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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 01.02.2007
Aktenzeichen: 5 A 1274/05.A
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 60 Abs. 7
Zur Frage der Behandelbarkeit posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) im Kosovo.
Tatbestand:

Die Klägerin stammt aus dem Kosovo und leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Das VG gab ihrer Klage auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG statt. Auf die Berufung der Beklagten wies das OVG die Klage ab.

Gründe:

Das VG hat der Verpflichtungsklage der Klägerin zu Unrecht stattgegeben. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, der ab dem 1.1.2005 an die Stelle des bisherigen § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG getreten ist und dessen Tatbestandsvoraussetzungen entspricht. Der angefochtene Bundesamtsbescheid erweist sich danach auch im maßgeblichen gegenwärtigen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Der Klägerin ist weder auf der Grundlage von § 71 Abs. 1 AsylVfG iVm. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG noch nach §§ 51 Abs. 5, 48, 49 VwVfG,

zu den Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens vgl. BVerwG, Urteile vom 21.3.2000 - 9 C 41.99 -, BVerwGE 111, 77, 82, vom 20.10.2004 - 1 C 15.03 - BVerwGE 122, 103, 105 ff., der begehrte Abschiebungsschutz zuzuerkennen. In beiden Fällen fehlt es jedenfalls an den erforderlichen tatbestandlichen Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.

Der Begriff der "Gefahr" im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist - ebenso wie in § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG - im Ansatz kein anderer als der im asylrechtlichen Prognosemaßstab der "beachtlichen Wahrscheinlichkeit" angelegte, wobei es sich allerdings um eine einzelfallbezogene, individuell bestimmte und erhebliche Gefährdungssituation handeln muss, die zudem landesweit gegeben ist.

Vgl. zu § 53 AuslG: BVerwG, Urteil vom 17.10.1995 - 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324, 330, Beschlüsse vom 14.3.1997 - 9 B 627.96 - juris, Rn. 3, vom 18.7.2001 - 1 B 71.01 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 46.

Danach genügt für die Annahme einer "Gefahr" im Sinne dieser Vorschrift nicht die bloße Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in Leib, Leben oder Freiheit zu werden. Eine "beachtliche Wahrscheinlichkeit" eines solchen Eingriffs ist vielmehr (erst dann) anzunehmen, wenn aus Sicht eines besonnenen, vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Schutzsuchenden bei zusammenfassender Bewertung des zur Prüfung gestellten Sachverhalts die für eine Verletzung der genannten Rechtsgüter sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 5.11.1991 - 9 C 118.90 -, BVerwGE 89, 162, 169, vom 5.7.1994 - 9 C 1.94 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 173, und vom 17.10.1995, aaO.

Auch die Gefahr, dass sich die Erkrankung eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Heimatstaat verschlimmert, weil die dortigen Behandlungsmöglichkeiten unzureichend sind, kann ein Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen. Voraussetzung ist, dass die befürchtete Verschlimmerung der gesundheitlichen Beeinträchtigungen als Folge fehlender Behandlungsmöglichkeiten im Zielland der Abschiebung zu einer erheblichen Gesundheitsgefahr führt, das heißt eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität erwarten lässt. Dies ist der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 29.7.1999 - 9 C 2.99 - juris, Rn. 7 f., vom 7.12.2004 - 1 C 14.04 - BVerwGE 122, 271, 284, Beschluss vom 24.5.2006 - 1 B 118.05 - juris, Rn. 4.

Konkret ist die Gefahrenlage, wenn die befürchtete Verschlimmerung des Gesundheitszustandes alsbald nach der Rückkehr des Betroffenen in den Abschiebezielstaat einträte, weil er dort auf unzureichende Möglichkeiten der Behandlung seiner Leiden trifft und anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 29.7.1999, aaO., und vom 7.12.2004, aaO.

Nach diesen Maßgaben liegen die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in der Person der Klägerin nicht vor.

Es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin bei Rückkehr in ihre Heimat Kosovo als Folge unzureichender Behandlungsmöglichkeiten wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde.

Ausweislich des Gutachtens des Arztes für Psychiatrie Dr. /. vom 28.1.2004 liegt bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung leichten bis mittelschweren Grades vor. Für den Fall einer psychotherapeutisch stützenden Behandlung (stabilisierende stützende Therapie mit ärztlichen Gesprächen) und einer begleitenden Pharmakotherapie mit Antidepressiva erwartet der Gutachter, dass das Beschwerdebild der Klägerin konstant bleibt. Eine solche Behandlung ist nach der Erkenntnislage im Kosovo möglich.

Im öffentlichen Gesundheitswesen im Kosovo stehen sieben Zentren für geistige Gesundheit (Pec, Prizren, Urosevac, Gnjilane, Djakovica, Mitrovica/Süd, Pristina) und in fünf Krankenhäusern Abteilungen für stationäre Psychiatrie inklusive angeschlossener Ambulanzen (Pristina, Mitrovica/Nord, Pec, Prizren und Djakovica) zur Behandlung von psychischen Erkrankungen und posttraumatischen Belastungsstörungen zur Verfügung. Weiter unterhalten verschiedene nichtstaatliche Organisationen Betreuungseinrichtungen, die psychisch Kranke und durch belastende Kriegsereignisse traumatisierte Personen beraten und medizinisch/psychologisch betreuen. Patienten mit dem Krankheitsbild posttraumatische Belastungsstörung werden in der Regel medikamentös behandelt. Insbesondere in den Zentren für geistige Gesundheit werden aber auch begleitende (supportive) Gesprächstherapien angeboten. Hinweise darauf, dass behandlungsbedürftige Patienten auf Grund fehlender Therapieplätze tatsächlich nicht behandelt werden konnten, liegen nicht vor. In minder schweren Fällen kann es allerdings im öffentlichen Gesundheitswesen zu Wartezeiten von bis zu drei Wochen kommen. Für ambulante Behandlungen sind von den Patienten zwischen 1 € und 4 € zu zahlen; Medikamente der "essential drugs list" sind gegen eine Eigenbeteiligung von bis zu 2 € erhältlich. Davon ausgenommen sind verschiedene Psychotherapeutika (Amitriptyline, Alprazolam, Biperidine, Clopazine, Chlorpromazine, Diazepam, Fluphenazine, Fluoxetine, Haloperidol, Olanzapina, Risperidon), die weiterhin kostenlos erhältlich sind. Ebenfalls kostenfrei sind die Behandlung in den Zentren für geistige Gesundheit und die Angebote der nichtstaatlichen Gesundheitseinrichtungen.

Vgl. zu allem Deutsches Verbindungsbüro Kosovo/ Pristina, Auskunft vom 21. Juli 2006 an das VG Düsseldorf; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Serbien - Kosovo (Stand: Juni 2006), S. 19/20, 21-24.

Für eine hinreichende Behandelbarkeit der Erkrankung der Klägerin spricht ferner der Umstand, dass der UNHCR in seinem aktualisierten Positionspapier zur fortdauernden Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo (Stand: Juni 2006) die Gruppe der Personen mit schweren oder chronischen psychischen Erkrankungen einschließlich Posttraumatischer Belastungsstörungen nicht mehr aufführt. Dementsprechend lehnt auch UNMIK die Rückführung solcher Personen künftig nicht mehr aus gesundheitlichen Gründen ab.

Vgl. Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, Erlass vom 7.7.2006 (Az.: 15 - 39.02.01 -5- 132 Kosovo), mit dem als Anlage beigefügten Schriftwechsel des Bundesministeriums des Innern und des Deutschen Verbindungsbüros in Pristina mit UNMIK.

Andere, in der Tendenz abweichende Stellungnahmen, die diese Auskünfte durchgreifend in Frage stellen könnten, sind nicht ersichtlich. Soweit es sich um Stellungnahmen aus den Jahren 2004 und älter handelt, vgl. dazu OVG NRW, Beschlüsse vom 30.12.2004 - 13 A 1250/04.A -, Beschlussabdruck S. 19/20, und vom 20.9.2006 - 13 A 1740/05.A -, Beschlussabdruck S. 15/16, sind sie zeitlich überholt und schon deshalb nicht geeignet, die oben genannten Auskünfte zu entkräften.

Angesichts der geschilderten Änderung in der Rückführungspraxis von UNMIK bei Personen mit schweren oder chronischen psychischen Erkrankungen einschließlich Posttraumatischer Belastungsstörungen gibt deren Stellungnahme vom Januar 2005 keine Veranlassung zu einer anderen Bewertung der Auskunftslage.

Vgl. dazu auch OVG NRW, Beschluss vom 8.2.2006 - 13 A 261/05.A -, Beschlussabdruck S. 17/18.

Entsprechendes gilt für die Auskunft des Bundesamtes an die Ausländerbehörde Berlin vom 13.10.2005. Abgesehen davon, dass die zitierten Erkenntnisse des Auswärtigen Amtes und des Deutschen Verbindungsbüros Kosovo aktueller sind, beschränkt sich der Aussagegehalt der Auskunft auch auf die Bewertung eines konkreten Einzelfalls und eines individuellen Krankheitsbildes. Rückschlüsse für die Frage der Behandelbarkeit der Erkrankung der Klägerin lassen sich daraus hingegen nicht ziehen, zumal der Auskunft vom 13.10. 2005 anders als im Fall der Klägerin das Krankheitsbild einer schweren Posttraumatischen Belastungsstörung zugrunde liegt.

Eine abweichende Beurteilung rechtfertigen auch nicht die Ausführungen des Arztes für Innere Medizin und Psychotherapeutische Medizin Dr. Gierlichs in seinem Beitrag in der ZAR 2006, 277 ff., wonach das im Kosovo tätige medizinische Fachpersonal nicht ausreiche, um die Vielzahl psychisch kranker Menschen im Kosovo zu behandeln. Es kommt nicht darauf an, wie viele potentielle Patienten gegebenenfalls zu behandeln wären.

Vgl. dazu auch OVG NRW, Beschluss vom 10.1.2007 - 13 A 1138/04.A -, Beschlussabdruck S. 27/28, wonach die dem Beitrag zugrunde liegende Berechnung nicht überzeugt.

Maßgeblich ist vielmehr, ob für tatsächlich um medizinische Hilfe Nachsuchende Behandlungskapazitäten gegeben sind. Dass indes die Klägerin die von ihr gewünschte und zur Vermeidung einer Gesundheitsverschlechterung erforderlich Behandlung im Kosovo nicht erlangen könnte, ist auf der Grundlage der genannten Auskünfte des Auswärtigen Amtes und des Deutschen Verbindungsbüros nicht beachtlich wahrscheinlich.

Dieser Einschätzung steht schließlich nicht entgegen, dass eine Psychotherapie im Sinne einer Traumabearbeitung lediglich in Ausnahmefällen möglich sein mag. Nach den Ausführungen des psychiatrischen Gutachtens vom 28.1.2004 ist eine solche Therapie zwar wünschenswert, um eine Verbesserung des Gesundheitszustandes der Klägerin zu erreichen. Nach Einschätzung des Gutachters ist aber auch ohne diese Therapie eine Verschlechterung des Beschwerdebildes der Klägerin nicht zu erwarten, sofern eine - wie ausgeführt im Kosovo mögliche - stabilisierende stützende Gesprächstherapie mit begleitender medikamentöser Behandlung erfolgt.

Die von der Klägerin vorgelegten nervenärztlichen Atteste bestätigen diese Bewertung. (wird ausgeführt)

Anhaltspunkte, dass die Klägerin die im Kosovo allgemein zur Verfügung stehende medizinische Versorgung aus individuellen Gründen nicht erlangen könnte, sind weder von ihr substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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