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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 11.08.2009
Aktenzeichen: 4 E 1609/08
Rechtsgebiete: VV RVG, RVG


Vorschriften:

VV RVG Vorbem. 3 Abs. 4
VV RVG Nr. 2300
VV RVG Nr. 3100
RVG § 49
RVG § 55
Die Staatskasse kann im Vergütungsfestsetzungsverfahren eine im Verwaltungsverfahren entstandene Geschäftsgebühr nach Maßgabe der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG nicht anteilig auf die Verfahrensgebühr anrechnen, wenn der beigeordnete PKH-Anwalt keine Zahlung auf die Geschäftsgebühr erhalten hat.
Tatbestand:

Die Beschwerdeführerin wandte sich gegen die anteilige Anrechnung der Geschäftsgebühr auf ihren Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse. Sie hatte ihren Mandanten bereits im Vorverfahren vertreten und ist erstinstanzlich diesem im Rahmen der Prozesskostenhilfebewilligung beigeordnet worden.

Das VG wies mit dem angefochtenen Beschluss die Erinnerung der Beschwerdeführerin zurück, mit der sie erneut geltend machte, keine Zahlung auf die Geschäftsgebühr erhalten zu haben, weil ihr Mandant die eidesstattliche Versicherung abgegeben habe und eine Pfändung erfolglos sei. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass die nach dem Gesetz vorgesehene anteilige Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr eine Zahlung auf die Geschäftsgebühr nicht voraussetze und diese Regelung auch für die Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung gelte. Ausreichend sei, dass die Geschäftsgebühr entstanden sei.

Dagegen wandte die Beschwerdeführerin ein, es sei ohne Einschränkung Prozesskostenhilfe für die I. Instanz bewilligt worden und das sei für das Festsetzungsverfahren verbindlich. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erstrecke sich nur auf den jeweiligen Rechtszug; das Vorverfahren gehöre aber nicht zum Rechtszug I. Instanz und könne deshalb nicht berücksichtigt werden. Abgesehen davon sei ihr Mandant nicht in der Lage, die Geschäftsgebühr zu bezahlen, so dass eine Anrechnung unbillig sei.

Gründe:

Die vom VG zugelassene und damit gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 2 RVG trotz Nichterreichung des Beschwerdewertes zulässige Beschwerde, über die im vorliegenden Verfahren gemäß § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG der Berichterstatter als Einzelrichter zu entscheiden hat, hat Erfolg. Die Geschäftsgebühr, auf die keine Zahlung erfolgt ist, ist nicht auf die aus der Staatskasse zu zahlende Verfahrensgebühr anzurechnen.

Eine konkrete Regelung, unter welchen Voraussetzungen die Anrechnungsregelung nach Teil 3, Vorbemerkung 3 Abs. 4 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG (anteilige Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr) auf die Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Geschäftsgebühr zu berücksichtigen ist, fehlt in dem Gesetz. Durch das Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften vom 30.7.2009 (BGBl. I. S. 2449) ist im Artikel 7 Abs. 4 Nr. 6 § 55 Abs. 5 Satz 2 RVG durch folgende Sätze ersetzt worden:

"Der Antrag hat die Erklärung zu enthalten, ob und welche Zahlungen der Rechtsanwalt bis zum Tag der Antragstellung erhalten hat. Bei Zahlungen auf eine anzurechnende Gebühr sind diese Zahlungen, der Satz oder der Betrag der Gebühr und bei Wertgebühren auch der zugrunde gelegte Wert anzugeben. Zahlungen, die der Rechtsanwalt nach der Antragstellung erhalten hat, hat er unverzüglich anzuzeigen."

Aus der in § 55 Abs. 5 Satz 3 RVG (n. F.) geregelten umfassenden Erklärungspflicht ergibt sich hinreichend deutlich, dass eine Gebührenanrechnung im Verhältnis zur Staatskasse jedenfalls dann nicht stattfinden soll, wenn der Rechtsanwalt keine Zahlungen erhalten hat.

Vgl. dazu Hansens, AnwBl 2009, 535 (539); ferner OLG Stuttgart, Beschluss vom 15.1.2008 - 8 WF 5/08 -, RVGreport 2008, 108, und Enders, JurBüro 2008, 561.

Diese für Fälle der vorliegenden Art in Zukunft zu beachtende - indirekte - Regelung ist nach Art. 10 des Gesetzes am 5.8.2009 in Kraft getreten. Eine Rückwirkung hat der Gesetzgeber nicht angeordnet, so dass die allgemeine Übergangsregelung in § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG eingreifen müsste. Dies kann aber dahinstehen. Denn auch für diesen Fall ist bei Altfällen der in dem "Modernisierungsgesetz" vom 30.7.2009 zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers hinsichtlich der Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr im Verhältnis zur Staatskasse zu beachten. Der Wortlaut des § 55 Abs. 5 Satz 2 RVG in der alten Fassung spricht nicht dagegen. Dafür spricht allerdings, dass der Gesetzgeber nunmehr lediglich das geregelt hat, was sich seiner Auffassung nach bereits aus der früheren Fassung des RVG ergeben hat.

Vgl. dazu Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT Drucks. 16/12717 S. 68; Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins durch den Ausschuss RVG und Gerichtskosten, abrufbar unter www.anwaltverein.de /45/08; Hansens, AnwBl 2009, 535; Kallenbach, AnwBl 2009, 442.

Der - verbreiteten - Rechtsprechung,

vgl. dazu die Nachweise bei Hansens, AnwBl 2009, 293, Fn. 7, nach der die Anrechnung der Geschäftsgebühr bei der Festsetzung der Prozesskostenhilfe-Vergütung selbst dann zu berücksichtigen war, wenn der bedürftige Mandant dem PKH-Anwalt die Geschäftsgebühr nicht gezahlt hatte, war insbesondere die Rechtsprechung des BGH vorausgegangen,

Beschluss vom 22.1.2008 - VIII ZB 57/07 -, NJW 2008, 1323 = AnwBl 2008, 378, nach der die in Teil 3, Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG, geregelte Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren unabhängig davon zu berücksichtigen sei, ob die Geschäftsgebühr bezahlt oder zu Gunsten der erstattungsberechtigten Partei tituliert worden war, oder ob der Rechtsanwalt sie seinem Auftraggeber überhaupt in Rechnung gestellt hat. Dieser Rechtsauffassung ist durch die Einfügung des § 15 a in das RVG, in Kraft getreten ebenfalls am 5.8.2009, bei unverändert gebliebener Anrechnungsvorschrift der Boden ent-zogen worden. § 15 a Abs. 1 RVG lautet wie folgt:

"Sieht dieses Gesetz die Anrechnung einer Gebühr auf eine andere Gebühr vor, kann der Rechtsanwalt beide Gebühren fordern, jedoch nicht mehr als den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag der beiden Gebühren."

Daraus folgt, dass beide Gebühren in voller Höhe entstehen müssen, ansonsten keine Anrechnung auf den Gesamtbetrag beider Gebühren erfolgen könnte. Mit der Einfügung des § 15 a RVG wollte der Gesetzgeber die o. g. Rechtsprechung des BGH korrigieren, weil diese unmittelbar den Absichten zuwiderlief, die der Gesetzgeber mit dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz ursprünglich verfolgt hatte. Ziel war allein, mit der Anrechnungsregel zu verhindern, dass der Rechtsanwalt für die betreffende Tätigkeit doppelt honoriert wird.

Vgl. dazu Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses BT Drucks. 16/12717, S. 67 f.

Entsteht aber die Verfahrensgebühr in voller Höhe und nicht entsprechend der BGH-Rechtsprechung von vornherein nur in gekürzter Höhe, kann sie im Rahmen des § 55 RVG in voller Höhe berücksichtigt werden.

Ende der Entscheidung

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