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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 04.03.2008
Aktenzeichen: 3 A 76/04
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 128 Abs. 1 Nr. 2
BauGB § 129 Abs. 1
Zur Erschließungsbeitragsfähigkeit der Kosten einer Straßendecke, die zum Schutz der Straßentragschichten während der mehrjährigen Phase der Hochbauarbeiten auf den Anliegergrundstücken eingebaut, vor der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage als gepflasterte Mischverkehrsfläche jedoch wieder entfernt worden ist.

Der Einwand, eine von den Planungen der Gemeinde abweichende Art der Bauausführung hätte zu geringeren Kosten geführt, ist an § 129 Abs. 1 BauGB zu messen; er greift nur durch, wenn die gewählte Bauausführung ohne rechtfertigenden Grund zu schlechthin unvertretbaren Mehrkosten geführt hätte.


Gründe:

Die für die Herstellung der bituminösen Decke im Jahre 1986 entstandenen bzw. bei Vorausleistungserhebung für deren spätere Beseitigung prognostizierten Aufwendungen gehören als Kosten für die erstmalige Herstellung der Erschließungsanlage im Sinne von § 128 Abs. 1 Nr. 2 BauGB zum beitragsfähigen Erschließungsaufwand. Den hieran vom VG angemeldeten Zweifeln vermag der Senat nicht zu folgen.

Gegen eine Beurteilung als erschließungsbeitragsfähiger Aufwand spricht nicht schon der Umstand, dass die fragliche bituminöse Tragschicht im Straßenaufbau der endgültig hergestellten Erschließungsanlage nicht mehr vorhanden ist. § 128 Abs. 1 BauGB erklärt nicht lediglich die Kosten der erstmaligen Herstellung für beitragsfähig, sondern ermöglicht mit der Erfassung der Kosten für die erstmalige Herstellung der Erschließungsanlage jedenfalls im Ansatz auch die Abrechnung von Aufwendungen für Materialien, die verwendet worden sind, um die Erschließungsanlage herzustellen, jedoch in der endgültig hergestellten Anlage nicht mehr vorhanden sind.

Vgl. hierzu die Argumentation des BVerwG, die Kosten "für den" Grunderwerb umfassten nicht nur den Kaufpreis, sondern auch die "mit dem Erwerb verbundenen weiteren Kosten", Urteil vom 14.11.1975 - IV C 76.73 -, BRS 37, Nr. 63, S. 135 f.

So gehören zu den Kosten für die erstmalige Herstellung der Erschließungsanlage etwa ohne Weiteres die Kosten einer naturgemäß (ebenfalls) nur vorübergehend bestehenden Baustelleneinrichtung - soweit sie sich jeweils im nach § 129 Abs. 1 BauGB erforderlichen Umfang halten.

Gegen eine Beitragsfähigkeit der fraglichen Kostenpositionen spricht ferner nicht der vom VG herangezogene Gesichtspunkt, bei der fraglichen bituminösen Decke handele es sich um ein vorübergehend aufgebrachtes "Provisorium", welches für die Herstellung der I.-straße nicht aus technischen Gründen erforderlich gewesen und deshalb nach der Rechtsprechung des BVerwG nicht erschließungsbeitragsfähig sei.

Zweifelhaft ist bereits, ob die Charakterisierung der fraglichen Straßendecke als "Provisorium" der vorliegenden Sachverhaltsgestaltung gerecht wird. Denn die Beklagte hatte die Decke nicht auf die im Jahre 1986 im Anschluss an die Kanalherstellung bereits plangemäß hergestellten Schottertragschichten für die I.-straße aufbringen lassen, um die Zeitspanne bis zur Aufbringung der späteren Pflasterdecke zu überbrücken und diese solange - provisorisch - zu ersetzen. Vielmehr ist sie nach ihren plausiblen und auch von der Klägerin nicht in Zweifel gezogenen Angaben gerade deshalb aufgebracht worden, weil die im Bauprogramm für die endgültige Herstellung der Straße vorgesehene Pflasterdecke nach Einschätzung der Beklagten in der Phase der Durchführung der Hochbauarbeiten auf den von der Straße erschlossenen, zum fraglichen Zeitpunkt ganz überwiegend noch unbebauten Grundstücken den Anforderungen an die für einen Baustellenverkehr erforderliche Straßenbefestigung nicht genügt hätte, da der hiermit verbundene (u.a. Rangier-) Verkehr mit schweren LKW und Baufahrzeugen eine solche Pflasterdecke zerstört hätte. Damit aber kam der bituminösen Decke in dem von der Beklagten vorgesehenen Ablauf der Herstellung der Erschließungsanlage eine Bedeutung zu, die über die "Lückenbüßer-" Funktion eines (schlichten) Provisoriums deutlich hinausgeht.

Es kann dahinstehen, ob diese Besonderheiten des Falles dazu führen, dass die Rechtsprechung des BVerwG zur - "in aller Regel nicht" gegebenen - Ansatzfähigkeit der Kosten für Herstellung und Beseitigung von "Provisorien", vgl. Urteile vom 5.9.1969 - IV C 67.68 -, DVBl. 1970, 81; vom 16.11.1973 - IV C 45.72 - BRS 37, Nr. 65, S. 138 (jeweils betreffend provisorische Erschließungsanlagen); vom 27.2.1970 - IV C 36.69 -, BRS 37, Nr. 59, S. 126 (für Herstellung und Abriss einer "provisorischen Makadamdecke"), schon vom Ansatz her unanwendbar ist. Denn die Kosten für Herstellung und Beseitigung der fraglichen Decke wären auch in Anwendung der vorgenannten Rechtsprechung in den Erschließungsaufwand einzustellen. Hiernach dürfen Kosten für die Herstellung und Beseitigung von Provisorien ausnahmsweise dann in den Erschließungsaufwand eingestellt werden, wenn deren Einrichtung nach den seinerzeitigen technischen Regelungen erforderlich erschien, um später die endgültige Erschließungsanlage herzustellen.

Vgl. BVerwG Urteile vom 5.9.1969, a.a.O., und vom 16.11.1973, a.a.O.

Eben dies war vorliegend der Fall; der abweichenden Einschätzung des VG vermag sich der Senat nicht anzuschließen.

Die Erwägung des VG, eine nach den technischen Regelungen für die Herstellung der Erschließungsanlage erforderliche - und damit nach der vorgenannten Rechtsprechung erschließungsbeitragsfähige - provisorische Anlage könne nicht vorliegen, wenn die Gemeinde zunächst eine Bauausführung "entgegen der letztlich i.S.d. Bauprogramms und der Merkmalsregelung beabsichtigten Herstellungsart wählt, um längere oder kürzere Zeiten zwischen den Ausbaustufen zu überbrücken", führt vorliegend schon deshalb nicht weiter, weil sie die oben dargestellte besondere Funktion der fraglichen Decke während der Hochbauphase - gerade im Unterschied zu der endgültigen Pflasterdecke - nicht berücksichtigt. Im Übrigen stellt es ein Charakteristikum eines "Provisoriums" dar, gerade nicht der "letztlich i.S.d. Bauprogramms und der Merkmalsregelung beabsichtigten Herstellungsart" zu entsprechen - sonst wäre es keines -, so dass der Ansatz des VG bei konsequenter Anwendung dazu führte, dass für die vom BVerwG bejahte Möglickeit eines nach technischen Regeln gebotenen und damit trotz seiner Beseitigung erschließungsbeitragsfähigen Provisoriums kein Anwendungsbereich mehr verbliebe.

Im vorliegenden Fall war die Aufbringung der bituminösen Decke auf die eingebauten Schottertragschichten nach den zum Zeitpunkt der Arbeiten maßgeblichen technischen Regelungen erforderlich, um die I.-straße gemäß den planerischen Vorstellungen der Beklagten herzustellen. Nach Punkt 1.3.3 der "Zusätzlichen Technischen Vorschriften und Richtlinien für Tragschichten im Straßenbau, Ausgabe 1986 (ZTV T-StB 86)", aufgestellt von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V. im Benehmen mit dem Bundesminister für Verkehr und den Straßenbauverwaltungen der Länder, vgl. Allgemeines Rundschreiben Straßenbau des BMV Nr. 9/1986 vom 27.3.1986, VKBl. 1986, 283; wortgleich Nr. 1.3.3 der von der Beklagten vorgelegten aktuellen ZTV T-StB 95, Fassung 2002, die die Beklagte beim Bau der I.-straße zugrunde gelegt hat, sind "erforderlichenfalls Schutzmaßnahmen vorzusehen", wenn "die Tragschichten für längere Zeit unmittelbar befahren werden oder über Winter liegen bleiben" sollen. Dies war hier der Fall: Bei den im Jahre 1986 für die Herstellung der I.-straße hergestellten Schotterschichten handelt es sich um Tragschichten der Straße. Diese sollten nach der Planung der Beklagten vor der endgültigen Fertigstellung der Straße während der Phase der Errichtung von Hochbauten auf den an die Straße grenzenden Grundstücken - im Ergebnis für fast zehn Jahre - unmittelbar befahren werden. Eine Abdeckung der Schotterschichten in dieser Zeit war schon deshalb erforderlich, weil das unmittelbare Befahren mit Fahrzeugen zu einer Verschiebung und ungleichmäßigen Verdichtung des Schotters geführt hätte. Ob - was die Klägerin bezweifelt - auch die Voraussetzungen vorgelegen hätten, unter denen der Schutz eines Straßenplanums nach den "Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien für Erdarbeiten im Straßenbau - ZTV E-StB" technisch geboten war, kann offen bleiben.

Der Senat sieht ferner keine Anhaltspunkte dafür, dass die Aufwendungen für die Herstellung nicht im Sinne von § 129 Abs. 1 BauGB erforderlich gewesen wären, weil die Beklagte den ihr zustehenden Bewertungsspielraum überschritten hätte. Die von ihr zur Rechtfertigung ihres Vorgehens vorgebrachten Erwägungen sind ohne Weiteres nachvollziehbar.

Keine Zweifel hegt der Senat zunächst daran, dass ein Schutz der im Jahr 1986 eingebrachten beiden Schottertragschichten während der Hochbautätigkeit auf den Anliegergrundstücken sowohl zur Erhaltung des bereits durchgeführten Straßenbaus als auch im Interesse der Anlieger geboten war. Dass das Befahren der und Rangieren auf den ungeschützten Schotterschichten durch LKW und Baufahrzeuge in der Hochbauphase diese Schichten durch Verlagerungen und partielle Verdichtungen des Schotters erheblich in Mitleidenschaft ziehen würde, liegt auf der Hand. Nach Ansicht des Senats ist es ebenso offenkundig, dass eine Nutzung der I.-straße ohne jede Befestigung der Schotterschichten für die Anlieger mit ganz erheblichen Beschwernissen verbunden gewesen wäre. Hierbei ist zum einen zu beachten, dass die Straße als Mischverkehrsfläche ohne abgesetzte Gehwege hergestellt wurde, mithin auch der Fußgängerverkehr gezwungen gewesen wäre, die Schotterfläche zu benutzen. Zum anderen zog sich die Bebauung der an die Straße grenzenden Grundstücke wegen der Verzögerung der Überplanung der nordöstlich an die Straße grenzenden Flächen über einen erheblichen Zeitraum hin, sodass die Anlieger fast ein Jahrzehnt mit der Benutzung der Straße als Baustraße vorlieb nehmen mussten. Auch dies ließ eine Befestigung der Schottertragschichten mit einer festen und leicht benutzbaren Decke als ohne Weiteres sachgerecht erscheinen. Nach Einschätzung des Senats wäre schließlich ohne Aufbringung der Decke auch eine Gefährdung von Fußgängern durch Steine aus der Schottertragschicht nicht auszuschließen gewesen, die sich zunächst im Profil von (insbesondere) LKW-Reifen festsetzen und während der Fahrt weggeschleudert werden.

Die Erwägung des VG, die Beklagte hätte durch die sofortige Anlegung der Pflasterdecke auf den Schottertragschichten die fraglichen Aufwendungen vermeiden können, greift ebenfalls nicht durch. Indem § 129 Abs. 1 BauGB einer Gemeinde hinsichtlich des "Ob" und des "Wie" der Anlegung von Erschließungsanlagen einen erheblichen eigenverantwortlichen Planungsspielraum einräumt, verwehrt er es den Gerichten, Aufwendungen einer Gemeinde für eine Straßenherstellung, die den eingeräumten Spielraum einhält, als nicht beitragsfähig zu erklären. Zu den Planungsspielräumen der Gemeinden gehört jedoch auch die Frage, ob sie den Straßenbau in einem Zuge oder - z.B. entsprechend dem Fortgang der Überplanung der jeweils erschlossenen Flächen - in mehreren aufeinander folgenden Bauabschnitten durchführen.

Vgl. Löhr, in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 10. Aufl. 2007, § 128 Rdn. 17: zeitlicher Ablauf als Teil des "Bauprogramms".

Angesichts dessen vermag das Argument, eine andere Art der Bauausführung hätte zu niedrigeren Kosten geführt, schon im Ansatz nur dann zu tragen, wenn die gewählte Bauausführung ohne rechtfertigenden Grund zu schlechthin unvertretbaren Mehrkosten geführt hätte. Davon kann hier keine Rede sein: Die Ausführungen der Beklagten zu den befürchteten Beeinträchtigungen einer Pflasterdecke durch den Baustellenverkehr zu den Hochbauvorhaben auf den erschlossenen Grundstücken und den für deren Beseitigung aufzuwendenden Kosten im Vergleich mit den hier streitigen Aufwendungen belegen, dass für die Anlegung der bituminösen Decke während der Hochbauphase sinnvolle Erwägungen sprachen. Auch unter Kostengesichtspunkten spricht nachhaltig für diese Art der Straßenherstellung, dass die Kosten einer Reparatur einer vorzeitig aufgebrachten Pflasterdecke, die sich nach den von der Klägerin nicht in Zweifel gezogenen Angaben der Beklagten auf 16.361,50 EUR netto belaufen hätten, die hier noch streitigen Aufwendungen von insgesamt (4.327,16 EUR + 2.904,13 EUR =) 7.231,29 EUR (zzgl. MWSt.) deutlich überstiegen hätten.

Ende der Entscheidung

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