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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 30.01.2007
Aktenzeichen: 6 A 2316/05
Rechtsgebiete: LBG NRW, VwZG, VwGO


Vorschriften:

LBG NRW § 36 Satz 3
VwZG § 9
VwGO § 124
Das Recht eines Beamten, sich auf die aus der fehlenden Nachweisbarkeit des Zugangs folgende Unwirksamkeit einer Entlassungsverfügung zu berufen, kann verwirkt sein, wenn der Beamte Kenntnis von der Entlassung hatte und die damit verbundene Beendigung des Beamtenverhältnisses von allen Beteiligten übereinstimmend über mehrere Jahre faktisch vollzogen wird.
Tatbestand:

Die Beteiligten stritten über die Wirksamkeit einer Entlassungsverfügung. Der Kläger war als Polizeibeamter im Dienst des beklagten Landes tätig. Mit Schreiben vom 6.5.2001 "kündigte" er das Dienstverhältnis zum 31.8.2001. Das Polizeipräsidium L. fertigte daraufhin unter dem 14.5.2001 eine Entlassungsverfügung mit Wirkung vom 31.8.2001 an. Im Juli und August 2001 nahm der Kläger seinen verbliebenen Erholungsurlaub und blieb ab dem 1.9.2001 vom Dienst fern. Seine dienstlichen Ausrüstungsgegenstände hatte er bereits am 13.8.2001 zurückgegeben. Versehentlich überzahlte Bezüge erstattete er in der Folgezeit unter Bezugnahme auf die Beendigung des Dienstverhältnisses zurück. Ende des Jahres 2003 beantragte der Kläger seine Abordnung zum Polizeipräsidium G. Im weiteren Schriftwechsel berief er sich darauf, dass er weder eine Entlassungsverfügung noch eine Entlassungsurkunde erhalten habe und daher noch im Dienst des beklagten Landes stehe. Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage, mit der der Kläger seine Abordnung zum Polizeipräsidium G. sowie die Feststellung des Fortbestehens des Beamtenverhältnisses begehrte, lehnte das VG ab. Der Antrag auf Zulassung der Berufung blieb ohne Erfolg.

Gründe:

Im Ergebnis bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (Zulassungsgrund gem. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Nach Auffassung des VG bleibt sowohl dem Antrag auf Abordnung zum Polizeipräsidium G. als auch dem Antrag auf Feststellung des Fortbestehens des Beamtenverhältnisses nach dem 1.9.2001 der Erfolg versagt, weil das Beamtenverhältnis des Klägers im Dienst des beklagten Landes mit der Entlassungsverfügung des Polizeipräsidiums L. vom 14.5.2001 auf eigenen Wunsch mit Ablauf des 31.8.2001 beendet worden sei. Der fehlende Nachweis über die nach § 36 Satz 3 LBG NRW erforderliche Zustellung der Entlassungsverfügung stehe deren Wirksamkeit nicht entgegen, weil dieser Zustellungsmangel nach § 9 VwZG geheilt worden sei. Aus den gesamten Umständen des Falles ergebe sich, dass der Kläger die Entlassungsverfügung nachweislich erhalten habe.

Diese Begründung trägt die Entscheidung des VG nicht. Der Kläger bezweifelt zu Recht, dass allein aufgrund seines im Zusammenhang mit der Entlassung gezeigten Verhaltens - Fernbleiben vom Dienst, Bezugnahme auf die "Beendigung" des Dienstverhältnisses durch den damaligen Bevollmächtigten, Schriftverkehr mit dem LBV im Zusammenhang mit der Rückzahlung zuviel gezahlter Bezüge - der erforderliche Nachweis über den Zugang beziehungsweise den tatsächlichen Erhalt der Entlassungsverfügung erbracht ist. Die genannten Hilfstatsachen zeigen zwar, dass der Kläger von der Beendigung des Beamtenverhältnisses ausgegangen ist. Den Schluss, dass er die Entlassungsverfügung tatsächlich erhalten hat, lassen sie aber nicht mit der notwendigen Sicherheit zu.

Gleichwohl ist das Vorliegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung zu verneinen, da sich die angefochtene Entscheidung aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig erweist.

Vgl. dazu auch Seibert, in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, Großkommentar, § 124 VwGO Rdnr. 101, m.w.N. aus der Rechtsprechung.

Der Kläger steht in keinem Dienstverhältnis des beklagten Landes. Seinem Vorbringen, die Entlassungsverfügung vom 14.5.2001 sei mangels Zugangs nicht wirksam geworden, so dass vom Fortbestehen des Beamtenverhältnisses auszugehen sei, steht der Einwand der Verwirkung entgegen. Die Entlassungsverfügung ist infolgedessen als wirksam zu behandeln.

Der Rechtsgedanke der Verwirkung als Unterfall des Grundsatzes von Treu und Glauben findet auch im Beamtenrecht Anwendung. Das gilt auch, wenn - wie hier - mit dem Fortbestehen des Beamtenverhältnisses statusrechtliche Fragen betroffen sind, denn die Qualität des Rechts, gegen welches Verwirkung eingewandt wird, spielt keine Rolle. Aufgrund der gegenseitigen Verbundenheit zwischen dem Beamten und dem Dienstherrn, kann der Dienstherr gerade auch im Beamtenverhältnis erwarten, dass der Beamte seine Rechte nicht über Gebühr verspätet geltend macht.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 24.2.1958 - 6 C 234.57 -, BVerwGE 6, 204 (206), und vom 29. 8. 1996 - 2 C 23.95 -, BVerwGE 102, 33 (36), sowie insbesondere Beschluss vom 4.12.1998 - 2 B 152.97 -, Buchholz 232 § 31 BBG Nr. 59, zur Zulässigkeit des Einwandes der Verwirkung gegenüber der Berufung eines Beamten auf die Nichtigkeit der statusrelevanten Entlassungsverfügung.

Voraussetzung für die Geltendmachung der Verwirkung ist ein bestimmtes Verhalten des Berechtigten, das geeignet ist, beim anderen Teil die Vorstellung zu begründen, das Recht werde nicht mehr geltend gemacht werden, sowie eine Verletzung oder Gefährdung berechtigter Interessen des anderen Teils, etwa weil dieser sich auf die vom Berechtigten erweckte Erwartung der Nichtgeltendmachung des Rechts einrichten durfte oder eingerichtet hat. Zudem darf sich der Dienstherr gegenüber dem Beamten nur dann auf Verwirkung berufen, wenn der Beamte zur Geltendmachung seines Rechts, insbesondere infolge der Kenntnis hiervon, in der Lage gewesen ist.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 24.2.1958 und vom 29.8. 1996 sowie Beschluss vom 4.12.1998, jeweils a.a.O.

Danach kann es dem Betroffenen trotz fehlender Bekanntgabe nach Treu und Glauben verwehrt sein, sich auf die an sich gegebene Unwirksamkeit eines Verwaltungsaktes zu berufen, so dass der Verwaltungsakt als wirksam zu behandeln ist.

Vgl. auch VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 10.6. 1996 - 4 S 2427/95 -, NVwZ-RR 1997, 582.

Aufgrund des Verhaltens des Klägers durfte der Beklagte überzeugt sein, dieser werde sein Recht, sich auf den fehlenden Zugang der Entlassungsverfügung und deren daraus folgende Unwirksamkeit zu berufen, nicht mehr geltend machen. Der Kläger war ab dem entsprechend seinem eigenen Antrag ("Kündigung") verfügten Entlassungstermin am 31.8.2001 bis zu seinem Ersuchen um ein sogenanntes auswärtiges Jahr Ende 2003/Anfang 2004 über zwei Jahre nicht zum Dienst erschienen. Auch danach hat er keinen Dienst verrichtet. Bereits am 13.8.2001 hatte er sämtliche bis dahin noch in seinem Besitz befindlichen dienstlichen Ausrüstungsgegenstände zurückgegeben. Überzahlte Dienstbezüge zahlte er aufgrund einer entsprechenden Vereinbarung vom 15. und 24.1.2002 ratenweise zurück. Sein damaliger Bevollmächtigter erklärte mit Schreiben vom 9.112001 ausdrücklich, sein Mandant sei zwischenzeitlich aus dem Dienst ausgeschieden. Der Kläger selbst überreichte unter dem 4.12.2001 ein von ihm unterzeichnetes Formblatt an das LBV mit dem Inhalt, dass er beabsichtige, innerhalb von zwei Jahren nach seinem Ausscheiden erneut ein rentenversicherungsfreies Beschäftigungsverhältnis aufzunehmen.

Aus diesem Sachverhalt folgt zugleich, dass der Kläger Kenntnis von dem Umstand der Entlassung und dem fehlenden Zugang der Entlassungsverfügung hatte. Die mit der Entlassung eingetretene Beendigung des Beamtenverhältnisses wurde - wie eben dargestellt - faktisch vollzogen. Die Beteiligten gingen übereinstimmend davon aus, dass das Beamtenverhältnis beendet war. Die in diesem Zusammenhang erforderlichen Maßnahmen - Rückzahlung zuviel erhaltener Bezüge, Rückgabe der Ausrüstungsgegenstände etc. - wurden sämtlich einvernehmlich und teilweise unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Beendigung des Dienstverhältnisses vorgenommen. Der Kläger war mithin in der Lage, den fehlenden Zugang der Entlassungsverfügung und deren daraus folgende Unwirksamkeit zeitnah geltend zu machen.

Die verzögerte Geltendmachung beeinträchtigt das öffentliche Interesse an einer (Neu-)Besetzung öffentlicher Ämter und verletzt damit berechtigte Belange des Dienstherrn.

Der Kläger hat zur Begründung seines Zulassungsantrags zu der bereits im verwaltungsgerichtlichen Urteil angesprochenen, dann aber offen gelassenen Frage der Verwirkung vorgetragen, so dass der Senat seine Entscheidung auf den Gesichtspunkt der Verwirkung stützen kann, ohne den Kläger dazu nochmals anzuhören.

Ende der Entscheidung

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