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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 11.04.2007
Aktenzeichen: 21 A 3006/05
Rechtsgebiete: BeamtVG


Vorschriften:

BeamtVG § 31 Abs. 1
Mit der Durchführung einer Klassenfahrt nimmt ein Lehrer schulische und damit dienstliche Aufgaben wahr. Allerdings kann es im Rahmen einer Klassenfahrt Aktionen und Veranstaltungen geben, die sich mit den pädagogischen Aufgaben eines Lehrers nicht vereinbaren lassen, also außerhalb der dienstliche Sphäre liegen.
Tatbestand:

Der Kläger stand zuletzt als Studiendirektor im Dienst des Beklagten. Vor seiner Zurruhesetzung wegen Dienstunfähigkeit war er als Fachleiter zur Koordinierung schulfachlicher Aufgaben an einem Technischen Berufskolleg tätig. Im März 2002 fand für zwei Klassen dieses Berufskollegs eine von dem Schulleiter genehmigte Klassenfahrt statt, die von dem Kläger und zwei weiteren Lehrern begleitet wurde. Während der Klassenfahrt buchte der Kläger eine "Bayern-Abitur" genannte Abendveranstaltung. Dabei sollten von einzelnen Schülergruppen und von den Lehrern verschiedene Stationen bewältigt werden. Hierzu gehörten unterschiedliche Abschnitte wie Alphornblasen, Bierkrugstemmen, Jodeln sowie der sog. "Bayerische-Dreikampf", der aus dem Konsum eines Glases Obstler und von selbst gezapftem Bier (0,3 l) an unterschiedlichen Orten im Hotel sowie von Schnupftabak bestand, der mit Hilfe einer Schnupftabakmaschine zu schnupfen war. Der gesamte Parcours war in möglichst kurzer Zeit zu absolvieren. Der Kläger bewältigte als Anschauung für die nachfolgenden Schüler den Parcours des "bayerischen Dreikampfs" als Erster. Nach Erledigung der beiden ersten Abschnitte setzte er sich an die Schnupftabakmaschine. Ein Mitarbeiter des Hotels löste einen Hebel, wodurch ein Holzhammer auf eine Wippe fiel, die den Schnupftabak in die Nase schießen sollte; die Mechanik wurde durch den Einsatz einer Platzpatrone unterstützt. Bei der Zündung entstand ein lauter Knall, der bei dem Kläger zu einem Lärmtrauma mit Schädigung der Haarzellen im Innenohr und im späteren Verlauf zu weiteren Verletzungen im Hörbereich sowie zu psychischen Beschwerden führte.

Auf die Dienstunfallmeldung des Klägers lehnte die Bezirksregierung die Anerkennung des Unfallereignisses als Dienstunfall ab, weil die Durchführung des "Bayern-Abiturs" keine dienstliche Veranstaltung gewesen sei und nicht mit der Dienstausübung in Zusammenhang gebracht werden könne. Das Widerspruchsverfahren und das Klageverfahren vor dem VG blieben ohne Erfolg. Das Berufungsgericht wies die Berufung als unbegründet zurück.

Gründe:

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung des am 14.3.2002 erlittenen Unfalls als Dienstunfall.

Die Anspruchsvoraussetzungen des § 31 Abs. 1 BeamtVG liegen nicht vor. Nach Satz 1 dieser Bestimmung ist ein Dienstunfall ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist.

Das Merkmal eines Dienstunfalls "in Ausübung oder infolge des Dienstes" erfordert, dass das fragliche Verhalten des Beamten auch bei einer Bewertung der Risikosphären des Dienstherrn und des Beamten als durch die Dienstausübung geprägt oder in diese einbezogen erscheinen muss.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 13.9.2004 - 6 A 4500/02 -, Schütz, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, ES/C II 3.1, Nr. 82; vgl. auch Beschluss vom 17.2.2006 - 1 A 1268/04 -, Schütz, a.a.O., Nr. 85.

Außerhalb des durch Dienstzeit und Dienstort geprägten Geschehensablaufs ist von einem privaten Lebensbereich des Beamten als vorgegeben auszugehen. Hier müssen neben der subjektiven Vorstellung des Beamten, in Ausübung oder im Interesse des Dienstes zu handeln, besondere objektive Umstände festgestellt werden, die den Schluss rechtfertigen, dass die fragliche Verrichtung des Beamten nicht der vorgegebenen Privatsphäre, sondern dem dienstlichen Bereich zuzurechnen ist. Entscheidend ist dabei auf die Anforderungen des Dienstes abzustellen. Die in Frage kommende Verrichtung muss durch die Erfordernisse des Dienstes - der Dienstaufgaben - maßgebend geprägt sein.

Zu diesen Beamten, deren Dienstausübung sich regelmäßig nicht im zeitlichen und räumlichen Bezug Dienstzeit und Dienstort erschöpft, gehören auch die Lehrer. Sie haben nicht nur während der festgelegten Stunden Unterricht zu erteilen, sondern einen pädagogischen Gesamtauftrag zu erfüllen. Freilich sind, wenn ein Geschehensablauf außerhalb der Schule und außerhalb der Unterrichtsstunden dem dienstlichen Bereich zugerechnet werden soll, besondere objektive Umstände erforderlich, die diesen Schluss rechtfertigen. Die jeweiligen Verrichtungen müssen ihre wesentliche Ursache in dienstlichen Erfordernissen haben und in ihrer ganzen Eigenart durch sie geprägt sein. Für einen Lehrer genügt es daher nicht, wenn sein Verhalten in irgendeiner Weise pädagogischen Zielen nützlich und förderlich ist. Es muss vielmehr als sachgerecht und erforderlich seinem Berufsbild und seinem Lehrauftrag entsprechen, davon entscheidend geprägt sein.

Zur Erfüllung des Erziehungsauftrags, für eine sinnvolle und erfolgreiche Unterrichtsgestaltung sowie zur Förderung der Lernbereitschaft der Schüler bedarf es eines Grundstocks an Vertrauen. Das Berufsbild und der pädagogische Auftrag des Lehrers umfassen daher auch die Aufgabe, die Vertrauensbasis zwischen Lehrer und Schüler durch das erforderliche Mindestmaß an Kontakten zu sichern. Um eine uferlose, der Allgemeinheit nicht zumutbare Ausweitung des dienstunfallgeschützten Bereiches zu vermeiden, ist die Einbeziehung solcher Zusammentreffen in die dienstliche Sphäre jedoch auf das nach dem Lehrauftrag notwendige Maß zu beschränken. Außerdem kann in die dienstliche Sphäre nur die Teilnahme an Veranstaltungen einbezogen werden, die insbesondere unter Berücksichtigung des Alters der Schüler nach Anlass, Art, Inhalt, Umfang, Zeit und Ort pädagogisch vertretbar und - neben einem gewissen geselligen Charakter der Veranstaltung - den pädagogischen Zwecken der Teilnahme des Lehrers zu dienen geeignet sind.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 3.11.1976 - VI C 203.73 -, BVerwGE 51, 220, 222 ff.; vgl. auch OVG Rh.-Pf., Urteil vom 19.8.1994 - 2 A 12853/93 -, IÖD 1995, 9; OVG NRW, Beschlüsse vom 4.7.2003 - 6 A 1945/02 -, Schütz, a.a.O., Nr. 79, und vom 17.2.2006 - 1 A 1268/04 -, Schütz, a.a.O., Nr. 85. Mit der Durchführung von Klassenfahrten nimmt ein Lehrer schulische Aufgaben wahr (vgl. Nr. 4.2 der Richtlinien für Schulwanderungen und Schulfahrten, Runderlass des Ministeriums für Schule und Weiterbildung vom 19.3.1997, GABl. NRW I S. 101), so dass er unter diesen Umständen eine Klassenfahrt nicht als Privatperson, sondern im Rahmen seiner dienstlichen Aufgaben unternimmt.

Vgl. auch OVG Hamb., Beschluss vom 8.8.2003 - 1 Bs 369/03 -, NVwZ-RR 2003, 859, Allerdings muss nicht jede Tätigkeit des Lehrers während der Klassenfahrt dienstlichen Interessen dienen. Auch insoweit kann die in Frage kommende Verrichtung des Lehrers nicht durch die Erfordernisse des Dienstes maßgebend geprägt sein. Ein solcher Fall ist hier gegeben.

Nach Art und Inhalt war das auf Wunsch der Schüler gebuchte "Bayern-Abitur" als von dem Hotel ausgerichtete Abendveranstaltung der Lehrer und Schüler nicht sachgerecht und lag außerhalb des pädagogisch Vertretbaren. Dies ergibt sich indessen nicht von vornherein aus dem Charakter des "Bayern-Abiturs" als gesellige Veranstaltung.

Die Teilnahme des Klägers am "Bayern-Abitur" kann nicht schlechterdings als ungeeignet für die Erfüllung des pädagogischen Auftrags des Klägers angesehen werden. Zur Durchführung der gemeinsamen Klassenfahrt gehörten nach Maßgabe des genehmigten Projekts "0°Celsius" sportliche und gesellige Elemente mit Elementen der Wissensvermittlung. Dass einzelne Elemente für sich genommen außerschulischen Charakter hatten und in erster Linie dem Zweck dienten, das Gruppengefühl zu stärken und das Schüler-Lehrer-Verhältnis zu pflegen, steht der Verwirklichung des pädagogischen Auftrags nicht entgegen. Die Teilnahme an einer spaßigen Abendveranstaltung in lockerer Atmosphäre kann den Kontakt zwischen Lehrern und Schülern weiter fördern und vertiefen. Es ist auch nicht unvertretbar, das "Bayern-Abitur" mit der von vornherein genehmigten "Gaudi-Rallye" zu vergleichen , wie es der Kläger getan hat. Das "Bayern-Abitur" konnte zudem zur Schaffung oder Sicherung der Vertrauensbasis zwischen dem Kläger und seinem Lehrerkollegen und den Schülern nützlich gewesen sein. Ferner lag die Teilnahme am "Bayern-Abitur" nicht außerhalb der unfallgeschützten dienstlichen Sphäre, weil das damit verbundene Risiko erkennbar über das seinen Dienstaufgaben nach gebotene Maß hinausgegangen wäre. Es war nach seinem unwidersprochen gebliebenen Vortrag des Klägers noch nie zu einer vergleichbaren Schädigung eines Benutzers dieser Maschine gekommen; die Gefährlichkeit der Schnupftabakmaschine war daher nicht erkennbar.

Die Auffassung, das "Bayern-Abitur" als gesellige Veranstaltung sei wegen bestehender Alternativen nicht erforderlich gewesen, geht daher fehl. Dass die Klassenfahrt andere kommunikative Gelegenheiten geboten hatte, sich über den rein schulischen und fachlichen Bereich hinaus näher kennen zu lernen, spricht angesichts der Gestaltungsfreiheit des Lehrers nicht gegen die Durchführung des "Bayern-Abiturs", sondern sie kann es zulassen, während einer Klassenfahrt - unabhängig von der Vermittlung von Unterrichtsstoff - eine allein auf Geselligkeit und Kommunikation abstellende Veranstaltung durchzuführen, wenn sachgerechte Gründe hierfür gegeben sind. So kann es etwa liegen, wenn Ziel und Zweck der Veranstaltung die Stärkung und der Erhalt des Klassenverbandes sind oder die organisierte Unterhaltung der Vermeidung ungeeigneter Freizeitgestaltung der Schüler dienen soll.

Allerdings kann es auch im Rahmen einer Klassenfahrt Aktionen und Veranstaltungen geben, die sich mit den pädagogischen Aufgaben eines Lehrers nicht vereinbaren lassen, also außerhalb der dienstliche Sphäre liegen. Wo die Grenzen im Einzelnen überschritten sind, ist hier nicht zu klären. Es wird sich allerdings jeweils um Einzelfälle handeln, die einer verallgemeinernden Betrachtung nicht ohne Weiteres zugänglich sind. Der hier vorliegende Fall lässt jedenfalls die Anerkennung des Unfalls des Klägers als Dienstunfall nicht zu. Ihr steht der Umstand entgegen, dass der "bayerische Dreikampf" als eigenständiger und in sich zusammenhängender Tei des "Bayern-Abiturs" außerhalb des pädagogisch Vertretbaren lag. Er ist daher anders zu bewerten als die anderen Stationen wie Alphornblasen, Bierkrugstemmen oder Jodeln, die für sich genommen unbedenkliche Elemente einer geselligen Veranstaltung sind.

Charakteristisches Element der in Rede stehenden Station war der mäßige, aber möglichst schnelle Konsum der Rausch- und Suchtmittel Alkohol und Schnupftabak. Die damalige Schülerin S. hat diesen Abschnitt in ihrem "Gedächtnisbericht" vom 20.12.2002 unter der Bezeichnung "Saufen, Laufen, Schnupfen" näher beschrieben. Die Abfolge des "Bayerischen Dreikampfs" gab deshalb vor, schnell aus dem Veranstaltungsraum zu laufen, ein Glas Obstler zu trinken, sodann rasch in den Veranstaltungsraum zurückzukehren, ein 0,3 l großes Glas Bier zu zapfen und es so schnell wie möglich auszutrinken. Schließlich führte der Parcours den Teilnehmer an einen Tisch, auf dem eine Schnupftabakmaschine stand, wo mit ihrer Hilfe Schnupftabak zu schnupfen war. Diese Teile sind inhaltlich miteinander verbunden und ergeben in der Summe die Disziplin des "bayerischen Dreikampfs". Mit einem sinnvollen, auf ihren Genuss ausgerichteten sowie gegenüber Schülern verantwortbaren Umgang dieser Stoffe hat der "bayerische Dreikampf" freilich nichts zu tun. Nicht das gemeinsame Trinken von alkoholischen Getränken und das Schnupfen von Tabak widersprach dem Berufsbild eines Lehrers, sondern die Art und Weise des hastigen und auf direkte Wirkung abzielenden Konsums von Alkohol und Tabak. Ein Lehrer wird seinem Bildungs- und Erziehungsauftrag daher nicht gerecht, wenn er es ermöglicht, dass Schüler in kürzester Zeit Alkohol und Nikotin allein aus dem wesentlichen Grund konsumieren, möglichst schnell die ihnen zukommende Wirkung zu erzielen. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass vier Schüler zum Zeitpunkt ihrer Teilnahme an der Klassenfahrt minderjährig waren. Ob die Wertung des Gesetzgebers im Jugendschutzgesetz (JuSchG) hier Platz greifen kann, wonach die Abgabe von Branntwein an Minderjährige unter dort näher bezeichneten Voraussetzungen untersagt ist (vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 1 JuSchG), kann allerdings offen bleiben, obgleich nach den "Gedächtnisberichten" der Schüler hinsichtlich ihrer Teilnahme an dem "bayerischen Dreikampf" nicht zwischen minderjährigen und volljährigen Schülern unterschieden worden ist.

Steht damit fest, dass der Kläger den Rahmen seiner pädagogischen Gestaltungsfreiheit überschritten hat, kommt es nicht darauf an, ob er, wie er nunmehr im Berufungsverfahren behauptet, während des Probelaufs das Glas Obstler nicht und das Glas Bier langsam und in ganz kleinen Schlucken getrunken habe. An dem Charakter des "bayerischen Dreikampfs" ändert dies nichts. Entscheidend ist vielmehr, dass Schüler der teilnehmenden beiden Klassen an dem Programm der Veranstaltung teilgenommen haben, wie es ihre schriftlichen Berichte über den Veranstaltungsabend und die Durchführung des "Bayern-Abiturs" belegen. Ebenso ist es - entgegen der Auffassung des Klägers - im Zusammenhang mit der Durchführung des "bayerischen Dreikampfs" ohne Bedeutung, dass die zu stemmenden Bierkrüge mit Wasser gefüllt gewesen waren. Dass der Kläger nunmehr im Berufungsverfahren ebenfalls vorträgt, die Schüler hätten an dem "Bayern-Abitur" ohne jeden Alkoholkonsum teilgenommen, kann angesichts des bisherigen Vortrags im Verwaltungsverfahren und vor dem VG sowie angesichts der zahlreichen anderslautenden "Gedächtnisberichte" der Schüler nur als Schutzbehauptung gewertet werden. Schließlich kann das Argument des Klägers, die Durchführung des "Bayern-Abiturs" habe der Vermeidung von Diskothekenbesuchen und starkem Alkoholkonsum der Schüler gedient, der Klage nicht zum Erfolg verhelfen. Das "Bayern-Abitur" war als Ersatzveranstaltung mit Alkohol- und Schnupftabakkonsum in der beschriebenen Weise ungeeignet. Anders würde es liegen, wenn die Veranstaltung ohne den "bayerischen Dreikampf" durchgeführt worden wäre. Dieses Option hätte den die Veranstaltung begleitenden Lehrern freilich offengestanden.

Ende der Entscheidung

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