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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 04.08.2004
Aktenzeichen: 6 A 1317/04
Rechtsgebiete: AZVO, 15. ÄnderungsVO


Vorschriften:

AZVO § 2 a
15. ÄnderungsVO Art. I
15. ÄnderungsVO Art. V
Die rückwirkende Streichung des § 2 a AZVO durch Art. I und V der 15. ÄnderungsVO vom 18.2.2003, GV. NRW. S. 74, ist mit höherrangigem Recht vereinbar, soweit Beamte betroffen sind, denen der Arbeitszeitverkürzungstag 2003 im Hinblick auf den bevorstehenden Wegfall des § 2 a AZVO gemäß ministeriellem Runderlass vom 14.1.2003 nicht mehr bewilligt worden ist und die die Dienstbefreiung demzufolge nicht in Anspruch genommen haben.
Tatbestand:

Der Kläger, Beamter des beklagten Landes, beantragte am 21.1.2003, ihn nach § 2a AZVO am 24.1.2003 vom Dienst freizustellen. Dies lehnte der Dienstherr gemäß einem ministeriellem Runderlass vom 14.1.2003 ab, mit welchem auf die bevorstehende Streichung des § 2a AZVO sowie darauf hingewiesen wurde, dass hierbei die Rechtslage für die Beamten mit rückwirkender Kraft derjenigen für die nicht beamteten Bediensteten angepasst werden solle. Die vom Kläger erhobene Klage, mit der er eine Verpflichtung des Dienstherrn zur Gewährung der beantragten Dienstbefreiung verfolgte, hatte vor dem VG Erfolg. Auf die (zugelassene) Berufung des beklagten Landes wurde das Urteil des VG geändert und die Klage als unbegründet abgewiesen.

Gründe:

Seit dem 14.1.2003 gab es für Beamte keine Arbeitszeitverkürzung durch einen dienstfreien Tag mehr. § 2a AZVO in der Fassung der 14. Änderungsverordnung vom 25.1.2000, GV. NRW. S. 26, enthielt in Abs. 1 Satz 1 folgende Regelung:

"Der Beamte wird im Kalenderjahr an einem Arbeitstag - sofern er Schichtdienst leistet, für eine Dienstschicht - vom Dienst freigestellt".

Durch Art. I i.V.m. Art. V der 15. Änderungsverordnung vom 18.2.2003, GV. NRW. S. 74, ist diese Regelung mit Wirkung vom 14.1.2003 gestrichen worden. Zugleich bestimmt Art. IV der Änderungsverordnung, dass "Arbeitstage, die ab dem 14. Januar 2003 als Arbeitszeitverkürzungstage in Anspruch genommen worden sind", in Erholungsurlaubstage umgewandelt werden. Wahlweise ist, soweit die jeweiligen Arbeitszeitregelungen es zulassen, eine Umwandlung in Freizeitausgleich möglich.

Der Wegfall des AZV-Tags ist vom Verordnungsgeber rückwirkend bestimmt worden. Diese Rückwirkung ist maßgebend dafür, dass der Kläger den Anspruch auf Gewährung eines arbeitsfreien Tags im Kalenderjahr 2003 verloren hat. Diese Regelung begegnet bezogen auf den hier zu entscheidenden Fall keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Es handelt sich bei ihrer Anwendung auf den vorliegenden Sachverhalt um eine sogenannte unechte Rückwirkung, die hier als zulässig zu bewerten ist.

Eine unechte Rückwirkung ist grundsätzlich zulässig. Sie liegt vor, wenn eine Norm (hier die am 7.3.2003 veröffentlichte Änderungsverordnung vom 18.2. 2003) auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet. Eine echte Rückwirkung ist dagegen verfassungsrechtlich grundsätzlich unzulässig. Sie liegt vor, wenn ein Gesetz nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift.

Vgl. BVerfG, ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschluss vom 15.10.1996 - 1 BvL 44, 48/92 -, BVerfGE 95, 64 (86), m.w.N.

Daran gemessen beinhaltet die Regelung des Art. I i.V.m. Art. V der Änderungsverordnung vom 18.2.2003 für den Kläger lediglich eine unechte Rückwirkung. Eine derartige Rückwirkung betrifft nicht den zeitlichen, sondern den sachlichen Anwendungsbereich einer Norm. Deren Rechtsfolgen treten erst nach Verkündung der Norm ein; ihr Tatbestand erfasst aber Sachverhalte, die bereits vor Verkündung "ins Werk gesetzt sind" und als solche noch nicht abgeschlossen sind.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 3.12.1997 - 2 BvR 882/97 -, BVerfGE 97, 67 (79).

Der Kläger ist in dieser Weise betroffen: Der Anspruch auf Dienstbefreiung nach § 2a AZVO a.F. bezog sich auf das Kalenderjahr 2003, nicht etwa lediglich auf die Zeit bis zum 7.3.2003, dem Tag der Veröffentlichung der Änderungsverordnung. Dem Kläger war der beantragte AZV-Tag nicht genehmigt worden; dementsprechend hatte er ihn auch nicht in Anspruch genommen.

Vgl. zu in diesem Punkt andersartigen Fallgestaltungen OVG NRW, Urteile vom 4.8.2004 - 6 A 304/04 - und - 6 A 619/04 -.

Auch war der Dienstherr nicht verpflichtet, die Dienstbefreiung an dem vom Kläger gewünschten Tag zu gewähren. Das beklagte Land verweist in diesem Zusammenhang zutreffend auf das - durch § 2a AZVO a.F. nicht eingeschränkte -organisatorische Ermessen des Dienstherrn. Hiernach war der Dienstherr bei dienstlichen Hinderungsgründen schon im Allgemeinen nicht verpflichtet, den AZV-Tag gerade an dem Tag zu bewilligen, den der betreffende Beamte hierfür in Aussicht genommen hatte. Hier kommt als Besonderheit hinzu, dass, nachdem durch den ministeriellen Runderlass vom 14.1.2003 der künftige Wegfall des § 2a AZVO bekannt geworden war, vermutlich ein "Ansturm" auf den AZV-Tag eingesetzt hätte. Der Dienstbetrieb hätte dabei beeinträchtigt werden können, wenn innerhalb einer kurz gedrängten Zeitspanne viele Beamten den AZV-Tag beantragt und in Anspruch genommen hätten. Wenn zur Vermeidung dessen der AZV-Tag nur einem Teil der antragstellenden Beamten bewilligt worden wäre, hätte dies Spannungen hervorrufen können. Solche und ähnliche Probleme durfte der Dienstherr im Rahmen seines organisatorischen Ermessens schon im Ansatz verhindern. Dem Erlass vom 14.1.2003 kam insoweit eine ermessenssteuernde Bedeutung zu, gegen die rechtlich nichts einzuwenden ist.

Demnach bestand kein Anspruch auf Bewilligung des AZV-Tags gerade für den 24.1.2003. Es kann deshalb dahinstehen, ob anderenfalls eine für den Kläger günstigere Beurteilung der Rückwirkungsproblematik möglich wäre. Jedenfalls in der hier vorliegenden Fallkonstellation griff die Änderungsverordnung vom 18.1. 2003 in einen noch nicht abgeschlossenen Lebenssachverhalt ein.

Diese unechte Rückwirkung verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Insoweit ist maßgeblich, ob eine verfassungsrechtlich einwandfreie Abwägung zwischen den öffentlichen Interessen und den betroffenen privaten Interessen stattgefunden hat und ob die darauf gestützte Entscheidung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügt.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.3.1998 - 1 BvL 6/92 - BVerfGE 97, 378 (389).

Das ist hier zu bejahen. Die vom Verordnungsgeber getroffene Abwägung zwischen dem Interesse der Beamten, die Dienstbefreiung für das Kalenderjahr 2003 noch zu erhalten, und dem öffentlichen Interesse daran, eine zeitnahe Gleichbehandlung mit den nicht beamteten Bediensteten - für die der AZV-Tag mit Wirkung vom 1.1.2003 entfallen war - zu erreichen, ist nicht zu beanstanden. Die seitens des Beklagten hierzu vorgetragene Erwägung, nach Vorliegen des Ergebnisses der Tarifrunde 2002/03 habe die zeitliche Gleichstellung möglichst rasch erreicht werden sollen, um Unfrieden in den Behörden zu vermeiden, beschreibt ein gewichtiges, für die Allgemeinheit bedeutsames Anliegen, dessen Sachgerechtheit nicht in Frage steht. Dass für die Rückwirkung der Regelung der 14.1.2003 gewählt wurde, trägt den gegeneinander abzuwägenden Interessen angemessen Rechnung. Seit Bekanntgabe des erwähnten ministeriellen Runderlasses an eben diesem Tag mit der Information über die bevorstehende Streichung des § 2a AZVO im Anschluss an das Ergebnis der Tarifrunde 2002/03 konnten die Beamten sich hierauf einstellen. Bei denjenigen Beamten, die den AZV-Tag vorher beantragt und in Anspruch genommen hatten, verblieb es demgegenüber bei der früheren Rechtslage.

Auch unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit ist gegen die Entscheidung des Verordnungsgebers nichts einzuwenden. Es ging nicht um einen gravierenden Eingriff in die Arbeitszeitregelung für Beamte. Die Erwägung des Verordnungsgebers, der Wegfall einer Befreiung vom Dienst an einem Arbeitstag im Kalenderjahr bedeute für die Betroffenen keine Belastung, die sie in ihren Dispositionen erheblich beeinträchtigen könne, ist zutreffend. Zur Erreichung des mit der rückwirkenden Streichung des § 2a AZVO verfolgten Zwecks einer möglichst weitgehenden Angleichung an die für die nicht beamteten Bediensteten geltende Regelung war diese Belastung geeignet und, da ohne Alternative, auch erforderlich.

Ende der Entscheidung

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