmäßigkeit und damit ihre Rechtswirksamkeit zu überprüfen. Sie hat aber - anders als Gerichte - im Allgemeinen nicht die Kompetenz, untergesetzliche Vorschriften aufgrund des Ergebnisses einer solchen Überprüfung in der Annahme ihrer Unwirksamkeit unbeachtet zu lassen ("Normverwerfungskompetenz"). Zum Bestehen einer solchen Verwerfungskompetenz werden in Rechtsprechung und Schrifttum unterschiedliche Auffassungen vertreten.

Vgl. BGH, Urteil vom 25.3.2004 - III ZR 227/02 -, a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 31.1.2001 - 6 CN 2.00 -, NVwZ 2001, 1035; Kalb in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand Januar 2005, Rdnrn. 317 ff.; Gaentzsch in: Schlichter/Stich/Driehaus/Paetow, Berliner Kommentar zum BauGB, 3. Aufl., § 10 Rdnrn. 39 ff.

Einzubeziehen in die Erörterung dieser Fragestellung sind neben der Bindung der Verwaltung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) sowie dem Sinn und Zweck der gegliederten Kompetenzordnung innerhalb der Verwaltung vor allem die Erfordernisse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 31.1.2001 - 6 CN 2.00 -, a.a.O.

Denn typischerweise sind untergesetzliche Vorschriften von einer Vielzahl unterschiedlicher Behörden anzuwenden und stehen sowohl bei den für die Beurteilung der Wirksamkeit von Vorschriften maßgeblichen rechtlichen Kriterien als auch bei deren Anwendung auf bestimmte Sachverhalte Rechtsfragen inmitten, deren Beantwortung in der einen oder anderen Richtung deutlich voneinander abweichende, jedoch gleichermaßen "vertretbare" Auffassungen zulässt. Es ist kennzeichnend für juristische Auseinandersetzungen, zumal bei - wie hier - komplexen Fragestellungen juristischer und tatsächlicher Art, dass in der Ableitung und im Ergebnis sogar entgegengesetzte Meinungen wohlüberlegt sein können, dass sich aber gleichwohl nur eine dieser Meinungen als letztlich "richtig" erweist. Es ist Sinn und Zweck gerichtlicher Entscheidungen und der ihnen beigelegten Rechtskraft, solche Unterschiede innerhalb des Auffassungsspektrums letztverbindlich ungeachtet dessen beizulegen, ob die gerichtliche Rechtsansicht inhaltlich "überzeugt". Behörden in Bezug auf untergesetzliche Normen dennoch eine generelle Verwerfungskompetenz einzuräumen, hieße, die Rechtssicherheit zumindest beträchtlichen Risiken auszusetzen und den Grundsatz der Einheit der Verwaltung sowie den damit einhergehenden Anspruch auf einen trotz differenzierter Zuständigkeiten gleichmäßigen Vollzug der Gesetze in Anwendung einheitlicher Maßstäbe wenn nicht aufzugeben, so doch in der Praxis weitgehend unberücksichtigt zu lassen. Die Belange der von der Anwendung der Norm Betroffenen können dagegen in diesem Zusammenhang nicht den Ausschlag geben. Die Betroffenen können ihre Rechte ohne weiteres durch die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes wahren und so jedenfalls, sofern entscheidungserheblich, eine gerichtliche Inzidentprüfung herbeiführen. Verwaltungsintern ist indessen der Normgeber dazu berufen, eine unwirksame Norm gegebenenfalls zur Beseitigung des von ihr gleichwohl ausgehenden Rechtscheins aufzuheben bzw. sie an das höherrangige Recht anzupassen; das setzt notwendigerweise seine Kompetenz voraus, verwaltungsintern abschließend über die Wirksamkeit der Norm zu befinden. Im Hinblick auf die Beilegung eines Streits zwischen Normgeber und der mit der Normanwendung befassten Behörde über die Wirksamkeit der Norm ist ferner neben der - in Nordrhein-Westfalen allerdings für eine Verordnung mit dem hier in Frage stehenden Regelungsgehalt nicht eröffneten - Möglichkeit der Einleitung eines Normenkontrollverfahrens (§ 47 VwGO) diejenige einer Klärung im Aufsichtswege einzubeziehen.

Vgl. Pietzcker, Inzidentverwerfung rechtswidriger untergesetzlicher Rechtsnormen durch die Verwaltung, DVBl. 1986, 806 (808).

Das lässt für eine behördliche Normverwerfungskompetenz allenfalls in engen Grenzen Raum. Der Konkretisierung dieser Grenzen im Einzelnen bedarf es hier nicht. Jedenfalls steht einer Behörde nicht die Befugnis zu, sich über eine nicht offensichtlich, d. h. völlig eindeutig, unwirksame untergesetzliche Norm hinwegzusetzen, deren Wirksamkeit ihr auf geäußerte Bedenken hin von dem ihr verwaltungsmäßig hierarchisch übergeordneten Normgeber bestätigt worden ist. Die Umsetzung der Auffassung des Normgebers durch eine auf die Anwendung der Norm gerichtete aufsichtsbehördliche Weisung führt insofern nicht weiter. Die gerichtliche Klärung der Rechtswidrigkeit der Norm bei einer Anfechtung einer Weisung, die zur Ausräumung von gegen die Norm vorgebrachten Bedenken ergangen ist, würde zwar formell den Vorrang der gerichtlichen Normverwerfung wahren, liefe aber darauf hinaus, der schon und allein wegen der formellen Existenz der Norm zu deren Vollzug verpflichteten Behörde das Recht zuzugestehen, die Erfüllung dieser Verpflichtung von einer gerichtlichen Prüfung ihrer Bedenken abhängig zu machen. Das wäre mit der unmittelbaren Bindung der angewiesenen Behörde an Recht und Gesetz nicht vereinbar. Darüber hinaus ist der Normgeber auch selbst an die Norm gebunden und rechtlich gehindert, sie schlicht - zumal nur im Einzelfall - nicht anzuwenden. Eine Weisung des Normgebers, die in Übereinstimmung hiermit auf den Vollzug der von ihm - vorliegend nach Prüfung vorgebrachter Bedenken - für wirksam erachteten Norm zielt, stellt für den Fall fehlender Normverwerfungskompetenz der angewiesenen Behörde die nicht weiter rechtfertigungsbedürftige Konsequenz drohenden Zuwiderhandelns dar.

An einem solchen zur Unwirksamkeit führenden offensichtlichen Mangel leidet das Nassabgrabungsverbot bezogen auf die Vorhabenfläche nicht. (Wird ausgeführt)

War der Kläger hiernach verpflichtet, bei der Bescheidung des Planfeststellungsantrages von der Wirksamkeit des § 4 Abs. 2 Nr. 7, § 9 der Schutzgebietsverordnung auszugehen, so war er des weiteren zur richtigen Anwendung dieser Vorschriften verpflichtet; das bedeutet hier seine Verpflichtung, den Planfeststellungsantrag abzulehnen. Es ist nicht zweifelhaft, dass die Vorhabenfläche von dem Nassabgrabungsverbot erfasst wird. Als Rechtsgrundlage für eine Durchbrechung des Verbotes durch den Kläger im Einzelfall enthält die Verordnung allein die Befreiungsregelung nach § 9. Die Befreiung kann erteilt werden, wenn Gründe des Wohls der Allgemeinheit eine Abweichung erfordern (§ 9 Abs. 1 Nr. 1) oder das Verbot im Einzelfall zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde und die Abweichung mit den Belangen des Wohls der Allgemeinheit, insbesondere des Gewässerschutzes im Sinne der Verordnung, vereinbar ist (§ 9 Abs. 1 Nr. 2). Keine dieser alternativen Voraussetzungen für die Ausübung von Ermessen ist erfüllt. Ein Erfordernis des ausschließlich privatnützigen Vorhabens der Beigeladenen aus Gründen des allgemeinen Wohls ist nicht zu erkennen; hiervon gehen die Beteiligten als selbstverständlich aus. Es fehlt auch an einer offenbar nicht beabsichtigten Härte im Einzelfall. Dieses Merkmal ist nach allgemeinem Verständnis gekennzeichnet durch das Erfordernis eines atypischen Sachverhalts. Es muss ein Sonderfall gegeben sein, in dem die Anwendung der Norm zu einem Ergebnis führen würde, das dem mit ihr verfolgten Zweck nicht entspricht.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 1.10.2001 - 20 A 1945/99 -; Urteil vom 8.6.2000 - 20 A 3644/98 -.

Der Sachverhalt muss dem Schutzgut der Norm entzogen sein. Als Sonderfall kommen aber, wie das Merkmal "im Einzelfall" betont, nur Sachverhalte in Betracht, die nicht durch Umstände geprägt sind, die bei einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle anzutreffen sind. Denn die Orientierung an solchen Umständen betrifft den Geltungsanspruch der Norm selbst und ist als deren Korrektur dem Normaufhebungs- bzw. Normänderungsverfahren vorbehalten. Eine Norm, von deren Einhaltung selbst im Regelfall zur Vermeidung von Unbilligkeiten befreit werden muss, ist bereits als Norm durchgreifenden Bedenken ausgesetzt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 14.7.1972 - 4 C 69.70 -, BVerwGE 40, 268.

Die Notwendigkeit eines "aus der Regel" fallenden, vom Normgeber so nicht vorausgesehenen Sachverhaltes besteht, obwohl die Befreiungsmöglichkeit bei einer - wie hier - der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) dienenden Norm unmittelbar verknüpft ist mit der Wahrung der Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch den Normenkomplex insgesamt. Das Wohl der Allgemeinheit ist Grund wie auch Grenze für die dem Eigentum aufzuerlegenden Belastungen. Einschränkungen der Eigentümerbefugnisse dürfen nicht weitergehen, als der legitime Schutzzweck reicht, dem die Regelung dient.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 2.3.1999 - 1 BvL 7/91 -, BVerfGE 100, 226 (241).

Eine Befreiungsvorschrift gehört zu den Ausgleichsregelungen, die in den Fällen die Verhältnismäßigkeit sicherstellt, in denen die Anwendung der für den Regelfall keine unzumutbare Belastung des Eigentümers bewirkenden Norm ausnahmsweise die Grenze zur Unverhältnismäßigkeit überschreiten würde. Eine Befreiung oder eine sonstige Ausgleichsregelung ist dagegen kein taugliches Mittel, die grundsätzliche Verhältnismäßigkeit einer Inhalts- und Schrankenbestimmung herbeizuführen. Das belässt nicht die Möglichkeit, normativ ausdrücklich und genau umschriebene tatbestandliche Voraussetzungen einer Befreiung durch eine allgemeine Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Rechtsfolgen der Norm im Einzelfall zu ersetzen. Ein anderes Verständnis des Zusammenhangs zwischen Norm und Befreiungsvorschrift ergibt sich auch nicht aus dem Aspekt einer mit der Verfassung und der Ermächtigungsgrundlage konformen Auslegung der Norm, die den Vorrang vor einer Verwerfung der Norm als mit höherrangigem Recht unvereinbar besitzt. Die Auslegung einer Norm steht unter der Zielsetzung der richtigen Erkenntnis des objektivierten Willens des Normgebers. Das Ergebnis der der Norm zugrunde liegenden Abwägung der Belange darf nicht durch rechtspolitische Erwägungen des Normanwenders, auch nicht des Gerichts, überspielt werden. Daher sind namentlich der eindeutige Wortlaut und der Sinn und Zweck einer Norm mit erheblichem Gewicht zu berücksichtigen. Eine maßgeblich die Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht in den Blick nehmende Auslegung hat deswegen nur dort Raum, wo eine Norm nach den sonstigen anerkannten Auslegungsgrundsätzen mehrere Deutungen zulässt; dann sind diejenigen Auslegungsmöglichkeiten auszuschließen, die der Verfassung und dem sonstigen höherrangigen Recht zuwider laufen.

Danach ist es dem Kläger verwehrt, für das Vorhaben der Beigeladenen die Befreiung allein deswegen zu erteilen, weil ihm nach eigener Überzeugung und den Angaben der Beigeladenen bei konkreter Betrachtung nicht die Besorgnis einer Grundwasserbeeinträchtigung mit nachteiligen Folgen für die öffentliche Wasserversorgung entgegengehalten werden kann. Zum einen bezweckt eine Wasserschutzgebietsverordnung generell, den durch die Vorschriften vor allem des Wasserhaushaltsgesetzes flächendeckend vermittelten Schutz gerade des Grundwassers vor bei abstrakt-genereller Betrachtung typischen Gefahren noch zu verbessern. Durch ein Verbot von Nassabgrabungen in einer Wasserschutzgebietsverordnung soll bezogen auf die als typischerweise besonders gefährlich eingestuften Vorhaben dieser Art die Schwelle der Eintrittswahrscheinlichkeit von Beeinträchtigungen gegenüber dem ohnehin kraft Gesetzes geltenden Schutzstandard nach §§ 6, 34 WHG gesenkt werden.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 1.10.2001 - 20 A 1945/99 -.

Von diesem Schutzziel schon dann abzurücken, wenn unter den konkreten Bedingungen eines bestimmten Vorhabens ein Schadenseintritt nicht wahrscheinlich ist, vgl. Bay. VGH, Urteil vom 5.4.1990 - 22 B 89.3191 -, NVwZ 1990, 998, hieße, den normativen Charakter des Verbotes auszublenden und letztlich das Schutzziel selbst zu ändern. Der Einwand, die dem normmäßigen Verbot als typisch vorausgesetzte Gefährdungslage bestehe konkret nicht, läuft darauf hinaus, dem Nachweis der Gefahr eines Schadenseintritts im konkreten Einzelfall entgegen der Funktion der Verordnung als Norm, vgl. BVerwG, Urteil vom 26.6.1970 - 4 C 99.67 -, DÖV 1970, 713, entscheidende Bedeutung beizumessen. Das ist verfehlt. Würde die Befreiung nach Maßgabe allein des allgemeinen wasserwirtschaftlichen Besorgnisgrundsatzes erteilt, wäre die Verbotsregelung in einer Schutzgebietsverordnung als solche überflüssig; ihre Bedeutung wäre reduziert auf diejenige eines Mittels zur Sicherung der Aufmerksamkeit hinsichtlich der Beachtung des ohnehin einzuhaltenden Besorgnisgrundsatzes. Zum anderen werden durch § 4 Abs. 2 Nr. 7 Wasserschutzgebietsverordnung N. Nassabgrabungen in der Schutzzone III B einem uneingeschränkten Verbot unterworfen. (Wird ausgeführt)

Ende der Entscheidung

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