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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 29.09.2004
Aktenzeichen: 3 A 2592/01
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 127 Abs. 1
BauGB § 135 Abs. 5
Härten, die sich bei der Abrechnung einer einseitig anbaubaren Erschließungsstraße durch Beitragserhebung von den Anliegern ergeben, werden durch die Anwendung des aus § 127 BauGB hergeleiteten Halbteilungsgrundsatzes gemildert. Danach noch verbleibende Härten sind vom Gesetzgeber des Baugesetzbuchs in Kauf genommen worden und können deswegen einen teilweisen Erlass des Erschließungsbeitrags wegen unbilliger Härte nicht rechtfertigen.
Tatbestand:

Der Beklagte verteilte den beitragsfähigen Erschließungsaufwand für die erstmalige Herstellung des T.-Weges nur auf die Baugrundstücke an der Nordseite der Straße; das von der Straße über eine Zufahrt und Zugänge erreichbare, über 700.000 qm große Friedhofsgelände auf deren Südseite ließ er als "Insel im Außenbereich" außer Ansatz. Auf die Anfechtungsklage eines Anliegers hob das VG die Beitragsfestsetzung in Anwendung des sog. Halbteilungsgrundsatzes des BVerwG teilweise auf und verpflichtete den Beklagten darüber hinaus zum teilweisen Erlass des Erschließungsbeitrags wegen unbilliger Härte. Die gegen die Verpflichtung zum Beitragserlass erhobene Berufung des Beklagten hatte Erfolg.

Gründe:

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Teilerlass des Erschließungsbeitrags nach § 135 Abs. 5 Satz 1 BauGB . Nach dieser Vorschrift kann eine Gemeinde im Einzelfall von der Erhebung des Erschließungsbeitrags ganz oder teilweise absehen, wenn dies - allein diese Alternative kommt hier in Betracht - zur Vermeidung einer sachlich unbilligen Härte geboten ist. Bei dem Begriff der unbilligen Härte handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der eng auszulegen ist. Das folgt daraus, dass die Gemeinden verpflichtet sind, den durch die Herstellung von Erschließungsanlagen entstandenen und anderweitig nicht gedeckten Aufwand durch Erschließungsbeiträge nach Maßgabe der §§ 127 bis 135 BauGB in Verbindung mit ihrer Erschließungsbeitragssatzung zu refinanzieren, und zwar im Interesse sowohl der öffentlichen Haushalte als auch der Abgabengerechtigkeit. Während die §§ 127 ff. BauGB in Verbindung mit den Vorschriften der Erschließungsbeitragssatzung für die (typischen) Regelfälle bestimmen, dass und in welcher Höhe ein Beitrag zu erheben ist, eröffnet § 135 Abs. 5 BauGB die Möglichkeit, den Beitrag ganz oder teilweise trotz an sich erfüllten Beitragstatbestandes zu erlassen, um auch in atypischen Fällen zu der Beitragsgerechtigkeit entsprechenden Ergebnissen zu gelangen. Den atypischen Fällen ist gemeinsam, dass sie (wie es im Gesetz heißt) als "Einzelfall", d.h. im Vergleich mit den dort erfassten Regelfällen als "Sonderfall" erscheinen, bei dem die "normale" erschließungsbeitragsrechtliche Abwicklung nach Sinn und Zweck des Gesetzes nicht beabsichtigt ist (sog. "Überhang" des Gesetzes). Der Beitragserlass soll demnach den Zustand verwirklichen, den der Gesetzgeber mutmaßlich hätte erreichen wollen, falls er den Einzel- bzw. Sonderfall schon bei der Fassung des Gesetzes berücksichtigt hätte. Hat der Gesetzgeber hingegen vereinzelte Härten für die Beitragspflichtigen bei der Ausgestaltung seiner erschließungsbeitragsrechtlichen Regelungen im Blick gehabt, als für die Beitragspflichtigen zumutbar angesehen und somit in Kauf genommen, so können und dürfen solche Härten nicht durch einen Billigkeitserlass gemäß § 135 Abs. 5 BauGB ausgeglichen werden, welcher der gesetzgeberischen Entscheidung zuwiderlaufen würde.

Vgl. zu Vorstehendem BVerwG, Urteile vom 12.9.1984 - 8 C 124.82 - , DVBl. 1985, 126, und vom 18.11.1977 - IV C 104.74 - , BRS 37 Nr. 92; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 7. Aufl., § 26 Rn. 5.

Sämtliche Härten, die der Kläger zugunsten eines Billigkeitserlasses ins Feld führt, gehören zu den vom Gesetzgeber des Baugesetzbuchs in Kauf genommenen Härten:

1. Das vom Kläger so empfundene "Kostenprivileg" des Friedhofsgrundstücks - das Grundstück hat zwar durch den Ausbau des T.-Weges "faktische Erschließungsvorteile" erfahren, nimmt aber an der Kostenverteilung für die Straßenausbaumaßnahme nicht teil - ergibt sich als zwangsläufige Folge dessen, dass der Friedhof als "Insel" im Außenbereich, § 35 BauGB, zu beurteilen und damit nicht "erschlossen" im Sinne des § 131 Abs. 1 BauGB ist angesichts seiner Gesamtfläche von über 700.000 qm, seiner Lage außerhalb eines Bebauungsplangebiets und ohne Bebauung, die den Zusammenhang mit einem Ortsteil im Sinne von § 34 BauGB herstellen könnte.

Zur Beurteilung baulicher Anlagen auf Friedhöfen vgl. OVG NRW, Urteil vom 28.2.2002 - 3 A 3629/98 - ,

Das hat das VG zutreffend ausgeführt; hierauf nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug. Insofern ist der Friedhof vergleichbar einem weitläufigen Sportplatzgelände, vgl. BVerwG, Urteil vom 19.8.1994 - 8 C 23.92 -, ZMR 1994, 534 f., oder einem landwirtschaftlichen Betrieb in Außenbereichslage. Außenbereichsgrundstücke haben nach der Konzeption des bundesrechtlichen Erschließungsbeitragsrechts von Erschließungsstraßen grundsätzlich keinen durch Beitragserhebung abzugeltenden "Erschließungsvorteil". Denn der Gesetzgeber des Baugesetzbuchs sieht den Erschließungsvorteil nicht bereits darin, dass durch Herstellung einer Erschließungsstraße und die dadurch bewirkte verkehrliche Erreichbarkeit eines Grundstücks (irgend)eine Nutzung auf demselben ermöglicht wird, sondern setzt weitergehend voraus, dass dadurch die Möglichkeit einer Nutzung des Grundstücks gerade als "Bauland" vermittelt wird. Die Baulandeigenschaft geht Außenbereichsflächen jedoch ab, und zwar unabhängig davon, ob sie baulich oder gewerblich genutzt sind oder genutzt werden können. Somit hat der Bundesgesetzgeber die beitragsrechtlichen Folgen, die sich bei Angrenzen eines Außenbereichsgrundstücks an eine abzurechnende Erschließungsstraße ergeben, in Kauf genommen und damit zugleich entschieden, dass sie von den Beitragspflichtigen grundsätzlich ohne Härteausgleichsmaßnahmen hinzunehmen sind.

Vgl. zum andersartigen Vorteilsbegriff des Straßenbaubeitragsrechts Driehaus, Der Anlagebegriff im Erschließungs- und Straßenbaubeitragsrecht, ZMR 1997, 445 (450).

2. Die vorliegende Besonderheit, dass sich die Friedhofsflächen (d.h. Außenbereichsflächen) entlang der gesamten Südseite der Abrechnungsstrecke T.-Weg erstrecken, diese mithin nur einseitig anbaubar ist, begründet ebenfalls keine unbillige Härte im Sinne des § 135 Abs. 5 BauGB. Bei nur einseitiger Anbaubarkeit einer Erschließungsstraße fehlt es zwar an einer Rechtfertigung dafür, den gesamten beitragsfähigen Aufwand allein den Grundstücken an der anbaubaren Straßenseite anzulasten. Das damit gegebene Problem wird aber nicht durch Teilerlass der Erschließungsbeiträge, sondern schon durch den sog. Halbteilungsgrundsatz bewältigt, den das BVerwG im Wege der Auslegung aus § 127 BauGB hergeleitet hat. Dieser Grundsatz geht von der Fiktion aus, dass die einseitig anbaubare Erschließungsstraße - bildhaft gesprochen - in zwei "ideelle" Hälften zerfällt.

Vgl. Driehaus, Die einseitig anbaubare Straße und der Halbteilungsgrundsatz im Erschließungsbeitragsrecht, in: Baurecht - Aktuell, Festschrift für Felix Weyreuther, 1993, S. 433 ff. (441, 447).

Von diesen Hälften ist zunächst nur die den Baugrundstücken zugekehrte als "zum Anbau bestimmt" im Sinne von § 127 BauGB anzusehen. Diese Hälfte stellt "die Erschließungsanlage" dar, die gegenüber den beitragspflichtigen Anliegern zur Abrechnung kommt, und zwar mit dem Teil des Erschließungsaufwands, der zur Erschließung allein ihrer Grundstücke "unerlässlich" ist. Der verbleibende Erschließungsaufwand wird der zweiten ideellen Hälfte zugeordnet, die bei dieser Fiktion wie eine eigene Erschließungsanlage behandelt wird, und ist nicht von den Anliegern der anbaubaren Straßenseite, sondern einstweilen von der Gemeinde zu tragen bis zu dem womöglich in weiter Ferne liegenden Zeitpunkt, vgl. BVerwG, Urteil vom 29.4.1977 - IV C 1.75 - , BRS 37 Nr. 98, zu dem die zweite Straßenseite anbaubar wird und die dort gelegenen Grundstücke im Sinne von §§ 131, 133 BauGB baulich oder gewerblich nutzbar werden.

Eine unbillige Härte ist auch dann nicht anzunehmen, wenn die Kostenbegrenzung auf das "Unerlässliche" nach Maßgabe des Halbteilungsgrundsatzes dazu führt, dass die Anlieger der anbaubaren Straßenseite mehr als die Hälfte des beitragsfähigen Gesamtaufwands tragen müssen und insofern im Verhältnis zur anderen Straßenseite "überproportional" herangezogen werden. Zu solchen Belastungsunterschieden kann es beispielsweise kommen, wenn die Fahrbahn einer Straße trotz zunächst nur einseitiger Anbaubarkeit in einer Breite hergestellt werden muss, die einen Begegnungsverkehr erlaubt. Gleiches kann eintreten, wenn eine Teileinrichtung (Gehweg, Radweg) nur auf der anbaubaren Straßenseite als für die dort gelegenen Grundstücke "unerlässlich" hergestellt wird und diese Teileinrichtung später, nach Bebaubarwerden der Grundstücke der anderen Straßenseite, auch für deren Erschließungsbedürfnisse ausreicht. Solche Unterschiede in der Beitragsbelastung der Anlieger der beiden Straßenseiten sind vom Gesetzgeber in Kauf genommen worden, weil er die Gemeinde keinesfalls auf Kosten endgültig "sitzen lassen" wollte, die schon im Interesse der Erschließung der Grundstücke auf der anbaubaren Straßenseite unerlässlich waren und aufgewendet werden mussten.

Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 29.4.1977 - IV C 1.75 - , a.a.O., ferner Driehaus, Die einseitig anbaubare Straße und der Halbteilungsgrundsatz im Erschließungsbeitragsrecht, a.a.O., S. 433 ff. (448).

3. Des weiteren ist von vornherein nicht deswegen eine unbillige Härte im Sinne des § 135 Abs. 5 BauGB in Betracht zu ziehen, weil der Halbteilungsgrundsatz womöglich fehlerhaft angewandt worden ist und sich hieraus eine überhöhte Beitragsfestsetzung für das Grundstück des Klägers ergeben hätte. Denn das Urteil des VG ist im Umfang der Abweisung der Anfechtungsklage gegen die Beitragsfestsetzung rechtskräftig geworden; daran sind die Beteiligten und der Senat gebunden (§ 121 VwGO).

4. Schließlich kann das Vorliegen einer vom Gesetz nicht beabsichtigten Härte für den Kläger auch nicht unter dem Gesichtspunkt angenommen werden, dass die Stadt es unterlassen habe, den Nordfriedhof, wie "nach heutigen Maßstäben ... angezeigt", zu überplanen, was nach Auffassung des VG aber geboten gewesen wäre, um das Friedhofsgelände an der Verteilung des beitragsfähigen Aufwands für die Straßenbaumaßnahmen zu beteiligen.

Zur Beitragspflichtigkeit eines Friedhofgrundstücks bei Lage in einem Bebauungsplangebiet vgl. BVerwG, Urteil vom 4.5.1979 - 4 C 25.76 - , DVBl. 1979, 784.

Die beitragsrechtlichen Folgen von Straßenbaumaßnahmen zählen zu den Belangen, die bei der Entscheidung der Gemeinde, einen Bebauungsplan aufzustellen oder davon abzusehen, mit in den Blick genommen werden dürfen; sie haben bei der Abwägung mit anderen öffentlichen und privaten Belangen (§ 1 Abs. 6 BauGB) aber regelmäßig nur nachrangige Bedeutung.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.9.2002 - 4 BN 39.02 - .

Von ihrer nachrangigen Bedeutung ist auch hier auszugehen. Das verbietet die Annahme, die Stadt habe ihretwegen von dem ihr zustehenden Planungsermessen einzig durch Aufstellung eines Bebauungsplans rechtmäßig Gebrauch machen können. Das gilt umso mehr, als die vom Kläger eingeforderte Beitragsgerechtigkeit, wie ausgeführt, bereits durch entsprechende Handhabung des Halbteilungsgrundsatzes gewährleistet wird. Aus dem vom VG zitierten Urteil des BVerwG, vom 26.11.1976 - IV C 69/74 - , NJW 1977, 1978 (1979), lässt sich nichts Gegenteiliges herleiten. Im dort entschiedenen Rechtsstreit um die Genehmigung eines Großvorhabens (24 Reihenhauseinheiten mit 28 Garagen und 9 Einstellplätzen) auf einer ca. 6.670 qm großen Außenbereichsfläche war nämlich eine Koordinierung der betroffenen Interessen "nach innen" und "nach außen" erforderlich und mithin ein Planungsbedürfnis gegeben (§ 1 Abs. 3 BauGB). Demgegenüber ist im vorliegenden Falle keinerlei Planungsbedürfnis zutage getreten. Weder der Kläger noch das VG haben aufgezeigt, dass zwischen dem seit mehr als 100 Jahren bestehenden, gewidmeten Friedhofsgelände und den von ihm durch ein Straßengeviert getrennten Wohn- und Gewerbegebieten bodenrechtlich relevante Spannungen aufgetreten wären oder sich abgezeichnet hätten, denen mit Mitteln der Bauleitplanung hätte begegnet werden müssen. Ebenso wenig haben sie Anhaltspunkte dafür genannt, dass es planerisch sinnvoll oder gar geboten gewesen wäre, das Friedhofsgelände mittels "Bestandsplanung" in seinem vorhandenen Entwicklungszustand "festzuschreiben". Der erstmals in der mündlichen Verhandlung erfolgte, nicht näher konkretisierte Hinweis auf ein "Großmarktvorhaben" in der näheren Umgebung des Friedhofs macht nicht ansatzweise plausibel, wieso ein durch das Großmarktvorhaben etwa erforderlich gewordener Bebauungsplan in seinen Geltungsbereich auch die innerhalb eines Straßengevierts gelegenen und folglich nicht unmittelbar an das Großmarktgelände angrenzenden Friedhofsflächen hätte einbeziehen müssen.

Ende der Entscheidung

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