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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 13.12.2007
Aktenzeichen: 6 A 1414/05
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

1. Eine dienstliche Beurteilung beruht auf einer unvollständigen Tatsachen- und Bewertungsgrundlage, wenn der Erstbeurteiler fremdsprachige Beurteilungsbeiträge aufgrund unzureichender Sprachkenntisse nicht vollständig erfasst hat.

2. Erhebt der Beamte den substantiierten Einwand, dass Beurteilungsbeiträge in seiner dienstlichen Beurteilung nicht angemessen berücksichtigt worden seien, ist der Dienstherr zu einer der weiteren Plausibilisierung dienenden Stellungnahme verpflichtet.


Tatbestand:

Der Kläger, Polizeivollzugsbeamter im Dienst des beklagten Landes, wurde in den Jahren 1997 und 1998/99 jeweils für mehrere Monate zum multinationalen Polizeikontingent der UN nach Bosnien-Herzegowina entsandt. Die dabei gezeigten Leistungen wurden in drei Stellungnahmen gewürdigt, die zur Personalakte des Klägers genommen wurden. Zwei dieser Stellungnahmen waren in englischer Sprache verfasst. Gegen die ihm für den Zeitraum vom 1.1.1997 bis zum 31.12.1999 erteilte dienstliche Beurteilung legte der Kläger Widerspruch ein. Zur Begründung machte er unter anderem geltend, es sei nicht zu erkennen, dass seine Auslandseinsätze angemessen berücksichtigt worden seien. Es fehle schon an einer Übersetzung der englischsprachigen Dokumente. Ausweislich der Stellungnahmen habe er sich bei seinen Auslandseinsätzen außerordentlich bewährt. Die nach Zurückweisung seines Widerspruchs erhobene Klage hatte in zweiter Instanz Erfolg.

Gründe:

Die dem angefochtenen verwaltungsgerichtlichen Urteil zu Grunde liegende Klage ist als allgemeine Leistungsklage zulässig und begründet. Die angegriffene dienstliche Beurteilung vom 5.11.2001 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er hat einen Anspruch auf eine erneute, rechtsfehlerfreie Beurteilung für den Beurteilungszeitraum vom 1.1.1997 bis zum 31.12.1999.

Dienstliche Beurteilungen sind nach ständiger Rechtsprechung verwaltungsgerichtlich nur beschränkt überprüfbar. Die Rechtmäßigkeitskontrolle hat sich darauf zu beschränken, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat, oder ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat. Hat der Dienstherr - wie hier - Richtlinien für die Erstellung dienstlicher Beurteilungen erlassen, sind die Beurteiler an diese Richtlinien hinsichtlich des anzuwendenden Verfahrens und der einzuhaltenden Maßstäbe gebunden (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerwG, Urteil vom 19.12.2002 - 2 C 31.01 -, NVwZ 2003, 1398; OVG NRW, Urteil vom 7.6.2005 - 6 A 3355/03 -, DÖD 2006, 161).

Nach diesen Maßstäben ist die dienstliche Beurteilung des Klägers rechtswidrig. Sie verstößt gegen die Gebote der Plausibilität und Widerspruchsfreiheit. Die das Gesamturteil tragende Bewertung der Hauptmerkmale "Leistungsverhalten" und "Leistungsergebnis" steht in einem unlösbaren Widerspruch zu den Bewertungen der jeweils nachgeordneten Submerkmale.

Das allgemein anerkannte Gebot der Plausibilität dienstlicher Beurteilungen verlangt zwar nicht, dass die Bewertung der Hauptmerkmale und das Gesamturteil als zwingend folgerichtiges Produkt der Benotungen ihnen nachgeordneter Einzelkriterien erscheint. In die höchstpersönliche Einschätzung des Beurteilers können auch Überlegungen einfließen, die bei den Einzelbewertungen nicht vollständig zum Ausdruck gelangen. Insbesondere kann der Beurteiler den einzelnen Merkmalen unterschiedliche Bedeutung für die sie zusammenfassende Bewertung zumessen. Nr. 6.3 der Beurteilungsrichtlinien im Bereich der Polizei des Landes NRW (RdErl. des Innenministeriums NRW vom 25.1.1996 - IV B 1 3034 H -, MBl. NRW. S. 278, geändert durch RdErl. des Ministeriums für Inneres und Justiz vom 19.1.1999, MBl. NRW. S. 96 (BRL Pol)) trägt diesem Grundsatz Rechnung, indem vorgegeben wird, dass die Festsetzung der für die Hauptmerkmale zu vergebenden Punktzahl auf der Bewertung der Submerkmale unter Würdigung ihrer Gewichtung beruht. Es wird weiter hervorgehoben, dass aufgrund der unterschiedlichen Gewichtung der Submerkmale die Bildung eines Punktwertes als arithmetisches Mittel aus den Bewertungen der einzelnen Submerkmale nicht gewollt sei. Eine vergleichbare Regelung trifft Nr. 8.1 BRL Pol für die Bildung des Gesamturteils. Wenn jedoch der Umstand, dass den einzelnen Merkmalen aufgrund ihrer unterschiedlichen Gewichtung nicht zwingend die gleiche Bedeutung zukommt, eine Diskrepanz zwischen Einzelmerkmalen und den ihnen übergeordneten Gesamtbewertungen nicht mehr erklären kann, leidet die dienstliche Beurteilung an einem unlösbaren Widerspruch und ist nicht plausibel (vgl. OVG NRW, Urteile vom 29.8.2001 - 6 A 2967/00 -, DÖD 2001, 310, m. w. N., und vom 23.6.2006 - 6 A 1216/04 -, sowie Beschluss vom 28.6.2006 - 6 B 618/06 -, NWVBl 2007, 119).

Die dienstliche Beurteilung des Klägers leidet an einem solchen Plausibilitätsmangel. (wird ausgeführt)

Die dienstliche Beurteilung leidet darüber hinaus an einem weiteren Mangel. Sie beruht auf einer unvollständigen Tatsachen- und Bewertungsgrundlage, weil der Erstbeurteiler die "UN CONFIDENTIAL REPORTS" (im Folgenden: UN-Beurteilungsbeiträge) nicht vollständig zur Kenntnis genommen hat.

Selbst wenn dem Erstbeurteiler - was zweifelhaft ist - anlässlich der Erstellung der streitgegenständlichen Fassung der dienstlichen Beurteilung beide UN-Beurteilungsbeiträge vorgelegen haben sollten, muss angenommen werden, dass sie in seiner Entscheidungsfindung keinen hinreichenden Niederschlag gefunden haben können. Denn dem Erstbeurteiler war es aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse nicht möglich, die englischen Textpassagen der UN-Beurteilungsbeiträge vollständig zu erfassen. Das ergibt sich aus seiner per E-Mail vom 8.12.2007 abgegebenen Erklärung, in der es heißt, er habe sich vergeblich um eine Übersetzung des fremdsprachigen Beurteilungsbeitrags beziehungsweise dessen Einstufung in das hiesige Bewertungssystem bemüht. Er habe den Beurteilungsbeitrag zwar lesen können, sei aber - weil er sehr spezifische Begriffe beinhaltet habe - gezwungen gewesen, das Gelesene nach seiner persönlichen Einschätzung einzustufen beziehungsweise zu bewerten. Danach habe er den Beurteilungsbeitrag als erheblich überdurchschnittlich gesehen.

Die dienstliche Beurteilung hat sämtliche Leistungs-, Eignungs- und Befähigungsnachweise zu erfassen, die der Beurteilte während des gesamten Beurteilungszeitraums erbracht hat. War der Erstbeurteiler nicht in der Lage, sich während des gesamten Beurteilungszeitraums ein eigenes Bild von den zur Beurteilung anstehenden Merkmalen zu verschaffen, weil der zu Beurteilende zeitweise außerhalb seines Verantwortungsbereichs tätig war, ist er auf Beurteilungsbeiträge Dritter als Erkenntnisquelle angewiesen. In den Beurteilungsrichtlinien im Bereich der Polizei des Landes NRW ist zwar nicht ausdrücklich geregelt, wie zu verfahren ist, wenn der zu Beurteilende im Beurteilungszeitraum Aufgaben im Ausland wahrgenommen hat. Erfolgt ein Auslandseinsatz allerdings - wie hier - im Wege einer mindestens sechsmonatigen Abordnung, ergibt sich unmittelbar aus Nr. 3.6 BRL Pol, dass auf die Einholung eines Beurteilungsbeitrags nicht verzichtet werden kann und dieser "bei der nächsten Beurteilung zu berücksichtigen" ist. Das gilt ungeachtet dessen, dass die weiteren, die Gestaltung der Beurteilungsbeiträge und das Verfahren betreffenden Regelungen der Nr. 3.6 BRL Pol nicht auf den hier vorliegenden Fall der Erteilung eines ausländischen Beurteilungsbeitrages zugeschnitten sind.

Liegen Beurteilungsbeiträge vor, muss der Beurteiler unabhängig von einer entsprechenden Regelung in Beurteilungsrichtlinien nach allgemeinen Maßstäben die Einschätzungen, die ihm die Verfasser dienstlicher Stellungnahmen über Leistung, Befähigung und Eignung des zu Beurteilenden in einzelnen Teilzeiträumen des Beurteilungszeitraumes vermitteln, würdigen und sie zu dem von ihm selbst aufgrund eigener Anschauung gewonnenen Bild in Beziehung setzen (vgl. OVG NRW, Urteil vom 29.8.2001 - 6 A 3374/00 -, DÖD 2001, 309).

Als Grundlage für die danach vorzunehmende Würdigung ist es aber unabdingbar, dass der Beurteiler den Inhalt des Beurteilungsbeitrages vollständig zur Kenntnis nimmt (vgl. BVerwG, Urteil vom 5.11.1998 - 2 A 3/97 -, BVerwGE 107, 360). Daran fehlt es hier, weil sich dem Erstbeurteiler der Inhalt der englischsprachigen Textpassagen nicht vollends erschlossen hat.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dieser Mangel im weiteren Beurteilungsverfahren geheilt worden ist. Ungeachtet der Frage, an welche Voraussetzungen eine Heilung im Einzelnen gebunden wäre, ist schon nicht ersichtlich, dass die UN-Beurteilungsbeiträge im weiteren Beurteilungsverfahren, etwa in der Beurteilerbesprechung am 17.10.2001, überhaupt Gegenstand der Erörterung gewesen sind. Einer Heilung im Widerspruchsverfahren steht entgegen, dass in die Entscheidungsfindung der Widerspruchsbehörde jedenfalls der UN-Beurteilungsbeitrag vom 2.7.2007 nicht eingeflossen ist.

Der aufgezeigte Beurteilungsmangel ist auch nicht deshalb unbeachtlich, weil der Erstbeurteiler die während der Auslandseinsätze gezeigten Leistungen des Klägers mit Blick auf die Einstufung der in den UN-Beurteilungsbeiträgen ausgewiesenen Noten als "erheblich überdurchschnittlich" bzw. "Spitzenprädikate" mit 4 Punkten bewertet hat. Denn es ist nicht auszuschließen, dass die Beurteilung des Klägers, hätte der Erstbeurteiler die Textpassagen einer inhaltlichen Würdigung unterzogen, besser ausgefallen wäre, als es der Fall war. Weder kann ausgeschlossen werden, dass der Erstbeurteiler einzelne Submerkmale oder sogar Hauptmerkmale besser bewertet hätte, noch, dass sich diese bessere Bewertung im Rahmen der Endbeurteilung niedergeschlagen hätte. Den fraglichen englischsprachigen Passagen kann insbesondere nicht von vornherein jede Bedeutung für die Beurteilung des Klägers abgesprochen werden. In beiden UN-Beurteilungsbeiträgen finden sich etwa Aussagen zu dem während der Auslandseinsätze gezeigten Leistungs- und sozialen Verhalten des Klägers.

Ende der Entscheidung

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