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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 15.11.2006
Aktenzeichen: 6 A 131/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 839 Abs. 3
Erfolglose Klage eines Regierungsamtmanns gegen seinen Dienstherrn auf Leistung von Schadensersatz wegen Erteilung einer unrichtigen Auskunft.

Zur Schadensabwendungspflicht entsprechend dem Rechtsgedanken des § 839 Abs. 3 BGB: Auch die Stellung eines förmlichen Antrags auf die begehrte Leistung kann ein Rechtsmittel im Sinne dieser Vorschrift sein.


Tatbestand:

Der Kläger steht als Regierungsamtmann im Dienst des beklagten Landes. Aus Anlass einer Versetzung zog er im Oktober 1997 in eine andere Stadt um. Von der zuständigen Sachbearbeiterin seiner neuen Dienststelle erhielt er die - wie sich später herausstellte - unzutreffende mündliche Auskunft, dass er keinen Anspruch auf Umzugskostenvergütung habe. Auch auf seine Einwände hin blieb die Mitarbeiterin bei ihrer Auffassung. Von der Stellung eines schriftlichen Antrags auf Umzugskostenvergütung sah er daraufhin ab. Im Juli 2000 erfuhr der Kläger, dass die ihm erteilte Auskunft möglicherweise unzutreffend gewesen sein könnte. Er stellte daraufhin einen schriftlichen Antrag auf Umzugskostenvergütung. Dieser wurde abgelehnt, weil er nicht innerhalb der gesetzlichen Ausschlussfrist von einem Jahr nach Beendigung des Umzugs bei der Behörde eingegangen war. Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger vom beklagten Land Schadensersatz wegen einer von ihm in der Erteilung der unzutreffenden Auskunft gesehenen Verletzung der Fürsorgepflicht. Das VG verurteilte das beklagte Land, dem Kläger den ihm entstandenen Schaden zur Hälfte zu ersetzen; im Übrigen wies es die Klage ab. Auf die Berufung des beklagten Landes wurde das angefochtene Urteil geändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.

Gründe:

Nach § 85 LBG NRW hat der Dienstherr im Rahmen des Dienst- und Treueverhältnisses für das Wohl des Beamten und seiner Familie zu sorgen. Er schützt ihn bei seiner amtlichen Tätigkeit und in seiner Stellung als Beamter. Ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung dieser Fürsorgepflicht setzt zunächst voraus, dass die für den Dienstherrn handelnden Personen schuldhaft eine gegenüber dem Beamten bestehende Pflicht des Dienstherrn verletzt haben und dem Beamten dadurch adäquat kausal ein Vermögensschaden erwachsen ist.

Es spricht einiges dafür, dass das VG das Vorliegen dieser Voraussetzungen hier im Grundsatz zu Recht bejaht hat.

Ein Schadensersatzanspruch des Klägers ist jedoch auf Grund des Rechtsgedankens des § 839 Abs. 3 BGB ausgeschlossen. Der Rechtsgedanke, dass eine Ersatzpflicht nicht eintritt, wenn der Verletzte es vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden, fordert im Verwaltungsrecht dann Geltung, wenn für den Verzicht auf das Rechtsmittel kein hinreichender Grund bestand.

So bereits BVerwG, Urteil vom 26.4.1968 - VI C 24.67 -, BVerwGE 29, 309.

Das gilt auch bei von einem Beamten gegenüber seinem Dienstherrn geltend gemachten Schadensersatzansprüchen wegen Fürsorgepflichtverletzung.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.10.1985 - 2 C 12.82 -, ZBR 1986, 179, und Beschluss vom 23.9.1980 - 2 B 52.80 -, Buchholz 232 § 79 BBG Nr. 76.

Dieser Rechtsgedanke ist mit dem Rechtsinstitut des mitwirkenden Verschuldens im Sinne des § 254 BGB verwandt, geht aber über ihn hinaus.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 28.5.1998 - 2 C 29.97 -, BVerwGE 107, 29, und Beschluss vom 5.10.1998 - 2 B 56.98 -, Buchholz 237.5 § 8 HeLBG Nr. 6.

Die Anwendung des § 839 Abs. 3 BGB führt zur völligen Haftungsfreistellung, während nach § 254 BGB eine Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge stattzufinden hat.

Vgl. BGH, Urteil vom 23.2.1978 - III ZR 97/76 -, NJW 1978, 1522.

Der Begriff des "Rechtsmittels" im Sinne des § 839 Abs. 3 BGB ist nicht im engen technischen Sinne zu verstehen, sondern weit zu fassen. Darunter fallen alle förmlichen und nichtförmlichen Rechtsbehelfe, die sich unmittelbar gegen die schädigende Amtshandlung oder Unterlassung richten, deren Beseitigung oder Berichtigung bezwecken und der Abwendung des Schadens dienen.

Vgl. BGH, Urteil vom 23.2.1978 - III ZR 97/76 -, a.a.O.; Schnellenbach, Beamtenrecht in der Praxis, 6. Aufl. 2005, Rn. 414, m.w.N.

Dies können je nach Sachlage auch Gegenvorstellungen sein.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.10.1985 - 2 C 12.82 -, a.a.O.; BGH, Urteil vom 23.2.1978 - III ZR 97/76 -, a.a.O.

Jedoch darf sich ein Betroffener grundsätzlich nicht ohne nachteilige Folgen auf derartige formlose Rechtsbehelfe beschränken, wenn auch förmliche Rechtsbehelfe zulässig wären.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 28.5.1998 - 2 C 29.97 -, a.a.O., und Beschluss vom 5.10.1998 - 2 B 56.98 -, a.a.O.

Die Erhebung von Gegenvorstellungen - einmal unterstellt, der Kläger habe solche tatsächlich erhoben - war im vorliegenden Fall nicht ausreichend. Der Kläger hätte vielmehr zunächst den nach § 1 Abs. 1 LUKG i.V.m. § 2 Abs. 2 Satz 2 BUKG vorgeschriebenen schriftlichen Antrag auf Umzugskostenvergütung stellen und dann im Falle der Ablehnung weitergehende förmliche Rechtsmittel einlegen müssen. Bereits ein förmlicher Antrag kann, wenn das entsprechende Begehren zuvor nur formlos geltend gemacht worden war, ein Rechtsmittel im Sinne des § 839 Abs. 3 BGB sein.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 18.4.2002 - 2 C 19.01 -, ZBR 2003, 137, und vom 28.5.1998 - 2 C 29.97 -, a.a.O.; OVG NRW, Urteil vom 28.5.2003 - 1 A 3128/00 -, IÖD 2004, 17.

Das VG hat sich zur Begründung seiner gegenteiligen Ansicht auf die o.a. Entscheidung des BGH vom 23.2.1978 - III ZR 97/76 -, a.a.O., berufen. Anders als in dem dort entschiedenen Fall hatte sich der Kläger hier jedoch mit einem konkreten Leistungsbegehren an seine Behörde gewandt. Es ging ihm von Anfang an um die Zahlung einer Umzugskostenvergütung. Mit der Stellung eines entsprechenden förmlichen Antrags hätte er dieses Begehren lediglich weiterverfolgt, nicht jedoch ein neues, selbständiges Verwaltungsverfahren eingeleitet. Die Aussage, dass ein förmlicher Antrag generell nicht zu den Rechtsmitteln im Sinne des § 839 Abs. 3 BGB zählt, ist der Entscheidung des BGH nicht zu entnehmen. Der Senat schlösse sich einer solchen Auffassung auch nicht an: Kamen die Einlegung eines Widerspruchs oder die Erhebung einer Klage von vornherein nicht in Betracht, weil der Betreffende - wie hier - noch nicht einmal einen förmlichen Antrag auf die begehrte Leistung gestellt hatte, so kann er im Rahmen des § 839 Abs. 3 BGB letztlich nicht anders behandelt werden, als wenn er die Einlegung eines der genannten Rechtsmittel gegen einen ablehnenden Bescheid unterlassen hat.

Es bestand für den Kläger auch kein hinreichender Grund, von der Stellung eines schriftlichen Antrags auf Umzugskostenvergütung abzusehen. Zur Vermeidung der Rechtsfolgen des § 839 Abs. 3 BGB ist die Einlegung eines Rechtsmittels - entgegen der Ansicht des Klägers - nicht erst dann geboten, wenn die Fehlerhaftigkeit des Behördenhandelns offenkundig ist. Ein hinreichender Grund für die Nichteinlegung eines Rechtsmittels besteht vielmehr nur, wenn aus der Sicht des Verletzten die Fehlerhaftigkeit des Behördenhandelns nicht erkennbar war.

Vgl. BGH, Urteil vom 15.11.1990 - III ZR 302/89 -, NJW 1991, 1168.

Letzteres hängt davon ab, welches Maß an Umsicht und Sorgfalt von Angehörigen des Verkehrskreises verlangt werden muss, dem der Verletzte angehört.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 1.4.2004 - 2 C 26.03 -, IÖD 2005, 2.

Grundsätzlich darf der Bürger auf Erklärungen eines Beamten vertrauen; es kann von ihm in der Regel nicht erwartet werden, dass er klüger ist als der Beamte.

Vgl. BGH, Urteil vom 15.11.1990 - III ZR 302/89 -, a.a.O.

Der Kläger ist jedoch selbst Verwaltungsbeamter des gehobenen Dienstes. Mit dem Ablauf von Verwaltungsverfahren, der Stellung von Anträgen und der Anwendung von Rechtsvorschriften war er generell vertraut. Mit der mündlichen Auskunft, dass er keinen Anspruch auf Umzugskostenvergütung habe, durfte er sich nicht ohne weiteres begnügen. Insbesondere mit Blick auf die ihm bereits erteilte schriftliche Umzugskostenzusage mussten bei ihm Zweifel an der Richtigkeit der Auskunft aufkommen. Solche Zweifel hatte er tatsächlich auch. Dies zeigt sich daran, dass er - von ihm im Nachhinein als Gegenvorstellungen bewertete - Einwände gegen die ihm erteilte Auskunft erhoben hat. Durch die Antwort der Sachbearbeiterin, die Umzugskostenzusage sei "anscheinend" in Unkenntnis des bereits erfolgten Umzugs erteilt worden, konnte für den Kläger - schon wegen der in dieser Auskunft liegenden Einschränkung - keine Klarheit über den von ihm geltend gemachten Anspruch eingetreten sein. Auch der Wortlaut der einschlägigen Vorschriften, mit denen sich der Kläger nach eigenem Bekunden vertraut gemacht hatte, gibt für die Richtigkeit der ihm erteilten Auskunft nichts her; das Gegenteil ist der Fall (vgl. § 1 Abs. 1 i.V.m. § 4 Abs. 3 BUKG). Bei - unterstellt - fortbestehendem Rechtsverfolgungswillen hätte sich der Kläger daher veranlasst sehen müssen, eine verbindliche rechtliche Klärung herbeizuführen. Dabei musste ihm klar sein, dass eine solche Klärung nur durch Stellung eines förmlichen Antrags zu erreichen war. Die Stellung eines solches förmlichen Antrags wäre für ihn nur mit geringfügigem Aufwand verbunden gewesen. Das dafür erforderliche Formular hätte er ggf. mit dem nötigen Nachdruck bei seiner Behörde erbitten, ansonsten den Antrag formlos stellen können. Kosten wären mit einer Antragstellung nicht verbunden gewesen. Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, dass ein solcher Antrag voraussichtlich ohnehin abgelehnt worden wäre. In einem solchen Fall hätte er von den einschlägigen Rechtsbehelfen Gebrauch machen können.

Vgl. hierzu OVG NRW, Urteil vom 28.5.2003 - 1 A 3128/00 -, a.a.O.

Ende der Entscheidung

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