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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 29.07.2004
Aktenzeichen: 4 A 2591/02
Rechtsgebiete: WPO


Vorschriften:

WPO § 20 Abs. 2 Nr. 5
Der Widerruf der Bestellung als Wirtschaftsprüfer ist trotz nicht geordneter wirtschaftlicher Verhältnisse unzulässig, wenn und solange der Wirtschaftsprüfer bei seiner Tätigkeit fortlaufend durch einen anderen Berufsangehörigen beaufsichtigt wird.
Tatbestand:

Mit Bescheid vom August 2000 widerrief der Beklagte unter Hinweis auf Schulden des Klägers von fast drei Millionen Deutsche Mark, gestützt auf § 20 Abs. 2 Nr. 5 WPO, dessen im Juli 1984 erfolgte Bestellung als Wirtschaftsprüfer. Die darauf erhobene Anfechtungsklage wies das VG ab. Die vom OVG zugelassene Berufung des Klägers blieb ebenfalls erfolglos.

Gründe:

Für die gerichtliche Beurteilung des Widerrufs ist nach der Rechtsprechung des Senats die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens, hier also des Erlasses des Widerrufsbescheides vom August 2000, maßgeblich.

OVG NRW, Beschluss vom 20.5.2003 - 4 A 1673/02 -, NwVBl. 2003, 435 = BB 2004, 377.

Gemäß § 20 Abs. 2 Nr. 5 WPO i.d.F. des Gesetzes vom 15.7.1994 (BGBl. I S. 1569) musste der Beklagte die Bestellung des Klägers als Wirtschaftsprüfer widerrufen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorlagen. Nach dieser Vorschrift ist die Bestellung zu widerrufen, wenn der Wirtschaftsprüfer sich nicht in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen befindet, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Auftraggeber oder anderer Personen nicht gefährdet sind.

Der Kläger befand sich bei Erlass des Widerrufsbescheides nicht in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen. Er sah sich Gläubigerforderungen in Höhe von fast drei Millionen DM ausgesetzt und musste die eidesstattliche Versicherung über seine Vermögensverhältnisse abgeben. Anzeichen dafür, dass sich die Situation bessern könnte, lagen nicht vor. Es war nicht erkennbar, dass der Kläger seine Schulden in absehbarer Zeit in nennenswertem Umfang würde zurückführen können.

Der Senat unterstellt dabei zu Gunsten des Klägers, dass er bei Erlass des angefochtenen Bescheides über regelmäßige Einkünfte verfügt und einen zur Deckung seiner Lebenshaltungs- und Praxiskosten ausreichenden Jahresumsatz erwirtschaftet hat. Von geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen konnte angesichts der immensen Verbindlichkeiten aber dennoch keine Rede sein. Auch wenn es sich dabei um Forderungen handelte, die nach Angaben des Klägers schon vor Jahren entstanden sind, so sind diese nicht von einer anderen rechtlichen Qualität als erst in jüngerer Zeit entstandene Verbindlichkeiten. Sie konnten deshalb bei der Prüfung, ob geordnete wirtschaftliche Verhältnisse vorliegen, nicht gleichsam ausgeblendet werden.

Ob § 20 Abs. 2 Nr. 5 WPO insofern gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, als er den Widerruf (schon) bei nicht geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen zulässt, während etwa beim Steuerberater oder Rechtsanwalt der Widerruf der Bestellung bzw. der Zulassung (erst) bei einem Vermögensverfall in Betracht kommt (vgl. § 46 Abs. 2 Nr. 4 Halbsatz 1 StBerG und § 14 Abs. 2 Nr. 7 Halbsatz 1 BRAO), braucht vorliegend nicht entschieden zu werden.

Zum Vermögensverfall und zu ungeordneten Vermögensverhältnissen vgl.: BFH, Beschluss vom 4.3.2004 - VII R 21/02 -, JURIS, und Schmittmann, NJW 2002, 182.

Angesichts der hohen Schulden des Klägers musste nämlich (sogar) von einem Vermögensverfall gesprochen werden. Ein solcher ist dann anzunehmen, wenn der Berufsangehörige - wie hier - in ungeordnete schlechte finanzielle Verhältnisse, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, geraten und außer Stande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19.4.2001 - 4 A 247/01 -, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH und des BGH.

Eine Ausnahme im Sinne des § 20 Abs. 2 Nr. 5 WPO - "es sei denn, dass dadurch die Interessen der Auftraggeber oder anderer Personen nicht gefährdet sind" - lag nicht vor.

Eine solche Gefährdung ist nur dann ausgeschlossen, wenn sie so fern liegt, dass sie ohne Bedenken außer Betracht gelassen werden kann. Insofern legt der Senat die gleichen Maßstäbe zu Grunde, die das BVerwG zu § 6 Satz 3 AVO RBerG entwickelt hat.

BVerwG, Urteil vom 3.5.1977 - 1 C 43.74 -, NJW 1977, 2178, und Beschluss vom 29.3.1996 1 B 54.96 -, Rbeistand 1996, 67 = Buchholz, 355 RBerG Nr. 49.

Nach dieser Vorschrift ist eine Erlaubnis nach dem RBerG zu versagen, wenn mit Rücksicht auf die Verhältnisse des Nachsuchenden und die Art seiner Wirtschaftsführung die Belange der Rechtsuchenden gefährdet werden würden. Dass im Gegensatz dazu in § 20 Abs. 2 Nr. 5 WPO der Gefährdungstatbestand als negative Tatsache formuliert ist, ist in materieller Hinsicht ohne Bedeutung. Dies führt lediglich dazu, dass den Wirtschaftsprüfer insoweit die Darlegungs- und Feststellungslast dafür trifft, dass eine Interessengefährdung nicht besteht.

OVG NRW, Beschluss vom 9.2.2001 - 4 A 5645/99 -, NJW 2002, 234, m.w.N.

Wann eine Gefährdung im Sinne der Ausnahmeregelung so fern liegt, dass sie unberücksichtigt bleiben kann, bedarf der Konkretisierung.

Die Verwendung des Wortes "dadurch" belegt, dass nicht solche Umstände gemeint sein können, die schon das Tatbestandsmerkmal "nicht geordnete wirtschaftliche Verhältnisse" entfallen lassen; denn das Gesetz geht davon aus, dass trotz ungeordneter wirtschaftlicher Verhältnisse ("dadurch") die Interessen Anderer nicht gefährdet sind. Hat der Betroffene also seine wirtschaftliche Situation "im Griff", sind m.a.W. Anzeichen für eine Besserung erkennbar, so liegen ungeordnete wirtschaftliche Verhältnisse bzw. ein Vermögensverfall nicht vor. Ein Widerruf scheidet aus, ohne dass überhaupt auf den Ausnahmetatbestand zurückzugreifen ist.

Vgl. in diesem Zusammenhang aber: BFH, Beschluss vom 11.2.2002 - VII B 193/01 -, JURIS, und Urteil vom 4.4.1995 - VII R 74/94 -, JURIS, sowie BGH, Beschluss vom 25.3.1991 - AnwZ (B) 80/90 -, NJW 1991, 2083.

Die Auslegung des Ausnahmetatbestandes muss außerdem berücksichtigen, dass nicht derart hohe Anforderungen an die Annahme einer Ausnahme gestellt werden, dass sie praktisch nicht mehr erfüllt werden können.

Vgl. BFH, Beschluss vom 19.2.2003 - VII B 45/02 -, JURIS, zu § 46 Abs. 2 Nr. 4 - StBerG, m.w.N.

Hiervon ausgehend liegt trotz ungeordneter wirtschaftlicher Verhältnisse eine Gefährdung fern, wenn und solange der Wirtschaftsprüfer bei seiner Tätigkeit fortlaufend durch einen anderen Berufsangehörigen beaufsichtigt wird (Vier-Augen-Prinzip). Dies ist erforderlich, um zu gewährleisten, dass der Wirtschaftsprüfer die Mandanteninteressen mit der notwendigen Unabhängigkeit und Nachhaltigkeit vertritt, Fremdgelder ordnungsgemäß verwaltet und Gebühren im zulässigen Rahmen erhebt.

Vgl. in diesem Zusammenhang: Schmittmann, a.a.O., S. 184/185; BFH, Beschluss vom 4.3.2004 - VII R 21/02 -, JURIS, m.w.N.

Dagegen reicht es nicht aus, wenn der Wirtschaftsprüfer im Wege der Selbstbeschränkung auf die Entgegennahme und Verwaltung von Fremdgeldern verzichtet. Er ist zu einer solchen Selbstbeschränkung nicht verpflichtet und kann deshalb jederzeit seinen Tätigkeitsbereich wieder erweitern.

Danach ist dem Kläger der Nachweis, dass auf Grund der von ihm getroffenen Maßnahmen die Interessen der Auftraggeber oder anderer Personen nicht gefährdet wä-ren, nicht gelungen. Insofern ist es ohne Belang, ob er sämtliche laufende Verbindlichkeiten vollständig und pünktlich gezahlt und noch keinen Versuch unternommen hat, Mandantengelder an sich zu bringen. Die Gefahr, dass er sich zukünftig anders verhalten könnte, war dadurch nämlich nicht ausgeräumt. Entsprechendes gilt, soweit der Kläger behauptet, er habe seine eigenen Angelegenheiten stets mit Sorgfalt behandelt. Auch kann der Senat zu seinen Gunsten unterstellen, dass er schon bei Erlass des Widerrufsbescheides seinen Tätigkeitsbereich beschränkt hatte. Bei den von ihm getroffenen Maßnahmen (Beschränkung der Mandate, keine treuhändlerische Verwaltung von Mandantengeldern, keine Abtretung von Erstattungsansprüchen gegen das Finanzamt) handelt es sich ausschließlich um freiwillige Selbstbeschränkungen, die - wie dargelegt - nicht ausreichen.

Der Widerruf der Bestellung als Wirtschaftsprüfer verstößt auch nicht gegen höherrangiges Recht. Soweit der Kläger mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vorträgt, es hätten in Form regelmäßiger Kontrollen mildere Mittel zur Verfügung gestanden, ist dem nicht zu folgen. Zwar obliegt es der Wirtschaftsprüferkammer gemäß § 57 Abs. 2 Nr. 4 WPO, die Erfüllung der ihren Mitgliedern obliegenden Pflichten zu überwachen; damit ist aber nicht die hier in Rede stehende begleitende Überwachung gemeint, durch die die Voraussetzungen für eine (weitere) Tätigkeit des Wirtschaftsprüfers erst geschaffen werden. Bei dieser Sachlage verstößt der Widerruf der Bestellung auch nicht gegen Art. 12 GG. Ebenso wenig ist dem Kläger darin zu folgen, dass er gegenüber anderen Wirtschaftsprüfern, die Darlehen zu bedienen haben, schlechter gestellt werde und deshalb ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG vorliege. Die Situation des Klägers unterscheidet sich von der anderer Wirtschaftsprüfer gerade dadurch, dass seine wirtschaftlichen Verhältnisse nicht geordnet sind, während dies bei jenen Wirtschaftsprüfern, die ihren Verpflichtungen aus Darlehensverträgen planmäßig nachkommen, nicht der Fall ist.

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