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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 02.10.2003
Aktenzeichen: 6 A 2089/02
Rechtsgebiete: LBG NRW, VwGO


Vorschriften:

LBG NRW § 78 c
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
VwGO § 124 a Abs. 4 Satz 4
Zur verfassungskonformen Auslegung des § 78 c LBG NRW (Einstellungsteilzeit).

§ 78 c LBG NRW ermöglicht die Einstellung eines Beamten im Teilzeitbeschäftigungsverhältnis nur mit dessen Einverständnis (im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 6.7.1989 - 2 C 52.87 -, Urteil vom 2.3.2000 - 2 C 1.99 -, Beschluss vom 18.6.2002 - 2 B 17.02 -).


Tatbestand:

Das VG verpflichtete den Beklagten, der Klägerin die Bruttogehaltsdifferenz zwischen den ihr gezahlten Teilzeitbezügen in Höhe von 75 % und den vollen Bezügen der Besoldungsgruppe A 12 BBesO rückwirkend seit ihrer Einstellung am 24.2.2000 nebst näher bestimmter Zinsen zu zahlen und sie versorgungsrechtlich so zu stellen, als wäre sie seither vollzeitbeschäftigt worden. Zur Begründung führte das VG im Wesentlichen aus: Die Klägerin sei gegen ihren Willen als Lehrerin nur im Umfang von 75 % der regulären Pflichtstundenzahl anlässlich ihrer Einstellung als Beamtin auf Probe beschäftigt worden. Die vom Beklagten der Klägerin aufgezwungene Teilzeitbeschäftigung sei rechtswidrig. Das ergebe sich aus dem Urteil des BVerwG vom 2.3.2000 - 2 C 1.99 - (BVerwGE 110, 363 ff) betreffend die so genannte Einstellungsteilzeit nach der dem nordrhein-westfälischen Recht entsprechenden Bestimmung im hessischen Beamtengesetz.

Der Antrag des beklagten Landes auf Zulassung der Berufung blieb erfolglos.

Gründe:

Die Rügen des beklagten Landes greifen nicht durch. Die gerichtliche Prüfung im Zulassungsverfahren richtet sich an den in dem Antrag auf Zulassung der Berufung angesprochenen Gesichtspunkten aus.

Die Darlegungen begründen keinen ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind solche, die erwarten lassen, dass die Berufung im Falle ihrer Zulassung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Erfolg hätte.

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, weil der Senat ebenso wie das VG der ständigen Rechtsprechung des BVerwG zur Rechtswidrigkeit der sogenannten Zwangsteilzeit folgt: Bereits in seinem Urteil vom 6.7.1989 - 2 C 52.87 - hat das BVerwG ausgeführt, dass die Einstellung eines Beamten in einem Teilzeitbeschäftigungsverhältnis nur dann verfassungsgemäß ist, wenn sie aus der Sicht des Beamten freiwillig erfolgt. Eine Teilzeitbeschäftigung von Beamten gegen ihren auf volle Beschäftigung gerichteten Willen greife unvertretbar in die gemäß Art. 33 Abs. 5 GG geltenden Grundsätze der hauptberuflichen vollen Dienstleistungspflicht der Beamten und der Vollalimentation ein.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 6.7.1989 - 2 C 52.87 -, BVerwGE 82, 196, 203.

Hieran hat das BVerwG in seinem Urteil vom 2.3.2000 - 2 C 1.99 -, BVerwGE 110, 363 - 370, festgehalten. Das VG hat diese Entscheidung im angefochtenen Urteil mit seinen wesentlichen Aussagen zitiert.

Gemessen an den Rechtsausführungen des BVerwG ist der Auffassung des Beklagten, die zwangsweise Einstellung in Teilzeitbeschäftigung nach § 78 c LBG lasse das grundgesetzlich garantierte Vollzeitbeamtenverhältnis und die Vollalimentation strukturell bestehen, bereits im Ansatz nicht zu folgen. Dass die Entscheidung des BVerwG sich zur Regelung der Einstellungsteilzeit im hessischen Landesbeamtengesetz verhält, führt zu keiner anderen Bewertung. Maßgeblich ist, dass die Einstellung eines Beamten in einem Teilzeitbeschäftigungsverhältnis nur mit seinem Einverständnis erfolgen darf; eine Regelung, wonach hiervon für einen längeren Beschäftigungszeitraum abgewichen werden soll, ist nicht zu rechtfertigen. Davon ist im Übrigen auch der Bundesgesetzgeber anlässlich der Beratungen über den Entwurf eines Gesetzes zur Reform des öffentlichen Dienstrechts im Jahre 1996 ausgegangen. Dem damaligen Anliegen des Bundesrates, den Ländern als Dienstherren rahmenrechtlich "verbindlich Teilzeitbeamtenverhältnisse" bei der Einstellung zu ermöglichen (vgl. BT-Drs. 13/3994, Anlage 2, S. 55, 56), wollte die Bundesregierung nicht folgen. Sie hat die rahmenrechtliche Einführung einer Zwangsteilzeit abgelehnt und diese als mit der Verfassung - insbesondere Art. 33 Abs. 5 GG - nicht vereinbar angesehen (vgl. BT-Drs. 13/3994, Anlage 3, S. 79).

Hinzu kommt, dass das BVerwG seine Rechtsauffassung zwischenzeitlich erneut durch Beschluss vom 18.6.2002 - 2 B 17.02 - bekräftigt hat. Die Entscheidung - welcher der Senat folgt - verhält sich über die niedersächsische Vorschrift zur Einstellungsteilzeit, die der nordrhein-westfälischen Regelung ähnlich ist. Insbesondere sieht auch die niedersächsische Vorschrift eine zeitliche Begrenzung der Einstellungsteilzeit vor. In dieser Befristung hat das BVerwG keinen Grund für eine Rechtfertigung einer erzwungenen Teilzeitbeschäftigung gesehen.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 18.6.2002 - 2 B 17.02 -, Dokumentarische Berichte 2002, 309, 310.

Ausdrücklich hat das BVerwG in der zuvor zitierten Entscheidung auch seine bereits im Urteil vom 2.3.2000 - 2 C 1.99 - (BVerwGE 110, 363 - 370) vertretene Rechtsauffassung bekräftigt, dass bei der Auslegung der landesrechtlichen Vorschrift zur Einstellungsteilzeit der Wille des Gesetzgebers nur insoweit bedeutsam sei, als er auch im Gesetzestext selbst Niederschlag gefunden habe. Der Senat teilt diese Auffassung. Bezogen auf § 78 c LBG folgt daraus, dass auch für das nordrhein-westfälische Landesrecht eine verfassungsgemäße Auslegung, wonach eine Teilzeiteinstellung nur mit Zustimmung des Beamten ermöglicht wird, zulässig und geboten erscheint. Der Gesetzestext zwingt nicht, von einer Ermächtigung zur Teilzeiteinstellung gegen den Willen des Beamten auszugehen. Vor diesem Hintergrund sind die Ausführungen des Beklagten im Zulassungsantrag, die vom VG vorgenommene Auslegung widerspreche dem Willen des Gesetzgebers, nicht entscheidungserheblich.

Soweit der Beklagte anführt, die vom BVerwG genannten Erfordernisse aus Art. 33 Abs. 5 GG müssten mit dem Sozialstaatsprinzip und dem Gebot der Förderung der Schule nach Art. 8 Abs. 3 Satz 1 LVerf in "praktische Konkordanz" gebracht werden, genügen seine Ausführungen schon nicht dem Darlegungserfordernis im Sinne von § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Es fehlt an einer konkreten Darstellung, welchen Umfang der Bewerberüberhang in den Einstellungsjahren hatte, in denen Beamte zwangsweise in Teilzeit eingestellt wurden. Auch wird nicht ansatzweise beschrieben, welche (veränderungsbedürftige) Altersstruktur in der Lehrerschaft vorhanden war. Ebensowenig wird vom Beklagten die Behauptung plausibilisiert, eine "stetige personelle Erneuerung" sei erforderlich, um einer Überalterung des Personals und dem damit verbundenen Risiko einer Abkoppelung von neueren Entwicklungen in der Lebensumwelt der Schüler und in der Berufswelt vorzubeugen. Allein anhand der allgemeinen Ausführungen zum Bewerberüberhang und zur Altersstruktur lässt sich nicht nachvollziehen, dass etwa ein besonderes und dringendes Bedürfnis zum Abbau des Bewerberüberhanges und zur Veränderung der Altersstruktur bestanden haben soll.

Im Übrigen greifen die Rügen aber auch in der Sache nicht durch: Das Prinzip der "praktischen Konkordanz" bedeutet, dass verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter nicht isoliert zur Geltung gebracht werden; vielmehr sollen sie einander so zugeordnet werden, dass jedes von ihnen verwirklicht werden kann.

Vgl. Lerche, in: Isensee/Kirchhoff, Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 122 Rdnr. 6.

Spannungsverhältnisse zwischen einem Grundrecht und einem grundrechtsbegrenzenden Verfassungsrechtsgut gebieten eine Abwägung mit dem Ziel des "schonendsten Ausgleichs" unter Berücksichtigung des Übermaßverbots.

Vgl. Stern, in: Isensee/Kirchhoff, Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 109 Rdnr. 82.

Daraus folgt aber nicht, dass immer ein Kompromiss im Sinne einer gleichmäßigen Einschränkung von jeweils widerstreitenden Verfassungsprinzipien vorzunehmen ist. Vielmehr ist bei der Abwägung auch Art und Gewicht der betroffenen Rechtsgüter zu beachten. Vorliegend mögen dabei das Gebot der Schulförderung und das Sozialstaatsprinzip als allgemeines Verfassungsgebot bzw. als Staatszielbestimmung mit dem grundrechtsähnlichen Individualrecht der Beamten auf Vollzeitbeschäftigung und Vollalimentation konkurrieren. Staatszielbestimmungen oder allgemeine Verfassungsgebote dürfen aber weder der Gesetzgeber noch die Exekutive unverhältnismäßig auf Kosten eindeutig geregelter Grundrechte, grundrechtsähnlicher Individualrechte und Verfassungsprinzipien verwirklichen.

Vgl. dazu noch restriktiver: Nds. OVG, Urteil vom 13.12.2001 - 5 LB 2723/01 -; IÖD 2002, 110, 112 (m.w.N.).

Gemessen daran kann das Prinzip der "praktischen Konkordanz" die durch eine zwangsweise Teilzeitbeschäftigung erfolgende Beschränkung grundrechtsähnlicher Individualrechte der Beamten nicht rechtfertigen. Die vom Beklagten für erforderlich gehaltene zwangsweise Teilzeitbeschäftigung von Beamten stellt keinesfalls den "schonendsten Ausgleich" zwischen widerstreitenden Verfassungsgütern dar. Der Abbau eines Bewerberüberhangs und die Änderung der Altersstruktur in der Lehrerschaft ist ebensogut durch Teilzeiteinstellungen von Lehrern im Angestelltenverhältnis zu verwirklichen.

Die Darlegungen des Beklagten zeigen keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache auf (wird ausgeführt).

Ende der Entscheidung

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